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Antisemitismus vor und nach der Invasion 1968:
Latent immer vorhanden


von Marta S. Halpert

Kaum ein Historiker oder Journalist kommt bei der Einschätzung des Antisemitismus in der Tschechoslowakei im 20. Jahrhundert ohne das Wort "latent" aus. Als Synonym dafür bietet der Thesaurus "verdeckt, versteckt, verborgen, unterschwellig, schlummernd" an.

Denkt man dabei heute an die EU-Mitgliedsstaaten Tschechien und Slowakei, so könnte man mit der Achsel zucken: Schlummernde Ressentiments sind keine Einzelerscheinung. Doch hier bedeutet ein "nur latent" vorhandener Antisemitismus schon die gute, die ruhige Phase, wahrlich glückliche Momente.

Antijüdische Ausschreitungen - einmal mehr und einmal weniger heftig - waren in Böhmen, Mähren und der Slowakei, je nach Herrscher und Zugehörigkeit auf der Tagesordnung: Insbesondere in den katholisch-protestantischen Gegenden kulminierten sie in den vergangenen Jahrhunderten in Ritualmordlegenden und in den üblichen Verleumdungen der Hostienschändung.

Die erste antisemitische Welle im 20. Jahrhundert erlebte das Land gleich nach seiner Gründung 1918, als es in einigen Kleinstädten zu pogromartigen Ausschreitungen kam. Diese hatten ähnliche Gründe wie in Deutschland, erläutert Blanka Soukupova, die sich in einem Sammelband des Jüdischen Museums in Prag mit dem Phänomen des Antisemitismus in der Tschechoslowakei befasst.

1921 lebten laut Volkszählung 354.300 Juden in der Tschechoslowakei, davon 127.000 in den böhmischen Ländern. Insgesamt gab es damals in Böhmen und Mähren 205 jüdische Gemeinden. Die Zahl der Gemeinden nahm im Verlauf der folgenden zehn Jahre ebenso ab wie die Zahl der Juden. 1930 existierten nur mehr 172 jüdische Gemeinden, die Zahl der jüdischen Bevölkerung sank auf 117.000. Ein Grund für diese Abnahme war die zunehmende Assimilierung der Juden, die in Volkszählungen ihren Glauben nicht mehr angaben.

Die jüdische Minderheit vor 1938

"Ich würde sagen, dass die Juden in der Zwischenkriegszeit einen unteilbaren Bestandteil der Gesellschaft bildeten", erklärt Marie Zahradnikova, Mitherausgeberin des Sammelbandes in Prag. "Ab den 30er Jahren waren sie allerdings stärkeren antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Daher war der Grad der Assimilierung sehr hoch: Viele Schriftsteller, zum Beispiel, von denen wir heute als jüdische sprechen, haben sich selbst bereits als Tschechen betrachtet."

Doch neben den assimilierten Juden existierte auch eine zionistische Bewegung, deren Einfluss in den 20er Jahren zunahm. Präsident Tomas Masaryk und später auch Edvard Benes begrüßten sie wohlwollend. So war die Tschechoslowakei 1920 weltweit das erste Land, in dem bei einer Volkszählung die jüdische Nationalität - und nicht nur die Religion - angegeben werden konnte. Rund 30 Prozent der Juden machten von diesem Recht Gebrauch. Die meisten gehörten in Böhmen vor allem der mittleren und höheren Gesellschaftsschicht an und bildeten einen festen Bestandteil der kulturellen und intellektuellen Elite des Landes. In Mähren, der Slowakei und der Karpatho-Ukraine war das Judentum orthodoxer, die Landgemeinden konservativer und weniger assimiliert.

Die Zwischenkriegszeit wird gerne verklärt dargestellt, weil man dann die Musikernamen Leo Fall, Hugo Kauder, Erich W. Korngold und Rudolf Serkin anführen kann. Ebenso die Literaten im Format eines Franz Kafka, Max Brod, Felix Weltsch, Edouard Goldstücker oder Egon Erwin Kisch. Doch die vermeintlich gelungene Emanzipation - und auch die um einen hohen Preis erworbene Assimilation - fand ein jähes Ende. Und wahrlich, im Vergleich zu dem, was folgte, scheinen jene 20 Jahre zwischen 1918 und 1938 eine reine Idylle gewesen zu sein.

  • Ein wunderbares Picknick:
    Erinnerung an die Trampisten

    Ein Motorrad, ein Beifahrerwagen, eine Landpartie, das war in der ersten tschechoslowakischen Republik der absolute Renner. Als Begleitmusik waren sogenannte "Trampisten-Bands" angesagt, die noch vom "Picknick im Grünen" sangen, als sich im Deutschen Reich, gleich nebenan, der Himmel längst verfinstert hatte...
  • Prag 1935:
    Mit Holcicka fing es an

    Das Hinausfahren aufs Land, am besten mit einem Motorrad mit Beifahrerwagen, war in der ersten tschechoslowakischen Republik der absolute Renner. Als Begleitmusik waren sogenannte "Trampisten-Bands" angesagt, die noch vom "Picknick im Grünen" sangen, als sich im Deutschen Reich der Himmel längst verfinstert hatte...

Der tschechische Antisemitismus richtete sich zunächst gegen die deutschsprachigen Juden. Anfang der 30er Jahre forderten sowohl Tschechojuden als auch Zionisten alle Juden im Lande auf, tschechisch zu reden und sich von der deutschen Tradition zu distanzieren. Bis 1938/39 war der Antisemitismus in der Tschechoslowakei eine Randerscheinung, die sich nur verbal und in der Presse äußerte. Zu tätlichen Angriffen auf Juden oder dem Boykott jüdischer Geschäfte und Ärzte kam es in den 30er Jahren vorerst nur in den deutschen Siedlungsgebieten. Dies änderte sich nach dem Münchner Abkommen und der Entstehung der zweiten Tschechoslowakischen Republik im Oktober 1938: Ab diesem Zeitpunkt gehörte der Antisemitismus bereits zum Regierungsprogramm.

Das brutale Ende

Der vernichtende Schlag gegen die Juden kam am 15. März 1939 mit dem Einmarsch der Deutschen und der Okkupation der Tschechoslowakei durch die NS-Truppen.

Bald nach dem Überfall wurden mehr als 200.000 Juden in den Gaskammern ermordet, starben bei Erschießungsaktionen, bei der Deportation oder durch die unmenschlichen Bedingungen in den Ghettos. "Die jüdische Bevölkerung zählte 1935 noch etwa 380.000 Personen", berichtet Chaim Frank auf hagalil.com, einer auf jüdische Nachrichten konzentrierten Website. Davon lebten im ungarischen Teil der Slowakei 105.000, in der Slowakei selbst 150.000 und rund 80.000 in Böhmen und Mähren. Dazu kamen noch 40.000 Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich. Von den tschechischen Juden haben lediglich 35.000 die NS-Vernichtungsmaschinerie überlebt.

  • Der Hölle entkommen:
    Adolf Burger erzählt das Unbeschreibbare
    Vor Kurzem kam in Radio Prag ein sehr interessanter 90-jähriger Herr zu Wort, den Till Janzer im Rahmen der Serie "Begegnungen" in einem kleinen Häuschen in einem Prager Randbezirk besucht hatte. Adolf Burger ist sein Name...
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    Das richtige Leben des Fälschers
    "Endlich erzählt man meiner Geschichte." Der Oscar für einen Film über jüdische Falschgelddrucker im KZ ist für Abraham Sonnenfeld eine späte Genugtuung...
  • Terezín:
    Theresienstadt

    Theresienstadt (tschech. Terezín), ca. 60 km nördlich von Prag, Tschechische Republik (Tschechien): Ghetto und Durchgangslager für Deportationstransporte in die Vernichtungslager im Osten (u. a. Auschwitz, Treblinka), Ghetto für insgesamt ca. 140.000 Juden, vor allem aus dem »Protektorat Böhmen und Mähren«, auch aus Mittel- und Westeuropa...

Weiter:
[Der kommunistische Coup]
[Der Prager Frühling 1968]

Verlinkungen haGalil.com
Abb. aus der "Gemeinde" (Nr. 623, Siwan 5768) bzw. haGalil.com.


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