| 
            
            "Historische Existenz 
            und Identität der Deutschen"
            Kann man nach dem 
            Bezug der westdeutschen Linksterroristen zur nationalsozialistischen 
            Vergangenheit ihrer Elterngeneration auch fragen, indem man nicht 
            nur nach Brüchen, sondern auch nach Kontinuitäten und Identitäten 
            mit eben dieser Generation sucht? Zumindest hinsichtlich des 
            Antisemitismus, wenn auch in einer anderen Form, scheint diese Suche 
            berechtigt. Die Journalistin Jillian Becker hat Kontinuitäten der 
            ersten Generation der RAF zum Nationalsozialismus vor allem 
            bezüglich der Menschenverachtung und der Gewalttätigkeit schon früh 
            postuliert. 
            Ende der 1980er Jahre hat sich der Sozialphilosoph Norbert Elias und 
            jüngst die Historikerin Dorothea Hauser auf die Suche nach 
            Kontinuitäten begeben, wobei in ihren Erörterungen dem 
            Antisemitismus keine entscheidende Bedeutung zukommt. Beide 
            fokussieren in ihrer Analyse das Topos der Kriegsverlierer und 
            weisen auf ähnliche Entwicklungen in Italien und Japan hin. Dorothea 
            Hauser nimmt dabei auch die "völkische" Komponente in den 
            Selbstexplikationen der RAF ins Visier.  
            Dorothea Hausers 
            Feststellung, die RAF übertrage die Idee des Befreiungsnationalismus 
            auf die BRD als zu befreiende Nation, lässt sich an vielen Passagen 
            der "Erklärung zur Sache" nachvollziehen. 
            Die angeblich von den USA aufgestellte Behauptung einer zu 
            antidemokratischen Einstellungen neigenden "Charakterstruktur des 
            deutschen Volkes" setzen die Autoren der "Erklärung" mit dem 
            Pejorativ des "geborenen Verbrechers" gleich, das die französischen 
            Kolonialherren "dem Algerier" aufgedrückt hätten: 
            
            "Der ‚geistigen Infantilität des Eingeborenen’, mit der der 
            Imperialismus seit je in der Dritten Welt operiert gegen die Völker, 
            entspricht die 'politische (demokratische) Infantilität'. Mit der 
            die US-imperialistische Besatzungsmacht in Westdeutschland gegen das 
            Proletariat operierte." Den kolonialistisch beherrschten 
            "Völkern" entspricht in den Augen der RAF-Autoren das von den USA 
            kolonialisierte Proletariat in Westdeutschland. Verschwommen bleibt 
            indes, wer im Sinne der RAF außer dem Proletariat zum "Volk" 
            überhaupt gehört. Das wird im Verlauf des Textes nur noch 
            widersprüchlicher, wenn die Begriffe "die Deutschen" und "das 
            Proletariat" synonym verwendet werden. Denn im weiteren Text heißt 
            es: 
            "Also ging es 
            für die Besatzer darum, nach den Bestimmungen ihrer psychologischen 
            Herrschaftstechniken‚ die Deutschen zur Demokratie zu erziehen’ – 
            d.h. die Kultur, das Geschichtsverständnis, das Bewußtsein der 
            historischen Existenz und Identität nicht nur zu verändern, sondern 
            vor allem und zuerst zu brechen." 
            Wenn die 
            RAF-Autoren an dieser Stelle "die Deutschen" als natürlich 
            gewachsene, homogene Kulturnation vorstellen, deren "historische 
            Existenz und Identität" allein durch die USA bedroht werde, fragt 
            sich, wo denn innerhalb dieser Nation ein Klassengegensatz zu 
            verorten wäre. Stattdessen verlagern die Autoren die Gegensätze nach 
            außen. Der Antagonismus zwischen Imperialismus und Dritter Welt sei 
            gleichbedeutend mit dem Antagonismus von Imperialismus und 
            Proletariat, der wiederum gleichbedeutend sei mit dem Antagonismus 
            zwischen den USA und der deutschen Nation. 
            Um zu 
            verdeutlichen, wie dieser in der Dritten Welt und Deutschland 
            analoge imperialistische Mechanismus angeblich wirke, zitieren die 
            Autoren den damaligen PLO-Chef Yassir Arafat: 
            
            "Der Imperialismus mit seinen verschiedenen Namen ist in unsere 
            Länder eingedrungen, um die Menschen zu erniedrigen, um ihn (sic!) 
            seiner zivilisatorischen, nationalen und menschlichen 
            Entwicklungsmöglichkeiten zu berauben, um ihm die grundlegenden 
            Menschenrechte zu entziehen, um dann seine Rolle in der Geschichte 
            und der Kultur zu unterdrücken, um seine geistigen und materiellen 
            Energien auszubeuten und um seine schöpferische Fähigkeiten zu 
            lähmen." 
            Angesichts der 
            aktiven Kontakte mit der palästinensischen Guerilla, von denen sich 
            die Anführer der RAF im bewaffneten Kampf hatten schulen lassen, 
            verwundert es nicht, dass die Autoren der "Erklärung" Yassir Arafat, 
            der zu dieser Zeit ganz offiziell die Zerschlagung Israels forderte, 
            als Referenz heranziehen. Das RAF-eigene Verständnis von 
            Kolonialisierung entblößt in dieser Gleichsetzung der Beziehung 
            zwischen den USA und Deutschland mit der Beziehung zwischen Israel 
            und Palästina gänzlich seine Absurdität, wenn man sich vor Augen 
            führt, welche Rolle das nationalsozialistische Deutschland für die 
            Entstehung des Staates Israel gespielt hatte. Stattdessen soll 
            Deutschland, so die RAF-Logik, von den USA mit dem Ziel besetzt 
            worden sein, den Deutschen die Menschenrechte zu entziehen. So 
            perfide dürften nur wenige Texte zeigen, welche Gestalt sekundärer 
            Antisemitismus annehmen kann. Doch wie gelang es den Autoren, die 
            Tatsache zu verdrängen, dass es Deutsche waren, die millionenfach 
            gemordet und Menschenrechte verletzt hatten, und dass in den 
            Verfassungen der Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches 
            Menschenrechtsstandards erst wieder verankert werden mussten? 
            Für die Motive 
            der RAF-Terroristen bringt Dorothea Hauser als emotionalen Faktor 
            die Scham ins Spiel. Tatsächlich haben an anderer Stelle zwei der 
            RAF-Gründer, Horst Mahler und Ulrike Meinhof, als Motive ihres 
            Handelns formuliert, sich nicht mehr für das "deutsche Volk" schämen 
            zu müssen. 
            Deshalb spricht Hauser nicht von Schuldabwehr, sondern von 
            Schamabwehr. Damit versucht sie insbesondere die verbreitete These 
            zurückzuweisen, die RAF habe versucht, den unterlassenen Widerstand 
            ihrer Elterngeneration im Nationalsozialismus stellvertretend 
            nachzuholen. Es spricht jedoch einiges dafür, dass im 
            Linksterrorismus sowohl Scham- als auch Schuldgefühle abgewehrt 
            wurden. Belässt man es bei der Analyse der in der "Erklärung zur 
            Sache" herausgearbeiteten Muster der Schuldabwehr und anderer von 
            RAF-Gründern verfasster Texte, dann ist es schwierig zu entscheiden, 
            ob es sich nun mehr um die Abwehr der Schuld der Elterngeneration 
            oder um die Abwehr der Scham über die Schuld der Elterngeneration 
            handelt. Nicht zu zweifeln ist allerdings daran, dass sich die 
            Gründer der RAF als nationale Befreiungskämpfer sahen, für die eine 
            kollektive Identität einer als kulturell homogen imaginierten Nation 
            wichtiger Bezugspunkt war. 
            Insofern liegt es nahe zu vermuten, dass es ihnen tatsächlich auch 
            darum ging, Schuld von "ihrem Volk" abzuweisen, mit dem sich eins 
            fühlten oder sich danach sehnten, sich eins fühlen zu können. In der "Erklärung zur Sache" 
            finden sich Hinweise auf Motive einer solchen Schuldabwehr in 
            Zusammengang mit der Zurückweisung einer, so die Autoren der RAF, 
            von den USA behaupteten Kollektivschuld der Deutschen. Die 
            "propagandistischen Anstrengungen der US-Regierung, die Deutschen 
            insgesamt mit dem faschistischen Staat zu identifizieren", sei neben 
            der "Bestimmung", dass im Zweiten Weltkrieg nicht Industrieanlagen, 
            sondern die Wohnviertel Ziel der "amerikanischen Bomberkommandos" 
            gewesen seien, eine Methode zur "Demoralisierung" der Deutschen und 
            zur "präventiven Ausschaltung jedes Widerstandes in Deutschland 
            gegen die Pläne des US-Imperialismus" gewesen. 
            Während die 
            Autoren der "Erklärung" an anderer Stelle selbst eine "Kontinuität 
            der faschistischen Volksgemeinschaft" behaupten, 
            sind sie hier wie über weite Strecken der "Erklärung" bemüht, das 
            "deutsche Volk" vom Vorwurf des Faschismus zu entlasten. Wer 
            überhaupt Täter war, wird nicht thematisiert, die Problematik des "Mitläufertums" 
            nicht erwähnt. Stattdessen werden nur einige wenige in der 
            politischen Führungsriege und die üblichen "Monopolkapitalisten" für 
            das Funktionieren der nationalsozialistischen Diktatur und ihre 
            Verbrechen verantwortlich gemacht. Besonders originell ist diese 
            Sichtweise freilich nicht, stellte sie doch die offizielle 
            Perspektive der DDR auf die jüngste deutsche Vergangenheit dar. 
            
            Schuldabwehr von linksDie eingangs zitierte Rede von 
            Auschwitz als "wichtigstes Codewort der Generationsbewegung, aus der 
            die RAF hervorging", impliziert zwei weit verbreitete Annahmen: Zum 
            einen stellt sie für die Akteure der westdeutschen 
            Studentenbewegung/APO der 1960er Jahre als entscheidendes Motiv 
            heraus, sie hätten die Schuld der Elterngeneration anprangern und 
            offen legen wollen. Zum anderen stellt sie eine Kontinuitätslinie 
            zwischen Studentenbewegung und der RAF her. 
            Wie passen aber 
            die von Autoren der RAF in der "Erklärung zur Sache" formulierten 
            Argumentationsmuster, welche die Elterngeneration entlasten und 
            Feindschaft gegen die USA und Israel propagieren, mit der Anklage 
            der Elterngeneration für die nationalsozialistischen Verbrechen 
            zusammen? War die Opposition gegen Politik und Gesellschaft, die 
            ehemaliges  nationalsozialistisches Personal an gehobenen Positionen 
            wieder einsetzte, eine nur vorgeschobene Opposition? War das 
            Entsetzen über den Holocaust nicht authentisch? Oder driftete die 
            RAF soweit vom Kurs der Studentenbewegung ab, dass ursprüngliche 
            Motive ins Gegenteil verkehrt wurden? 
            An dieser Stelle 
            kann der zeithistorische Diskurs, in dem diese Fragen anzusiedeln 
            wären, nicht wiedergegeben, sondern nur diejenigen Punkte angerissen 
            werden, welche für die Suche nach Anknüpfungspunkten für die 
            Argumentationen der RAF hinsichtlich der Schuld der Elterngeneration 
            und der praktizierten Täter-Opfer-Umkehr einerseits, und der 
            Wahrnehmung der Rolle Israels und der USA andererseits relevant 
            erscheinen.  
            Eine sich in 
            jüngster Zeit durchsetzende zeithistorische Perspektive auf die 
            Studentenbewegung spricht dieser den tatsächlichen Einfluss auf die 
            Bearbeitung des nationalsozialistischen Erbes ab. Diese Bearbeitung 
            hätten andere Kräfte bereits früher und wirkungsvoller geleistet, 
            diese Leistungen wiederum seien von den Akteuren der 
            Studentenbewegung nicht berücksichtigt worden. 
            An den empirischen Beispielen ist kaum zu zweifeln. 
            Wie sehr jedoch zugleich personelle und ideologische Kontinuitäten 
            aus dem nationalsozialistischen Deutschland in Politik, Wirtschaft 
            und Gesellschaft der BRD über die 1960er Jahre hinaus weiter wirkten 
            und die Anschuldigungen aus der APO zu einem nicht unwesentlichen 
            Teil noch immer auf reale Verhältnisse trafen, wird in dieser 
            Perspektive häufig ausgeblendet. Zudem stellt die Nachwirkung 
            einzelner Unternehmungen der Bearbeitung der nationalsozialistischen 
            Vergangenheit der Elterngeneration innerhalb des SDS in der 
            Vorgeschichte der Studentenrevolte, wie die von Reinhard Strecker 
            organisierte Ausstellung "Ungesühnte Nazi-Justiz" 
            einerseits, und der private Umgang der Bewegungsakteure mit der 
            Schuld der Elterngeneration andererseits, ein Forschungsdesiderat 
            dar. Festzuhalten bleibt, dass öffentlichen Anschuldigen von Seiten 
            der APO seit den Jahren 1967/68 über einen plakativen Charakter 
            selten hinauskamen. Gut dokumentiert, jedoch in journalistischen wie 
            wissenschaftlichen Retrospektiven auf die westdeutsche 
            Studentenbewegung noch immer oft übergangen, ist zum andern die 
            Variante eines sekundären Antisemitismus, der sich nach dem 
            Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten im Juni 1967 recht schnell in 
            linken Kreisen unter dem Schutzschild des Antizionismus ausformte. 
            Dass linke 
            Intellektuelle, wenn sie von "Auschwitz" oder vom 
            "Nationalsozialismus" reden, zugleich den historischen Holocaust und 
            seine Nachwirkungen ausblenden, scheint ein im Nachkriegsdeutschland 
            schon früh sich herausbildendes Muster zu sein und sich weder auf 
            die revisionistische noch auf die kommunistische Argumentationslinie 
            beschränken zu lassen. 
            Auch schon vor dem Juni 1967 und Jahre vor dem Erstarken der 
            Studentenbewegung sträubten sich Intellektuelle der jungen 
            Bundesrepublik, den Holocaust als ein Geschehen zu begreifen, das 
            sich konkret auf ihre Gegenwart auswirkte. Überlebenden oder 
            Angehörigen der Opfer des Holocausts räumte zum Beispiel Hans Magnus 
            Enzensberger in seinem Essay von 1964 zum Eichmann-Prozess in 
            Jerusalem 
            keinen Platz ein. Die Auseinandersetzung mit dem vergangenen 
            Faschismus behindere die Beschäftigung mit dem gegenwärtigen, so 
            Enzensberger. Und wer sich mit "Auschwitz" beschäftigen wolle, solle 
            sich heute nicht mit dem Mord an den Juden beschäftigen, sondern mit 
            Hiroshima. Enzensberger macht hier nicht die Opfer des Holocaust zu 
            Tätern, wie es für den sekundären Antisemitismus charakteristisch 
            ist, sondern diejenigen, die gemeinsam mit den anderen Siegermächten 
            der nationalsozialistischen Diktatur und dem Holocaust ein Ende 
            bereiteten – die USA. Das Muster ist ähnlich: Auch Enzensberger 
            lenkt von Schuld und Verantwortung des eigenen Staatsvolks ab. 
            Mit der 
            Zuspitzung des Vietnamkriegs seit Mitte der 1960er Jahre nahm in der 
            linken Kritik Vietnam jenen Platz ein, den Enzensberger in seinem 
            Aufsatz von 1964 noch Hiroshima und zugleich, wie zahlreiche andere 
            Intellektuelle, die in der "Kampf-dem-Atomtod"-Bewegung der späten 
            1950er und frühen 1960er Jahre engagiert waren, der Bedrohung der 
            gesamten Weltbevölkerung, vor allem aber Deutschlands, durch die 
            nukleare Rüstung zuwies. In den "Voltaire-Flugschriften", einem 
            wichtigen Sprachrohr für linke Intellektuelle in den 1960er Jahren, 
            erschien im Oktober 1967 zum ersten Mal die deutsche Übersetzung von 
            Günther Anders’ "Nürnberg und Vietnam", eine Gegenüberstellung von 
            Anklagen gegen Kriegsgräuel in Vietnam und den in den Nürnberger 
            Prozessen verhandelten nationalsozialistischen Verbrechen. Darin 
            erscheinen die Amerikaner als die Nazis der Gegenwart, mit dem 
            Unterschied, dass ihnen nicht, wie den Deutschen, der Prozess 
            gemacht wurde. Das entspricht dem Diskursrahmen, in dem 
            linksradikale Gruppen nach dem Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten 
            im Jahr 1967 immer wieder Palästinenser mit den Opfern des 
            Holocausts gleichsetzten. 
            Freilich zeigt 
            das Beispiel von Günther Anders auch, dass das Argumentationsmuster 
            des Gleichsetzens von nationalsozialistischen Verbrechen mit 
            Kriegsverbrechen in Vietnam nicht immer aus Motiven der Schuldabwehr 
            von Seiten der Nachkommen der NS-Täter und Mitläufer gespeist sein 
            muss, ebenso wenig wie Antiamerikanismus, sekundärerer 
            Antisemitismus und Israelfeindschaft grundsätzlich dasselbe sind. 
            Stattdessen ist davon auszugehen, dass sich die verschiedenen 
            Versatzstücke in unterschiedlichen Diskursen zusammenfügen und 
            überschneiden. 
            Betrachtet man den in der westlichen Welt aus den 
            Studentenbewegungen sich herauslösenden Linksterrorismus der 1970er 
            Jahre hinsichtlich der Feindschaft gegen Israel in einer 
            transnationalen Perspektive, haben Motive der Schuldabwehr des 
            Genozids an den Juden Europas sowie des Opferneids sicherlich nicht 
            universell und für alle Akteure das gleiche Gewicht. Fokussiert man 
            die westdeutsche APO und deren terroristische Ausläufer, dann sind 
            eben diese Motive jedoch unübersehbar: Als im Herbst 1969, noch 
            bevor sich die RAF gründete, eines der ersten linksextrem 
            motivierten Attentate der Bundesrepublik auf ein jüdisches 
            Gemeindezentrum während einer Gedenkveranstaltung zur 
            Reichspogromnacht zielte, 
            hatten weite Kreise der APO ideologisch längst eine 
            "Täter-Opfer-Rochade" 
            vollzogen. In Schriften des SDS, auf Flugblättern und in der 
            Zeitschrift "Agit 883" – einem Sprachrohr linker West-Berliner 
            Studenten –, waren, breit gestreut, Bekundungen der Solidarität mit 
            dem bewaffneten Kampf der Palästinenser gegen das "faschistische" 
            Israel formuliert worden. Auf einer Veranstaltung in Frankfurt war 
            der israelische Botschafter Asher Ben Nathan von Mitgliedern 
            der Al Fatah, des "Israelischen Revolutionären Aktionskomitees" 
            sowie des Frankfurter SDS 
            durch Rufchöre, die den Diplomaten in eine Reihe mit "Nazi-Kiesinger" 
            stellten, so massiv gestört worden, dass ein Austausch von 
            Argumenten nicht möglich war. 
            Das Ziel des versuchten Anschlags auf das jüdische Gemeindehaus in 
            Berlin erntete zwar in der linken Szene durchaus – in erster Linie 
            instrumentelle – Kritik, 
            doch im Rahmen antiisraelischer Agitationen waren deutlich 
            antisemitische Konnotationen weiterhin üblich. 
            Bislang ist nicht 
            bekannt, wie die späteren RAF-Gründer und Verfasser der "Erklärung 
            zur Sache" den versuchten Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus im 
            November 1969 und die anschließende Diskussion bewerteten. Von 
            Ulrike Meinhof gibt eine für die Zeitschrift "Konkret" im Juli 1967 
            verfasste Kolumne zur bundesrepublikanischen Rezeption des 
            Sechstagekrieges lediglich Auskunft darüber, dass die Journalistin 
            zu diesem Punkt noch nicht als Israelfeindin auftrat. Vielmehr 
            misstraute sie der plötzlich sich etablierenden Israelsympathie in 
            bürgerlich-konservativen Kreisen, welche mit Begriffen wie 
            "Blitzkrieg" und anderen nationalsozialistisch besetzten Metaphern 
            den israelischen Sieg glorifizierten. 
            In der 1972 von Ulrike Meinhof in der Haft als RAF-Terroristin 
            verfassten Schrift "Der Schwarze September" finden sich dann 
            ähnliche Argumentationsmuster, wie sie in dem mit "Schalom + Napalm" 
            überschriebenen Flugblatt 
            zum versuchten antisemitischen Anschlag der "Tupamaros Westberlin" 
            aus dem Jahr 1969 und einem Kommentar von Dieter Kunzelmann 
            vorgebracht wurden. 
            In dem RAF-Gemeinschaftswerk, der "Erklärung zu Sache" aus dem Jahr 
            1976, dozieren die Autoren der RAF zwar nicht wie Dieter Kunzelmann 
            über einen angeblichen "Judenknax" 
            der deutschen Linken oder, wie die Autoren des Bekenner-Flugblatts, 
            über den "schuldbewussten Deckmantel der Bewältigung der 
            faschistischen Gräueltaten gegen Juden". 
            Die Schlussfolgerung, dass die BRD an den "faschistischen 
            Gräueltaten Israels gegen die palästinensischen Araber" 
            entscheidend mitwirke, dass die früheren Opfer des Faschismus also 
            selbst zu Faschisten geworden seien, ist in der "Erklärung zur 
            Sache" aber ebenso zu lesen. 
            Doch wäre es 
            irreführend, diese Facetten eines sekundärantisemitischen 
            Antizionismus allein den terroristischen Ausläufern der 
            westdeutschen Studentenbewegung zuzuschreiben. Auch auf dem "Marsch 
            durch die Institutionen" und in den neuen sozialen Bewegungen sind 
            Manifestationen des Antisemitismus im antizionistischen Gewand 
            ausreichend dokumentiert. 
            Das deutet daraufhin, dass sich anhand des Umgangs mit der 
            nationalsozialistischen Vergangenheit jedenfalls keine Trennung 
            zwischen der Mehrheit der Studentenbewegung und der sich später 
            bewaffnenden Protagonisten vornehmen lässt. Auf welchen Wegen sich 
            jedoch so erstaunlich viele ehemalige Protagonisten der 
            Studentenbewegung sekundärantisemitische Argumentationsmuster 
            angeeignet haben, dem ist bislang in einer biografischen Perspektive 
            nicht konsequent nachgegangen worden. >> Weiter Anmerkungen:Jillian Becker, Hitler’s Children: The 
            Story of the Baader-Meinhof Terrorist Gang,
            
            Philadelphia 1977.
 Wie die Autoren der RAF "Volk" begrifflich fassen, schreiben sie in 
            der "Erklärung zur Sache" indes nicht.
 Auszüge aus der Erklärung zur Sache, a.a.O., S. 211.
 Auszüge aus der "Erklärung zur Sache", a.a.O., S. 211; Dorothea 
            Hauser zitiert diese Stelle ebenfalls (Dorothea Hauser, 
            Deutschland, Italien und Japan: Die ehemaligen Achsenmächte und der 
            Terrorismus der 1970er Jahre, in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), 
            Die RAF und der linke Terrorismus, 
            Hamburg, S. 1272-1298; hier 
            S. 1289).
 An anderer Stelle wird die Kontinuität mit "der faschistischen 
            Volksgemeinschaft" beklagt ("Erklärung" zur Sache", a.a.O., S. 212).
 Auszüge aus der "Erklärung zur Sache", a.a.O., S. 211.
 Dorothea Hauser zitiert aus Ulrike Meinhofs Text "geschichte der brd, 
            alte linke, fragment – zu den beweisanträgen" die Passage: "(...) 
            dass aus dem zusammenhang von proletarischem internationalismus die 
            geschichte eines volkes, wie es die des deutschen ist, und so unsere 
            geschichte mal aufhört, eine geschichte zu sein, über die (...) man 
            sich schämen müsste". (internationales komitee zur verteidigung 
            politischer gefangener in westeuropa (Hg.), letzte texte von 
            ulrike (o.O)., 1976, S. 37, zit. in: Dorothea Hauser, a.a.O., 
            2006, S. 1294. Martin Jander zitiert Horst Mahler aus einem Gespräch 
            mit dem Bundesinnenminister Gerhart Baum: "Ich musste mich sehr 
            früh, als ich politisch wach wurde, schämen, Deutscher zu sein. Das 
            ist eigentlich eine fürchterliche Sache, wenn man sich nicht mit 
            seinem Volk identifizieren kann." (Martin Jander, "Horst Mahler",
            in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF 
            und der linke Terrorismus, Hamburg, 372-397, hier S. 
            390).
 Zum Konzept des Nationalstaats vgl. auch den von Ulrike Meinhof 
            verfassten Text "zum begriff des nationalstaats", in dem die Autorin 
            Nation als ein in der Vergangenheit liegendes, urwüchsiges Gebilde 
            vorstellt, das erst durch den Kapitalismus "nur noch zur Fiktion" 
            wurde. (Ulrike Meinhof, "zum begriff des nationalstaats", in: 
            internationales komitee zur verteidigung politischer gefangener in 
            westeuropa (Hg.), letzte texte von ulrike, o.O., 1976, S.50).
 "Erklärung zur Sache",  a.a.O., S. 212.
 Thomas Haury, Antisemitismus von Links. 
            Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der 
            frühen DDR, 
            Hamburg 2002.
 Den Diskurs zur zeithistorischen Bewertung 
            der Vergangenheitsbearbeitung in der Bundesrepublik fasst 
            Wilfried Mausbach zusammen: Wilfried Mausbach, "Wende um 360 Grad? 
            Nationalsozialismus und Judenvernichtung in der 'zweiten 
            Gründungsphase' der Bundesrepublik", In: Christina von Hodenberg 
            (Hg.), Wo "1968" liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der 
            Bundesrepublik, Göttingen 2006, S.15-47.
 Vgl. Claudia 
            Fröhlich/ Kohlstruck, Michael (Hg.), Engagierte Demokraten. 
            Vergangenheitspolitik in kritischer Absicht, Münster 1999.
 Michael Kohlstruck, "Reinhard Strecker – ,Darf man seinen Kindern 
            wieder ein Leben in Deutschland zumuten?’", in: 
            Claudia Fröhlich/ 
            Kohlstruck, Michael (Hg.), Engagierte Demokraten. 
            Vergangenheitspolitik in kritischer Absicht, Münster 1999, S. 
            185-200.
 Martin Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines 
            schwierigen Verhältnisses, Frankfurt/Main 1990.
 Vgl. Martin Kloke, a.a.O. sowie zur kommunistischen 
            Argumentationslinie: Tomas 
            Haury, Antisemitismus von Links. Kommunistische 
            Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, 
            Hamburg 2002.
 Hans Magnus Enzensberger, Reflexionen vor einem Glaskasten, in: Ders.:
            Politik und Verbrechen: Neun Beiträge. Frankfurt/Main 1964, 
            S.7-40. In einem kurzen, von der Zeitschrift "Merkur" initiierten 
            Briefwechsel kritisierte Hannah Arendt dieses "Felix Culpa" 
            Enzensbergers, der sich daraufhin zu rechtfertigen suchte. Auf eine 
            ausführliche Antwort Arendts ging Enzensberger dann nicht mehr ein. 
            (Briefwechsel mit Hannah Arendt, Merkur, 19. Jg. 1965 (4), S. 
            381-385) Vgl. Helmut König, Vortrag  auf der Tagung "Streit um 
            den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980", 
            11.10.2007, Berlin, sowie Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt. Unsere 
            kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001, S. 95f.
 Weitere Beispiele seit 1964 liefern 
            Martin Klimke/ Wilfried 
            Mausbach, Auf der äußeren Linie der Befreiungskriege: Die RAF und 
            der Vietnamkonflikt", in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und 
            der linke Terrorismus, Hamburg 2006, S.620-643, hier S. 623.
 Vgl. Martin Kloke, a.a.O.; Thomas Haury, Zur Logik des deutschen 
            Antizionismus (Vorwort), in: Leon Poliakov (Hg.) Vom 
            Antisemitismus zum Antizionismus., Freiburg 1992. Allerdings 
            findet man bei Martin Kloke an anderer Stelle den Hinweis, dass die 
            Kolumnistin der Wochenzeitung Die Zeit, Marion Gräfin 
            Dönhoff, bereits im Jahr 1948 "eine Gleichsetzung der israelischen 
            Regierung mit dem NS-Regime" formulierte. (Marion Gräfin Dönhoff, 
            Völkischer Ordensstaat Israel, Die Zeit, Nr. 39 v. 23.9.1948, S.1., 
            zit. in Martin Kloke, Zwischen Scham und Wahn. Israel und die 
            deutsche Linke 1945-2000, 
            
            
             http://www.stud.uni-hannover.de/~muab/kloke01.htm
            [20.03.20048].
 Günther Anders, 1902-1992, floh  bereits im März 1933 vor dem 
            judenfeindlichen Umbau Deutschlands nach Paris, später nach New 
            York.
 Vgl. Christina von 
            Braun/ 
            Eva-Maria Ziege (Hg), Das ‚bewegliche’ Vorurteil. Aspekte des 
            internationalen Antisemitismus, Würzburg 2004. 
            Für eine eingehendere Beschäftigung mit diesen 
            Zusammenhängen müsste zudem zwischen bewussten und unbewussten 
            Argumentationsmustern einerseits, antisemitischen Einstellungen und 
            antisemitischem Handeln anderseits unterschieden werden, um dann das 
            jeweilige Aufeinandertreffen von Unbewusstem und Bewusstem, 
            Einstellungen und Handeln zu untersuchen. Zu diesen Fragen vgl u.a. 
            Andreas Zick, Vorurteile und Rassismus. 
            Eine sozialpsychologische Analyse, 
            Münster u.a. 1997.
 Die sich als Stadtguerilla verstehenden "Tupamaros Westberlin" um 
            den Ex-Kommunarden Dieter Kunzelmann bekannten sich zu dem 
            versuchten Bombenanschlag, der nur durch einen technischen Defekt 
            verhindert worden war. Vgl. Annette Vowinckel, 
            "Der kurze Weg nach Entebbe oder die Verlängerung der deutschen 
            Geschichte in den Nahen Osten", in: Zeithistorische Forschungen/ 
            Studies in Contemporary History 1(2004), Abschnitt 9; Nr. 4; 
            Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im 
            Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005, S. 73ff.
 Wilfried Mausbach, "Wende um 360 Grad? Nationalsozialismus und 
            Judenvernichtung in der 'zweiten Gründungsphase' der 
            Bundesrepublik", a.a.O., S. 29.
 Martin Kloke, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des 
            Imperialismus". Vor vierzig Jahren wurde die neue deutsche Linke 
            antiisraelisch,
            
            http://www.eurozine.com/articles/2007-06-05-kloke-de.html (Lange 
            Version; zugleich in 
            eine kürzeren Version: Merkur. Deutsche Zeitschrift für 
            europäisches Denken 698, S. 487-497.
 Annette Vowinckel, 
            a.a.O., Abschnitt 9. Die Kritik der Redaktion von "Agit 883" bezieht 
            sich allerdings nicht auf die Wahl des Anschlagsziels. Vielmehr 
            kritisiert das Redaktionskollektiv die fehlerhafte Einschätzung der 
            "Möglichkeiten des Klassenfeindes", den "Verbalradikalismus", und 
            den Verzicht auf die "Analyse des spätkapitalistischen Systems"; 
            außerdem seien die Aktionen der Tupamaros "ungeplant" und 
            "selbstmörderisch". 
            (Agit 883, Nr. 
            41 (20.11.1969), S. 7. 
            In derselben Ausgabe erscheint ein Artikel mit dem 
            Titel "Was ist Antisemitismus?" auf Grundlage eines im 
            Republikanischen Club gehaltenen Referats des "Palästinakomittees" 
            vom 16.11.1969. In diesem Artikel, als Kritik des Antisemitismus 
            angelegt, wird jedoch mit antisemitischen Stereotypen wie dem des 
            "Wucherers" argumentiert (ebd., S. 5). Eine Kritik des Anschlags auf 
            das jüdische Gemeindehaus enthält auch dieser Artikel nicht.
 Martin Kloke, "Das zionistische 
            Staatsgebilde als Brückenkopf…" , a.a.O. 
            (2007); Ders., Israel und die deutsche Linke...a.a.O. 
            (1990), Knud 
            Andresen 2006. Das 
            "äußerst komplizierte Palästinaproblem". Antizionismus und 
            Antisemitismus in der Agit 883, in: rotaprint (Hg.), Agit 883. 
            Revolte - Underground in Westberlin 1969-1972, Berlin, 157-170, 
            Andresen verzichtet für ein von ihm angeführtes, besonders 
            eindrückliches Beispiel leider auf die Angabe einer Quelle, deshalb 
            sei es hier nur unter Vorbehalt hinzugezogen: 
            Auf einer Veranstaltung des Republikanischen Clubs in Berlin im 
            August 1969 unterbrach ein Student den Referenten, einen 
            israelischen Staatsrechtler, mit dem Zuruf: "Dich hat man vergessen 
            zu vergasen." Der Zwischenrufer fügte eine Entschuldigung hinzu, und 
            der Vorfall blieb von Seiten des Publikums wie der Veranstalter 
            unkommentiert (Knud
            Andresen, 
            a.a.O., S. 161).
 Ulrike Meinhof, "Drei Freunde Israels", Konkret Nr. 7, 1967; vgl. 
            Annette Vowinckel, a.a.O., Abschnitt 5-7; Martin Kloke weist auf die 
            Ambivalenz von Ulrike Meinhofs Blick auf Israel in ihrer Kolumne hin 
            (Martin Kloke, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des 
            Imperialismus", a.a.O., 2007.
 Schwarze Ratten TW (=Tupamaros Westberlin), "Schalom + Napalm", 
            Agit 883 v. 13.11.1969, 1. Jg., Nr. 40. S. 9 (abgedruckt u.a. 
            in: Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im 
            Jüdischen Gemeindehaus, 
            Hamburg 2005. S. 47).
 Dieter Kunzelmann, "Brief aus Amman", in. Agit 883 v. 
            27.11.1969, 1. Jg., Nr. 42, S. 5 (abgedruckt u.a. in  Wolfgang 
            Kraushaar, a.a.O., S. 67). Dieter Kunzelmann hat mit dem "Brief aus 
            Amman" zugleich suggeriert, er sei zur Tatzeit nicht in Berlin 
            gewesen.
 Dieter Kunzelmann, "Brief aus Amman", a.a.O.
 "Schalom + Napalm", a.a.O.
 "Schalom + Napalm", a.a.O.
 vgl. Martin Kloke, Israel und die deutsche Linke..., a.a.O, 1990;
            Thomas Haury, "Der Antizionismus der Neuen 
            Linken in der BRD: Sekundärer Antisemitismus nach Auschwitz", in: 
            Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.), 
            Antisemitismus: Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, 
            Freiburg 2001, S. 217-229, Thomas Haury, "Der 
            neue Antisemitismusstreit der deutschen Linken", in: Doron 
            Rabinovici et al. (Hg.), Neuer Antisemitismus? Eine globale 
            Debatte, Frankfurt/Main 2004, S. 143-167.
 |