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"Dem Volk dienen!"
Wie die RAF ihren Kampf gegen Faschismus, die USA und Israel erklärte

Von Susanne Bressan

"Historische Existenz und Identität der Deutschen"

Kann man nach dem Bezug der westdeutschen Linksterroristen zur nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Elterngeneration auch fragen, indem man nicht nur nach Brüchen, sondern auch nach Kontinuitäten und Identitäten mit eben dieser Generation sucht? Zumindest hinsichtlich des Antisemitismus, wenn auch in einer anderen Form, scheint diese Suche berechtigt. Die Journalistin Jillian Becker hat Kontinuitäten der ersten Generation der RAF zum Nationalsozialismus vor allem bezüglich der Menschenverachtung und der Gewalttätigkeit schon früh postuliert.[1] Ende der 1980er Jahre hat sich der Sozialphilosoph Norbert Elias und jüngst die Historikerin Dorothea Hauser auf die Suche nach Kontinuitäten begeben, wobei in ihren Erörterungen dem Antisemitismus keine entscheidende Bedeutung zukommt. Beide fokussieren in ihrer Analyse das Topos der Kriegsverlierer und weisen auf ähnliche Entwicklungen in Italien und Japan hin. Dorothea Hauser nimmt dabei auch die "völkische" Komponente in den Selbstexplikationen der RAF ins Visier.

Dorothea Hausers Feststellung, die RAF übertrage die Idee des Befreiungsnationalismus auf die BRD als zu befreiende Nation, lässt sich an vielen Passagen der "Erklärung zur Sache" nachvollziehen.[2] Die angeblich von den USA aufgestellte Behauptung einer zu antidemokratischen Einstellungen neigenden "Charakterstruktur des deutschen Volkes" setzen die Autoren der "Erklärung" mit dem Pejorativ des "geborenen Verbrechers" gleich, das die französischen Kolonialherren "dem Algerier" aufgedrückt hätten:

"Der ‚geistigen Infantilität des Eingeborenen’, mit der der Imperialismus seit je in der Dritten Welt operiert gegen die Völker, entspricht die 'politische (demokratische) Infantilität'. Mit der die US-imperialistische Besatzungsmacht in Westdeutschland gegen das Proletariat operierte."[3]

Den kolonialistisch beherrschten "Völkern" entspricht in den Augen der RAF-Autoren das von den USA kolonialisierte Proletariat in Westdeutschland. Verschwommen bleibt indes, wer im Sinne der RAF außer dem Proletariat zum "Volk" überhaupt gehört. Das wird im Verlauf des Textes nur noch widersprüchlicher, wenn die Begriffe "die Deutschen" und "das Proletariat" synonym verwendet werden. Denn im weiteren Text heißt es:

"Also ging es für die Besatzer darum, nach den Bestimmungen ihrer psychologischen Herrschaftstechniken‚ die Deutschen zur Demokratie zu erziehen’ – d.h. die Kultur, das Geschichtsverständnis, das Bewußtsein der historischen Existenz und Identität nicht nur zu verändern, sondern vor allem und zuerst zu brechen."[4]

Wenn die RAF-Autoren an dieser Stelle "die Deutschen" als natürlich gewachsene, homogene Kulturnation vorstellen, deren "historische Existenz und Identität" allein durch die USA bedroht werde, fragt sich, wo denn innerhalb dieser Nation ein Klassengegensatz zu verorten wäre. Stattdessen verlagern die Autoren die Gegensätze nach außen. Der Antagonismus zwischen Imperialismus und Dritter Welt sei gleichbedeutend mit dem Antagonismus von Imperialismus und Proletariat, der wiederum gleichbedeutend sei mit dem Antagonismus zwischen den USA und der deutschen Nation.[5]

Um zu verdeutlichen, wie dieser in der Dritten Welt und Deutschland analoge imperialistische Mechanismus angeblich wirke, zitieren die Autoren den damaligen PLO-Chef Yassir Arafat:

"Der Imperialismus mit seinen verschiedenen Namen ist in unsere Länder eingedrungen, um die Menschen zu erniedrigen, um ihn (sic!) seiner zivilisatorischen, nationalen und menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu berauben, um ihm die grundlegenden Menschenrechte zu entziehen, um dann seine Rolle in der Geschichte und der Kultur zu unterdrücken, um seine geistigen und materiellen Energien auszubeuten und um seine schöpferische Fähigkeiten zu lähmen."[6]

Angesichts der aktiven Kontakte mit der palästinensischen Guerilla, von denen sich die Anführer der RAF im bewaffneten Kampf hatten schulen lassen, verwundert es nicht, dass die Autoren der "Erklärung" Yassir Arafat, der zu dieser Zeit ganz offiziell die Zerschlagung Israels forderte, als Referenz heranziehen. Das RAF-eigene Verständnis von Kolonialisierung entblößt in dieser Gleichsetzung der Beziehung zwischen den USA und Deutschland mit der Beziehung zwischen Israel und Palästina gänzlich seine Absurdität, wenn man sich vor Augen führt, welche Rolle das nationalsozialistische Deutschland für die Entstehung des Staates Israel gespielt hatte. Stattdessen soll Deutschland, so die RAF-Logik, von den USA mit dem Ziel besetzt worden sein, den Deutschen die Menschenrechte zu entziehen. So perfide dürften nur wenige Texte zeigen, welche Gestalt sekundärer Antisemitismus annehmen kann. Doch wie gelang es den Autoren, die Tatsache zu verdrängen, dass es Deutsche waren, die millionenfach gemordet und Menschenrechte verletzt hatten, und dass in den Verfassungen der Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches Menschenrechtsstandards erst wieder verankert werden mussten?

Für die Motive der RAF-Terroristen bringt Dorothea Hauser als emotionalen Faktor die Scham ins Spiel. Tatsächlich haben an anderer Stelle zwei der RAF-Gründer, Horst Mahler und Ulrike Meinhof, als Motive ihres Handelns formuliert, sich nicht mehr für das "deutsche Volk" schämen zu müssen.[7] Deshalb spricht Hauser nicht von Schuldabwehr, sondern von Schamabwehr. Damit versucht sie insbesondere die verbreitete These zurückzuweisen, die RAF habe versucht, den unterlassenen Widerstand ihrer Elterngeneration im Nationalsozialismus stellvertretend nachzuholen. Es spricht jedoch einiges dafür, dass im Linksterrorismus sowohl Scham- als auch Schuldgefühle abgewehrt wurden. Belässt man es bei der Analyse der in der "Erklärung zur Sache" herausgearbeiteten Muster der Schuldabwehr und anderer von RAF-Gründern verfasster Texte, dann ist es schwierig zu entscheiden, ob es sich nun mehr um die Abwehr der Schuld der Elterngeneration oder um die Abwehr der Scham über die Schuld der Elterngeneration handelt. Nicht zu zweifeln ist allerdings daran, dass sich die Gründer der RAF als nationale Befreiungskämpfer sahen, für die eine kollektive Identität einer als kulturell homogen imaginierten Nation wichtiger Bezugspunkt war[8]. Insofern liegt es nahe zu vermuten, dass es ihnen tatsächlich auch darum ging, Schuld von "ihrem Volk" abzuweisen, mit dem sich eins fühlten oder sich danach sehnten, sich eins fühlen zu können.

In der "Erklärung zur Sache" finden sich Hinweise auf Motive einer solchen Schuldabwehr in Zusammengang mit der Zurückweisung einer, so die Autoren der RAF, von den USA behaupteten Kollektivschuld der Deutschen. Die "propagandistischen Anstrengungen der US-Regierung, die Deutschen insgesamt mit dem faschistischen Staat zu identifizieren", sei neben der "Bestimmung", dass im Zweiten Weltkrieg nicht Industrieanlagen, sondern die Wohnviertel Ziel der "amerikanischen Bomberkommandos" gewesen seien, eine Methode zur "Demoralisierung" der Deutschen und zur "präventiven Ausschaltung jedes Widerstandes in Deutschland gegen die Pläne des US-Imperialismus" gewesen.

Während die Autoren der "Erklärung" an anderer Stelle selbst eine "Kontinuität der faschistischen Volksgemeinschaft" behaupten[9], sind sie hier wie über weite Strecken der "Erklärung" bemüht, das "deutsche Volk" vom Vorwurf des Faschismus zu entlasten. Wer überhaupt Täter war, wird nicht thematisiert, die Problematik des "Mitläufertums" nicht erwähnt. Stattdessen werden nur einige wenige in der politischen Führungsriege und die üblichen "Monopolkapitalisten" für das Funktionieren der nationalsozialistischen Diktatur und ihre Verbrechen verantwortlich gemacht. Besonders originell ist diese Sichtweise freilich nicht, stellte sie doch die offizielle Perspektive der DDR auf die jüngste deutsche Vergangenheit dar.[10]

Schuldabwehr von links

Die eingangs zitierte Rede von Auschwitz als "wichtigstes Codewort der Generationsbewegung, aus der die RAF hervorging", impliziert zwei weit verbreitete Annahmen: Zum einen stellt sie für die Akteure der westdeutschen Studentenbewegung/APO der 1960er Jahre als entscheidendes Motiv heraus, sie hätten die Schuld der Elterngeneration anprangern und offen legen wollen. Zum anderen stellt sie eine Kontinuitätslinie zwischen Studentenbewegung und der RAF her.

Wie passen aber die von Autoren der RAF in der "Erklärung zur Sache" formulierten Argumentationsmuster, welche die Elterngeneration entlasten und Feindschaft gegen die USA und Israel propagieren, mit der Anklage der Elterngeneration für die nationalsozialistischen Verbrechen zusammen? War die Opposition gegen Politik und Gesellschaft, die ehemaliges  nationalsozialistisches Personal an gehobenen Positionen wieder einsetzte, eine nur vorgeschobene Opposition? War das Entsetzen über den Holocaust nicht authentisch? Oder driftete die RAF soweit vom Kurs der Studentenbewegung ab, dass ursprüngliche Motive ins Gegenteil verkehrt wurden?

An dieser Stelle kann der zeithistorische Diskurs, in dem diese Fragen anzusiedeln wären, nicht wiedergegeben, sondern nur diejenigen Punkte angerissen werden, welche für die Suche nach Anknüpfungspunkten für die Argumentationen der RAF hinsichtlich der Schuld der Elterngeneration und der praktizierten Täter-Opfer-Umkehr einerseits, und der Wahrnehmung der Rolle Israels und der USA andererseits relevant erscheinen.

Eine sich in jüngster Zeit durchsetzende zeithistorische Perspektive auf die Studentenbewegung spricht dieser den tatsächlichen Einfluss auf die Bearbeitung des nationalsozialistischen Erbes ab. Diese Bearbeitung hätten andere Kräfte bereits früher und wirkungsvoller geleistet, diese Leistungen wiederum seien von den Akteuren der Studentenbewegung nicht berücksichtigt worden.[11] An den empirischen Beispielen ist kaum zu zweifeln.[12] Wie sehr jedoch zugleich personelle und ideologische Kontinuitäten aus dem nationalsozialistischen Deutschland in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der BRD über die 1960er Jahre hinaus weiter wirkten und die Anschuldigungen aus der APO zu einem nicht unwesentlichen Teil noch immer auf reale Verhältnisse trafen, wird in dieser Perspektive häufig ausgeblendet. Zudem stellt die Nachwirkung einzelner Unternehmungen der Bearbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Elterngeneration innerhalb des SDS in der Vorgeschichte der Studentenrevolte, wie die von Reinhard Strecker organisierte Ausstellung "Ungesühnte Nazi-Justiz"[13] einerseits, und der private Umgang der Bewegungsakteure mit der Schuld der Elterngeneration andererseits, ein Forschungsdesiderat dar. Festzuhalten bleibt, dass öffentlichen Anschuldigen von Seiten der APO seit den Jahren 1967/68 über einen plakativen Charakter selten hinauskamen. Gut dokumentiert, jedoch in journalistischen wie wissenschaftlichen Retrospektiven auf die westdeutsche Studentenbewegung noch immer oft übergangen, ist zum andern die Variante eines sekundären Antisemitismus, der sich nach dem Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten im Juni 1967 recht schnell in linken Kreisen unter dem Schutzschild des Antizionismus ausformte.[14]

Dass linke Intellektuelle, wenn sie von "Auschwitz" oder vom "Nationalsozialismus" reden, zugleich den historischen Holocaust und seine Nachwirkungen ausblenden, scheint ein im Nachkriegsdeutschland schon früh sich herausbildendes Muster zu sein und sich weder auf die revisionistische noch auf die kommunistische Argumentationslinie beschränken zu lassen[15]. Auch schon vor dem Juni 1967 und Jahre vor dem Erstarken der Studentenbewegung sträubten sich Intellektuelle der jungen Bundesrepublik, den Holocaust als ein Geschehen zu begreifen, das sich konkret auf ihre Gegenwart auswirkte. Überlebenden oder Angehörigen der Opfer des Holocausts räumte zum Beispiel Hans Magnus Enzensberger in seinem Essay von 1964 zum Eichmann-Prozess in Jerusalem[16] keinen Platz ein. Die Auseinandersetzung mit dem vergangenen Faschismus behindere die Beschäftigung mit dem gegenwärtigen, so Enzensberger. Und wer sich mit "Auschwitz" beschäftigen wolle, solle sich heute nicht mit dem Mord an den Juden beschäftigen, sondern mit Hiroshima. Enzensberger macht hier nicht die Opfer des Holocaust zu Tätern, wie es für den sekundären Antisemitismus charakteristisch ist, sondern diejenigen, die gemeinsam mit den anderen Siegermächten der nationalsozialistischen Diktatur und dem Holocaust ein Ende bereiteten – die USA. Das Muster ist ähnlich: Auch Enzensberger lenkt von Schuld und Verantwortung des eigenen Staatsvolks ab.[17]

Mit der Zuspitzung des Vietnamkriegs seit Mitte der 1960er Jahre nahm in der linken Kritik Vietnam jenen Platz ein, den Enzensberger in seinem Aufsatz von 1964 noch Hiroshima und zugleich, wie zahlreiche andere Intellektuelle, die in der "Kampf-dem-Atomtod"-Bewegung der späten 1950er und frühen 1960er Jahre engagiert waren, der Bedrohung der gesamten Weltbevölkerung, vor allem aber Deutschlands, durch die nukleare Rüstung zuwies. In den "Voltaire-Flugschriften", einem wichtigen Sprachrohr für linke Intellektuelle in den 1960er Jahren, erschien im Oktober 1967 zum ersten Mal die deutsche Übersetzung von Günther Anders’ "Nürnberg und Vietnam", eine Gegenüberstellung von Anklagen gegen Kriegsgräuel in Vietnam und den in den Nürnberger Prozessen verhandelten nationalsozialistischen Verbrechen. Darin erscheinen die Amerikaner als die Nazis der Gegenwart, mit dem Unterschied, dass ihnen nicht, wie den Deutschen, der Prozess gemacht wurde. Das entspricht dem Diskursrahmen, in dem linksradikale Gruppen nach dem Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten im Jahr 1967 immer wieder Palästinenser mit den Opfern des Holocausts gleichsetzten.[18]

Freilich zeigt das Beispiel von Günther Anders auch, dass das Argumentationsmuster des Gleichsetzens von nationalsozialistischen Verbrechen mit Kriegsverbrechen in Vietnam nicht immer aus Motiven der Schuldabwehr von Seiten der Nachkommen der NS-Täter und Mitläufer gespeist sein muss, ebenso wenig wie Antiamerikanismus, sekundärerer Antisemitismus und Israelfeindschaft grundsätzlich dasselbe sind.[19] Stattdessen ist davon auszugehen, dass sich die verschiedenen Versatzstücke in unterschiedlichen Diskursen zusammenfügen und überschneiden.[20] Betrachtet man den in der westlichen Welt aus den Studentenbewegungen sich herauslösenden Linksterrorismus der 1970er Jahre hinsichtlich der Feindschaft gegen Israel in einer transnationalen Perspektive, haben Motive der Schuldabwehr des Genozids an den Juden Europas sowie des Opferneids sicherlich nicht universell und für alle Akteure das gleiche Gewicht. Fokussiert man die westdeutsche APO und deren terroristische Ausläufer, dann sind eben diese Motive jedoch unübersehbar: Als im Herbst 1969, noch bevor sich die RAF gründete, eines der ersten linksextrem motivierten Attentate der Bundesrepublik auf ein jüdisches Gemeindezentrum während einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht zielte[21], hatten weite Kreise der APO ideologisch längst eine "Täter-Opfer-Rochade"[22] vollzogen. In Schriften des SDS, auf Flugblättern und in der Zeitschrift "Agit 883" – einem Sprachrohr linker West-Berliner Studenten –, waren, breit gestreut, Bekundungen der Solidarität mit dem bewaffneten Kampf der Palästinenser gegen das "faschistische" Israel formuliert worden. Auf einer Veranstaltung in Frankfurt war der israelische Botschafter Asher Ben Nathan von Mitgliedern der Al Fatah, des "Israelischen Revolutionären Aktionskomitees" sowie des Frankfurter SDS durch Rufchöre, die den Diplomaten in eine Reihe mit "Nazi-Kiesinger" stellten, so massiv gestört worden, dass ein Austausch von Argumenten nicht möglich war.[23] Das Ziel des versuchten Anschlags auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin erntete zwar in der linken Szene durchaus – in erster Linie instrumentelle – Kritik[24], doch im Rahmen antiisraelischer Agitationen waren deutlich antisemitische Konnotationen weiterhin üblich.[25]

Bislang ist nicht bekannt, wie die späteren RAF-Gründer und Verfasser der "Erklärung zur Sache" den versuchten Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus im November 1969 und die anschließende Diskussion bewerteten. Von Ulrike Meinhof gibt eine für die Zeitschrift "Konkret" im Juli 1967 verfasste Kolumne zur bundesrepublikanischen Rezeption des Sechstagekrieges lediglich Auskunft darüber, dass die Journalistin zu diesem Punkt noch nicht als Israelfeindin auftrat. Vielmehr misstraute sie der plötzlich sich etablierenden Israelsympathie in bürgerlich-konservativen Kreisen, welche mit Begriffen wie "Blitzkrieg" und anderen nationalsozialistisch besetzten Metaphern den israelischen Sieg glorifizierten.[26] In der 1972 von Ulrike Meinhof in der Haft als RAF-Terroristin verfassten Schrift "Der Schwarze September" finden sich dann ähnliche Argumentationsmuster, wie sie in dem mit "Schalom + Napalm" überschriebenen Flugblatt[27] zum versuchten antisemitischen Anschlag der "Tupamaros Westberlin" aus dem Jahr 1969 und einem Kommentar von Dieter Kunzelmann vorgebracht wurden.[28] In dem RAF-Gemeinschaftswerk, der "Erklärung zu Sache" aus dem Jahr 1976, dozieren die Autoren der RAF zwar nicht wie Dieter Kunzelmann über einen angeblichen "Judenknax"[29] der deutschen Linken oder, wie die Autoren des Bekenner-Flugblatts, über den "schuldbewussten Deckmantel der Bewältigung der faschistischen Gräueltaten gegen Juden"[30]. Die Schlussfolgerung, dass die BRD an den "faschistischen Gräueltaten Israels gegen die palästinensischen Araber"[31] entscheidend mitwirke, dass die früheren Opfer des Faschismus also selbst zu Faschisten geworden seien, ist in der "Erklärung zur Sache" aber ebenso zu lesen.

Doch wäre es irreführend, diese Facetten eines sekundärantisemitischen Antizionismus allein den terroristischen Ausläufern der westdeutschen Studentenbewegung zuzuschreiben. Auch auf dem "Marsch durch die Institutionen" und in den neuen sozialen Bewegungen sind Manifestationen des Antisemitismus im antizionistischen Gewand ausreichend dokumentiert.[32] Das deutet daraufhin, dass sich anhand des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit jedenfalls keine Trennung zwischen der Mehrheit der Studentenbewegung und der sich später bewaffnenden Protagonisten vornehmen lässt. Auf welchen Wegen sich jedoch so erstaunlich viele ehemalige Protagonisten der Studentenbewegung sekundärantisemitische Argumentationsmuster angeeignet haben, dem ist bislang in einer biografischen Perspektive nicht konsequent nachgegangen worden.

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Anmerkungen:
[1] Jillian Becker, Hitler’s Children: The Story of the Baader-Meinhof Terrorist Gang, Philadelphia 1977.
[2] Wie die Autoren der RAF "Volk" begrifflich fassen, schreiben sie in der "Erklärung zur Sache" indes nicht.
[3] Auszüge aus der Erklärung zur Sache, a.a.O., S. 211.
[4] Auszüge aus der "Erklärung zur Sache", a.a.O., S. 211; Dorothea Hauser zitiert diese Stelle ebenfalls (Dorothea Hauser, Deutschland, Italien und Japan: Die ehemaligen Achsenmächte und der Terrorismus der 1970er Jahre, in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburg, S. 1272-1298; hier S. 1289).
[5] An anderer Stelle wird die Kontinuität mit "der faschistischen Volksgemeinschaft" beklagt ("Erklärung" zur Sache", a.a.O., S. 212).
[6] Auszüge aus der "Erklärung zur Sache", a.a.O., S. 211.
[7] Dorothea Hauser zitiert aus Ulrike Meinhofs Text "geschichte der brd, alte linke, fragment – zu den beweisanträgen" die Passage: "(...) dass aus dem zusammenhang von proletarischem internationalismus die geschichte eines volkes, wie es die des deutschen ist, und so unsere geschichte mal aufhört, eine geschichte zu sein, über die (...) man sich schämen müsste". (internationales komitee zur verteidigung politischer gefangener in westeuropa (Hg.), letzte texte von ulrike (o.O)., 1976, S. 37, zit. in: Dorothea Hauser, a.a.O., 2006, S. 1294. Martin Jander zitiert Horst Mahler aus einem Gespräch mit dem Bundesinnenminister Gerhart Baum: "Ich musste mich sehr früh, als ich politisch wach wurde, schämen, Deutscher zu sein. Das ist eigentlich eine fürchterliche Sache, wenn man sich nicht mit seinem Volk identifizieren kann." (Martin Jander, "Horst Mahler", in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburg, 372-397, hier S. 390).
[8] Zum Konzept des Nationalstaats vgl. auch den von Ulrike Meinhof verfassten Text "zum begriff des nationalstaats", in dem die Autorin Nation als ein in der Vergangenheit liegendes, urwüchsiges Gebilde vorstellt, das erst durch den Kapitalismus "nur noch zur Fiktion" wurde. (Ulrike Meinhof, "zum begriff des nationalstaats", in: internationales komitee zur verteidigung politischer gefangener in westeuropa (Hg.), letzte texte von ulrike, o.O., 1976, S.50).
[9] "Erklärung zur Sache",  a.a.O., S. 212.
[10] Thomas Haury, Antisemitismus von Links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002.
[11] Den Diskurs zur zeithistorischen Bewertung der Vergangenheitsbearbeitung in der Bundesrepublik fasst Wilfried Mausbach zusammen: Wilfried Mausbach, "Wende um 360 Grad? Nationalsozialismus und Judenvernichtung in der 'zweiten Gründungsphase' der Bundesrepublik", In: Christina von Hodenberg (Hg.), Wo "1968" liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006, S.15-47.
[12] Vgl. Claudia Fröhlich/ Kohlstruck, Michael (Hg.), Engagierte Demokraten. Vergangenheitspolitik in kritischer Absicht, Münster 1999.
[13] Michael Kohlstruck, "Reinhard Strecker – ,Darf man seinen Kindern wieder ein Leben in Deutschland zumuten?’", in: Claudia Fröhlich/ Kohlstruck, Michael (Hg.), Engagierte Demokraten. Vergangenheitspolitik in kritischer Absicht, Münster 1999, S. 185-200.
[14] Martin Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Frankfurt/Main 1990.
[15] Vgl. Martin Kloke, a.a.O. sowie zur kommunistischen Argumentationslinie: Tomas Haury, Antisemitismus von Links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002.
[16] Hans Magnus Enzensberger, Reflexionen vor einem Glaskasten, in: Ders.: Politik und Verbrechen: Neun Beiträge. Frankfurt/Main 1964, S.7-40. In einem kurzen, von der Zeitschrift "Merkur" initiierten Briefwechsel kritisierte Hannah Arendt dieses "Felix Culpa" Enzensbergers, der sich daraufhin zu rechtfertigen suchte. Auf eine ausführliche Antwort Arendts ging Enzensberger dann nicht mehr ein. (Briefwechsel mit Hannah Arendt, Merkur, 19. Jg. 1965 (4), S. 381-385) Vgl. Helmut König, Vortrag  auf der Tagung "Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980", 11.10.2007, Berlin, sowie Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001, S. 95f.
[17] Weitere Beispiele seit 1964 liefern Martin Klimke/ Wilfried Mausbach, Auf der äußeren Linie der Befreiungskriege: Die RAF und der Vietnamkonflikt", in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburg 2006, S.620-643, hier S. 623.
[18] Vgl. Martin Kloke, a.a.O.; Thomas Haury, Zur Logik des deutschen Antizionismus (Vorwort), in: Leon Poliakov (Hg.) Vom Antisemitismus zum Antizionismus., Freiburg 1992. Allerdings findet man bei Martin Kloke an anderer Stelle den Hinweis, dass die Kolumnistin der Wochenzeitung Die Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, bereits im Jahr 1948 "eine Gleichsetzung der israelischen Regierung mit dem NS-Regime" formulierte. (Marion Gräfin Dönhoff, Völkischer Ordensstaat Israel, Die Zeit, Nr. 39 v. 23.9.1948, S.1., zit. in Martin Kloke, Zwischen Scham und Wahn. Israel und die deutsche Linke 1945-2000,  http://www.stud.uni-hannover.de/~muab/kloke01.htm [20.03.20048].
[19] Günther Anders, 1902-1992, floh  bereits im März 1933 vor dem judenfeindlichen Umbau Deutschlands nach Paris, später nach New York.
[20] Vgl. Christina von Braun/ Eva-Maria Ziege (Hg), Das ‚bewegliche’ Vorurteil. Aspekte des internationalen Antisemitismus, Würzburg 2004. Für eine eingehendere Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen müsste zudem zwischen bewussten und unbewussten Argumentationsmustern einerseits, antisemitischen Einstellungen und antisemitischem Handeln anderseits unterschieden werden, um dann das jeweilige Aufeinandertreffen von Unbewusstem und Bewusstem, Einstellungen und Handeln zu untersuchen. Zu diesen Fragen vgl u.a. Andreas Zick, Vorurteile und Rassismus. Eine sozialpsychologische Analyse, Münster u.a. 1997.
[21] Die sich als Stadtguerilla verstehenden "Tupamaros Westberlin" um den Ex-Kommunarden Dieter Kunzelmann bekannten sich zu dem versuchten Bombenanschlag, der nur durch einen technischen Defekt verhindert worden war. Vgl. Annette Vowinckel, "Der kurze Weg nach Entebbe oder die Verlängerung der deutschen Geschichte in den Nahen Osten", in: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contemporary History 1(2004), Abschnitt 9; Nr. 4; Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005, S. 73ff.
[22] Wilfried Mausbach, "Wende um 360 Grad? Nationalsozialismus und Judenvernichtung in der 'zweiten Gründungsphase' der Bundesrepublik", a.a.O., S. 29.
[23] Martin Kloke, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des Imperialismus". Vor vierzig Jahren wurde die neue deutsche Linke antiisraelisch, http://www.eurozine.com/articles/2007-06-05-kloke-de.html (Lange Version; zugleich in eine kürzeren Version: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 698, S. 487-497.
[24] Annette Vowinckel, a.a.O., Abschnitt 9. Die Kritik der Redaktion von "Agit 883" bezieht sich allerdings nicht auf die Wahl des Anschlagsziels. Vielmehr kritisiert das Redaktionskollektiv die fehlerhafte Einschätzung der "Möglichkeiten des Klassenfeindes", den "Verbalradikalismus", und den Verzicht auf die "Analyse des spätkapitalistischen Systems"; außerdem seien die Aktionen der Tupamaros "ungeplant" und "selbstmörderisch". (Agit 883, Nr. 41 (20.11.1969), S. 7. In derselben Ausgabe erscheint ein Artikel mit dem Titel "Was ist Antisemitismus?" auf Grundlage eines im Republikanischen Club gehaltenen Referats des "Palästinakomittees" vom 16.11.1969. In diesem Artikel, als Kritik des Antisemitismus angelegt, wird jedoch mit antisemitischen Stereotypen wie dem des "Wucherers" argumentiert (ebd., S. 5). Eine Kritik des Anschlags auf das jüdische Gemeindehaus enthält auch dieser Artikel nicht.
[25] Martin Kloke, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf…" , a.a.O. (2007); Ders., Israel und die deutsche Linke...a.a.O. (1990), Knud Andresen 2006. Das "äußerst komplizierte Palästinaproblem". Antizionismus und Antisemitismus in der Agit 883, in: rotaprint (Hg.), Agit 883. Revolte - Underground in Westberlin 1969-1972, Berlin, 157-170, Andresen verzichtet für ein von ihm angeführtes, besonders eindrückliches Beispiel leider auf die Angabe einer Quelle, deshalb sei es hier nur unter Vorbehalt hinzugezogen: Auf einer Veranstaltung des Republikanischen Clubs in Berlin im August 1969 unterbrach ein Student den Referenten, einen israelischen Staatsrechtler, mit dem Zuruf: "Dich hat man vergessen zu vergasen." Der Zwischenrufer fügte eine Entschuldigung hinzu, und der Vorfall blieb von Seiten des Publikums wie der Veranstalter unkommentiert (Knud Andresen, a.a.O., S. 161).
[26] Ulrike Meinhof, "Drei Freunde Israels", Konkret Nr. 7, 1967; vgl. Annette Vowinckel, a.a.O., Abschnitt 5-7; Martin Kloke weist auf die Ambivalenz von Ulrike Meinhofs Blick auf Israel in ihrer Kolumne hin (Martin Kloke, "Das zionistische Staatsgebilde als Brückenkopf des Imperialismus", a.a.O., 2007.
[27] Schwarze Ratten TW (=Tupamaros Westberlin), "Schalom + Napalm", Agit 883 v. 13.11.1969, 1. Jg., Nr. 40. S. 9 (abgedruckt u.a. in: Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005. S. 47).
[28] Dieter Kunzelmann, "Brief aus Amman", in. Agit 883 v. 27.11.1969, 1. Jg., Nr. 42, S. 5 (abgedruckt u.a. in  Wolfgang Kraushaar, a.a.O., S. 67). Dieter Kunzelmann hat mit dem "Brief aus Amman" zugleich suggeriert, er sei zur Tatzeit nicht in Berlin gewesen.
[29] Dieter Kunzelmann, "Brief aus Amman", a.a.O.
[30] "Schalom + Napalm", a.a.O.
[31] "Schalom + Napalm", a.a.O.
[32]  vgl. Martin Kloke, Israel und die deutsche Linke..., a.a.O, 1990; Thomas Haury, "Der Antizionismus der Neuen Linken in der BRD: Sekundärer Antisemitismus nach Auschwitz", in: Arbeitskreis Kritik des deutschen Antisemitismus (Hg.), Antisemitismus: Geschichte und Wirkungsweise des Vernichtungswahns, Freiburg 2001, S. 217-229, Thomas Haury, "Der neue Antisemitismusstreit der deutschen Linken", in: Doron Rabinovici et al. (Hg.), Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt/Main 2004, S. 143-167.

hagalil.com 02-04-2008

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