Kriegsende und Befreiung
"Achtung, Achtung! Sie hören den Sender der Freiheitsaktion!"
Vor Eintreffen der Amerikaner versuchen Soldaten vergeblich, den Nazis
München zu entreißen
Im April 1945 vegetieren noch etwa 400 000 Menschen im
zerbombten München, und außer den tausendprozentigen Nazis, die weiterhin an den
Endsieg glauben, macht sich niemand mehr Illusionen über die Lage. Die
Alliierten werfen Flugblätter ab, die die Münchner zum Widerstand anstacheln
sollen: "Windet den Fanatikern das Heft aus der Hand! Mut gefasst und
gehandelt!"
Ein paar Offiziere der in München stationierten
Dolmetscherkompanie
VII sind längst zum Handeln entschlossen. Ihre Truppen
freilich sind zu schwach. Der Coup kann nur gelingen, wenn sie im Handstreich
strategisch wichtige Punkte erobern und die NS-Befehlshaber ausschalten.
Gleichzeitig müssen die Amerikaner, die in die Pläne eingeweiht sind, so weit
vorgerückt sein, dass sie zu Hilfe eilen können. Am 25. April beschließen die
Anführer des Putschs, in der Nacht zum 28. April loszuschlagen.
Kopf der Rebellion ist Hauptmann Rupprecht Gerngroß, seit 1942
Chef der Dolmetscher-Kompanie im Wehrkreis VII. Seine
engsten Vertrauten sind Leutnant Leo Heuwing und der Sonderführer im
Leutnantsrang Ottheinrich Leiling. Die Widerstandsgruppe nennt sich
"Freiheitsaktion Bayern", kurz FAB. Ihr gehören vorwiegend konservative,
bayerischpatriotisch gesinnte Männer an.
Anfang April war es dem Kreis um Gerngroß gelungen, den
Kommandeur des Freisinger Panzerersatzbataillons 7, Major Alois Braun, für die
Aktion zu gewinnen. Braun schickte zwei Offiziere zu den Amerikanern mit der
Zusage, er werde Freising kampflos übergeben. Das würde es der US-Armee
ermöglichen, ungehindert nach München zu marschieren. Die Botschaft des
Kommandeurs enthielt die Bitte, die Luftangriffe auf Freising einzustellen. Am
24. April um 22 Uhr warfen US-Flugzeuge Leuchtbomben ab. Es war das Zeichen,
dass die Amerikaner Brauns Angebot akzeptierten.
Die NS-Führung in München rüstet unterdessen zum letzten
Gefecht. Am 27. April befiehlt Gauleiter Giesler dem Major des
Pionierersatzbataillons
VII, Fritz Barth, alle Isarbrücken sprengen zu lassen.
Der aber denkt nicht daran und taucht unter. Schwierigkeiten sind hingegen von
Oberstleutnant Hofmann zu erwarten, Münchens neuem Kampfkommandanten. Er kündigt
an, notfalls auch Kinder ins Gefecht zu schicken.
Codewort Fasanenjagd
Am Abend des 27. April lässt Gerngroß seine Truppe in der
Saar-Kaserne antreten. Er entbindet die Soldaten vom Eid auf Hitler und
versichert: "Wer nicht mitmachen will, der kann wegtreten." Keiner geht. Der 28.
April, zwei Uhr morgens, gilt als die Stunde X. Die
Aktion erhält das Codewort "Fasanenjagd". Die gold-betressten NSDAP-Funktionäre
heißen im Volksmund "Goldfasane".
Gegen Mitternacht brechen Gerngroß und Leiling auf, um im Schornerhof bei
Starnberg Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp zu überreden, den Amerikanern
die Kapitulation der Truppen in Bayern anzubieten. Mit vorgehaltener MP
verschaffen sich die Offiziere Zutritt ins Herrenhaus, wo Epp mit ein paar
Männern beisammensitzt. Einer von ihnen ist Major Caracciola-Delbrück. Der
Major, der Kontakt zu den Männern des 20. Juli hatte, steht in Verbindung zur
FAB. Epp laviert hin und her, am Ende ist er bereit, mit den FAB-Leuten nach
Freising zu fahren, um mit Major Braun die Verhandlungen fortzusetzen.
Brauns 1. Kompanie pirscht sich um 1.15 Uhr an den Sender
Erding heran. Der Coup gelingt. Etwa zur selben Zeit überrumpelt ein Trupp der
Dolmetscher-Kompanie die Wachmannschaft des Senders Freimann. In der Stadt
besetzen 56 Mann der FAB die Gebäude des Völkischen Beobachters und der
Münchner Neuesten Nachrichten. Auch das Rathaus erobern die Aufständischen,
wobei sie Hitlers Duzfreund Christian Weber festnehmen.
Hauptmann
Rupprecht Gerngroß bei seiner Radioansprache. Zur
Vergrößerung auf Abb. klicken.
Kurz nach fünf Uhr steht Gerngroß vor dem Mikrofon des
Großsenders Erding: "Achtung, Achtung! Sie hören den Sender der Freiheitsaktion
Bayern (...) Beseitigt die Funktionäre der Nationalsozialistischen Partei. Die
FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten." Dann verliest er ein
Programm, das geprägt ist von christlich-sozialen und
bayerisch-partikularistischen Vorstellungen. Darin heißt es: "Die Regierung
beabsichtigt, den Militarismus zu beseitigen." Dem alten Haudegen Epp geht das
zu weit. Gegen das Ehrenwort, nichts zu verraten, lässt ihn Braun frei.
Spätestens jetzt erkennt Gerngroß, dass die Entmachtung des Gegners nicht
gelingen kann. Er beschließt, die FAB-Truppen am Sender Erding zusammenzuziehen.
Am Morgen des 28. April herrscht im Bunker des Gauleiters
größte Verwirrung. Noch ist unklar, welche Kreise der Aufstand zieht. Doch in
der Wehrmachts-kommandantur hat ein Mann das Heft in die Hand genommen, der zu
den übelsten Schergen des Nazi-Regimes zählt. Generalmajor Rudolf Hübner,
Vorsitzender des "fliegenden Standgerichts". Er holt sofort zum Gegenschlag aus.
Über den Sender Freimann poltert Giesler los, eine "Abteilung von Drückebergern,
die sich leider noch Soldaten nennen", habe versucht, ihn auszuschalten; aber
das "Gesindel" werde in wenigen Stunden zusammengeschlagen sein. Der
Volksaufstand gegen die Nazis, den die FAB erhofft hat, bleibt aus. Als sich das
Gerücht verbreitet, starke SS-Verbände seien im Anmarsch, entbindet Heuwing die
Soldaten von der Pflicht. In kleinen Trupps versuchen sie, in den Wäldern zu
verschwinden. Die Gefangenen lassen sie frei. Gerngroß entgeht den Häschern,
indem er sich in einer Berghütte versteckt.
Caracciola und Epp aber werden von der SS aufgespürt. Jetzt wütet Hübners
Standgericht. Der Rathausbedienstete Scharrer, der den Aufständischen den Weg zu
Christian Weber gezeigt hat, wird erschossen. Insgesamt fallen in Bayern mehr
als 40 Menschen der Rache der Nazis zum Opfer. Epp kommt mit Glück davon.
Am Abend des z8. April steht Caracciola vor einem Exekutionskommando aus drei
Volkssturmmännern. Sie geben eine Salve ab, Caracciola bricht zusammen. Den am
Boden liegenden Major schießt Hauptmann Salisco aus kurzer Entfernung mit der
Pistole ins Genick. Keine 48 Stunden später erreicht der erste US-Soldat
unbehelligt den Marienplatz.
Erst jetzt ist der Krieg vorüber - amerikanische Panzer rollen
Ende April 1945 in die verwüstete Stadt ein.
Wolfgang Görl
Aus
dem Buch "München -
Die Geschichte der Stadt", erschienen bei der Süddeutschen Zeitung
zum 850-jährigen Stadtjubiläum.
Kap. 9. Unterm Hakenkreuz.
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Kommentar zum Gedenken des
20.Juli:
Besungene und unbesungene Helden
Es ist wieder soweit. Das kollektive Schulterklopfen der Deutschen zum 20.
Juli - dem Gedenktag des verpatzten Hitlerattentats der Stauffenbergtruppe -
hat eingesetzt...
Fritz Gerlich:
Ein
tapferer Feuerkopf
Zu Hitlers ersten Opfern gehört 1933 der
Journalist Fritz Gerlich, der ihm wie kaum ein anderer die Stirn geboten
hat. Im März 1933 stürmt ein Schlägertrupp das Büro der Zeitung und geht auf
den Chefredakteur los. Und ausgerechnet er, der den Nazis alles Finstere
zugetraut hat, kann es nicht fassen...
Der Mut der wenigen:
Nur acht
Minuten
Ganz für sich allein fasst Georg Eiser den Entschluss, Hitler in die Luft zu
sprengen. Georg Eiser, ein kleiner, unauffälliger Mann mit welligem, dunklem
Haar und hellen Augen. 35 Jahre alt, ein Einzelgänger, der sich wenig für
Politik interessiert...
Kennen Sie Willi Bleicher?
Nein,
nie gehört!
Das wundert mich nicht. Wie sollten Sie auch? Die großen historischen
Vorabendserien der letzten Jahre - treffenderweise "histortainment" genannt
- beschäftigten sich ja auch vornehmlich mit den Tätern des NS-Regimes...
"Unser Claus":
Instrument der "Erinnerungskultur"
Die Warte des Betrachters prägt die Worte und somit im
Nachhinein auch die Vorstellung vom geschichtlichen Vorgang. "Drittes
Reich", "NS-Zeit" oder "totalitäre Hitler-Diktatur"? Die historische
Begriffsbildung ist ein heiß umkämpftes Gebiet.