Der Menschenfreiheit zuliebe hat Gott die Schöpfung unfertig, ja fehlerhaft,
gelassen. Nicht gegen Gott kehrt sich die deutsche Katastrophe als Vorwurf,
sondern gegen die Menschenfreiheit.
Individuelle Menschenvervollkommnung
durch Aufklärung:
Übernationale Humanität
Von Isaac Breuer
Zur Erinnerung an das deutsche
Judentum
(Teil 3)
Das diesseitige jüdische Volk lebt nur solange und lebt nur insoweit, als
es die Erscheinungsform ist jener meta-geschichtlichen "Kneseth Jisrael",
die dem gesetzgebundenen "Regiment" Gottes in der Schöpfung entspricht.
Die Völker der Geschichte leben nur solange und leben nur insoweit, als ihr
Dasein unbewusst dem metageschichtlichen Ziel der Schöpfung irgendwie dienlich
ist.
Gottes Berufung salbte das jüdische Volk zur nationalen Vertretung des
metageschichtlichen Prinzips auf Erden. Es ahnen die Völker dieses Prinzip und
ihre eigene Gebundenheit an dieses Prinzip. Es sind ja die heiligen Bücher des
jüdischen Volks, obenan das davidische Buch der Psalmen, längst in ihren
Händen. Und so ist ein Gespräch des jüdischen Volks mit allen Kulturvölkern
möglich.
Gegen Gott und Gottes Gesalbten kehrt sich das Volk, das bewusst den Kampf
gegen das metageschichtliche Prinzip aufnimmt, indem es von "Juden-knechtschaft"
sich befreien will: "Wir wollen zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre
Seile".
So wird Gott selbst das heutige Rassendeutschland (Anm.: NS-Deutschland
1933-1945) mit eisernem Stab zerbrechen, wie Töpfergerät zertrümmern. Die
Weissagung des deutschen Dämon, dass das jüdische Volk sein Ruin sei, wird in
Erfüllung gehen. - - -
Aber das deutsch-jüdische Gespräch wird die Zeiten überdauern.
Denn dieses Gespräch von fast zweihundert Jahren, das dem ersten messianischen
Krieg voranging, ist bereits selber ein messianisches
Gespräch zwischen Metageschichte und Geschichte, mit unendlicher
Gewissenhaftigkeit, mit grandioser Klarheit geführt, und es darf sein grauenhaft
brutaler Abbruch nicht dazu verleiten, seine typische Bedeutung auch nur
im Geringsten herabzusetzen. Schwerlich wird solch ein Gespräch irgendwo
nochmals geführt werden können.
Wie eine Vorbereitung für die Epochen der messianischen Kriege mutet es an. Nur
wer es kennt, ist gerüstet.
Die übernationale Humanität war sein erstes Thema, und die
individuelle Menschenvervollkommnung durch
Aufklärung.
Was aber ist Aufklärung ohne Wissenschaft? Auf deutschem Boden
entstand die "Wissenschaft des Judentums".
Und was ist Humanität ohne Kunst? "Judaismus und Hellenismus" setzten
sich auseinander.
Schon aber umdüstert der Frühkapitalismus den deutschen Himmel. Auch
den deutschen Juden wird der Brotberuf zum Schicksal. Ein freilich bereits von
Geburt dem jüdischen Stamm verlorener Sohn, in dem nur noch unbewusst der
jüdische Schrei nach Gerechtigkeit wirkt, gibt dem Weltproletariat die
wissenschaftliche Basis und macht auch die Judenfrage zu einer Frage der
Wirtschaft.
All diese Komponenten des Gesprächs wirken zusammen und machen Deutschland
zur Geburtsstätte des sogenannten Reformjudentums, des jüdischen
Liberalismus.
Sie machen Deutschland auch zur Geburtsstätte berüchtigten
modernen Antisemitismus.
Denn schon hat das Gespräch eine andere Wendung genommen. Bismarck
führt das deutsche Volk in die Geschichtswirklichkeit zurück. Bismarck
inauguriert den ideenfremden deutschen Nationalismus. Er setzt der
sozialen Emanzipation der Juden eine genaue Grenze. Und dieser deutsche
Nationalismus ist es, der schließlich, gemeinsam mit dem modernen
Antisemitismus, den Herzlischen Zionismus als Reaktion hervorruft.