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Koscher leben...
 
 

Sfarad und Aschkenas:
Galluth und Dialog

Von Isaac Breuer
Zur Erinnerung an das deutsche Judentum

Sefardim und Aschkenasim: nach den beiden Ländern, in denen das Judentum nach Jahrhunderte langer Galluthgeschichte*) schließlich von vernichtender Katastrophe ereilt wurde, hießen in der Volkssprache die beiden Hälften der jüdischen Galluth-Nation.

Längst gibt es keine spanische Judengeschichte mehr; aber der spanische Name dauert fort. So wird der deutsche Name die deutsche Judengeschichte überleben und die Erinnerung an zwei Jahrtausende festhalten.

Denn nach dem Verlust des mütterlichen Bodens der heiligen Heimat war Deutschland der einen Hälfte des jüdischen Volks zu stiefmütterlichem Boden geworden. Stiefmutter in Gutem wie im Unguten. Nie wirklich liebevoll, oft hart und böse und streng bis zur Grausamkeit, aber dann auch wieder bemüht, einigermaßen gerecht zu sein und Lebensmöglichkeit zu belassen, und niemals, in zwei Jahrtausenden niemals, das letzte Band radikal zerschneidend. Auch des römischen Kaisers deutscher Nation demütige Kammerknechte waren doch noch von stiefmütterlichem Recht umhegt. Und es ging ja auch der Stiefmutter selber vielfach nicht sonderlich gut. Sie hatte ein schweres Leben auch mit ihren eigenen Kindern, schwerer als die meisten anderen Mütter, und wohl ließ sie oft wirkliche Sorge und echten Gram unbeherrscht an den Stiefkindern aus.

Sie führten ein Galluthdasein, die Stiefkinder. Und dennoch gewannen sie, im Lauf der vielen Jahre, eine stiefkindlich innere Beziehung zu deutscher Sonne, zu deutscher Landschaft, zu deutscher Sprache vor allem. Sie übernahmen die deutsche Sprache, als sie selber noch unfertig, noch entwicklungsbedürftig war, und sie entwickelten sie selbständig, nach den Gesetzen des jüdischen Denkens, das der Talmud regulierte, und nach den Gesetzen des jüdischen Fühlens, das die Gottesfurcht beherrschte. So entstand die jiddische Sprache, echte Stiefkindersprache des "Lernens", dessen Erstes die Gottesfurcht ist. Und wie die Basis der jüdischen Galluthweltsprache die deutsche Sprache ist, so reifte diese wiederum an der Übersetzung der hebräischen Bibel ihrer späteren Vollendung entgegen.

Wo immer die deutsche Sprache in ihrer jiddischen Entwicklungsform gesprochen wird, ist der Zusammenhang mit dem deutschen Stiefmutterboden dargetan. Der ganze Kern des europäischen Judentums und auch das Judentum der neuen Welt, der weitaus größere Teil also des jüdischen Volks überhaupt, ist deutschen Galluth-Ursprungs. Durch das jüdische Volk ist die deutsche Sprache zu einer Weltsprache geworden.

Von Deutschland kamen die Juden, die Sprache zeigt's, nach Polen, nach Litauen, nach Rußland, und wohl auch nach Ungarn. Auch die Ostjuden sind größtenteils deutsche Juden, und ihre Differenzierung ist nicht das Werk der jüdischen, sondern der europäischen Geschichte. Noch im 18. Jahrhundert konnte ein Pne Jehoschua geistiger Führer in Krakau wie in Berlin, in Lemberg wie in Frankfurt sein. Dann trennte die Aufklärung, der Frühkapitalismus und die an die Große Revolution anknüpfende soziale Emanzipation Ost und West.

Wer möchte die Behauptung wagen, daß die seltsame Sprachgemeinschaft zwischen dem deutschen Volk und dem aschkenasischen Teil des Galluthvolks nur Zufall war? Setzt nicht Sprachgemeinschaft, Jahrhunderte lang in ausdauernder Treue bewahrt, irgendwie auch seelische Beziehung, ja seelische Bindung voraus? Läßt es sich leugnen, daß vermöge dieser Sprachgemeinschaft zwischen dem Volk der Metageschichte und dem deutschen Volk ein Verhältnis ganz besonderer Art bestand, das überhaupt erst die Voraussetzung schuf für die Intimität wie des Hasses so auch der Neigung? Ist nicht sie schließlich die Brücke geworden, mittels derer Söhne des Galluthvolks ohne erhebliche Mühe deutschen Kulturboden betreten und an ihn sich verlieren konnten? Jener unglückselige Salomon Maimon, gestern noch in der polnischen Judengasse hausend, setzt morgen schon Deutschlands Kant durch die Folgerichtigkeit seines kritischen Denkens in Erstaunen! An Schillers poetischen Versen, die ihr Jiddisch ihnen zu entziffern gestattet, berauschen sich Jünger der Jeschiwah, und wachen oft genug aus ihrem Taumel überhaupt nicht mehr auf. Und klingt nicht Heine, wenn er ganz er selber ist, wie eine Übertragung aus dem Jiddischen ins Hochdeutsche? Beruht nicht letzten Endes die ganze Haskalah, Einbruch deutscher Aufklärung in das jiddische Ghetto, auf dieser Sprachgemeinschaft?

Mit keinem anderen Volk der Geschichte hat sich der aschkenasische Teil des Galluthvolks so ernsthaft und so nachhaltig auseinandergesetzt, wie mit dem deutschen Volk. Nur aus der deutschjüdischen Sphäre konnte Moses Mendelssohn hervorgehen, und Karl Marx, und Theodor Herzl, und --- Rabbiner Samson Raphael Hirsch. Diese Namen nennen heißt aber die ganze jüdische Entwicklungsgeschichte der letzten zweihundert Jahre kennzeichnen.

In diesen zweihundert Jahren vollzog sich, rückblickend mag man es leichter gewahr werden, die allmähliche Aktualisierung der Metageschichte, ihre allmähliche Konfrontierung mit der Geschichte der Völker, in einer Konsequenz von beispielloser Unerbittlichkeit. Ihre einzelnen Stadien lassen sich nirgends genauer ablesen, als an dem jüdisch-deutschen Gespräch, das Mendelssohn mit Lessing begann, und das schließlich der deutsche Dämon mit Mord und Brand beendete.

Als Geschichte und Metageschichte Aug' in Auge einander gegenüberstanden, rieß das deutsch-jüdische Band entzwei.
Für immer.

Anm.: *) Galluth = Exil, Israels Zerstreuung unter die Völker der Welt
aus Isaac Breuer - Weltwende / Zur Erinnerung an das deutsche Judentum, pp.136

Isaac Breuer, ein Enkel S.R. Hirschs, war Verfasser vieler Schriften, die sich mit jüdischphilosophischen sowie jüdisch-politischen Themen befassten. Er entwickelte die religionsphilosophischen und gemeindepolitischen Gedanken seines Großvaters in durchaus origineller Weise... Vorwort des Herausgebers, Jerusalem 1979...

hagalil.com 05-08-2005



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