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Judentum und Israel
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III.

Ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinschaft der USA und Deutschland begann mit dem deutsch-israelisch-jüdischen Wiedergutmachungsabkommen, das im September 1952 in Luxemburg unterzeichnet und ein halbes Jahr später ratifiziert wurde. Die amerikanischen jüdischen Organisationen jeder Couleur überwanden ihre Meinungsverschiedenheiten und taten sich hier in einer gemeinsamen Anstrengung von Diaspora und Staat Israel zusammen, die schließlich von Erfolg gekrönt war. Nachdem zuerst eine Partnerschaft auf der begrenzteren Ebene der Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) erreicht wurde, des Verbandes, der sich um die Rückgabe nachgewiesenen Besitzes von Einzelpersonen und Gemeindeeinrichtungen kümmerte, wurde diese 1951 auf den Bereich allgemeiner kollektiver Reparationsansprüche ausgeweitet, was dann hebräisch "Shilumim" genannt wurde, ein Konzept, das von verschiedenen Quellen in Israel und außerhalb inspiriert war. Obwohl Jacob Blaustein ebenso wie andere Persönlichkeiten in der Führung des AJC gegen eine zentrale Rolle und Hegemonie des neuen Staates Israel in der jüdischen Welt eingestellt war, unterstützte er die israelische Forderung nach kollektiver Wiedergutmachung mittels seiner Verbindungen zur Administration von Präsident Truman und vor allem zu dem mit ihm befreundeten John J. McCloy, dem amerikanischen Hohen Kommissar in Deutschland. Dieser drängte Bundeskanzler Adenauer immer wieder, bevor er seine Bereitschaft zu Wiedergutmachungsgesprächen erklärte und wenn sich danach bei den schwierigen Verhandlungen Krisen ergaben.17 McCloy, der im Lauf seiner jahrzehntelangen Aktivitäten als einer der "Väter" des amerikanischen Establishments jüdische Auffassungen ja nicht immer teilte, befürwortete während seiner Amtszeit als Hoher Kommissar Fühlungnahmen Deutschlands zu den Juden, weil sie seinem politischen Ziel der Intensivierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten förderlich waren.18 Schon zu Beginn seiner dortigen Tätigkeit drängte er, ermutigt durch seinen Berater für jüdische Angelegenheiten Harry Greenstein, Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss, das Schweigen zu brechen und in der Öffentlichkeit Antisemitismus und Naziverbrechen anzuprangern, wie dies längst fällig war.19
Außer Nahum Goldmann, der sich in den Verhandlungen mit Adenauer die meisten Verdienste erworben hatte und der, obwohl von 1940 bis zu Beginn der sechziger Jahre in New York wohnhaft, bekanntlich kein amerikanischer Jude war, bestand die Führung der im Oktober 1951 gegründeten Conference on Je-wish Material Claims against Germany (Claims Conference) hauptsächlich aus amerikanischen Juden.20 Blaustein, rangältester Stellvertreter des Vorsitzenden, bewegte, zusammen mit dem israelischen Botschafter in Washington Abba Eban, auch den amerikanischen Außenminister Dean Acheson dazu, im Mai 1952 bei Adenauer die Wiedergutmachungsregelung zu unterstützen, obwohl Acheson nie zu den Freunden Israels gezählt werden konnte. Die Entscheidung Adenauers, eine wie immer geartete Aussöhnung mit den Ju-
17 Über den Beitrag Blausteins zu den Verhandlungen: Yeshayahu A. Jelinek, John J. McCloy, Jacob Blaustein, and the Shilumim: A Chapter in American Foreign Affairs, in: Axel Frohn (Hrsg.), Holocaust and Shilumim: The Policy of Wiedergutmachung in the Early 1950's, Washington 1991, S. 29-46.
18 Über das Verhältnis McCloys zu den Juden und ihren Forderungen wird berichtet in der ausführlichen Biographie von Kai Bird, The Chairman, John J. McCloy: The Making of the American Establishment, New York 1992, S. 201-227, 314-315, 334-336, 479-482.
19 Harry Greenstein über McCloy, 18. 9. 1949, WJC Collection, AJA, Box 131. In seinen ersten Amtsjah-ren riet McCloy den deutschen Behörden unablässig, die Rückgabe des jüdischen Vermögens an die JRSO voranzutreiben.
20 Zur Claims Conference, der Konferenz der materiellen jüdischen Forderungen gegen Deutschland: Ronald /.weig, Germaa Reparations and the Jewish World: A History of the Claims Conference, Boulder uiul London, 1987. Zu Goldmann und seinem Anteil an der Wiedergutmachung: Raphael Patai, Nahum (joldmunn: His Missions lo the Genliles, Alabama, 1.987, S. 169-201. Siehe auch die Autobiographie von Nahum Goldmann, Mein Leben als deutscher Jude, München I1M>, S. 371-425.
den und mit dem neuen Staat anzustreben, war im Kern nicht das Ergebnis eines amerikanischen Diktats. Trotz der Unschlüssigkeiten und Zögerlichkeiten bei den direkten und indirekten Kontakten mit jüdischen und israelischen Vertretern spielten beim Bundeskanzler natürlich moralische Beweggründe eine Rolle. Freilich, trotz aller Fortschritte bei der Eingliederung Westdeutschlands, dem seine Souveränität noch nicht zurückgegeben worden war, ins westliche Lager als Folge der verschärften Spannungen des kalten Kriegs zwischen den beiden Blöcken maß Adenauer den amerikanischen Juden hohe - vielleicht sogar etwas übertriebene - Bedeutung bei, allgemein sowohl wie im wirtschaftlichen Bereich.21 Diese seine Einstellung und die Einsicht in die Bande zwischen den Juden der Diaspora und Israel, das den Löwenanteil der kollektiven Wiedergutmachung erhielt, spornte ihn an, die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen, dies trotz des Widerstands eines Teils der Minister seiner Regierung und der Koalition, der Einwände führender Persönlichkeiten der Wirtschaft und des Drucks arabischer Staaten. Auch der Regierungsantritt der Republikaner in Washington, die bekannterweise für die Juden unbequemer waren, brachte ihn nicht von seinem Weg ab.
Eine Folge des Abkommens auf der Ebene des Verhältnisses der amerikanischen jüdischen Gemeinschaft zu Deutschland war eine gewisse Mäßigung der prozionistischen Organisationen, die vorher besonders ablehnend eingestellt waren und jetzt mehr Rücksicht auf die Abhängigkeit Israels von den Wiedergutmachungslieferungen und später auch von sonstiger deutscher Hilfe nahmen. Der erste Besuch Adenauers in den Vereinigten Staaten kurze Zeit nach der Ratifizierung des Abkommens verlief ohne jede Panne. Goldmann, der auch als Präsident des WJC fungierte, gelang es kraft seiner persönlichen Stellung die Organisation zu beschwichtigen, die jahrelang mit scharfen antideutschen Erklärungen hervorgetreten war und die in den achtziger Jahren wieder zu einer aktivistisch-kritischen Linie zurückkehren sollte. Dank seiner Intervention enthielt man sich öffentlicher Kritik an einigen engen Mitarbeitern Adenauers, die früher dem Naziregime gedient hatten, und die Exekutive in New York, die vor den Wiedergutmachungsverhandlungen wesentlich extremer gewesen war als die europäische in London, sah auch davon ab, ihre Stimme gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands zu erheben, als die Frage 1954 offiziell auf die Tagesordnung gesetzt wurde.22 Dieser Umschwung im Gefolge des Wiedergutmachungsabkommens beeinfluß-
21 Siehe z. B. die Ausführungen Adenauers am 5. 9. 1952 im Vorstand der CDU: Günter Buchstab (Hrsg.), Adenauer: "Es mußte alles neu gemacht werden", Stuttgart 1986, S. 140-141. Eine abgewogene Bewertung im Zusammenhang mit der Wiedergutmachung: Yeshayahu A. Jelinek, Political Acumen, Altruism, Foreign Pressure or Moral Debt - Konrad Adenauer and the "Shilumim", in: Shulamit Vol-kov und Frank Stern (Hrsg.), Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. XIX, 1990, S. 77-102.
22 Siehe meinen Beitrag Der Jüdische Weltkongreß und sein Verhältnis zu Nachkriegsdeutschland, in: Ludger Heid (Hrsg.), Menora, Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1992, München 1992, S. 210-237, bes. 225-231.
te auch diejenigen Kongreßabgeordneten, die dem jüdischen Establishment nahestanden. So wurde zum Beispiel der liberale Republikaner Jacob Javits zu einem engagierten Freund der Bundesrepublik Deutschland, die er zunächst energisch kritisiert hatte. In den siebziger Jahren erhielt der amerikanische jüdische Senator einen der höchsten deutschen Orden, der ihm übrigens vom Jubilar dieser Festschrift überreicht wurde.23 Auch der demokratische Abgeordnete Ema-nuel Celler entdeckte sein Herz für die Bundesrepublik. Diese gemäßigtere Haltung kam, wie gesagt, vor allem auf der Ebene des Establishments zum Ausdruck, aber nicht bei der Mehrheit der Juden. Sie behielten ihre feindselige Einstellung bei, was sich in persönlicher Abneigung, in den Medien, im Film und auch in der Literatur widerspiegelte.
Bei allen Einschränkungen gibt es keinen Zweifel daran, dass das Abkommen mit seinen Zusatzprotokollen bezüglich der Forderungen der Claims Conference in gewissem Maße die Bemühungen der ersten westdeutschen diplomatischen Vertreter in Washington, New York und anderen Orten um Kontakte mit jüdischen Institutionen und Einzelpersonen erleichterte. Ihre ersten Ansprechpartner waren Juden aus Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern, die nach 1933 jenseits des Ozeans Obdach gefunden hatten, unter ihnen Leser des "Aufbau", der nach und nach eine positivere Haltung gegenüber der Bundesrepublik einzunehmen begann. Doch spielten diese Kreise innerhalb der amerikanischen Judenheit nur eine untergeordnete Rolle. Intellektuelle und Wissenschaftler unter ihnen waren sich uneinig. Albert Einstein etwa, der in Princeton lebte, war nie zu einer Geste der Versöhnung bereit. Die erste große jüdische Organisation, die eine Einladung nach Deutschland annahm, um die dortige Geisteshaltung herauszufinden, war die ADL. In gewisser Weise hatte die Konkurrenz mit dem AJC einen Einfluß darauf; dieses zog vor, seine Vertreter auf eigene Initiative nach Deutschland zu senden. Das zionistische Lager, dessen Gewicht bereits abnahm, wurde mehrheitlich von der Haltung der entsprechenden Parteien in Israel beeinflußt. Der American Jewish Congress widersprach öfters der gemäßigteren Einstellung, die Goldmann dem WJC aufdrängte.24 Während die Orthodoxen in ihrer Gegnerschaft verharrten, ergaben sich Differenzen auch im Lager des Reformjudentums, das sich im allgemeinen auf Seiten der Gemäßigten fand. So setzte sich zum Beispiel Abba Hillel Silver auf einer Konferenz der Reformrabbiner für die Annahme einer Entschließung gegen die deutsche Wiederbewaffnung ein, und Maurice Eisendrath konnte noch Anfang der sechziger Jahre angesichts Deutschlands Status als NATO-Partner ein Gefühl des Unbehagens nicht unterdrücken.25
21 Raphael Steinberg, Javits: The Autobiography of a Public Man, Boston 1981, S. 183-188.
-' Nahum Goldmann und der politische Vertreter des WJC, Maurice Perlzweig, kritisierten vor allem den Inhalt der Broschüre The German Dilemma, die der American Jewish Congress 1959 veröffentlichte.
25 Siehe die Prolokolle der 63. Central Conference of American Rabbis, Annual Convention, Buffalo, 10.-15. 6. 11JS2, AJA. Zur Hinstellung Eisendraths: Maurice N. Bisendrath, Can Faith Survive? The Thought and Afterthoughts of an American Rabbi, New York, l%4, S. XI-83.
Zur Verbesserung des deutschen Image in der amerikanischen Öffentlichkeit und in diesem Zusammenhang auch zur Neutralisierung von Erscheinungen jüdischer Feindseligkeit beschäftigte die deutsche Botschaft von Anfang an die in jüdischem Besitz befindliche Agentur für Öffentlichkeitsarbeit Roy Bernard. Davon unabhängig arbeitete General Julius Klein, Republikaner in Chicago, der in den dreißiger Jahren gegen die nazistischen Organisationen der USA gekämpft und dann in den ersten Jahren nach dem Krieg vor dem gefährlichen Einfluß deutscher Frauen auf die amerikanischen Soldaten gewarnt hatte, als Fürsprecher der Rückgabe des eingefrorenen deutschen Eigentums, wobei er sich mit dem Verband der jüdischen Kriegsveteranen anlegte, zu dessen Führung er gehörte. Später betrieb er Öffentlichkeitsarbeit für große deutsche Industrieunternehmen. Aufgrund seines Ansehens im Bonner Bundeskanzleramt und bei sonstigen hochrangigen Persönlichkeiten des deutschen konservativen Establishments war er bei einigen Gelegenheiten auch Israel behilflich. Die Mehrheit der ersten deutschen Diplomaten, die für den Dienst in den Vereinigten Staaten ausersehen waren, hatte eine über jeden Zweifel saubere Vergangenheit - keine leichte Aufgabe angesichts der Zusammensetzung des deutschen Auswärtigen Amts, von dessen Angehörigen viele auch im Dritten Reich amtiert hatten. Aus Rücksicht auf jüdische Gefühle - und nicht nur auf diese -hielten sie Abstand zu den Organisationen der deutschstämmigen Amerikaner und ihren Organen, die Roosevelt und den Juden den Krieg gegen die deutsche Heimat nicht verziehen hatten und denen es schwerfiel, sich mit der Bonner Politik der Aussöhnung gegenüber dem Westen und mit Wiedergutmachungsleistungen an die Juden abzufinden.
Einen wichtigen Platz in der deutschen Überzeugungsarbeit nahmen die ständigen Bemühungen um die Unterstützung Israels ein - die Reparationen, die Weigerung Adenauers, auf das Ersuchen der Eisenhower-Administration einzugehen, während des Sinai-Feldzugs mit der Unterbrechung der Lieferungen zu drohen, und später die Vereinbarung über Entwicklungshilfe und Rüstungsgüter, die zwischen Adenauer und Ben-Gurion bei ihrem Zusammentreffen im März 1960 in New York geschlossen wurde. Diese Aktivitäten wurden auch den jüdischen Verbänden vermittelt, wenn deren Repräsentanten gegen antisemitische Vorfälle oder Affären wie die Tätigkeit deutscher Wissenschaftler und Waffenexperten in Ägypten Protest einlegten.
Während der Krise, die Anfang 1965 wegen der Aussetzung der deutschen Waffenlieferungen an Israel entstanden war, trug der Druck der amerikanischen jüdischen Verbände zur Entscheidung von Bundeskanzler Ludwig Erhard bei, die arabischen Drohungen zu ignorieren und Israel endlich die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen vorzuschlagen.26 Prominente Angehörige des jüdi-
26 Siehe die Ausführungen von Rainer Barzel, Der Weg zu den Beziehungen, Der deutsche Aspekt, in: Moshe Zimmermann und Oded Heilbronner, "Normale" Beziehungen: Das israelisch-deutsche Verhäll-nis (hebr.), Jerusalem iyy.3, S. 12-23.
sehen Establishments der Vereinigten Staaten, wie z. B. Philip Klutznick, erläuterten wiederholt ihre ausgewogene Einstellung gegenüber Deutschland nach dem Krieg aufgrund des nationalen amerikanischen Interesses und der lebenswichtigen Interessen Israels.27 Die Lage der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland spielte in diesem Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle. Es ist von Interesse, dass die Herkunft der hier erwähnten führenden jüdischen Persönlichkeiten auf ihre Haltung gegenüber Deutschland keinen Einfluß ausübte. Henry Morgenthau, der Deutschenfeind par excellence, hatte einen Großvater, der aus Mannheim eingewandert war. Bernard Baruch, auch er deutscher Herkunft, unterstützte anfänglich Morgenthau, bis er sich aufgrund des kalten Krieges mäßigte. Der Richter Felix Frankfurter dagegen, der aus Wien stammte, kritisierte den Morgenthauplan und plädierte für die Eingliederung Deutschlands in den Rahmen Westeuropas. Gerade einige der bedeutendsten Verfechter einer im allgemeinen moderaten Linie hatten einen osteuropäischen Hintergrund. Blaustein und Klutznick besaßen osteuropäische Eltern, John Slawson, zwanzig Jahre Generalsekretär des AJC, wurde in der Ukraine geboren, und Zachariah Shuster, Vertreter des Komitees in Europa, in Litauen.
Wenn vom Verhältnis der amerikanischen Judenheit zu Deutschland die Rede ist, hat man, bis zur Vereinigung 1990, vor allem die Bundesrepublik Deutschland im Auge. Die nachdrückliche Weigerung der DDR, trotz einiger freundlicher Äußerungen gegenüber dem jüdischen Staat vor und bei seiner Gründung, die Verantwortung des deutschen Volks für den Holocaust zu tragen und, gestützt auf den antifaschistischen Charakter des Regimes, ihren Teil der Wiedergutmachung für das jüdische Volk und Israel zu übernehmen, das Klima des kalten Krieges, die Beharrlichkeit der Ostberliner Regierung in der Gegnerschaft zu Israel - all das trug zu ihrem ständigen negativem Image in den Augen der überwiegenden Mehrheit der amerikanischen Juden bei. Die Hoffnung, die DDR werde nach der Aufnahme in die Vereinten Nationen und der Etablierung diplomatischer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in den siebziger Jahren in Sachen Wiedergutmachung und Vermögensrückgabe aus der Sackgasse herausfinden, erfüllte sich nicht. Auch die Kontakte des WJC und der Claims Conference zu Erich Honecker am Ende der achtziger Jahre erbrachten keine konkreten Resultate. Erst nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes verabschiedete das erste - und letzte - frei gewählte ostdeutsche Parlament eine unzweideutige Erklärung zur geschichtlichen deutschen Verantwortung für die Schoah - weitergehend als die von Adenauer vierzig Jahre früher abgegebene. Doch geschah das erst unmittelbar bevor Ostdeutschland aufhörte, als
27 Schriftliches Interview mit Philip Klutznick, Chicago, 15. 6. 1988. Siehe auch seine Denkschrift über den Besuch in Deutschland und das Zusammentreffen mit Adenauer, 12. 2. 1960, B'nai B'rith Archives, Washington, D. C. sowie seine Eindrücke von einem späteren Deutschlandbesuch vom 30. 6. bis 5. 7. l%<), AOL Archives, New York, ADL Foreign Correspondencc (FC), Oermany 1965-1969.
eigener Staat zu existieren und es im Oktober 1990 ein Teil von Gesamtdeutschland wurde.28
IV.
Der Eichmannprozeß, der in der Regierung Adenauer Befürchtungen auslöste, das deutsche Image werde davon ausgerechnet in einem Moment berührt, in dem die engen Beziehungen zwischen Bonn und Washington nach dem Wechsel im Weißen Haus und den ersten Fühlungnahmen mit Präsident John F. Kennedy zeitweilig gestört waren, übte keinen unmittelbaren Einfluß auf das Verhältnis der amerikanischen Judenheit zu Deutschland aus. Es gab sogar Versuche deutscher Diplomaten, sich mit der ADL und Vertretern des israelischen Generalkonsulats in New York darüber zu beraten, wie das Image Bonns vor Schaden bewahrt werden könne.29 Während und nach dem Prozeß kam es aufgrund der Berichte von Hannah Arendt und ihres Buches "Eichmann in Jerusalem" zunehmend zu lebhaften Diskussionen in der jüdischen Gemeinschaft, da sie scharfe Kritik an dem Prozeß in Israel übte und auch der Führung der europäischen jüdischen Gemeinden während der Schoah eine Mitverantwortung für die Vernichtung auflastete. Der Eichmannprozeß und in der Tat die in Deutschland geführten Prozesse gegen die Naziverbrecher von Auschwitz und anderer Vernichtungslager trugen aber längerfristig dazu bei, das Bewußtsein des Holocaust zu schärfen - ein Vorgang, der angesichts der Erfahrungen der amerikanischen Juden zur Zeit des Sechstagekriegs und des Jom-Kippur-Kriegs beschleunigt wurde. Dieses Bewußtsein und sein Niederschlag in der Literatur, den Medien, der Forschung und der Aktivitäten der Gemeinden prägte sich ihnen - obwohl dies keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den weiterlaufenden Kontakten der jüdischen Organisationen der USA zu Deutschland hatte - gleichwohl ein. Zu betonen sind auch die Auswirkungen, die sich aus der Besetzung von Schlüsselstellungen der Gemeinden und Verbände durch Überlebende und ihre Kinder ergaben. Die Initiativen zu einem deutsch-jüdischen Dialog - das gilt sowohl für diejenige Goldmanns im Rahmen des WJC als auch für andere begrenzteren Ausmaßes - zeitigten in den sechziger und siebziger Jahren keine wirklichen Ergebnisse.30 Die jüdischen Organisationen entsandten weiterhin Vertreter und Delegatio-
28 Einstimmig angenommene Entschließung der Volkskammer vom 12. 4. 1990. Angelika Timm, DDR-Israel: Anatomie eines gestörten Verhältnisses, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 4/93, 22. 1. 1993, S. 46-54. Siehe auch die Aussage von Saul Kagan, A Participant's Response, in Frohn (Anm. 17), S. 53-61.
2V Georg Federer, der deutsche Generalkonsul in New York, berichtete darüber an das Auswärtige Amt am 3. 2. 1961, Politisches Archiv, 708.82/70-92.19, VII, Bd. 1037, 1961. Siehe auch Michael Arnon an das Außenministerium in Jerusalem, 10. 2. 1961, Israelisches Staatsarchiv Jerusalem, Dokumente des Außenministeriums, 3059/4.
30 Der spektakulärste Versuch war die Dialogveranstaltung, die Goldmann im Rahmen der 5. Vollversammlung des WJC im August 1966 in Brüssel abhielt, siehe meinen Beitrag Anm. 22.
nen, die mit den Führungspersönlichkeiten in Deutschland zusammentrafen -nach Adenauer und den Ministern seiner Regierung mit seinen Nachfolgern Erhard und Kurt Georg Kiesinger (die Tatsache, dass dieser der NSDAP angehört hatte, stellte kein Hindernis dar) sowie mit den deutschen Diplomaten in den USA. Sie setzen ihren Kampf gegen die Verjährung der Nazimorde fort, warnten vor der Gefahr der antisemitischen extremen Rechten und manchmal auch vor antiisraelischen Tendenzen in der Linken und plädierten weiter für eine Verbesserung und Ergänzung der Wiedergutmachung. Es scheint, dass die Veränderungen der deutschen politischen Kultur während der sechziger Jahre und die Auswirkungen der liberalen Reformen nach dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition in Bonn nicht immer große Aufmerksamkeit seitens des amerikanischen jüdischen Establishments fanden, bei dem der deutschen Frage in diesen Jahren kein wichtiger Platz auf der Tagesordnung eingeräumt wurde. Nach der Enttäuschung über den gemeinsamen Kampf mit den Schwarzen gegen deren Diskriminierung konzentrierte sich die jüdische Gemeinschaft, abgesehen von der Mobilisierung zugunsten Israels, auf die Kampagne für die Juden der Sowjetunion.
Trotz der anfänglichen Zufriedenheit über Willy Brandt dank seines aktiven Widerstands gegen den Nationalsozialismus lösten die zunehmenden Meinungsverschiedenheiten mit den sozialdemokratischen Regierungen in Israel in den siebziger Jahren bei den amerikanischen Juden eine gewisse Enttäuschung aus. Die Deutschen konzentrierten sich ihrerseits trotz der Unstimmigkeiten zwischen Bonn und Jerusalem auf die Pflege vielfacher Verbindungen mit der israelischen Öffentlichkeit, die in ihren Augen pragmatischer eingestellt war als die Diaspora in Amerika. Dabei kam ihnen auch der positive Eindruck zugute, den in Israel die deutsche Solidarität während des Sechstagekriegs hinterlassen hatte, womit viel Trennendes ausgeräumt worden war.
Der israelische Machtwechsel nach rechts von 1977, die Annäherung der deutschen Sozialdemokraten an die Positionen der Palästinenser und der starke Eindruck der an sich trivialen Fernsehserie "Holocaust"31 auf die öffentliche Meinung in Amerika und Deutschland führten, zusammen mit gleichzeitigen Initiativen von jüdischer Seite, zu erneuten deutschen Bemühungen um ein sinnvolleres Gespräch mit der amerikanischen Judenheit. Diese begannen noch am Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und wurden nach dem Regierungsantritt von Helmut Kohl 1982 fortgesetzt.32 Austauschprojekte der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem AJC und später auch mit der ADL waren dazu bestimmt, den jüdischen Vertretern die positiven Entwicklun-
31 Zur Aufnahme der Serie Holocaust in Deutschland: Jeffrey Herf, The Holocaust Reception in West Germany: Right, Center and Left, in: Anson Rabinbach und Jack Zipes (Hrsg.), Germans and Jews sin-ce the Holocaust: The Changing Situation in West Germany, New York, 1986, S. 208-233.
32 U. a. wurde das Problem am 8. 7. 1979 bei einem Zusammentreffen des AJC mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in New York erörtert, AJC Archives, BGX 79. Dem waren Kontakte von Vertretern des AJC mit Angehörigen des deutschen Generalkonsulates in New York vorausgegangen.
gen der deutschen Demokratie in den letzten vierzig Jahren zu veranschaulichen. Sollte indessen unter den Gestaltern der deutschen Politik jemand gewesen sein, der im innersten Herzen gehofft hatte, dass man sich mittels angelegentlicher Pflege der Beziehungen zu den amerikanischen Juden, den hauptsächlichen "Fackelträgern des aschkenasischen Erbes", nach und nach von den besonderen Beziehungen zu Israel werde lösen können, das sich als nationalistischer Staat levantinischer Prägung darstellte, so wäre er enttäuscht worden.33 Sämtliche jüdische Organisationen betonten bei jeder Gelegenheit ihr Engagement für Israel und die Relevanz der deutschen Unterstützung Israels für ihr Verhältnis zu Deutschland. Der Versuch von Bundeskanzler Kohl, Präsident Ronald Reagan dazu zu zwingen, an der Versöhnungsdemonstration auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg mitzuwirken, auf dem auch SS-Soldaten begraben liegen, - deutlicher Ausdruck der konservativen Wende im Deutschland der achtziger Jahre - löste weltweite jüdische Proteste aus und führte die Grenzen der Verständigungsmöglichkeiten zwischen den Juden der Vereinigten Staaten und Deutschland vor Augen.34 Trotzdem bewirkte diese Erschütterung keine Einstellung der Austauschprogramme, die seither noch zugenommen haben. Der überraschend schnelle deutsche Einigungsprozeß nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Osten ließ die amerikanische Judenheit ihre Haltung erneut überprüfen. Gefühlsmäßig, aber auch aus anderen Gründen erweckte er Befürchtungen, dies könne sich als Schlußkapitel der historischen Rechnung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erweisen. In Wirklichkeit war das keine exakte Analyse, weil die Teilung zwischen West- und Ostdeutschland im Morgenthauplan oder einem anderen Strafkonzept nicht enthalten war und weil sie aus dem kalten Krieg zwischen den beiden Blöcken herrührte. Rational gesehen mußte die Liquidation des kommunistischen Ostdeutschland, das die Forderungen der Juden ignorierte und das dem Staat Israel übelwollte, als positive Entwicklung gelten. Die amerikanischen Juden konnten sie als freiheitsliebende Bürger nur begrüßen. Angesichts der allgemeinen Zufriedenheit über das Ende des kalten Krieges und der eindeutigen Politik Washingtons, sich an die Spitze der Befürworter der deutschen Einheit zu setzen, wäre jeder jüdische Versuch, diese Entwicklung zu stören, von vornherein aussichtslos gewesen, und er hätte die Möglichkeiten der Juden beeinträchtigt, die Entwicklungen in Deutschland auch künftig mit wachen Augen zu verfolgen. Demgegenüber wurde es schnell klar, dass die Hoffnung, die Vereinigung werde nun die innerliche Auseinandersetzung der Ostdeutschen um die Mitwirkung ihrer Vorfahren an der Schoah fördern, sich nicht automatisch erfüllte. Mehr als
33 Der deutsche Botschafter Günther van Well verwendete diesen Ausdruck am 21. 5. 1985 in einer Ansprache vor dem B'nai B'rith Board of Governors, ADL Archives, FC, Germany.
34 Zu Bitburg: Deborah E. Lipstadt, The Bitburg Controversy, in: David Singer (Hrsg.), American Jewish Year Book 87, Philadelphia 1987, S. 21-37. Viel Material ist in zwei Sammelbänden enthalten, die nach der Begegnung zwischen Reagan und Kohl erschienen: Geoffrey Hartman (Hrsg.), Bitburg in Moral and Political Porspective, Blnomington, 1.986, und Ilya Levkov (Hrsg.), Bilburg and Bcyond, New York, 1986.
das: Als Folge der Vereinigung wurde diese Auseinandersetzung mit der Nazizeit mittels falscher Analogien, auch im Westen, von der kommunistischen Vergangenheitsbewältigung in den Schatten gestellt und haben die Stimmen zugenommen, die in der Schoah ein abgeschlossenes Kapitel sehen möchten. Die Welle von Rassismus und Fremdenhaß einschließlich der Zunahme des Antisemitismus, die Ausschreitungen neonazistischer Jugendbanden ebenso wie die Stärkung der konservativen Nationalisten und der Neuen Rechten außerhalb der CDU/CSU und auch an ihrem Rand - all das waren in der Tat negative unerwartete Folgen der Einheit. Es wurde auch klar, dass die wirtschaftlichen und psychologischen Schwierigkeiten viel gravierender waren als die auf dem Weg zur politischen Einheit, die in fieberhaftem Tempo vollendet wurde. Die Haltung der deutschen Regierung und insbesondere der deutschen Öffentlichkeit während des Golfkriegs 1991 und die schrillen Töne gegenüber Israel seitens der deutschen Friedensbewegung und eines beträchtlichen Teils der Gewerkschaften und der SPD, die in der Vergangenheit gute Freunde der israelischen Arbeiterbewegung waren, sorgten ebenfalls für Verwunderung bei jüdischen Beobachtern in den USA.35 Im Rückblick auf fast fünf Jahrzehnte wird deutlich: In den maßgeblichen Entscheidungen zu deutschen Fragen nach dem Krieg - von der Eingliederung des westlichen Teils in die politische, wirtschaftliche und strategische Struktur des Westens angesichts der Konfrontation der beiden Blöcke bis hin zur nachdrücklichen Unterstützung der Vereinigung nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes im Osten - nahm Washington keine Rücksicht auf die Gefühle der jüdischen Gemeinschaft. Demgegenüber beeinflußten die Juden auf die eine oder andere Weise weiterhin das Deutschlandbild in der amerikanischen öffentlichen Meinung und damit auch das Establishment und die Eliten in Deutschland. Zwei wichtige Elemente der amerikanisch-jüdischen Identität wirkten in gegensätzlicher Richtung: Solange es auf die Interessen Israels Rücksicht zu nehmen galt, übte dies auf der Ebene der organisierten Gemeinschaft einen mäßigenden Einfluß aus. Das Bewußtsein des Holocaust und die tiefe Kluft, die hier zwischen den jüdischen und deutschen Nachfolgegenerationen besteht, hat den gegenteiligen Effekt.
Helmut Schmidt zitiert in einem Beitrag Mitte der achtziger Jahre eine japanische Journalistin. Sie führte aus, die Deutschen hätten das Glück, vor allem von den Juden in den Vereinigten Staaten gezwungen zu werden, ihrer jüngsten Geschichte ins Auge zu sehen und der nachwachsenden Generation die Wahrheit darüber zu sagen - dies im Gegensatz zu den Japanern, deren Opfer in den benachbarten Ländern des Fernen Ostens die Welt nicht aufgerüttelt hatten.36 Der Vergleich ist trotz der erwähnten Änderungen, die sich in den letzten Jahren auf der internationalen und der deutschen Bühne abgespielt haben, heute noch akut, und hoffentlich gilt die Diagnose auch für die Zukunft.
)s Z. B. Andrei S. Markovits, Die Linke gibt es nicht - und es gibt sie doch: Eine Antwort auf Reaktionen
im Streit über den Krieg am Golf, Frankfurter Rundschau, 7. 3. 1991. "' Helmut Schmidt, Keine Angst vor den Japanern, Die Zeit, 16. II. 1984, S. 9- 1.0.

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Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

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hagalil.com 20-03-2008


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