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Das jüdische Volk und sein Gesetz:
Von der Form im allgemeinen und dem jüdischen Gesetz im besonderen

Gesetz und Umwelt:
Tikun Olam - die Heiligung der Welt

Von Erich Fromm

Für das Judentum steht die "diesseitige Welt", die Welt der Körperlichkeit und Stofflichkeit, nicht im Kampf mit der "jenseitigen Welt", der Welt der metaphysischen Realität, sondern "diese" Welt steht im Dienste "jener" Welt, sie wird von ihr geformt und erfüllt.

Das Verhältnis des Menschen zu beiden Welten wird am besten mit dem Begriff der "tätigen Weltheiligung" ausgedrückt. Das Gesetz soll hierfür den Weg bahnen; denn die Beherrschung dieser Welt und die Ermöglichung religiösen Schaffens sind die Bedingungen der Erkenntnis Gottes.

Bei den Gesetzen, deren Sinn die religiöse Beherrschung und Heiligung dieser Welt ist, sind zwei Gruppen zu unterscheiden:

Solche, die diese Beherrschung symbolisieren und dadurch mittelbar wirksam sind, sei es am einzelnen, sei es an der Nation, und solche, die diese Beherrschung unmittelbar schaffen sollen.

Jene Gesetze, die in erster Linie die In-Dienst-Stellung des einzelnen symbolisieren, haben gleichzeitig die Eigenart, Abzeichen des Bundes zwischen Gott und dem Volk zu sein. Zu ihnen gehört das Beschneidungsgebot, das wohl am stärksten die Heiligung des Menschen durch den Bund Gottes mit dem Volk Israel ausdrückt. Ferner gehört zu ihnen das Gebot, an den vier Ecken der Gewänder Schaufäden zu tragen: Denn "ihr sollt sie sehen und aller Gebote Gottes gedenken und sie befolgen; und ihr sollt eurem Herzen und eurem Auge nicht folgen, denen ihr nachbuhlt, damit ihr denkt und befolgt alle meine Gebote und heilig seid eurem Gotte." (Num 15,39f.) Endlich gehört hierher das Gebot der Tefillin [Gebetsriemen], jener Symbole, die in einem kleinen Würfel einzelne Abschnitte der Tora, auf Pergament geschrieben, enthalten; sie werden morgens beim Gebet um Kopf und Arm gebunden und sind ein Ausdruck von deren Heiligung. Auch beim Gebot der Mesusah [Türpfosten] werden Behälter mit kleinen Pergamentrollen, die Textstellen aus der Tora enthalten, an alle Türen des Hauses angebracht.

Jene Gesetze, die Ausdruck der göttlichen Bestimmung des Volkes sind, tragen historischen Charakter, weil mit ihnen an die großen historischen Ereignisse erinnert wird: die Feste zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten, an die Gesetzgebung am Sinai und an manche andere bedeutsamen Ereignisse der Geschichte.

Gesetze, die erst in zweiter Linie einen symbolischen Charakter haben, in erster Linie jedoch selbst unmittelbar den Menschen zur Beherrschung dieser Welt erziehen wollen, sind vor allem das Speisegesetz, das Ehegesetz und das soziale Gesetz. Das Speisegesetz, das den Genuss von Tieren einschränkt und den Blutgenuss verbietet, will zur Beherrschung des Essens erziehen. Es will den Menschen zum Herrscher über die sich ihm zum Genuss darbietende Tierwelt machen, indem sie ihn zum Diener eines Gesetzes macht. Dieselbe prinzipielle Bedeutung, den Menschen zur Beherrschung zu erziehen, hat für den Bereich der Sexualität das Ehegesetz mit seiner schroffen Regelung der Beziehung zwischen Mann und Frau. Endlich gehört hierher auch das soziale Gesetz, das die Abgabe des Zehnten fordert, das Stehenlassen der Ecken des Feldes befiehlt und die Nachlese verbietet. Anders als bei den vorgenannten Gesetzen wird hier nicht die Person, sondern das Vermögen in den Dienst des sittlich-religiösen Ziels gestellt.

Dass der Mensch als Bürger dieser Welt in den Dienst Gottes - oder, wie die bevorzugte Wendung lautet: unter "das Joch des Göttlichen Reiches" - gestellt ist, wird am eindrucksvollsten mit dem biblischen Satz ausgedrückt: "Du sollst lieben den Ewigen, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Vermögen." (Dtn 6,5)

Schabath

Eine zweite Forderung des jüdischen Gesetzes will dem Menschen so viel wie möglich an Ruhe, an Freisein vom Getriebe und an Freisein von der Sorge für die Welt geben, so daß er selbständig, religiös schaffen kann.

Mit ihr soll dem Menschen die Möglichkeit gegeben werden, sich aus dem Getriebe der Welt herauszulösen, um selbst in das Reich des Religiösen vorzudringen. Der stärkste und gewaltigste Ausdruck dieser Tendenz zur Ruhe, zur Beherrschung der Zeit, zur Unterbrechung der Hastigkeit und des diesseitigen Betriebs ist der Sabbat.

Mit Recht hat das jüdische Volk das Sabbatgebot (neben dem Gebot zur Beschneidung gehört es zur ersten Art der Gesetze) als sein größtes und heiligstes Gut angesehen, als den Grundpfeiler seiner Existenz. Dadurch, dass der Sabbat die Krönung der Weltschöpfung durch Gott selbst ist, wird er schon in der Bibel mit der höchsten Heiligkeit bekleidet.

Die Sabbatheiligung ist (wie auch die Beschneidung) schon vor der Gesetzgebung am Sinai ein Gebot. Als bei der Wüstenwanderung das Manna fällt, wird den Israeliten befohlen: "Sechs Tage sollt ihr sammeln, aber der siebte ist der Sabbat, da wird es nicht sein." (Ex 16,26) Also feierte das Volk den siebten Tag. Seine endgültige Fixierung findet das Sabbatgebot in der Bibel in den Zehn Geboten: "Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten, aber am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn deines Gottes, da sollst du kein Werk tun, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist... Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was drinnen ist, und ruhte am siebten Tage; darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn." (Dtn 5,13-15)

Verwandtes Thema: juedisches-recht.org

Erich Fromm:
Das jüdische Gesetz
Zur Soziologie des Diaspora-Judentums
[BESTELLEN?]

Seit frühester Zeit hat sich das Judentum in unterschiedlichen Gesellschaften behauptet. Erich Fromm untersucht  die Faktoren, aus denen das "Jüdische Gesetz" des Zusammenlebens entstand.
Erich Fromm
, Psychoanalytiker und Sozialphilosoph, wurde am 23. März 1900 in Frankfurt am Main geboren. Nach seiner Promotion in Soziologie 1922 in Heidelberg kam er mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds in Berührung und wurde Psychoanalytiker. 1933 emigrierte er in die USA, wo er an verschiedenen Instituten lehrte, und anschließend, von 1950 bis 1974, an der Universität von Mexiko City unterrichtete. Er starb 1980 in Locarno in der Schweiz.

haGalil onLine 07-06-2007


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