»Denn voll ist das Land mit der Kenntnis des Ewigen wie Wasser die
Meerestiefe bedeckt.«
Jesaia 11.9
Schlomoh Ibn-Gwiról, mystischer Dichter, ca. 1020-1057, Spanien
Er sagte: »Alles braucht einen Zaun.«
Man fragte ihn: »Welche Art von Zaun?«
Er antwortete: »Die Wahrheit.«
Man fragte ihn: »Was ist der Zaun der Wahrheit?«
Er antwortete: »Treue.«
Man fragte ihn: »Was ist der Zaun der Treue?«
Er antwortete: »Furchtlos zu sein.«
(the
choice of pearls.
A collection of proverbs)
Im 9.-12. Jahrhundert entstand in der jüdischen Gemeinschaft im
maurischen Andalusien (Südspanien) eine lebendige Subkultur, die auf der
jüdischen Literatur und Poesie fußte.
Salomo ibn Gawirol war der Inbegriff dieses Goldenen Zeitalters. Er
wurde 1020 in Malaga geboren. Bereits mit sechzehn Jahren hatte er einen Ruf
als reifer Dichter und war bekannt für seine Attacken gegen Ungerechtigkeit
und gegen die belanglose Leere des täglichen Lebens.
Seine trübsinnige Einstellung, eine Folge der einsamen, elternlosen Kindheit
und andauernder Krankheiten, trieb Gawirol zur Abfassung seiner Bücher und
lenkte seine Aufmerksamkeit auf das, was er für eigentlich wichtig und wahr
hielt. So wie die Schriftpropheten der Bibel viele Generationen durch ihre
mystische Sprache und Dichtung beeinflussten, so mahnte Gawirol seine
Zeitgenossen mit seinen poetischen und philosophischen Schriften, um sie zum
Glauben zu inspirieren.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Gawirol in Saragossa im Nordosten
Spaniens. Dort lernte er Arabisch und Hebräisch und verfasste
hunderte von Gedichten und zahlreiche philosophische Abhandlungen. Seine
anspruchsvolle religiöse Poesie, die stark vom Arabischen beeinflusst ist,
preist das große Geheimnis Gottes und formuliert Gawirols Anschauung, dass
Lob und Anbetung die einzige angemessene Antwort auf Gottes Größe sind.
Trotzdem forderte er von Gott auch die Erlösung des Volkes. Die unsichere
Lage der jüdischen Gemeinden im muslimischen Spanien zeigte sich immer
wieder an den Ermordungen prominenter Juden und an den ständigen
Vertreibungen derer, die angesehen zu sein schienen.
Als Gawirols geschätzter Patron Jekutiel im Jahr 1039 hingerichtet wurde,
wurde er von seinen Gegnern gezwungen, Saragossa zu verlassen, denn man war
besorgt wegen seiner literarischen Äußerungen über Zorn und Verurteilung.
Daraufhin verfasste er »Die Vervollkommnung der Eigenschaften der Seele«,
eine Sammlung von Abhandlungen über Stolz, Sanftmut, Demut und
Respektlosigkeit.
In seinem philosophischen Hauptwerk »Der Lebensquell« wagte es Gawirol,
das Wesen der Menschheit und ihre Aufgabe zu erörtern. Alles Dasein sei von
einer Sehnsucht nach Gott durchdrungen, der selbst alles durchdringe. Weit
entfernt, unbedeutende Sandkörner zu sein, wären die Menschen vielmehr
Glieder einer langen Reihe, die aufwärts strebe, um dem Göttlichen näher zu
kommen.
Gawirol starb im Alter von nur 37 lahren in Valencia. Er hinterließ ein
Vermächtnis von Schriften, die all denen, die sie lesen, Hoffnung schenken
und die uns näher zu Gott bringen. Seine religiösen Gedichte, vor allem
seine Bußgebete für Jom Kippur, finden sich heute in jedem jüdischen
Gebetbuch.
Mah Chajai?
WAS IST MEIN LEBEN?
Mein Gott, ich schäme mich und wage nicht, in deine Gegenwart zu
treten, denn ich weiß, deiner machtvollen Größe entspricht die Schwäche
meiner Armut und Niedrigkeit, und deiner Vollkommenheit entsprechen meine
Mängel.
Denn du bist einzigartig und lebendig.
Du bist stark und beständig.
Du bist groß und du bist weise.
Du bist Gott.
Ich aber bin ein Erdklumpen und ein Wurm, Staub vom Acker, ein Gefäß voller
Schande, ein flüchtiger Schatten, ein Wind der vergeht und nicht
wiederkehrt.
Was bin ich? Was ist mein Leben?
Was ist meine Macht? Was ist mein Liebe?
Aus "Königskrone" (Keter Malkuth),
zitiert nach Seder haTfiloth II p.75.
LEBENSLANGE TREUE
Ich such' dich in der Frühe, mein Schutz und meine Zuflucht;
am Morgen und am Abend, mein Gott bet' ich zu dir.
Vor deiner Größe steh ich, ich stehe voller Furcht,
denn alles, was ich denke, ist dir, mein Gott, bekannt.
Die Zunge, der Verstand, was können sie vollbringen?
Was ist schon meine Kraft, mein Geist in meinem Innern?
Des Menschen Lied gefällt dir; ich danke dir dafür,
solange ich Leben habe,
das du mir schenkst,
o Gott.
Aus "Königskrone" (Keter Malkuth),
zitiert nach Seder haTfiloth I p.67.
Schlomoh Ibn Gwiról:
Der Dichter als Beter
Eine Trennung von Glauben und Wissen nimmt Salomo Ibn Gabirol in seinem Werk
"Krone des Königtums" nie vor...
Siehe, Tage kommen…!
Jüdische Visionen
aus drei Jahrtausenden
Ein Prophet gilt oft irrtümlich als bloßer
Vorhersager der Zukunft. Doch die Propheten bedachten die Vergangenheit,
schauten durch die Gegenwart in die Zukunft und führten die Folgen aktueller
Handlungen vor Augen...
Altern.: Ibn Gvirol, Ibn Gwirol, Ibn Gabirol
hagalil.com
20-10-03
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