RUMÄNIEN
Von Chaim Frank
Die Juden Rumäniens waren stets und ständig antisemitischen Ausschreitungen
unter verschiedenen Herrschern ausgeliefert und dienten als Sündenbock für
unterschiedliche Auseinandersetzungen zwischen der herrschenden Schicht und den
unzufriedenen Bauern.
Im 19. Jahrhundert, in den Jahren der russischen Okkupation, z.B. wurden über
200 'Judengesetze' erlassen. Viele dieser 'Judengesetze' dienten später dem
nationalsozialistischen Regime als Vorbild. Von 1900 bis 1906 emigrierten über
70.000 Juden in Richtung Amerika. Diese starke Abwanderung erregte die
Weltöffentlichkeit und veranlasste die amerikanische Regierung zur Absendung der
sog. 'Hay-Note' (11.8.1902), die die europäischen Mächte auf die Missachtung des
Berliner Vertrags (1878) durch Rumänien verwies.
Die nächste größere antisemitische Welle kam kurz nach dem Ersten Weltkrieg, die
auch von der "Legion" getragen wurde: 1923 hatte Corneliu Codreanu nach dem
Vorbild des italienischen Faschismus die nationalistische, antisemitische
"Legion Erzengel Gabriel" gegründet, die sich ab 1931 "Eiserne Garde" nannte.
Als diese Gruppierung bei den Parlamentswahlen 1937 drittstärkste Kraft wurde,
kam es zum Verbot der Organisation. Codreanu, des Hochverrats angeklagt, wurde
bei der Überführung von einem zu einem anderen Gefängnis erschossen. Auch nach
seinem Tod blieb die "Eiserne Garde" aktiv. Auf Druck der Nationalsozialisten
kam es 1940 zu einer Koalitionsregierung von General Ion Antonescu und Horia
Sima, dem Nachfolger Codreanus, die ein enges Bündnis mit den Nazis
praktizieren. Unter dieser Militärdiktatur werden die rumänischen Juden
besonders brutal verfolgt, Schätzungen über die Zahl der Ermordeten schwanken
zwischen 300.000 und 400.000.
Nach dem Krieg wanderten zahlreiche Juden nach Israel und Amerika aus, so dass
1990 in ganz Rumänien etwa nur noch 20.000 Juden lebten. Die Ausreise nach
Israel wurde mit einer Auslösesumme belegt: die israelische Regierung oder
jüdische Organisationen hatten dem rumänischen Staat für entstandene Kosten in
Bildung und Ausbildung pro Kopf zu zahlen. Nach dem Sturz Ceaucescus kam es
erneut zu einer Auswanderungswelle, so dass heute die Zahl der in Rumänien
verbliebenen Juden zwischen 8 - 9.000 geschätzt wird.
Alte und Neue Rechte
(Red.)
1989 wurde die stalinistische Regierung Nicolai Ceausescus gestürzt, Ion Iliescu
mit der neu gegründeten "Partei der Sozialen Demokratie" (PDSR) übernahm die
Macht. Der bürokratische Apparat des alten Regimes blieb weitgehend erhalten und
zahlreiche Politiker aus dem Umfeld Ceausescus blieben auf Posten in der neuen
Regierung. Eine Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit, etwa der
ehemals gefürchteten Geheimpolizei Securitate, fand nicht statt. Dagegen
gründete unmittelbar nach dem Sturz Ceausescus Vadim Tudor, ein ehemaliger
Offizier dieser Geheimpolizei, die "Partei Großrumänien"(PRM), die sich dem
Kampf gegen Verräter der rumänischen Nation verschrieb und offen sowohl gegen
die ungarische Minderheit im Land, wie gegen Juden und Roma hetzt.
Sicherlich auch die Enttäuschung in der Bevölkerung über die Entwicklung nach
der Wende führte 1996 zu einem Regierungswechsel: die PDSR wurde abgewählt und
ein Bündnis aus Christdemokraten, Nationalliberalen und Sozialdemokraten, die
"Demokratische Konvention für Rumänien (CDR) unter Emil Constantinescu gelang an
die Regierung.
Armut bestimmt das Bild Rumäniens, dem nach Polen bevölkerungsreichsten und
zugleich ärmsten der EU-Beitrittskandidaten. Druck von Seiten des IWF und der
EU, die Privatisierung der Betriebe und Strukturanpassungsmaßnahmen zu
forcieren, trugen zur weiteren Verschlechterung der Lebensbedingungen bei,
Korruption und Mafiastrukturen weiteten sich aus, die soziale Situation
verschärfte sich weiter. Die CDR-Regierung setzte auf nationalistische
Propaganda, was ihre Regierungszeit allerdings nicht verlängerte. Bei den Wahlen
im Dezember 2000 erreichte die PRM Tudors im ersten Wahlgang fast so viele
Stimmen wie die Partei Iliescus, der schließlich als Sieger aus dieser
Veranstaltung hervorging.
Nicht nur aktuelle nationalistische, rassistische und antisemitische
Kampfparolen bestimmten die Politik in Rumänien. Schon 1991 inszenierte die PDSR
im Parlament eine Gedenkminute zu Ehren Antonescus - die 1999 von der CDR zur
Feierstunde ausgeweitet und zelebriert wurde. Die Rehabilitierung der
faschistischen Vergangenheit ist ein Anliegen aller Machtstrukturen und sie wird
nicht nur von der extremen Rechten Tudors betrieben - 1999 etwa wurde der 1940
für die Einführung der Rassegesetze zuständige Minister Ion Gigurtu von der
Generalstaatsanwaltschaft offiziell rehabilitiert.
In den letzten Jahren wird eine zunehmende Intellektualisierung des
rechtsextremen Diskurses erkennbar, der sich durch revisionistische Propaganda -
Leugnen des Holocaust und Verharmlosung und Beschönigung der faschistischen
Vergangenheit generell und faschistischer Organisationen speziell in Rumänien -
auszeichnet. 1994 gründete sich eine Gruppe "Neue Rechte" (nicht zu verwechseln
mit einer Naziorganisation gleichen Namens), die rege Kontakte zu
westeuropäischen VertreterInnen der "Neuen Rechten", vor allem den Kreis um
Benoist in Frankreich, unterhält und bei internationalen Konferenzen der Rechten
auftritt. Sie berufen sich auf die Theorie des Ethnopluralismus und treten ein
für eine Wiedergeburt nationalrevolutionärer Ideologie auf der Basis völkischer
Ideen. Als kleine Randnotiz dieser Geschichte: ein ideologischer Vordenker
dieser Theorie und Inspirator des italienischen Faschismus, Julius Evola war
ebenfalls ein Verehrer Codreanus und gedachte seiner in einer Festrede zu seinem
Todestag als "die ideale Verkörperung des Typs der arisch-römischen Rasse" (in:
Civiltá, 1-Nr. 2 9/10, 1973).
Als ein Vordenker der rumänischen Gruppe "Neue Rechte" gilt Bogdan George
Radulesco, der auch Begründer des rechtskonservativen Klubs "Acolade" in
Bukarest ist. Radulescu verbindet in seinen Theorien Versatzstücke des
traditionellen rumänischen Rechtsextremismus mit solchen der europäischen "Neuen
Rechten". Eine andere Gruppe Neurechter gruppiert sich um den Verlag
"Anastasia", eine rechtskonservativ-orthodoxe Institution und ihren
Hauptvertreter Razvan Codrescu. Codrescu veröffentlicht zu Theorie der Neuen
Rechten und ist Mitarbeiter der rechtsextremen Zeitschrift "Puncte Cardinale" in
Sibiu.
In diesem Klima geriert sich der Faschist Vadim Tudor als Anwalt der
Verzweifelten, Eckpunkte seiner Programmatik: extremer Nationalismus,
Massenmobilisierung - und Liquidierung von Minderheiten. Zentral sind seine
Angriffe auf Roma und Juden.
Antisemitismus nach 1990
Von Chaim Frank
Bereits im Mai 1990 war es zu der Schändung eines jüdischen Friedhofs in Tirgu
Mures gekommen.
1992 schrieb das beliebte Bukarester Wochenblatt "Europa" ausführlich über die
"Protokolle der Weisen von Zion", da dieses Pamphlet angeblich beweise, dass die
Juden (damals wie heute) die Weltherrschaft anstreben wolle, und zwar mittels
ihres Geldes und der Presse um Einfluss nehmen zu können auf die gesamte
öffentliche Meinung in der demokratischen Welt. Andere, ähnlich orientierte
Schmierenblätter schrieben über eine "jüdisch-freimaurerische" Verschwörung,
welche nun auch auf den rumänischen Staat zunehmend Einfluss nehmen würde. Eine
Umfrage, die im Dezember 1993 veröffentlicht wurde, ergab, dass rund 30 % der
Rumänen lieber keinen Juden weder als Nachbarn noch als Arbeitskollegen haben
würden.
Schon Mitte 1993 fiel sogar der "allgemeinen" westlichen Presse auf, dass " In
Rumänien der Judenhass blüht". In der Nach-Ceausescu-Ära wurden alte nationale
groß-rumänische Gedanken wieder wach, und - wie es eine jüdische Zeitung so
trefflich formulierte - der Hass auf die Juden erreichte "geradezu zoologische
Ausmaße". Als eines der beliebtesten Opfer der rumänischen Antisemiten (nicht
bloß in der Presse), war bis zu seinem Tode 1994 der Oberrabbiner Moses Rosen.
In frechster Weise spuckte die Bukarester Wochenzeitung "Europa" auf ihn und
beschimpfte den Rabbiner als "die Quelle der antirumänischen Kampagne" und
bezeichnete ihn in klassischer Manier "als Repräsentant einer internationalen
Verschwörung mit dem alleinigen Ziel, das rumänische Volk zu verfluchen und die
Wahrheit über die Judenpolitik des rumänischen Diktators Ion Antonescu während
des Zweiten Weltkrieges zu verfälschen."
In die gleichen Flanken schlug auch die andere faschistoide Zeitschrift, die
"Gazeta de Vest" und führte einen offenen Kampf für die Rehabilitierung der
rumänischen Faschisten (als Bekämpfer des Sowjetismus) und schürte in diesem
Zusammenhang eine breite antijüdische Kampagne vor der selbst der frechste
osteuropäische Antisemit erschrak.
Die rumänische Behörde sah sich keineswegs - auch nicht nach ausländischer
Empörung - veranlasst, irgend etwas dagegen zu unternehmen. Insofern ist es auch
nicht zu verwundern, dass in nicht geringer Zahl romantisierende
National-Bewegungen entstehen konnten, von denen einige sogar offen das Erbe der
faschistischen "Eisernen Garde" beanspruchten und folglich sich fleißig bemühen
die einstigen Verbrecher nun als "Helden" darzustellen.
Anfang 1994 kam es zu einer offenen, ja internationalen Kontroverse um die
Rehabilitierung des faschistischen Diktators Antonescu, nach dem nämlich in
einigen Städten Straßen umbenannt werden sollten.
Erst nachdem sich der Vorsitzende der jüdischen Anti-Diffamierungs-Liga in den
USA, Abraham H. Foxman, in einem Protestschreiben die rumänische Regierung
aufforderte, gegen die Versuche vorzugehen, Antonescus "Verantwortlichkeit für
Kriegsverbrechen" zu vertuschen, sprach sich der rumänische Präsident Ion
Iliescu gegen die Rehabilitierung des Faschisten-Führers Ion Antonescu in seinem
Land aus. Foxman schrieb in seinem Brief an Iliescu unter anderem, dass die
geplante Errichtung eines Antonescu-Denkmals in der von Bukarest 80 Kilometer
entfernt liegenden Stadt Slobocia "das bisher schwerwiegendste Beispiel des
Mangels an Sensibilität gegenüber den Leiden der Juden Rumäniens" sei.
Im Juni 1995 kam es beim Besuch von israelischen Autoren in Rumänien zu einem
Eklat, dem antisemitische Reaktionen vorhergegangen waren. Der Journalist und
Vorsitzende der ultra-nationalistischen Partei "România Mare"" (Großrumänien)
Tudor, verlangte, dass der israelische Schriftsteller Saul Carmel in Rumänien
zur persona non grata erklärt werden solle, da dieser "die Ehre des rumänischen
Volkes verletzt" habe. Im Zuge der Abschlussfeierlichkeit waren die
Kongress-Teilnehmer zu einem Empfang beim Staatspräsident Ion Iliescu geladen,
zu dem ungeladen auch Vadim Tudor erschien. Daraufhin verließ die jüdische
Delegation unter Protest gemeinsam mit Saul Carmel den Präsidentenpalast.
Wenige Tage später, ebenfalls im Juni, wurde erneut der jüdische Friedhof in
Bukarest verwüstet, und zwar so arg, dass die Vertreter der jüdischen Gemeinde
nicht mehr darüber hinwegsehen konnten und davon sprechen mussten, dass es sich
hierbei "um den schwersten Vorfall dieser Art" handelte.
Die einst große Jüdische Gemeinde Rumäniens hält sich mit Forderungen nach
Entschädigung zurück. Die jüngste antisemitische Hysterie liegt zwei Jahre
zurück", schrieb 1997 eine deutsche Tageszeitung mit leicht vorwurfsvollem
Unterton. Kein Wunder, denn über Jahrzehnte hinweg war das Motto eines jeden
Ostjuden, wenn er sich nicht Repressalien aussetzen sehen wollte: "ducken und
nur nicht auffallen".
Dabei "duckte" sich die Jüdische Gemeinde - zumindest unter Rabbi Moses Rosen -
gar nicht. Immer wieder kam es zu "unangenehmen Aussprachen" seinerzeit unter
Ceausescu genauso wie unter der Nachfolgeregierung, bei der sich die Jüdische
Gemeinde von Bukarest eher selten zurückhielt. Im Sommer 1995 beispielsweise
legte sie erstmals einen Gesetzesentwurf zur Rückgabe ihres einst von den
rumänischen Faschisten und Kommunisten konfiszierten Eigentums vor. Die Folge
war eine Welle antisemitischer Reaktionen, bei denen sich die extremistischen
Parteien ausschließlich gegen eine Rückgabe richteten.
Der damalige Vorsitzende der Demokratischen Partei und Senatspräsident Petre
Roman, der selber jüdischer Herkunft ist, meinte diesbezüglich: "Die Rückgabe
jüdischen Eigentums ist eine sensible Angelegenheit. Wenn nicht auch andere
religiöse Gemeinschaften ihr Eigentum zurückbekommen, dann kann das zu
unerwünschten antisemitischen Reaktionen führen." Nun war das keine
offensichtliche "Bitte eines Freundes" um Zurückhaltung?!
Auf die Flut von antisemitische Tendenzen im postkommunistischen Rumänien konnte
die jüdische Gemeinde kaum noch reagieren, und wen hätte sie auch schon als
"Fürsprecher" gehabt in einer Hochburg von Antisemiten? Ergo schwieg sie ... aus
Vorsicht!
Weiterführende Literatur:
Marianne Hausleitner: Antisemitismus in
Rumänien vor 1945. In: Hermann Graml, Angelika Königseder, Juliane Wetzel
(Hg.) Vorurteil und Rassenhass. Antisemitismus in den faschistischen
Bewegungen Europas, Berlin 2001.
Armin Heinen: Die Legion "Erzengel Michael" in Rumänien. Soziale Bewegung
und politische Organisation, München 1986
hagalil.com
20-04-2002
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