Wenzelsplatz / Václavské náměstí
(Gemeinde 623)
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Antisemitismus vor und nach der Invasion 1968:
Latent immer vorhanden
von Marta S. Halpert
Kaum ein
Historiker oder Journalist kommt bei
der Einschätzung des Antisemitismus
in der Tschechoslowakei im 20.
Jahrhundert ohne das Wort "latent"
aus. Als Synonym dafür bietet der
Thesaurus "verdeckt, versteckt,
verborgen, unterschwellig,
schlummernd" an.
Denkt man dabei heute an die
EU-Mitgliedsstaaten Tschechien und
Slowakei, so könnte man mit der
Achsel zucken: Schlummernde
Ressentiments sind keine
Einzelerscheinung. Doch hier
bedeutet ein "nur latent"
vorhandener Antisemitismus schon die
gute, die ruhige Phase, wahrlich
glückliche Momente.
Antijüdische Ausschreitungen -
einmal mehr und einmal weniger
heftig - waren in Böhmen, Mähren und
der Slowakei, je nach Herrscher und
Zugehörigkeit auf der Tagesordnung:
Insbesondere in den
katholisch-protestantischen Gegenden
kulminierten sie in den vergangenen
Jahrhunderten in Ritualmordlegenden
und in den üblichen Verleumdungen
der Hostienschändung.
Die erste antisemitische Welle im
20. Jahrhundert erlebte das Land
gleich nach seiner Gründung 1918,
als es in einigen Kleinstädten zu
pogromartigen Ausschreitungen kam.
Diese hatten ähnliche Gründe wie in
Deutschland, erläutert Blanka
Soukupova, die sich in einem
Sammelband des Jüdischen Museums in
Prag mit dem Phänomen des
Antisemitismus in der
Tschechoslowakei befasst.
1921 lebten laut Volkszählung
354.300 Juden in der
Tschechoslowakei, davon 127.000 in
den böhmischen Ländern. Insgesamt
gab es damals in Böhmen und Mähren
205 jüdische Gemeinden. Die Zahl der
Gemeinden nahm im Verlauf der
folgenden zehn Jahre ebenso ab wie
die Zahl der Juden. 1930 existierten
nur mehr 172 jüdische Gemeinden, die
Zahl der jüdischen Bevölkerung sank
auf 117.000. Ein Grund für diese
Abnahme war die zunehmende
Assimilierung der Juden, die in
Volkszählungen ihren Glauben nicht
mehr angaben.
Die jüdische Minderheit vor
1938
"Ich würde sagen,
dass die Juden in der
Zwischenkriegszeit einen unteilbaren
Bestandteil der Gesellschaft
bildeten", erklärt Marie
Zahradnikova, Mitherausgeberin des
Sammelbandes in Prag. "Ab den 30er
Jahren waren sie allerdings
stärkeren antisemitischen
Anfeindungen ausgesetzt. Daher war
der Grad der Assimilierung sehr
hoch: Viele Schriftsteller, zum
Beispiel, von denen wir heute als
jüdische sprechen, haben sich selbst
bereits als Tschechen betrachtet."
Doch neben den assimilierten Juden
existierte auch eine zionistische
Bewegung, deren Einfluss in den 20er
Jahren zunahm. Präsident Tomas
Masaryk und später auch Edvard Benes
begrüßten sie wohlwollend. So war
die Tschechoslowakei 1920 weltweit
das erste Land, in dem bei einer
Volkszählung die jüdische
Nationalität - und nicht nur die
Religion - angegeben werden konnte.
Rund 30 Prozent der Juden machten
von diesem Recht Gebrauch. Die
meisten gehörten in Böhmen vor allem
der mittleren und höheren
Gesellschaftsschicht an und bildeten
einen festen Bestandteil der
kulturellen und intellektuellen
Elite des Landes. In Mähren, der
Slowakei und der Karpatho-Ukraine
war das Judentum orthodoxer, die
Landgemeinden konservativer und
weniger assimiliert.
Die Zwischenkriegszeit wird gerne
verklärt dargestellt, weil man dann
die Musikernamen Leo Fall, Hugo
Kauder, Erich W. Korngold und Rudolf
Serkin anführen kann. Ebenso die
Literaten im Format eines Franz
Kafka, Max Brod, Felix Weltsch,
Edouard Goldstücker oder Egon Erwin
Kisch. Doch die vermeintlich
gelungene Emanzipation - und auch
die um einen hohen Preis erworbene
Assimilation - fand ein jähes Ende.
Und wahrlich, im Vergleich zu dem,
was folgte, scheinen jene 20 Jahre
zwischen 1918 und 1938 eine reine
Idylle gewesen zu sein.
- Ein
wunderbares Picknick:
Erinnerung an die Trampisten
Ein Motorrad, ein
Beifahrerwagen, eine Landpartie,
das war in der ersten
tschechoslowakischen Republik
der absolute Renner. Als
Begleitmusik waren sogenannte
"Trampisten-Bands" angesagt, die
noch vom "Picknick im Grünen"
sangen, als sich im Deutschen
Reich, gleich nebenan, der
Himmel längst verfinstert
hatte...
- Prag 1935:
Mit Holcicka fing es an
Das Hinausfahren
aufs Land, am besten mit einem
Motorrad mit Beifahrerwagen, war
in der ersten
tschechoslowakischen Republik
der absolute Renner. Als
Begleitmusik waren sogenannte
"Trampisten-Bands" angesagt, die
noch vom "Picknick im Grünen"
sangen, als sich im Deutschen
Reich der Himmel längst
verfinstert hatte...
Der tschechische
Antisemitismus richtete sich
zunächst gegen die deutschsprachigen
Juden. Anfang der 30er Jahre
forderten sowohl Tschechojuden als
auch Zionisten alle Juden im Lande
auf, tschechisch zu reden und sich
von der deutschen Tradition zu
distanzieren. Bis 1938/39 war der
Antisemitismus in der
Tschechoslowakei eine
Randerscheinung, die sich nur verbal
und in der Presse äußerte. Zu
tätlichen Angriffen auf Juden oder
dem Boykott jüdischer Geschäfte und
Ärzte kam es in den 30er Jahren
vorerst nur in den deutschen
Siedlungsgebieten. Dies änderte sich
nach dem Münchner Abkommen und der
Entstehung der zweiten
Tschechoslowakischen Republik im
Oktober 1938: Ab diesem Zeitpunkt
gehörte der Antisemitismus bereits
zum Regierungsprogramm.
Das brutale Ende
Der vernichtende
Schlag gegen die Juden kam am 15.
März 1939 mit dem Einmarsch der
Deutschen und der Okkupation der
Tschechoslowakei durch die
NS-Truppen.
Bald nach dem
Überfall wurden mehr als 200.000
Juden in den Gaskammern ermordet,
starben bei Erschießungsaktionen,
bei der Deportation oder durch die
unmenschlichen Bedingungen in den
Ghettos. "Die jüdische Bevölkerung
zählte 1935 noch etwa 380.000
Personen", berichtet Chaim Frank auf
hagalil.com, einer auf jüdische
Nachrichten konzentrierten Website.
Davon lebten im ungarischen Teil der
Slowakei 105.000, in der Slowakei
selbst 150.000 und rund 80.000 in
Böhmen und Mähren. Dazu kamen noch
40.000 Flüchtlinge aus Deutschland
und Österreich. Von den
tschechischen Juden haben lediglich
35.000 die
NS-Vernichtungsmaschinerie überlebt.
- Der Hölle
entkommen:
Adolf Burger erzählt das
Unbeschreibbare
Vor Kurzem kam in Radio Prag ein
sehr interessanter 90-jähriger
Herr zu Wort, den Till Janzer im
Rahmen der Serie "Begegnungen"
in einem kleinen Häuschen in
einem Prager Randbezirk besucht
hatte. Adolf Burger ist sein
Name...
-
KZ-Häftlinge als Geldfälscher:
Das richtige Leben des Fälschers
"Endlich erzählt man meiner
Geschichte." Der Oscar für einen
Film über jüdische
Falschgelddrucker im KZ ist für
Abraham Sonnenfeld eine späte
Genugtuung...
- Terezín:
Theresienstadt
Theresienstadt
(tschech. Terezín), ca. 60 km
nördlich von Prag, Tschechische
Republik (Tschechien): Ghetto
und Durchgangslager für
Deportationstransporte in die
Vernichtungslager im Osten (u.
a. Auschwitz, Treblinka), Ghetto
für insgesamt ca. 140.000 Juden,
vor allem aus dem »Protektorat
Böhmen und Mähren«, auch aus
Mittel- und Westeuropa...
Weiter:
[Der
kommunistische Coup]
[Der Prager
Frühling 1968]
Verlinkungen
haGalil.com
Abb. aus der "Gemeinde" (Nr. 623,
Siwan 5768) bzw. haGalil.com.
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