Stellungnahme der Initiative Jüdischer
Tierschutz:
Schächten und Betäubung
Die
Initiative Jüdischer Tierschutz bemüht sich um eine differenzierte Bewertung
und keine Schwarz-Weiß Malerei.
Vielleicht liegt es daran, so Hanna Rheinz, die Gründerin der
Initiative, dass ihre Forderungen bisher von keiner etablierten
Organisation, ob jüdisch oder nicht-jüdisch, unterstützt wurden, obwohl
gerade dieses Thema immer wieder Aufhänger antisemitischer Stereotypen,
Kampagnen und Gesetzgebungen gewesen ist. Dr. Rheinz konstatiert außerdem
eine gewisse Blindheit oder Wegschaumentalität, wenn sich Antisemitismus nur
gegen einzelne oder private Aktivitäten wendet. Oft werden, so Rheinz, die
"guten" und die "bösen" Juden gegeneinander ausgespielt.
Anlässlich der Bundesratsinitiative zur Änderung des Tierschutzgesetzes
lieferte Dr. Rheinz eine
an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerichtete
Stellungnahme zum Thema des "betäubungslosen
Schächtens", die wir hier, neben weiteren Texten und
Hintergrundinformationen, gerne bekanntmachen und zur Diskussion stellen.
Zum Entwurf des Bundesrates zur
Änderung des Tierschutzgesetzes bzgl. Alternativen zum betäubungslosen
Schächten
Dr. Hanna Rheinz,
Dipl.-Psych., M.A.,
www.tierimjudentum.de
Aus jüdischer Sicht ist - vorbehaltlich eines
ausführlicheren Gutachtens - zum o.g. Entwurf des Bundesrates in kurzer Form
festzustellen:
Das Jüdische Schächten, die Schechita, ist eine auf biblische Quellen
zurückgehende Methode des Tötens von Tieren, die nach der Halacha, dem
Jüdischen Religionsgesetz, als zum Verzehr erlaubt bezeichnet werden.
In der schriftlichen Tora, den Fünf Büchern Mose und der mündlichen Tora
sind Gebote des schonenden Umgangs und schonenden Tötens von Tieren
enthalten. Diese sind Grundlage des jüdischen Tierschutz- und Tierrechtes,
wie es im Verbot, Tieren Leiden zuzufügen (Tza'ar baalei chajim), zum
Ausdruck kommt.
Hinsichtlich der Ausführung dieses Gebotes sowie der Festlegung eines
handwerklichen Regelwerks des Schächtens gilt die Aussage: “Du sollst von
deinem Großvieh und Kleinvieh schlachten, so wie ich Dir befohlen habe”.
(Deuteronomium 12:21) (1).
Dies kann als Hinweis auf eine Metaebene gelten, nach der sich die
Schlachtmethode am übergeordneten Gebot auszurichten hat, und somit
unterschieden wird zwischen dem Gebot und seiner technischen Ausführung.
Letztere wurde im Laufe der Geschichte mehrfach verändert mit dem Ziel das
Gebot des schonenden Umgangs mit dem Tier besser erfüllen zu können
(2).
Ziel des Jüdischen Tierschutz- und Tierrechtsgebotes ist es gerade nicht,
dem Menschen das Töten von Tieren zu erleichtern, sondern im Gegenteil,
durch eine Vielzahl von Reglementierungen das Töten, Schlachten, Jagen und
Verzehren von nichtmenschlichen Tieren einzudämmen, und dem Tier
zugleich das Sterben zu erleichtern, wenn es denn vom Menschen als
fleischliche Nahrung bestimmt wird.
In diesem Sinn ist der Begriff “betäubungsloses Schächten” irreführend, denn
es handelt sich aus jüdischer Sicht vielmehr um den zwingend
vorgeschriebenen Einsatz der schonendsten Methode des Schächtens mit dem
Ziel Koscherfleisch nach den Bestimmungen der Halacha, des jüdischen
Religionsgesetzes zu gewinnen (3).
Das Judentum hat sich im Laufe der Geschichte darum bemüht, die in der Tora
enthaltenen Gebote zeitgemäß und unter Nutzung neuester technologischer
Möglichkeiten zu interpretieren, um sie verbessern zu können. Diese Suche
nach Vervollkommnung hat beispielsweise dazu geführt, daß medizinische
Diagnose- und Behandlungsverfahren kontinuierlich erweitert worden sind.
Dreh- und Angelpunkt des Schächtens ist die Frage wie ein Tier getötet
werden kann, damit sein Fleisch nicht “Aas” und somit aus jüdischer Sicht
unverzehrbar wird.
Als deutlichstes Zeichen der Unversehrtheit und Lebendigkeit eines Tieres
galt von alters her die Bewusstseinsklarheit. Eine Betäubung war in früheren
Zeiten nur zu erlangen durch die Zerstörung von Gewebestrukturen und war
somit aus jüdischer Sicht abzulehnen. Durch die Entwicklung neuer Verfahren
wie der Elektro-Kurzzeit-Betäubung, die vor oder nach dem Schächtschnitt
vorgenommen werden kann, ist es möglich eine reversible Bewusstseins-trübung
zu erzeugen, die das Tier kurzfristig ohnmächtig werden lässt, seine
Lebendigkeit jedoch nicht beeinträchtigt (4).
Die Tatsache, daß sich die deutschen Nationalsozialisten des Tierschutzes
bemächtigten, indem sie 1933 mit dem Reichstierschutzgesetz ein
Schächtverbot erließen, darf nicht dazu eingesetzt werden, eine auch
historisch entstandene Schächttechnik zu reifizieren und eine quasi
gottbefohlene Unveränderbarkeit der Schächttechnik zu behaupten
(5); dies würde dem zentralen Merkmal des Judentums
zuwiderlaufen, und zwar der Aufforderung, dass in jeder Zeitepoche und von
jeder Generation eine aktive und schöpferische Auseinandersetzung mit den
Geboten der Halacha, sowohl persönlich wie auch gesellschaftlich, zu leisten
ist.
Fazit:
Eine Elektro-Kurzzeit-Betäubung vor oder nach dem
Schächtschnitt - letztere wird bei Schächthandlungen einiger jüdischer
Gemeinschaften in Österreich und außerhalb von Europa bereits praktiziert -,
lindert das Leiden des Tieres unter den Bedingungen des industriell
organisierten Schlachtbetriebes und entspricht den Geboten der Halacha.
Die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit bleibt hier somit
gewahrt.
Die jüdische Forderung, die Heiligkeit allen Lebens und aller Lebewesen
anzuerkennen, kann als ein jedweder handwerklichen Durchführung
übergeordnetes Gebot gelten; zudem fordert sie eine Rückbesinnung auf die
Erkenntnisse der Jüdischen Tierschutz- und Tierrechtsgebote auch im Fall des
Schächtens. Angesichts des industriell organisierten massenhaften
Schlachtens von Tieren ist es zwingend notwendig die Bestimmungen der
Halacha bzgl. der Rechte der Tiere auf Leben in körperlicher und seelischer
Unversehrtheit sowie optimaler Schonung im Falle des Schlachtens zu
erfüllen; diese sind unverzichtbar Teil der Unantastbarkeit und Heiligkeit
des Lebens aller Lebewesen und somit die wichtigste spirituelle Botschaft
des Judentums gerade in der heutigen Zeit.
Anmerkungen:
- (1) “Wie ich Dir befohlen habe” verbietet
tierquälerische Methoden wie sie heute gewohnheitsmäßig im Umfeld der
Tierhaltung und Fleischproduktion üblich geworden sind. Dazu gehört das
Akkordschlachten, bei dem die Grundsätze der Schonung des Tieres
missachtet werden, da Tiere hier unter großen seelischen und physischen
Schmerzen vor den Augen ihrer Artgenossen getötet werden, was dem
Gebot des Einzelschächtens des von anderen Tieren isolierten Tieres
widerspricht.
- (2) So wurde um das Jahr 1220 erstmals eine
Berufsausbildung mit Prüfung für den Schochet festgeschrieben und der
Kreis der zum Schächten zugelassenen Personen definiert, wobei neben der
handwerklichen Ausführung auch moralisch-ethische und psychologische
Belastungen bei der Ausübung des Schächtens berücksichtigt wurden.
- (3) Auch der Schächtexperte
Rabbiner Israel Meir Levinger
betont:
“Um die Vorbereitungen zum Schächten im Sinne des Tierschutzes, der
Fleischqualität und der Halacha zu verbessern, müssen stets die neuesten
technologischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse herangezogen
werden.” Levinger bezieht dies nicht auf ein Betäubungsverfahren vor
oder nach dem Schächtschnitt.
- (4) Durch Manipulationen, die regelmäßig vor dem
Schlachten stattfinden (Verladen, Transport, Treiben, Fixieren etc.),
treten Verletzungen der Mikrostrukturen auf, die mittels moderner
elektronenmikroskopischer Untersuchungsverfahren objektiviert werden
können. Weil das jüdische Gebot nur unversehrte Tiere zur Schlachtung
zulässt und nur das Fleisch von unbeschädigten Tieren als koscher gilt,
könnten die Kriterien der Kaschruth dazu führen, dass unter heutigen
Bedingungen gewonnenes Fleisch nicht mehr den Erfordernissen der
Kaschruth entspricht.
Aus diesem Grund ist in konservativen und rekonstruktionistischen
Kreisen die “Öko-Kaschrut” als neuer Koscherstandard formuliert worden.
Dies entspricht dem spirituellen Auftrag des “Tikkun Olam”, der
ganzheitliche Aspekte und Nachhaltigkeit im Denken und Handeln fordert.
- (5) Dass einzelne deutsche Tierschützer und
Tierschützerinnen in Wort und Bild noch immer nationalsozialistisches
Gedankengut vertreten und mit ihren Pamphleten suggerieren, es könne ein
unblutiges, schmerzloses, ja “humanes” Töten von Tieren geben, macht die
Zurückweisung der jüdischen Gemeinschaft und der Holocaust-Überlebenden
im besonderen gegen die von diesen Gruppierungen verbreiteten
Forderungen der Abschaffung des betäubungslosen Schächtens verständlich
und behindert das Gespräch mit den in Deutschland lebenden Juden und
Jüdinnen und deren gewählten Repräsentanten.
vom 15.
Oktober 2007
Dr.
Hanna Rheinz, Initiative Jüdischer Tierschutz,
www.tierimjudentum.de
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Hanna Rheinz
Schräge Vögel
und koschere Katzen
Vom
Elend der Kreatur in unserer Zivilisation
Von Hanna Rheinz u.a...
Noch nie haben Tiere mehr gelitten als heute. Qualvolle Tiertransporte,
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Tierversuche ohne Wenn und Aber zeigen erbarmungslos: Der Mensch hat jeden
Rest von Respekt gegenüber nichtmenschlichem Leben verloren.
Warum wurde das alte Schöpfungswissen in unserer Zeit so nachhaltig
vergessen und verdrängt? Haben die drei monotheistischen Religionen
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verlangen heute nach neuen Maßstäben für unseren Umgang mit der Kreatur...
Tier und Judentum:
Antisemitismus und der Vorwurf
der Tierquälerei
Der christliche Antijudaismus, die traditionellen
Judenfeindschaft der Kirchen, entstand im Bemühen der frühen Christen sich
von den jüdischen Wurzeln des Christentums abzugrenzen. In der
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