JUDEN in der ehemaligen Tschechoslowakei
von Chaim FRANK
Jüdische Gemeinden
Ehe ich auf das 19. Jahrhundert zu sprechen
komme, möchte ich Ihnen noch kurz einige Städte aufzeigen, in der ein
größeres jüdisches Gemeindeleben existierte und über viele Jahrhunderte
fortbestand.
In Böhmen und Mähren, bestanden im Verlaufe
von annähernd 1000 Jahren, neben Prag, rund 600 jüdische Gemeinden.
Viele von ihnen sind jedoch wegen der vielen
kriegerischen Auseinandersetzungen, auf Grund der steten Vertreibung oder
auch wegen der hohen Steuerabgaben verschwunden, oder wie man es gern
melancholisch sagt: ''sie sind untergegangen''. Friedhöfe und Grabsteine
sind noch die einzigen Zeugen jüdischer Existenz.
In
ARNOLTOV (W-Böhm.: Arnitzgrün) läßt
sich die jüdische Besiedlung seit 1665 belegen. In der 2. Hälfte des
18.Jhdt. gründete sich eine Kultus-Gemeinde, die aber vor 1878 aufgelöst
wurde.
In
BOHOSICE (M-Böhm.: Bohostitz) gibt es
eine jüdische Siedlung seit 1692. Der örtliche jüd. Friedhof beherbergt das
älteste Grabmal von 1748, die letzte Beerdigung fand 1938 statt.
BOSKOVICE
(NW-Mäh.:) war einst eine der bedeutendsten jüd. Gemeinden Mährens, deren
Ursprung sich auf das frühe 15.Jhdt zurückführen läßt. Sie besaß ein
wohlhabendes Judenviertel, mit mehreren Synagogen, von der sich eine
einzige, heute leerstehende, aus dem 17.Jhd erhalten hat. Der jüd. Friedhof
ist einer der wertvollsten Böhmens und Mährens, auf dem noch nach dem II. WK
Beerdigungen stattfanden.
In
GOLCUV JENIKOV (O-Böhm.:
Goltsch-Jenikau) waren die Juden seit dem Mittelalter ansässig. Sie war eine
bedeutende Gemeinde, die eine Jeschiwe, ein florierendes Judenviertel und
etliche Synagogen und Bethäuser besaß. Die einige heute verbliebene Synagoge
(1870/71) dient dem staatlichen Jüdischen Museum als Deposarium. Auf dem
Friedhof, der drei wertvolle Tumben über Rabbinergräber beherbergt, fand
1941 die letzte Beerdigung statt.
HOLESOV
(M-Mäh.: Holleschau) nahe Kromerizs, wurde seit der 2. Hälfte des 15.Jhdt
von Juden besiedelt. Sie war eines der größten jüdischen Gemeinden Mährens,
die ein baulich interessantes Judenviertel besaß, die eine Synagoge aus Ende
des 16.Jhs beherbergte. Diese Synagoge ist heute das Mährisch-Jüdische
Museum. Eine andere, zwischen 1891-93 errichtete Synagoge, wurde von den
Nazis zerstört und abgerissen.
Auf dem Friedhof befindet sich der Tumba des großen Rabbi SchaCh (Rabbi
Schabataj ben Meyr haCohen, gest. 1662), die letzte Beerdigung fand 1975
statt.
In
KOLIN (M-Böhm.Bezirksstadt) existiert
die jüdische Besiedlung seit Anfang 14.Jhd. und wurde zu einer wichtigen
jüdischen Gemeinde Mittelböhmens; die Kultusgemeinde löste sich leider kurz
nach 1950 auf.
In der Judengasse steht heute die aus dem 17.Jhdt stammende Synagoge leer.
Auf dem jüd. Friedhof zwischen der Uliza Kmochova und Slunecni Gasse, der
vermutlich 1418 angelegt wurde, befindet sich der älteste lesbare Grabstein
datiert Anno 1492.
Bestattungen gab es bis 1887, von da an wurde ein zweiter neuer Friedhof
angelegt.
Als die Nazis nach Kolin kamen wurden alle Juden umgebracht, darunter auch
die ganze Familie des Rabbiner Dr. FEDER. Ihn ließen sie am Leben und
deportierten ihn nach Theresienstadt.
Nach seiner Befreiung kehrte er nach Kolin zurück und brachte den Friedhof
der durch einen Luftangriff und späteren Verwüstung zerstört war. In einem
Gedenkstein ließ er die Namen aller ermordeter Juden Kolin's verewigen.
Rabbiner Feder, der 1951 nach Brünn berufen wurde und zum Oberrabbiner von
Böhmen und Mähren ernannt wurde schrieb zahlreiche Bücher darunter auch
''Die jüdische Tragödie'', das er in Brno niederschrieb, und seine
Erinnerung an das Ghetto Theresienstadt zum Inhalt hat.
Auch das Städtchen
KOSOVA HORA (Amschelberg) ebenfalls
in Mittelböhmen war eine urbanisch bedeutsame Judengemeinde, in der sich
seit der 2.Hälfte des 16.Jhdt Juden belegen lassen. Auch ihre Synagoge aus
dem 18.Jhdt steht heute leer und ungenutzt.
Die südböhmischen Marktflecken
LOUCIM (Lautschim),
LUKAVEC,
MILEVSKO (Mühlhausen),
MIROTICE und
MIROVICE bezeugen von früher
jüdischer Besiedlung und beherbergen als steinerne Zeugnisse Synagogen und
jüdische Friedhöfe.
In
MARIANSKE LAZNE (W-Böhm.: Marienbad),
besteht die jüdische Gemeinde erst seit dem 1. Viertel des 19.Jhds, sie
wurde von den Nazis aufgelöst, respektive von den ortigen Sudeten arisiert
und das jüdische Eigentum ging in ihren Besitz über. Der Friedhof, der 2km
außerhalb lag wurde von den sudetischen Nazis fast völlig zerstört. Die sich
heute dort befindenden Grabsteine stammen aus Tachov.
MLADA BOLESLAV
(M-Böhm.: Jungbunzlau) begann die jüdische Gemeinde bereits im 15.Jhdt und
wurde im II.WK von den Nazis vernichtet. Sie war einst ein wichtiges Zentrum
der jüdischen Gelehrsamkeit und des hebräischen Buchdrucks. Die Reste des
jüdischen Viertels und die Synagoge aus dem 18.Jhd wurden 1958 abgerissen.
Auf dem jüdischen Friedhof stammt das älteste lesbare Grabmal aus 1584, und
hier kann man auch das interessante Renaissancegrabmal des Hofjuden,
Jacov Baschewi von Treuenberg (gest. 1634) bewundern.
In
CESKE BUDEJOWICE (M-Böhm.: Budweis),
von wo aus die erste europäische Pferdeeisenbahn nach Linz führte, lassen
sich Juden seit dem 14.Jhd. nachweisen. Es war jene Zeit, als die Stadt von
Karl IV das Stapelrecht erhielt, was für eine Zeit zur wirtschaftlichen
Blüte führte. Hinzu kam noch, daß 1550 die Moldau ab Budweis schiffbar
gemacht worden war, wodurch die Stadt zu einem interessanten Handelspunkt
aufstieg. Zwischen 1569-1611 befand sich hier die Münze, die Groschen und
Thaler prägte. 1642 zerstörte ein Brand die Stadt, der auch die Synagoge und
zahlreiche jüdische Häuser zum Opfer fielen.
Den Untergang der Budweiser jüdischen
Gemeinde bestimmten die Nazis. Am 5.Juni 1942 sprengten sie den alten, im
gotischen Stil errichteten Tempel. Die hier lebenden Juden wurden nach
Terezin, Auschwitz und Bergen-Belsen verschleppt, wo die meisten umkamen.
In den 60er Jahren gab es noch eine Betstube
in der Uliza Buiskupska 5, mit einem eingemauerten Toraschrein und fünf
Torarollen. Und der Friedhof, der durch eine kleine Pforte zu betreten war,
lag um diese Zeit verwüstet. Die jüdische Gemeinde besitzt in zwei Bänden
die Namen aller ermordeter Juden aus Budweis, zwischen 1940-1945.
Die jüdische Besiedlung
NIKOLSBURG läßt sich bereits 1450
urkundlich nachweisen. Die Stadt besaß 12 Synagogen und eine sehr berühmte
''Jeschiwe'', und die Nikolsburger Juden erhielten ab 1509 die Hoffreiheit.
Aus Nikolsburg stammen der Wunderrabbi
Mordechai BENET
(Markus Benedikt, um 1830), David OPPENHEIMER, Jehuda LÖW ben
Bezalel, sowie der getaufte Jude und Justizminister Maria Theresias, Franz
Freiherr von SONNENFELS. Die ältesten Grabsteine auf dem Friedhof
stammen aus dem frühen 15.Jhdt.
BRNO
(M-Mähr.: Brünn) war einst eine blühende jüdische Gemeinde, wo Juden seit
dem frühen Mittelalter bis zur Mitte des 15.Jhdt nachweisbar sind. Damals
kam der Prediger CAPISTRAN (in Wien gibt es eine Gasse im VI.
Gemeindebezirk) nach Wien und forderte die Wiener auf, die Juden zu
vernichten. Auf seiner Wanderung kam er auch 1454 nach Brünn, wo er von den
hiesigen Bürgern das gleiche forderte. Noch im gleichen Jahre hatten die
Juden die Stadt Brünn zu verlassen und durften sich fortan nie wieder hier
niederlassen.
Bis 1848 lebten nur wenige jüdische Familien,
denen es gestattet war hier Handel zu treiben, in Brünn. Erst ab diesen
Zeitpunkt begann erneut sich das jüdische Leben zu regen. Im Jahre 1853
wurde der Friedhof mit einer Mauer befestigt und es wurde eine edle
Zeremonienhalle errichtet.
1855 wurde die neue Synagoge durch Noah Mannheimer eingeweiht. Ein weiteres
G'Teshaus wurde in der Uliza Skorepka 1932 errichtet.
Als 1939 die Nazis in Brünn einzogen, wurde das jüdische Leben vernichtet.
Aus Brünn alleine haben die Faschisten 11.ooo Juden in die KZ-Lager
deportiert, von denen nur wenige überlebt haben.
Die ältere Synagoge wurde niedergebrannt und aus dem Gemeindehaus hat man
nach dem Krieg eine Ambulanz und ein Krankenhaus gemacht.
Die südwest-mährische Stadt
TREBIC hat gleichfalls eine weit
zurückreichende jüdische Geschichte. Eine jüdische Gemeinde existierte schon
im frühen 14.Jhdt, die auch eine aus Stein gebaute Synagoge besessen haben
soll. Und mährische Chroniken berichten sogar über die Existenz einer
jüdischen Gemeinschaft im 11. Jahrhundert Im Jahre 1410 kam es zu
antijüdischen Aktionen und Plünderungen, und auch 1464 wurden zahlreiche
Häuser im jüdischen Viertel geplündert und zerstört.
Aus einer anderen Chronik kann man entnehmen,
daß es im Jahre 1604 viele jüdische Händler gab, und die jüdische Gemeinde
es zu einem ansehnlichen Wohlstand brachte. Und 1639 wurde eine weitere
Synagoge errichtet.
1727 wurde durch einen Ukas anbefohlen, daß
die Juden fortan von den christlichen Bürgern getrennt zu leben haben,
wodurch ein Ghetto errichtet worden ist. Die hohe Steuerzahlung zwang die
Juden anzuwandern, aber auch die spätere Emanzipation, die es Juden
ermöglichte auch in Wien sich anzusiedeln, reduzierte erheblich die jüdische
Gemeinde zu Trebitsch. Im Jahre 1799 zählte die jüdische Gemeinde 1.77o
Mitglieder, 1890 waren es noch 987 und im Jahre 1920 lebten nur noch 362
Juden in Trebitsch. Zu den berühmten Söhnen der jüdischen Gemeinde gehörten
der berühmte Historiker Abraham TREBITSCH (1760-?), der erste
jüdische Universitätsprofessor Österreichs, Wolfgang WESSELY
(1801-70), der erste zionistische Rabbiner Österreichs, Adolf KURREIN
(1846-1919) und der Pionier der Hydrotechnik, Siegmund TAUSSIG
(1840-1910).
(W.
Wessely ist ein Ur-Onkel meiner Bobbe mütterlichseits)
Im Mai 1942 wurde die jüdische Gemeinde durch
die Nazis vernichtet, hier wurden auch die Juden aus der Provinz
Jihlava zusammengetrieben und nach
Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Nur 35 Trebitscher Juden, 10 %,
überlebten den Holocaust. Die Synagoge aus dem 17.Jhd wurde, wie in vielen
anderen Städtchen auch, als Betsaal für die tschechoslowakische
Hussiten-Kirchengemeinde umgebaut und umfunktioniert. Auf dem jüdischen
Friedhof fand 1968 die letzte Beerdigung statt.
Noch hundert weitere Städte und Dörfer
könnten hier genannt werden, in denen einst jüdisches Leben atmete und wo
heute nur noch steinerne Zeugen und Friedhöfe zu finden sind.
In der
Slowakei bestand schon früh eine
orthodoxe Landeskanzlei und sogenannte 'Jeschurun' für die neologen u.
status-quo Gemeinden. Von den zahlreichen jüdischen Gemeinden ist kaum mehr
eine übrig geblieben, außer die in der Hauptstadt.
Heute befinden sich nur noch weniges in der
Slowakei, was auf einstiges jüdisches Leben verweist. wie z.B. im Kurort
PIESTANY, in
TRNAVA die Ruine der
Neologen-Synagoge, in TRENCIN
gibt es eine Synagoge, die im Stile der Hagia Sophia immerhin das gesamte
Stadtbild prägt, und in LUCENEC
gibt es auch noch eine interessante Ruine einer ''Schil'', sie wurde im
Jahre 1921 errichtet, 1940 von den Nazis geschändet und diente während des
Krieges teilweise als Pferdestall.
Die ideale Lage
BRATISLAVAs - lediglich wenige
Kilometer von Wien entfernt -, ließ die Stadt schon früh zu einem der
interessantesten Handelszentren werden. Zwischen der slowakischen,
deutschsprachigen und ungarischen Bevölkerung bildeten die Juden einen
wichtigen Bestand dieser Stadt. Und in Bratislava gab es bereits 1375 einen
nach jüdischem Recht urteilendes Beth-Din, eine jüdische Gerichtsbarkeit.
Nach 550 Jahre kostbares jüdisches
Geistesleben in Bratislava wurde es in kürzester Zeit durch Nazis und
slowakische Faschisten vernichtet. 1939 bescherte der Katholik Jozef
TISO seinem Volk erstmals einen Nationalstaat, aber um welchen
Preis!
Um den ''Preis'' von annähernd 60.ooo
slowakischer Juden, die - bevor es die Nazis verlangten - bereits in den Tod
geschickt wurden.
Heute besitzt Bratislava, neben seiner wieder
funktionierenden jüdischen Gemeinde ein fast ''unbekanntes'' Geheimnis: das
Mausoleum des Rabbi Mose SOFER. Es befindet sich auf dem
General-Ludvik-Svoboda-Kai, unweit des Staatstheaters.
Moshe SOFER,
der 1763 in Frankfurt zur Welt kam, war der Führer der gestrengen Orthodoxe,
er war Rabbiner, Baal-Din und Gründer einer bedeutenden Jeschiwa zu
Preßburg. Sein Hauptwerk das ''Chatam Sofer'' (Sofer hat gesiegt), sowie
seine Rechtsgutachten in 6 Bände, die 1855-64 gedruckt wurden, fanden großen
Anklang. Als der Rabbi 1839 in Preßburg verstarb, schufen seine trauernden
Schüler und Anhänger ihm zu Ehren einen steinernen Sarkophag. Daß sein
Grabmal und Teile des jüdischen Friedhofs nicht wie gewohnt oberirdisch,
sondern zu einem unterirdischen Mausoleum wurde, geschah während der Jahre
Tiso's. Der große, 1660 gegründete, jüdische Friedhof wurde 1942 zerstört,
wobei aus 6.ooo Gräber die Gebeine exhumiert und gegen die verzweifelten
Proteste der wenigen noch in Preßburg verbliebenen Juden zum Burgabhang
überführt. Dies erfolgte im Zusammenhang eines Tunnelneubaus, wo das
Bodenniveau um 6 Meter angehoben wurde. Ein Torso blieb am ursprünglichen,
nun aber unterirdischen Ort bestehen: Das Mausoleum des Rabbi Chatam Sofer
und wenige weitere Gräber. Noch heute pilgern Schüler einer Londoner
Rabbinerlehranstalt zu sein Grabmal.
In Bratislava haben sich in der
Nachkriegszeit zwei Synagogen erhalten. Eine in der Uliza Zidovska, gebaut
Ende 19.Jhdt. - sie diente Ende der 50er Jahre dem Slowakischen Fernsehen
als Provisorium - die zweite ''Schil'', in der Uliza Hajdukova, wurde in den
20er Jahren errichtet und dient auch heute noch als ordentliches G'Teshaus
den Preßburger Juden. |