Rabbiner Samson Rafael Hirsch:
Chorew
Versuch über Jisraels Pflichten in der
Zerstreuung
Aus dem ersten Abschnitt:
"Toroth - Geist und Gemüt zum Leben
rüstende Lehren"
Kapitel 15: Hass
Du sollst nicht hassen deinen Bruder in deinem Herzen.
(III, 19, 17)
§ 113.
Hass ist das Gefühl, dass das Dasein irgendeines Wesens
unserem eigenen Dasein hinderlich sei, seine Vernichtung unser Dasein
ergänzen würde. Mit anderen Worten: sich nicht ganz fühlen, solange noch
dies oder jenes da ist.
Dieses Gefühl ist der Tod, ja eine Umkehrung des menschlichen Herzens, das
Gott zum allweiten Allumschluss aller Wesen geschaffen, und das nun ein oder
alle Wesen bis zum Wunsch ihres Nichtdaseins ausschließt, und nur sich
umschließt, d.h. zum Stein wird.
Sobald du darum Hass gegen irgendein Wesen in dir aufkeimen siehst, sei
überzeugt, du hast deine Lebensstufe eingebüsst.
§ 114.
Trauriger Vorzug des Menschen! Alle Wesen buhlend lieben -
und Wesen eigener Gattung hassen zu können!
Es entsteht aber Hass zwischen Mensch und Mensch dadurch:
-- 1) dass einer wirklich mit frevelndem Wort oder frevelnder Tat den andern
beeinträchtigt, also wirklich sein Dasein gefährdet hat;
-- 2) dass beide in Erstrebung eines und desselben Gutes sich begegnen, also
sich scheinbar gegenseitig beschränken.
§ 115.
Das Gefühl soll nie in deinem Herzen gegen irgendeinen
Menschen weilen. Es ist ja dein Bruder, Kind desselben Gottes, mit gleichen
Ansprüchen ans Leben von Ihm ins Leben gesetzt. Wenn du ihn hasst, - ihn
wegwünschest, - so hasst du, wünschst du auch Gottes Hand weg, die die
Brüder neben dich gesetzt, auf dass du als Bruder sie achten sollst.
Selbst im Beleidiger vergiss nicht, dass es dein Bruder ist, - bedauere ihn,
dass dein Bruder sich so verirren konnte, - stelle ihn zur Rede, - und
vergiss.
§ 116.
Aber vor allem bedenke: ist's nicht überhaupt nur Wahn,
nur Lüge, dass das Dasein irgendeines Menschen das deine beeinträchtige,
seine Vernichtung zu deinem Heil notwendig wäre?
Sind es denn Menschen, bist du es, ist er es, die ihr euch die Güter des
Lebens verschafft? Könnt ihr mehr tun, als bloß das Samenkorn des Fleißes
säen und den Sonnenstrahl des Segens von oben erwarten?
Ist's denn nicht Gott, der Verteiler aller Lebensgüter ist, der den
Bemühungen der Menschen Segen spendet oder Fluch? Und ist dessen Hand zu
kurz, Seine Liebe zu karg, um dich und noch Millionen Brüder neben dir ins
Leben zu führen, zu erhalten und des Lebens froh zu machen?
Muss Er dir denn den Segen entziehen, den Er dem Bruder neben dir erteilt?
Und wenn nun der Bruder vernichtet wäre - hinge nicht auch dann noch dein
Gedeihen ebenso von desselben allmächtigen Gottes Walten ab wie jetzt?
- O, wenn du es doch beherzigst, wie die Anerkennung, die Gott dir bestimmt,
dir wird, - die Stelle, die Er dir bestimmt, du einnehmen wirst, - und du
die Summe von Gütern erhalten wirst, die Er dir bestimmt, - und wenn auch
Millionen neben dir nach dem Gleichen streben; und was dir nicht wird, dir
nicht deshalb nicht wird, weil auch ein anderer danach strebt, sondern weil
Gottes weise Waltung dir's nicht bestimmte.
Siehst du nicht, wie der Brot- Ehre- und Glücksneid, der dich deinen Bruder
hassen lässt, Gottesleugnung ist, Leugnung ist, dass ein Gott es ist, dessen
allgerechte Liebe allmächtig waltet über jedem Menschen, und die Geschicke
der Menschen bestimmt?
- Neben Millionen Glückssaaten lege auch das Samenkorn deines Glückes und
bete zu Gott, dass sie alle aufgehen zum Heil aller; Er ist reich genug an
Liebe und Macht, solch reines Gebet zu erfüllen.
§ 117.
Aber - es hat das Frevelwort, die Frevelhand deines
Bruders die Fackel der Zerstörung in deines Lebens Glücksgebäude geworfen -
- - sollst du ihn da nicht hassen?
- Hassen?
Nein!
Auch da verehre Gottes Waltung, die, hoch über der
Auffassung menschlichen Gedankens, das Verbrechen des Bösen, die Strafe und
Züchtigung des zu bessernden, erziehende Prüfung des Erziehungsfähigen
werden lässt. Konnte dein Glücksbau vernichtet werden, wenn Gott es nicht
zugelassen? - Würde er nicht vernichtet worden sein, wenn auch kein
Verbrecher sein Verbrechen zum Werkzeug geliehen?
Du nimm, wie anderes Leiden, auch solches hin aus Gottes Händen und benutze
es zur eigenen Besserung oder Vollendung; harre Gottes, der von Nacht zum
Morgen, von Leiden zur Freude, vom Tod zum Leben führt.
Ihm überlasse es, dass Er den Bösen wegen dem Bösen anklage, - aber hasse
nicht, - sündige nicht durch Hass. - Hat er denn gegen dich gesündigt, dir
das Deinige zertrümmert? Hat er nicht gegen Gott gesündigt, und an Gottes
Heiligtum die frevelnde Hand gelegt?
§ 118.
Das Böse hasse - aber nicht den Bösen.
Nur da, wo ein Böser sich so mit dem Bösen identifiziert hat, dass er selbst
dir als Quelle des Bösen dasteht, da wird's schwer, das Böse vom Bösen zu
scheiden, den magst du hassen, - du hasst in ihm nur das Böse.
- Ein solcher ist aber der, der vor dir als unverbesserlich, mit Bewusstsein
und Absicht Böses übender Böser dasteht, von dessen Unverbesserlichkeit und
Absichtlichkeit du dich durch wiederholtes, erfolgloses Warnen und Mahnen
überzeugt hast.
Vor allem aber der Verführer, der, nicht nur selber bös, den Keim des Bösen
in andere legt und großzieht und entfaltet, - Sittlichkeit und Göttlichkeit
auch nur in eines Menschen Seele ertötet, ja nur zu ertöten sich bemüht -
den hat der all-liebende Gott selbst von der Liebe und dem Erbarmen des
Menschenherzens ausgeschlossen, - den darfst du nicht lieben, denn in ihm
liebtest du die Sünde selber, zu deren Handlanger er sich geweiht.
(V, 13,9; Sifri.)
Rabbi Moses Ben Nachman:
Brief des RaMBaN
an seinen Sohn
Der "Brief über
Bescheidenheit"...
hagalil.com
18-08-2005
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