ALBANIEN
Von Chaim Frank
Urkundlich nachweisbar lebten ab 1175
Juden in Albanien. Im Zuge der Vertreibung aus Spanien (ab 1792) kamen weitere,
meist sephardische (von hebr. sefarat - Spanien, heute allg. Juden aus Afrika,
Asien), und später auch süditalienische Juden hinzu. Im 20. Jahrhundert,
zumindest bis vor dem II. Weltkrieg existierte eine einzige jüdische Gemeinde in
Shkodra und eine weitere kleinere in Korza. Eine - allerdings wenig zuverlässige
- Volkszählung des Jahres 1927 nennt 204 albanische Juden.
Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 flohen Juden aus Deutschland und
Österreich nach Albanien, das sich von 1939 bis zum September 1943 unter
italienischer Herrschaft befand bis es von deutschen Truppen besetzt wurde.
Bereits im Frühjahr 1942 lieferte die italienische Militärbehörde 51 Juden den
Deutschen aus, die dann im Lager von Banjica erschossen wurden. Im April 1944
werden etwa 400 Juden, vorwiegend Flüchtlinge aus Europa, nach Pristina
verschleppt, von wo über die Hälfte nach Bergen-Belsen deportiert wurden, die
anderen kamen vermutlich im KZ-Jasenovac um.
Bis 1990 war jegliche Religionsausübung verboten, so dass es offiziell auch
keine jüdische Gemeinde gab. Die kleine Anzahl in Albanien verbliebenen Juden
lebten in Tirana und Valona.
Der Bürgerkrieg auf dem Balkan, vor allem
die späteren Auseinandersetzungen im Kosovo, setzen Kräfte frei, die bis dahin
weder in Albanien noch in den angrenzenden Gebieten bekannt waren. Obwohl Hashim
Thaci, der Chef der albanischen Befreiungsarme im Kosovo im Juli 1999 der
jüdischen Bevölkerung Schutz zugesichert hatte, kam es zu Bedrohungen, wie es
der Vorstand der jüdischen Gemeinde, Cedda Prlincevic in einigen Interviews zum
Ausdruck brachte. Nach Meinung von Prlincevic kam die Gewalt, alle Nicht-Albaner
zu vertreiben nicht aus dem Kosovo, sondern aus Albanien. Bisher hatte es kaum
einen Antisemitismus gegeben, weder von serbischer noch von albanischer Seite.
"Wir wurden", so Prlincevic, "nicht von Albanern aus Pristina, sondern von
Albanern aus Albanien vertrieben."
Schon früh hat die OSZE erkannt, dass die UÇK trotz gegenteiliger Behauptungen
hinter zahlreichen Gewaltakten steckte: "Die Verwicklung der UÇK, die sich nun
KSK nennt, ist von einem solchen Ausmaß, dass dies nur mit ausdrücklicher
Unterstützung, zumindest aber mit stillschweigender Duldung der (UÇK) Führung
geschehen kann, was dringend einer eingehenden Untersuchung der Internationalen
Gemeinschaft bedarf." Laut Informationen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind
seit Juni 1999 rund 250.000 Menschen aus dem Kosovo vertrieben worden,
wohingegen die Schätzungen des jugoslawischen Außenministeriums sogar eine Zahl
von ca. 350.000 nennen. Die Mehrzahl der Vertriebenen bestand aus Serben sowie
Roma, Juden, Türken und anderen Minderheitengruppen.
Paul Polansky, ein Historiker, der 1999 von Juli bis etwa Jahresende zusammen
mit Roma im Kosovo lebte, dokumentierte eindringlich die Diskriminierung der
Roma-Bevölkerung. Vor dem Krieg - so Polansky - lebten die Roma in integrierten
und gewachsenen Gemeinden gemeinsam mit anderen Volksgruppen, dann wurden sie
"wegen ihrer Hautfarbe" ethnisch gesäubert. In seiner Dokumentation machte der
Historiker außerdem auch auf die bewusst mangelhafte Versorgung der Roma mit
Medikamenten, Lebensmitteln und Sicherheit durch die örtlichen
Hilfsorganisationen aufmerksam.
Der eben erwähnte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Pristina, Cedomir
Prlincevic, wurde ebenfalls 1999 von der UÇK vertrieben. In einem Interview
berichtete später, "als zwei Dutzend bewaffnete Männer in unsere Familienwohnung
stürmten, erlitt meine 80 Jahre alte Mutter einen Herzanfall, weil es sie an
Hitlers SS erinnerte, die 1943 auf die gleiche Weise ihre Wohnung gestürmt
hatte". Mit der Vertreibung des Vorsitzenden sowie der übrigen Juden erlosch das
alte jüdische Leben in dieser Region.
Weiterführende Literatur:
Paul Polansky:
Gypsies in Kosovo
Paul Polansky: Not a Refugee
Interview mit
Cedomir Prilincevic
Human Right Watch Report - August 1999: Abuses against Serbs and Roma in
Kosovo
hagalil.com
20-04-2002
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