
Interview mit Stephan Kramer:
Muslim-Test - "Operative Hektik"
Interview: Philipp Gessler
taz: Herr Kramer, der so genannte Muslim-Test in
Baden-Württemberg richtet sich an Muslime, die eingebürgert werden
wollen. Würden da nicht auch viele Deutsche, auch Juden,
durchfallen, etwa bei der Frage nach ihrer Einstellung zur
Homosexualität? Stephan
Kramer: Wahrscheinlich 50 Prozent der Deutschen oder mehr würden bei
der Frage mit der Homosexualität Probleme haben. Insofern halte ich
das für eine untaugliche Frage und einem untauglichen Versuch, sich
überhaupt diesem Thema zu nähern.
Auch das, christlich gesprochen, Alte Testament
ist voller Aussagen, die dem Grundgesetz widersprechen, etwa was die
Rechte der Frauen anbelangt.
Man sollte vorsichtig sein, das Alte Testament oder
den Koran dazu zu benutzen, um bewusst Leute auszugrenzen. Nur weil
man daraus eine Fallkonstellation konstruieren will, dass sie
automatisch gegen die Verfassung eingestellt sind. Es gibt unzählige
Interpretationen dieser alten, ehrwürdigen Texte, die auch eine neue
Sichtweise zulassen - dann kann von einer Konfrontation keine Rede
mehr sein. Finden Sie es
richtig, dass nur Muslime diesen Test durchlaufen müssen?
Man muss zwar anerkennen, dass es ein legitimes Ziel
ist, sich so Islamisten zu nähern, aber hier ist schon der erste
Fehler: Nicht alle Muslime sind automatisch Islamisten. Bei
Islamisten haben wir in der Tat Probleme. Aber das gilt nicht nur
für solche, sondern auch für Hardliner von anderen religiöse
Minderheiten und Gruppen. Ich denke, bei dem Test ist operative
Hektik am Werk: Zwar gut gemeint, aber nicht gut genug.
Wäre ein Test für alle Einbürgerungswilligen
sinnvoll? Ein solcher
Fragebogen für generell alle, die eingebürgert werden wollen, ist
sicherlich richtig, aber der sollte sich eindeutig an Fragen und
Problemkreisen orientieren, aus denen tatsächlich Erkenntnisse zu
gewinnen sind. Wer glaubt, dass man mit so einem oder einem anderen
Test zur Einbürgerung sozusagen einen Seelenstrip vollziehen kann,
um hinter den Aussagen die Einstellungen von Menschen zu sehen,
liegt falsch. Das funktioniert nicht.
Sind aber nicht auch die Ängste bei manchen nicht
ganz unberechtigt? In der
Tat sollte man die Sorgen ernst nehmen. Die nehmen auch wir als
jüdische Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland ernst. Aber
kennt die muslimische Minderheit überhaupt die Verfassung in ihrer
Gänze und ihren Auswirkungen? Hatte sie überhaupt die Chance, sich
damit auseinander zu setzen?
Wünschten Sie sich von den muslimischen Verbänden in Deutschland
ein klareres Bekenntnis zum Grundgesetz?
Die Frage ist: Von welchen muslimischen
Organisationen sprechen wir? Zum Teil hat es solche Erklärungen ja
gegeben - etwa von Nadeem Elyas, dem Vorsitzenden des Zentralrats
der Muslime. Allerdings weiß ich, dass es da noch immer Bedenken
gibt, etwa ob seiner Legitimation und ob das alles ernst gemeint
ist. Ich denke jedoch, man sollte ihn beim Wort nehmen. Man sollte
endlich auch den Dialog mit den anderen muslimischen Organisationen
aufnehmen - und sich nicht hinter dem Argument verschanzen, dass man
nicht den einen Ansprechpartner habe. Man muss einen ersten Schritt
tun, und wir als jüdische Gemeinschaft haben ihn getan. Wir sind im
Gespräch mit muslimischen Vertretern. Das heißt nicht, dass alle
Schwierigkeiten damit aus der Welt geschafft sind. Aber man muss
anfangen, Brücken zu bauen.
Stephan J. Kramer, 37, ist Generalsekretär des
Zentralrats der Juden in Deutschland.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
taz muss sein:
Was ist Ihnen die
Internetausgabe der taz wert?
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
Einbürgerung in Baden-Württemberg:
Planen Sie einen
Anschlag?
Im Gespräch sollen die Mitarbeiter der Einbürgerungsbehörde "Zweifel
ausräumen, (…) ob bei Muslimen generell davon auszugehen sei, dass ihr
Bekenntnis bei der Einbürgerung auch ihrer tatsächlichen inneren
Einstellung entspreche", heißt es in einer Pressemitteilung des
Stuttgarter Innenministeriums...
"Eine Ohrfeige zum neuen Jahr":
Kommentar zum Einbürgerungsleitfaden in
Baden-Württemberg
Der von Baden-Württemberg eingeführte
Leitfaden bei der Einbürgerung muslimischer Immigranten wird in der in
London erscheinenden Tageszeitung Al-Sharq Al-Awsat kommentiert. Der
Autor des Beitrags ist Fahmi Huweidi, ein renommierter ägyptischer
Journalist, der islamistischen Positionen nahe steht....
haGalil onLine
10-01-2006 |