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Judentum und Israel
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Heitere Gedichte:
Der sechssprachige Morgenstern

Niels Hansen (Vorwort zu Christian Morgenstern sechssprachig)

Christian Morgenstern ist heute so aktuell und lebendig wie eh und je. Seine Präsenz reicht von Neudrucken über Schulbücher und wissenschaftliche Publikationen bis zur Plakatierung seiner Verse in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Kaum eine Gedichtsammlung kommt ohne ihn aus. Nicht erst Robert Gemhardt hat ihn parodiert. Seit 1988 bringt der Stuttgarter Verlag Urachhaus unter der Leitung von Reinhardt Habel eine kommentierte neunbändige Ausgabe der Werke und Briefe heraus, von welcher der siebte Band in Kürze erscheint. Die von Marcel Reich-Ranicki betreute »Frankfurter Anthologie« erläuterte 2002 gleich zwei Klassiker seiner geistvollen Lyrik. In Israel hat Dan Daor gerade eine zweisprachige deutsch-hebräische Edition vorgelegt, weitere sollen dort bald folgen.

Den ungebrochenen Nachruhm über den deutschen Sprachraum hinaus verdankt Morgenstern nicht zuletzt seinen heiteren, gescheiten, manchmal grotesken Versen, seinem hintergründigen Witz, wie er in den Galgenliedern, bei Palmström, Korf und Palma Kunkel zum Ausdruck kommt. »Weil nicht sein kann, was nicht sein darf« hat bei uns, augenzwinkernd zitiert, sprichwörtliche Qualität gewonnen. Als liberaler Intellektueller im Wilhelminischen Zeitalter übte er immer wieder, ausdrücklich oder zwischen den Zeilen, Zeitkritik. Morgenstern gab sich pazifistisch und, bei aller tiefen Gläubigkeit, milde antiklerikal, und er nahm Deutschtümelei, Bürokratismus, Verklemmtheit und Standesdünkel mit treffender Eleganz aufs Korn. Stets versöhnlich, nie verletzend oder gar zynisch. Auch er belegt im übrigen, wie abwegig das gängige Klischee von der Humorlosigkeit der Deutschen ist.

Vorträge über Morgenstern bei den Goethe-Instituten in Jerusalem und Tel Aviv 1999 lösten fast enthusiastische Reaktionen aus; dass ich darauf hinwies, es gebe trotz des Namens ganz offenbar keinen jüdischen Familienhintergrund, tat dem überhaupt keinen Abbruch. Manche Anwesende waren mit dem Dichter aufs beste vertraut, und im Lauf der Zeit erhielt ich von mehreren seiner Verehrer fast zweihundert - gereimte - Übertragungen ins Hebräische, die bisher, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht publiziert sind. Es ist sicher kein Zufall, dass die seit den dreißiger Jahren in den USA herausgekommenen Übersetzungen vornehmlich von jüdischen Emigranten stammen. Hier sei angemerkt, dass Morgenstern sich - zum Beispiel 1906 in einem Brief an seinem Freund Friedrich Kayssler, der sich über Alfred Kerr beschwert hatte - in aller Deutlichkeit vom Antisemitismus distanzierte.

Die aufschlussreiche Erfahrung in Israel regte mich an, zusätzlich zu den englischen Übertragungen solchen in weitere Sprachen nachzugehen. Seit längerem gibt es zweisprachige Ausgaben unter anderem in Französisch, Italienisch und Spanisch, die indes sämtlich vergriffen sind. Es gelang nun, dreißig Gedichte auszumachen, bei denen jeweils Versionen in den genannten Fremdsprachen vorliegen. Die Wahl der berücksichtigten Texte hing davon ab, ob sie in allen diesen fünf vorhanden sind. In zwei Fällen wurde ersatz- und ausnahmsweise Esperanto genutzt, was sich auch damit rechtfertigen mag, dass Morgenstern als junger Mensch an Volapük interessiert war und sogar darin korrespondierte. Die hebräischen Übersetzungen sind ganz überwiegend noch unveröffentlicht. Einzelheiten können der im Anhang aufgeführten Quellenübersicht entnommen werden. Es existieren auch Wiedergaben in weniger verbreiteten Sprachen, zum Beispiel auf Dänisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, (mehrfach) Tschechisch und Ungarisch ebenso wie Lateinisch, doch hätte deren Einbeziehung den Rahmen der Edition gesprengt.

Faszinierend ist der Vergleich der einzelnen fremdsprachigen Fassungen, bei denen der makellose Stil Morgensterns und sogar knifflige Wortspiele wie im »Wer-wolf« zu meistern waren. Im ganzen scheinen die englischen am besten gelungen, was sich aus der Nähe zum Deutschen in Syntax und Wortschatz erklärt und wohl auch daran liegt, dass der Humor Morgensterns dem englischen in mancherlei Hinsicht verwandt ist. Die letztlich gewiss schwierigeren Übertragungen in die drei romanischen Sprachen ähneln sich natürlich, wenn auch die eigentypischen Unterschiedlichkeiten unverkennbar hervortreten. Überraschend ist es, wie gut die hebräischen Übersetzungen geglückt sind, was nicht nur in grammatikalisch-syntaktischer, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht gilt. Neben der sprachbedingten Dimension schlagen in der Tat auch die individuellen Annäherungen an das Original durch, und auch hier erweist sich, dass eine möglichst wortgetreue Wiedergabe dem Dichter am ehesten gerecht wird. Reiche Fundgrube, die allgemein auch dem Leser bei der Vervollkommnung der Sprachkenntnisse nützlich zu sein vermag.

In Iwrith lagen mir bis zu sechs verschiedene Versionen vor, und ich bin Shulamit Zemach-Tendler und Anat Feinberg verbunden dafür, dass sie als Arbitrae elegantiae mitwirkten. Bei Französisch, Italienisch und Spanisch halfen dankenswerterweise Maurice Cureau, Daria von Bubnoff und Christa Brunner. Für freundliche Beratung bin ich auch Reinhardt Habel verpflichtet, vor allem aber Maurice Cureau, der 1990 den - für die vorliegende Sammlung textlich maßgeblichen - dritten Band »Humoristische Lyrik« der Stuttgarter Gesamtausgabe edierte und der sieben eigene Übersetzungen beisteuerte. Walter Schneider danke ich für die typographische Disposition und die bibliophile Ausgestaltung. Nicht zuletzt gilt mein Dank der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die finanzielle Unterstützung des Vorhabens.

Eine besondere Freude ist es mir, dass Igael Tumarkin bereit war, die Edition zu illustrieren. Der weltbekannte Künstler, der gerade mit dem renommierten Israel-Preis für bildende Kunst ausgezeichnet wurde und der meinem Vortrag in Tel Aviv beigewohnt hatte, liebt Morgenstern seit jeher. Er hat die Gedichte mit dreißig Bildern auf seine Weise kongenial gedeutet.

Niels Hansen
Bonn, 1. August 2004

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hagalil.com 17-10-2004


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