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Koscher leben...
 
 

Rabbiner Samson Rafael Hirsch: Chorew
Versuch über Jisraels Pflichten in der Zerstreuung

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Aus dem ersten Abschnitt:
"Toroth - Geist und Gemüt zum Leben rüstende Lehren"

Kapitel 13.: Gelüst

Du sollst dir nicht gelüsten
das Haus deines Nächsten,
sein Feld, seinen Knecht und seine Magd,
seinen Stier und seinen Esel,
und alles, was deinem Nächsten geworden.

(V, 5, 18.)

§ 98.

Taavah ist das Sehnen sich zum Mittelpunkt eines immer größeren Kreises von Gütern zu machen, oder eine immer größere Summe von Gütern in den Kreis seiner Persönlichkeit zu ziehen, sei es nun unmittelbar ein Genuss, oder ein Genuss vermittelndes Gut.
- Diese Richtung zur Selbstvergrößerung hat Gott jedem Wesen eingepflanzt und auch dem Menschen mitgegeben, bei dem die Zahl der zu ersehnenden Güter noch durch die Rubrik geistiger Genüsse und geistiger Güter vermehrt ist.

§ 99.

Notwendig ist diese Richtung; denn auf sie hat Gott den Haushalt Seiner Schöpfung gegründet, indem jedes Wesen, während es für sich selber strebt, unbewusst damit im Dienst göttlicher Weltordnung steht, und, vermutlich nur sich dienend, der Welt dient.
- Auch im Menschen ist sie notwendig; denn wenn er - solange er sich nicht seines Berufes bewusst ist, frei einzutreten in den Kreis der Gottesdiener, oder das Bewusstsein dieses Berufes nicht so stark ist, um ihn zur tätigen Wirksamkeit zu treiben - diese Richtung nicht hätte: er bliebe ganz wirkungslos und wäre das unnützeste Geschöpf. So aber hat Gottes Weisheit also es geordnet, dass selbst der niedrige Mensch, und der gerade am stärksten, diese Richtung hat, und so, freilich nicht Gott, nicht Gottes Welt, sondern sich zum Zweck seines Strebens setzend, in diesem Streben doch wenigstens tätig ist, und mit dieser Tätigkeit, freilich unbewusst und von ihm unbeabsichtigt, Werkzeug ist in Gottes Händen zur Vollendung der Geschöpf- und Menschenwelt.
Freilich steht er dann mit diesem Streben und Wirken nur Pflanze und Tier gleich, und unter ihnen, da er zu höherer Wirkungsweise berufen ist.

§ 100.

Aber nicht Pflanze, nicht Tier, Mensch sollst du sein, Sohn und Tochter Jisraels, und in diesem Menschenberuf mit allem, was du bist, mit allem, was dir ist und wird, und mit Genuss und Tat, nicht dir, sondern Gott zu dienen, bist du darum wahrer Jisrael, so wirst du Taavah nicht kennen; wirst keinen Genuss, keinen Besitz für dich, wirst in allem nur ein Mittel zur Gott gefälligen Tat erstreben; wirst so in tierischster Äußerung deines tierischen, wie in geistigster deines Geisteslebens, Gottesdiener sein mit Bewusstsein und Absicht. Taavah (Ta'awa), wo du Zweck bist, kennst du als vollendeter Jisrael nicht. Willst nicht um dich, als Mittelpunkt, einen möglichst großen Kreis von Gütern sammeln; sondern von dir, als Mittelpunkt, einen möglichst großen Kreis von Gott gefälligem Wirken ausstrahlen lassen, dich selber und deines Wirkens Kreis in den großen Kreis der Wesen einreihend, dessen heilig erhabener Mittelpunkt Gott ist.

§ 101.

Bis du aber jene höchste Stufe des Jisrael-Lebens erklommen, hüte dich vor allem vor dem Missbrauch dieser Selbstrichtung. - Bei allen dir untergeordneten Wesen hat Gott dieser Richtung selber Schranken gesetzt, dass kein Wesen übers Nötige und Gute hinaus für sich selbst strebe; - ihr Gelüst geht von selbst nicht weiter, und darum bringt da diese Richtung von selbst nur Heil. Nicht so dem Menschen. Denn eben weil der Mensch diese Richtung frei mit Gottes Gesetz beschränken, und auf höchster Stufe ganz umwandeln soll vom Selbstdienst zum Weltdienst nach Gottes Willen, - eben darum beschränkt sich bei ihm diese Richtung von selbst mitnichten.
Und findet gleich sein unmittelbarer Genuss in seines Körpers Wandelbarkeit eine Schranke, so hat er doch sich einerseits so viel künstlichen Genuss erkünstelt, - und vor allem ist das Streben nach Genuss vermittelnden Gütern an sich schrankenlos, da sie nicht augenblicklicher Genuss sind, in dem für den Augenblick die Luft erstirbt, sondern gerade zukünftigen Genuss versprechen und sichern - und somit unbegrenzt, wie die Zukunft selber. - Daher kommt es, dass dem, der diese unbeschränkte Richtung nicht sich selbst beschränkt, zuletzt das Weltall selbst und die Ewigkeit zu klein würden um seines Gelüstes Sehnen zu befriedigen.

§ 102.

Unsäglich schrecklich sind aber die Folgen der über die Grenzen des Nötigen und Guten ausschweifenden Ta'awa. Alles Lebensglück zerstörend, jede Menschentat zerstörend, den Brief der Göttlichkeit im Menschen zerreißend, - also dass es kein kleines oder großes Elend, dass es kein kleines oder großes Verbrechen gibt, das nicht in der Ta'awa wurzelte. - Was du hast, hat keinen Wert für dich, nur das noch nicht Deine reizt dich, und verliert seinen Wert im Erreichen.
So hast du nie Freude am Leben, solange noch etwas außerhalb deines Kreises ist und lebt und besitzt und genießt.
Und stehst du so feindselig allen übrigen Wesen und ihrer Freude gegenüber, so gehst du endlich unter im Kampf der Gesamtheit und der göttlichen Ordnung gegen den sich vereinzelnden. - Ja, jedes Leiden ist ganz eigentlich nichts anderes als eine Ausgeburt der Ta'awa; da Zaróth (Zarot), Leiden, eben nichts anderes sind, als eine Beschränkung der Persönlichkeit.
Gingest du aber von selbst nie über das Gewährte hinaus, drei Viertel der Leiden kenntest du nicht. So aber, setzest du oft zur Erschwingung des einen Versagten alles Gewährte ein - und zerstörst dir selber deines Lebens Glück.

§ 103.

Aber vor allem, - denn wie wäre die Zerstörung des Lebensglückes möglich, wenn nicht alles Menschenwirken zerstört und nur Sünde und Verbrechen erzeugt. - In dem Augenblick, da du dich ganz der Ta'awa nach irgendeinem Gut oder nach irgendeinem Genuss hingibst, in dem Augenblick erklärst du den Krieg allen Wesen um dich, Krieg gegen Gott und Sein Gesetz; denn, von der Ta'awa beherrscht, kennt dein Streben keine Schranken als bloß die Grenzen deiner Macht; und an diese gelangt, liegst du murrend an der Kette, die die Unmöglichkeit setzt zwischen dich und das Ersehnte.
- Wo Ta'awa einzieht, kann Torah nicht weilen; denn, wo Geist und Gemüt sich selbst als Berufszweck des Lebens setzt, wie kann da die Lehre Raum finden, die nur Gottes Willen und Heil der Welt zum Lebensberuf pflanzen will?
Wo Ta'awa herrscht, muss Mizvvah (Mizwa) weichen, die dich nicht dir, sondern anderen zum Segen verpflichtet; muss Mischpath weichen, das im Menschen den gleichen und das Recht als Schranke des Besitzstrebens ausspricht; - muss Chok weichen, das die dir untergebene Geschöpfwelt als deine Schöpfungsbrüder, und Gottes Gesetz als Schranke für deine Willkür und Genussucht setzt.
- Da zeugt Ejduth vergeblich vom Mensch- und Jisraeltum dir, der du nur dich einzelnen fühlst und in dir das verlangende Tier; - und auch Awodah vermag nicht dich zu erziehen, denn nur mit deinen ungebunden Wünschen trittst du zu Gott hinan, und kriechst oder zürnst Ihm, als dem Förderer oder Hinderer deiner Verlangen. - Ja, jede Sünde und jedes Verbrechen ist nur eine Ausgeburt der Ta'awa; denn, alle und jede sind sie nichts anderes als eine Verhöhnung des göttlichen Gesetzes zur Befriedigung unseres eigenen Sehnens.
- Darum hüte dich vor Ta'awa, vor jedem sehnsüchtigen Verlangen nach Genüssen und Gütern, die du nicht hast; vor allem, nach Gütern und Genüssen, deren Erstreben Gottes Wort dir verbietet. Und sprich nicht: ist es doch nur Gedanke und Gefühl, ist es doch nicht Tat! Die Tat bleibt nicht aus, wenn du Gedanken und Gefühle nicht meisterst; - und ehe du es dich versiehst, hat dich das ungebändigte Gelüst alles Chorew-Schmucks des Mensch- und Jisraels-Adels beraubt, und - als nacktes, lüstern-reißendes Tier stehst du da.

§ 104.

Vorzüglich vor diesem Missbrauch der Ta'awa, vor dem Sehnen nach durch Gottes Gesetz verbotenen Genüssen und Gütern warnt die vorliegende Torah und hat nicht ohne Absicht unter allen verbotenen Genüssen und Gütern die nach dem fremden Eigentum hervorgehoben.
Denn dieses Verbot, wo das Erstreben des Gegenstandes an sich nicht Sünde ist, Sünde nur wird durch den Begriff der anderen Persönlichkeit, die darüber schwebt, und wo zugleich das wirkende Besitzen und wirkliche Genießen des Guts vor den Augen der Sehnsucht vorgeht, - dieses Verbot ist es, an welches Ta'awa am nächsten anstößt, und das sie am frühesten höhnt.

§ 105.

Wie aber endlich dich schützen vor ungezügelter Ta'awa? Und wodurch jene hohe Jissraelstufe erklimmen, die Ta'awa in Ahawath haSchem* verwandelt?
Dazu führt nur eins, und in diesem einen liegt allein Tugend und Glück des Lebens; und dieses eine - ist: richtige Schätzung des Lebens.
Schätze den Wert deines Lebens nicht nach Gütern und Genüssen, sondern nach Taten; und wiederum den Tatgehalt des Lebens nur nach dem Verhältnis der dir gewordenen und werdenden Mittel. Nicht wie viel oder wenig du hast, macht dich groß und klein; sondern wie viel oder wenig du mit dem Gehabten bist, wie viel oder wenig du das Verliehene zur Gott nachstrebenden Tat umwandelst, das macht dich groß oder klein. Und hast du mit deinem wenigen drei Viertel deiner Pflichten erfüllt, und ein anderer mit seinem vielen nur ein Viertel der seinigen getan, wäre selbst dies eine Viertel überschwänglich mehr als deine geleisteten drei Viertel, du bist doch größer als er.
Ist ja dein ganzes Leben nur eine Aufgabe, alle Güter und Genüsse: Mittel zu dieser Aufgabe, - Gewährung der Mittel ganz allein Gottes, - die Lösung der Lebensaufgabe nach Umfang der Mittel ist deine einzige Größe; und zu dieser Aufgabe gehört freilich auch, wo Kraft und religiöse Möglichkeit vorhanden, Genüsse und Güter zu erstreben, nicht aber als Zweck, sondern als Mittel zur Erfüllung der von Gott ausgesprochenen Pflichten. - Nur so wird Genügsamkeit und Zufriedenheit, und somit Glück und Tugend, dein Los; - du bleibst heiter und gut in jeder Lebenslage, bei und mit jedem Maß von Gütern und Genüssen heiter und gut.

>> 14 Ahawath haSchem = G'ttesliebe

Rabbi Moses Ben Nachman:
Brief des RaMBaN an seinen Sohn

Der "Brief über Bescheidenheit"...

hagalil.com 15-09-2004



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