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Frankreich nach der Präsidentschafts- und  vor der  Parlamentswahl

Von Bernard Schmid, Paris

Rückblick auf den ersten Wahlgang…

Am 22. April 2007 erhielt Jean-Marie Le Pen im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl noch 10,44 Prozent der Stimmen im frankreichweiten Durchschnitt (einschließlich Überseegebiete, sonst 10,7 Prozent). Das ist sein schwächstes Ergebnis bei einer Präsidentschaftswahl seit über zwanzig Jahren; sogar sein schlechtestes Ergebnis bei einer solchen Wahl überhaupt, sieht man von Le Pens Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1974 (0,74 Prozent) ab, als der FN noch eine Splitterpartei bildete. 1981 hatte der rechtsextreme Politiker aus formalen Gründen nicht kandidieren können, und bei seinen drei Kandidaturen von 1988, 1995 und 2002 erhielt er zwischen 14,4 und gut 17 Prozent.

Wo sind die Wähler abgeblieben? Die Antwort fällt ebenso einfach wie eindeutig aus: größtenteils bei Nicolas Sarkozy. Übrigens nicht oder kaum in der Stimmenthaltung, denn die Wahlbeteiligung war in diesem Jahr außerordentlich hoch (85 Prozent im ersten, 84 Prozent im zweiten Wahlgang) und die Mobilisierung der Stimmbürger quer durch alle sozialen Klassen und Schichten hindurch sowie in allen politischen Lagern ungewöhnlich stark. Eine solche Beteiligungsquote war seit der ersten Direktwahl des französischen Staatsoberhaupts durch das Volk im Jahr 1965 nicht mehr erreicht worden.

Rund 23 Prozent der Wähler Jean-Marie Le Pens aus dem Jahr 2002, glaubt man den Zahlen der Tageszeitung Libération, haben fünf Jahre später im ersten Wahlgang Nicolas Sarkozy gewählt. Hingegen gibt die Pariser Abendzeitung Le Monde (1) diesbezüglich sogar einen Anteil von 28 Prozent an. Das bedeutet den Transfer von rund einer Million Stimmen zugunsten Sarkozys, wie Jean-Marie Le Pen übrigens selbst in seiner Rede vom 1. Mai 2007 angeben wird.

Hinter diesen globalen Angaben entdeckt man jedoch deutliche regionale Disparitäten, die auch unterschiedlichen sozialen Phänomen entsprechen. Der Übergang von vormaligen Wählern der extremen Rechten zum konservativen Kandidaten ist in jenen Regionen besonders ausgeprägt, wo die Stammwählerschaft Jean-Marie Le Pens historisch (ab 1984) von der konservativ-liberalen Rechten gekommen war. Dies gilt insbesondere für das Elsass sowie die südfranzösische Region Provence-Alpes-Côte d'Azur (PACA).

Dort erhält der FN-Kandidat im April dieses Jahres noch 13,6 respektive 13,8 Prozent der Stimmen, was jeweils einem Rückgang um gut zehn Prozentpunkte entspricht. Zählt man für das Jahr 2002 die Stimmenanteile für Jean-Marie Le Pen und seinen rechtsextremen Rivalen Bruno Mégret, und für 2007 jene Le Pens und seines nationalkonservativen Konkurrenten Philippe de Villiers (frankreichweit 2,2 Prozent) zusammen, so kommt man für die Region PACA sogar auf einen Rückgang von um die zwölf Prozentpunkte. Parallel dazu ist der starke Anstieg des konservativen Kandidaten schon im ersten Wahlgang festzustellen. Im Elsass hatte Jacques Chirac im April 2002 in der ersten Runde noch gut 18 Prozent der Stimmen erhalten und damit spürbar hinter Le Pen gelegen. Nicolas Sarkozy hingegen erobert im April 2007 den ersten Platz in der Region, mit 36,2 Prozent im ersten Wahldurchgang. Ähnlich der Zuwachs des rechtsbürgerlichen Präsidentschaftsanwärters in der Region PACA: Gegenüber Jacques Chirac vor fünf Jahren gewinnt er in der ersten Runde knapp 20 Prozent hinzu und landet mit 37,0 Prozent auf Platz Eins.

In beiden Fällen handelt es sich um Regionen, wo die Wählerschaft des FN in den 1980er Jahren von der bürgerlichen Rechten gekommen war. Im Falle der beiden elsässichen Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin handelt es sich überwiegend um geschlossene soziale Milieus, oft in dörflichen oder kleinstädtischen Verhältnissen, die in einer relativ wohlhabenden Region leben und häufig über das "soziale Chaos" im übrigen Frankreich (aber am Rande auch in den Grobstädten Strasbourg und Mulhouse) die Nase rümpfen. Historisch hatte die französische Christdemokratie – seit den späten 1940er Jahren zunächst durch den MRP (Mouvement républicain populaire, ungefähr "Republikanische Bewegung der kleinen Leute") verkörpert, seit den 1970er Jahren Bestandteil des konservativ-liberalen Parteienbündnisses UDF (Union für die französische Demokratie) – dieses Milieu politisch repräsentiert. Doch im Zuge der "Entkonfessionalisierung" der französischen Gesellschaft hatte die religiöse Bindung, im Laufe der Jahrzehnte, ihre Funktion als sozialen "Kitt" verloren. Seit den achtziger Jahre erfüllte der "identitäre" Diskurs der extremen Rechten dann diese Aufgabe(2). Aber im Jahr 2007 ist es Nicolas Sarkozy gelungen, diese vor allem die soziale "Ordnung" liebende Wählerschaft größenteils an sich zu ziehen (3).

Im südfranzösischen PACA-Land hingegen handelt es sich bei der "historischen" Stammwählerschaft Jean-Marie Le Pens hingegen zum Gutteil um Pieds Noirs, also ehemalige Algeriensiedler, die sich infolge der Entkolonialisierung (1962) in der Nähe der französischen Mittelmeerküste niederlieben, und die aus dem kolonialen Apartheidsystem der früheren Algérie française einen soliden Rassismus mitbrachten. Ihre Stimmen gingen vor dem Auftauchen des FN als Wahlpartei in der Regel an die politische Rechte; aber bevorzugt ihre nicht-gaullistischen Komponenten, da Präsident Charles de Gaulle aufgrund seiner – späten – Zustimmung zur Unabhängigkeit Algeriens in ihrer Augen einen "nationalen Verräter" darstellte. Auch hier ist es Nicoals Sarkozy gelungen, einen Gutteil dieser Wählerschaft anzusprechen. Der Kandidat, der in seiner Rede von Toulon vom 7. Februar 2007 (4) die "Leistungen" der ehemaligen Kolonialsiedler positiv hervorhob und die Kritik an ihrer Geschichte als Nationalmasochismus abtat, wurde offenkundig nicht mehr der historischen Bilanz des Gaullismus in Verbindung gebracht. Unbeschadet seiner politischen Herkunft aus dem neogaullistischen RPR, der 2002 in der neu gegründeten konservativ-wirtschaftsliberalen Einheitspartei UMP aufging, wird er allem Anschein nach nicht mehr mit dieser Traditionslinie identifiziert.

Die Stimmentransfers von Le Pen hin zu Nicolas Sarkozy fielen hingegen in jenen Regionen weniger stark aus, wo die Stammwählerschaft des FN-Kandidaten aus den letzten Jahren historisch nicht von der bürgerlichen Rechten kam. Dies gilt insbesondere für die ehemaligen Industrie- und Arbeiterregionen Picardie und Nord-Pas-de-Calais, die heute Krisenzonen darstellen und wo Jean-Marie Le Pen seit den 1990er Jahren bedeutsame Stimmenzuwächse erhielt. Die Stimmen für den rechtsextremen Kandidaten kamen hier aus allen politischen Himmelsrichtungen - zum Teil auch von ehemaligen Linkswählern, die beispielsweise ob der Bilanz frührer Linksregierungen politisch frustriert, aufgrund des Wegfalls des "Systemgegensatzes" Kapitalismus/Sozialismus desorientiert oder von der Unmöglichkeit erfolgreichen sozialen Widerstands überzeugt sind.

In diesen beiden Regionen hält sich Jean-Marie Le Pen im Jahr 2007 relativ gut, verglichen insbesondere mit seinen Verlusten in früheren Hochburgen des FN wie dem Elsass und PACA. In der Picardie erhält er seinen höchsten diesjährigen Stimmenanteil unter allen französischen Regionen, mit 15,4 Prozent, was einen Verlust von fünf Prozentpunkten gegenüber dem ersten Wahlgang von 2002 darstellt. In dieser Region nördlich des Grobraums Paris besteht die FN-Wählerschaft aus einer brisanten Mischung von Arbeitermilieus - vor allem in kleinen und isolierten provinziellen Industriezentren - sowie ehemaligen Algerienfranzosen (Pieds noirs) und im Algerienkrieg kämpfenden Militärs, die vorwiegend im Département Oise angesiedelt worden sind. In einem von drei Départements der Picardie erhält Jean-Marie Le Pen zwischen 2002 und 2007 sogar, in absoluten Zahlen gemessen, Stimmenzuwächse (auch wenn der prozentuale Anteil aufgrund der sehr hohen Wahlbeteiligung sinkt). So gewinnt er zwischen den beiden Wahljahren im Département Somme, wo die historisch sehr starke örtliche KP in einer ernsten Krise steckt, rund 1.200 Stimmen hinzu. Freilich sinkt der prozentuale Anteil von 16,3 auf 14,3 Prozent ab. Hingegen erleidet er im Département Aisne einen bescheidenen Verlust von rund 1.800 Wählern. Im Département Oise jedoch, wo die Stammwählerschaft Le Pens weitaus eher von der konservativen Rechten kam, bübt er weitaus mehr ein und verliert in absoluten Zahlen rund 16.500 Wähler, mit 66.000 Stimmen statt zuvor 82.500, was einem gesunkenen Prozentanteil von nunmehr 14,9 Prozent (statt 22,8 Prozent) entspricht. Die Pariser Abendzeitung Le Monde (5) schreibt dazu u.a.: "Nicolas Sarkozy profitiert eindeutig von diesem Rückgang (Anm.: Le Pens im Département Oise). Die Zugewinne des konservativen Kandidaten von einer Präsidentschaftswahl zur anderen (Anm.: verglichen mit dem Abschneiden Chiracs im April 2002) entsprechen ziemlich genau den Verlusten der extremen Rechten."

In der Region Nord-Pas-de-Calais, einem ehemaligen Industrierevier nahe der belgischen Grenze, erfährt Jean-Marie Le Pen mit einem Gesamtergebnis von 14,7 Prozent zwar ebenfalls einen Verlust. Aber im Département Pas-de-Calais sinkt er dabei nur von 18,4 Prozent (im Jahr 2002) auf 16 Prozent, was in absoluten Zahlen einem Zuwachs um 4.900 Wähler (auf 140.200) entspricht. Es sei darauf hingewiesen, dass diese frühere Bergbaubezirk insofern eine Ausnahmestellung einnimmt, als der Front National hier an bestimmten Orten tatsächlich noch eine konkrete Politik vor Ort – auf Tuchfühlung mit der örtlichen Bevölkerung und den sozialen Unterklassen – durchführt. Anders als in großen Teil des übrigen Frankreichs, wo die rechtsextreme Partei ihre "einfache" Wählerschaft oftmals nur noch über das Fernsehen sowie in Form von Wahlplakaten anspricht, ist die Partei hier im Alltag präsent und greift lokale Probleme binnen kürzester Zeit auf.

Diese Fähigkeit zu realer Verankerung in der Gesellschaft hängt an der Anwesenheit eines besonders fähigen jungen Kaders, Steeve Briois - der nach der Parteispaltung von 1999 den FN zunächst zusammen mit den Anhängern Bruno Mégrets verlieb, aber später zurückkehrte. Bei den Parlamentswahlen vom Juni 2002 wählte die  Cheftochter Marine Le Pen ihren Wahlkreis in seinem Bezirk, in Lens und  Umland, und erhielt dort über 32 Prozent der Stimmen. Auch zur   Parlamentswahl im Juni 2007 möchte Marine Le Pen dort selbst wieder antreten. In gewisser Hinsicht verfügt die rechtsextreme Partei in diesem Département also über ein "Laboratorium". Im Jahr 2004 ist darüber sogar ein eigener, knapp einstündiger Dokumentarfilm gedreht worden (Au pays des gueules noires, Regisseur: Edouard Mills-Affif). Es lässt sich feststellen, dass diese Politik offenkundig längerfristig ihre Früchte getragen hat. Aber auf die Verhältnisse in ganz Frankreich übertragen lässt sich dieses Phänomen derzeit nicht. Was aber wäre, falls die extreme Rechte objektiv und subjektiv in der Lage wäre, überall so aufzutreten, lässt sich kaum realistisch beurteilen.

Jean-Marie Le Pens Aufruf zur Stimmenthaltung

Es hatte durchaus einen realen soziologischen Hintergrund, wenn Jean-Marie Le Pen im Hinblick auf den zurückliegenden ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl in seiner Rede zum 1. Mai 2007 vor der Pariser Oper ausrief: "Wie immer waren es die einfachsten Leute, die Bedürftigsten, die am treuesten gewesen sind. Jene, die wissen, dass es das Vaterland ist, das den Armen bleibt, wenn   sie gar nichts mehr haben, und die wissen, dass wir die wahren Patrioten, die wahren Verteidiger des Vaterlands sind. Ich bin der erste Kandidat (Anm.: vom Stimmenanteil her) unter den Arbeitern, und ich bin stolz darauf."

Die letzte zitierte Aussage war freilich in diesem Jahr glatt gelogen:  Jean-Marie  Le Pen erhielt im April 2007, je nach Angaben, 13 bis 15 Prozent der Stimmen aus der Arbeiterschaft (ebenso viele wie unter den Kleingewerbetreiben) und war damit dort bei weitem nicht der bestplatzierte Kandidat. Überdurchschnittlich hoch lag sein Anteil allerdings unter den Zeitarbeitern, mit 24 Prozent (6): Allem Anschein nach schlägt sich die alltäglich erlebte wirtschaftliche und soziale Unsicherheit dieser besonders prekarisierten Lohnabhängigengruppen tatsächlich in einem relativ hohen Maße in einem ideologisierten "Sicherheitsbedürfnis" nieder.

Aber generell betrachtet, hatte Le Pen in den sozialen Unterklassen dieses Jahr nicht so sonderlich hoch abgeschnitten. Anders hatte es tatsächlich noch bei der Präsidentschaftswahl  vom  23. April  1995 ausgesehen: Damals lag Jean-Marie Le Pen, mit über 20 Prozent der abgegeben gültigen Stimmen aus der Arbeiterschaft, in dieser sozialen Gruppe im ersten Wahlgang auf Platz Eins – freilich vor dem Hintergrund einer enorm starken Stimmenthaltung in den Arbeiterhaushalten. Im Frühjahr 2007 lag unterdessen (bei einer Rekordwahlbeteiligung, die insbesondere eine Konsequenz der Polarisierung "pro oder kontra Sarkozy" in einem Grobteil der Wählerschaft war) die Quote der Wahlteilnahme auch in den Unterklassen auf hohem Niveau. Damit ging der prozentuale Anteil Jean-Marie Le Pens automatisch zurück; hinzu kam dann noch dessen generelles Absinken, da der rechtsextreme Kandidat auch in absoluten Wählerzahlen gemessen zwischen 2002 und  2007 an Stimmen verloren hat.

In absoluten Zahlen ausgedrückt, hat Jean-Marie Le Pen am 22. April dieses Jahres 3,8 Millionen Wähler angezogen. Das sind gut eine Million weniger als beim ersten Durchgang, und anderthalb Millionen Stimmen weniger als im zweiten Durchgang der Wahl von 2002. Damals hatte Jean-Marie Le Pen 4,77 Millionen Wähler in der ersten Runde (zuzüglich 660.000 für seinen rechtsextremen Konkurrenten Bruno Mégret) und 5,45 Millionen im zweiten Wahlgang. Dies entsprach damals einem Stimmenanteil von jeweils 16,8 bzw. 17,8 Prozent.

Der rechtskatholische Politiker und nationalkonservative Graf Philippe de Villiers, Chef der Kleinpartei Mouvement pour la France (MPF, "Bewegung für Frankreich"), erhielt seinerseits in diesem Jahr 2,2 Prozent der Stimmen und gut 800.000 Stimmen. Seine Stimmen wären wohl, hätte de Villiers nicht antreten können, gut zur Hälfte an Le Pen und zu rund einem Drittel an Nicolas Sarkozy gegangen. Er war vor fünf Jahren nicht angetreten. Aber 1995 hatte Philippe de Villiers bereits einmal zur französischen Präsidentschaftswahl kandidiert und damals einen Anteil von 4,74 Prozent sowie 1,4 Millionen Stimmen erzielt. Sein diesjähriges Ergebnis ist ein klarer Misserfolg. Ihm war es im Vorfeld der Wahl nicht gelungen, einen eigenständigen Platz zwischen Jean-Marie Le Pen auf der einen Seite, und den Konservativen unter Nicolas Sarkozy auf der anderen Seite zu behaupten.

Waren seine Angaben zu seinem eigenen Abschneiden in der  Arbeiterschaft also unzutreffend und übertrieben, so hatte Le Pen doch  Recht, was die generelle Tendenz betrifft: Je wohlhabender seine früher Wählerschaft war, desto eher fühlte sie sich (grob gesprochen) in diesem Jahr schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl zum konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy hingezogen.

In derselben Ansprache forderte Jean-Marie Le Pen seine Anhänger dazu auf, sich im zweiten Wahlgang fünf Tage später "in großer Zahl der Stimme zu enthalten" (s'abstenir massivement). Die Wähler des FN-Kandidaten sollten weder Sarkozy noch seine Gegenkandidatin Ségolène Royal unterstützen, sondern ihre Mobilisierung für die Parlamentswahlen im Juni 2007 "reservieren" und dann für die Kandidaten der rechtsextremen Partei stimmen. Die Cheftochter Marine Le Pen ihrerseits kündigte drei Tage vor der Stichwahl zwischen Sarkozy und Royal öffentlich an, dass sich nach ihrer Vorhersage "50 Prozent der Wähler Le Pens am Sonntag der Stimme enthalten werden". Hingegen würden rund  20 Prozent unter ihnen für Ségolène Royal stimmen, und "die Übrigen" – also circa 30 Prozent – wohl für Nicolas Sarkozy. Dies war auch eine Form des Feilschens, da die Ankündigung Marine Le Pens im Prinzip für die beiden groben Kandidaten die Möglichkeit offen lieb, durch politische Stellungnahmen noch einen bestimmten Prozentsatz der Wählerinnen und  Wähler der rechtsextremen Partei anzuziehen.

Eine exakte Prognose hatte Marine Le Pen unterdessen nicht abgegeben: Real votierten am 06. Mai dann rund zwei Drittel der Wähler Jean-Marie Le Pens aus dem ersten Wahlgang für Nicolas Sarkozy. Rund ein Fünftel enthielt sich der Stimme, der Rest entschied sich für die sozialdemokratische Bewerberin Ségolène Royal (7). Trifft diese Berechnung zu, dann tendierte die Wählerschaft Le Pens aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahl nicht in höherem Maße zur Stimmenthaltung als die Wählerschaft anderer Kandidatinnen und Kandidaten, die in der zweiten Runde nicht mehr vertreten waren. Unter den Wählerinnen und Wählern des christdemokratischen Zentrumspolitikers François Bayrou vom 22. April enthielten sich ebenfalls rund ein  Fünftel in der Stichwahl der Stimme, während sich jeweils rund 40 Prozent unter ihnen auf die beiden übriggebliebenen Bewerber um das höchste Staatsamt aufteilten. Und von den Wählerinnen und Wähler der unterschiedlichen Linkskräfte außerhalb der französischen Sozialdemokratie (KP, Grüne, Globalisierungskritiker, Trotzkisten), die im ersten Wahlgang zusammen 10 Prozent der Stimmen holten, enthielten sich 20 Prozent in der Stichwahl, während 71 Prozent unter ihnen Ségolène Royal wählten. Sofern diese Zahlen zumindest tendenziell die Wirklichkeit richtig wiederspiegeln, dann hat die Le Pen-Wählerschaft also in der Stichwahl von 2007 ein ähnliches Wahlverhalten an den Tag gelegt wie die übrigen politischen Spektren, die nicht mehr mit "ihren" Kandidaten in der zweiten Runde vertreten waren. Jean-Marie Le Pens Appell an seine Anhänger vom 1. Mai fruchtete demnach, zumindest unter den "einfachen" Wählern, nicht.

Dieser Aufruf war aber auch ein Versuch, die auseinander divergierenden Tendenzen innerhalb des FN auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Denn aus diesem Anlass wurden schnell unterschiedliche Bestrebungen innerhalb der extremen Rechten im weiteren Sinne, aber auch – sogar – innerhalb des Parteiapparats des Front National spürbar.

So riefen die örtlichen Führer der Partei in Neukaledonien, dem französischen "Überseeterritorium" im Westpazifik – de facto eine Restkolonie, über deren Unabhängigkeit im Jahr 2014 abgestimmt werden soll, und die eine gemischte Bevölkerung aus weißen Zuwanderern aus Europa und einer altansässigen melanesischen Einwohnerschaft aufweist – unzweideutig zur Stimmabgabe für Nicolas Sarkozy in der Stichwahl auf. Ihre Begründung lautete, Sarkozy habe "im Gegensatz zur Ségolène Royal klar zur Beibehaltung Neukaledoniens als Bestandteil Frankreichs", also gegen  eine  spätere  Unabhängigkeit, Stellung genommen - in den Worten des  FN-Vorsitzenden auf der Insel, Guy George (8). Im übrigen nahm mindestens ein regionaler Kader des FN, André Troise, ehemaliger Regionalparlamentarier in Montpellier, am 29. April an der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung Nicolas Sarkozy in der Pariser Bercy-Halle teil. Die linksliberale Tageszeitung Libération ergänzt in ihrem Bericht aus Paris-Bercy, wo Sarkozy in einer Kampfrede versprach, "die Ideen des Mai 1968" endlich "zu liquidieren", dazu: "Am morgigen Tag (dem 1. Mai) wird er zusammen mit Le Pen an dessen alljährlicher Parade für Jeanne d'Arc teilnehmen. In seiner Region rührt er seit Anfang der Woche intensiv die Werbetrommel für den UMP-Kandidaten" im zweiten Wahlgang (9). Dabei mag es sich freilich um eine individuelle Initiative gehandelt haben, die dem Chef möglicherweise missfiel.

Tatsache ist, dass ein Aufruf  Le Pens, für  Nicolas Sarkozy zu stimmen, der ohne sichtbare "Gegenleistung" des konservativen Kandidaten erfolgt wäre, den harten Kern seiner Partei mutmaßlich ebenso zerrissen hätte wie ein denkbarer (10) provokatorischer Aufruf zur Stimmabgabe für Ségolène Royal. Insofern war die Aufforderung, zwischen den beiden Kandidaten die Enthaltung zu wählen, der sicherste Ausweg für ihn.

Die Stimmenwanderungen im zweiten Wahlgang

Auch im zweiten Wahlgang 2007, ähnlich wie im ersten, sind stärkere regionale Disparitäten hinsichtlich des Verhaltens der Le Pen-Wähler festzustellen.

Die Übergänge von Stimmen Le Pens aus dem ersten Wahlgang zu Nicolas Sarkozy in der zweiten Runde sind dort besonders stark, wo die FN-Wählerschaft historisch von der konservativen Rechten kam. Dies trifft insbesondere für das Elsass und die südfranzösische Region PACA zu, wo einerseits die Stimmenanteile des FN-Kandidaten in der Vergangenheit hoch waren, und wo andererseits der konservative Kandidat im Jahr 2007 einen fast erdrutschförmigen Wahlsieg erntet. So erhält Nicolas Sarkozy in der Stichwahl 65,6 Prozent der Stimmen im Elsass, und über 61,8 Prozent in der Region PACA. Im zweiten Falle konstatiert die Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Auswertung der Wahlergebnisse: "Im zweiten Wahlgang bestätigt der UMP-Kandidat seinen Erfolg auf spektakuläre Weise, indem er gegenüber der ersten Runde um fast 25 Prozentpunkte zulegt, dank der massiven Zufuhr der Stimmen von Jean-Marie Le Pen, Philippe de Villiers und François Bayrou. Nirgendwo sonst ist ihm (Anm.: Sarkozy) auf derart glänzende Weise die Übernahme der FN-Wählerschaft gelungen."

Hingegen sieht es auch im zweiten Wahlgang wiederum in jenen Regionen anders aus, wo die FN-Wählerschaft vor dem Aufstieg Jean-Marie Le Pens nicht immer rechts gewählt hat. In der Picardie, wo historisch früher eher die Linke stark war, bevor der FN in den 1990er Jahren einen Durchbruch erlebte und in diesem Jahrzehnt seine Position nochmals ausbauen konnte, gewinnt Nicolas Sarkozy in diesem Jahr mit 54,4 Prozent der Stimmen. Le Monde notiert, dass "die Aufrufe Jean-Marie Le Pens zur Enthaltung in dieser Region anscheinend nicht befolgt worden sind." Hingegen schreibt dieselbe Zeitung über das ehemalige Industrierevier Nord-Pas-de-Calais, und insbesondere über dessen zweiten Bezirk, das Département Pas-de-Calais: "Es ist festzustellen, dass die hohen (Anm.: Prozent-)Ergebnisse Ségolène Royals im Pas-de-Calais oft mit einer überdurchschnittlichen Wahlenthaltung einhergehen, vor allem in den Städten, wo der Front National gute Ergebnisse erhielt. Die Aufrufe Jean-Marie Le Pens (...) sind anscheinend in diesem Bezirk eher gut befolgt worden." Im Pas-de-Calais liegt Ségolène Royal insgesamt mit einem prozentualen Stimmenanteil von 52,0 Prozent vorne.

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Anmerkungen:
(1) Ausgabe vom 25. April 2007.
(2) Die ostfranzösische Region weist dabei die Besonderheit auf, dass es Abspaltungen vom Front National gibt, die die "regionale Identität" ebenso wie die "nationale" hochhalten wollen und einen rechten Regionalismus propagieren. Heute wird die Strömung durch die Wahlplattform Alsace d’abord (Elsass zuerst!) des ehemaligen FN-Abgeordneten Robert Spieler repräsentiert.

(3) In ihrer Ausgabe vom 30. April 07 publiziert die linksliberale Tageszeitung Libération eine Reportage aus der elsässischen Kleinstadt Eywiller, die im April 2002 noch zu 45,7 Prozent (im ersten Wahlgang) Le Pen gewählt hatte. Dieses Mal landete dern FN-Kandidat nur auf dem dritten Platz, Nicolas Sarkozy dagegen wurde Nummer Eins. Es kommen eine Reihe von Wählerinnen zu Wort, die die Auffassung vertreten, die reiche Region Elsass solle aufhören, "die Melkkuh" anderer Regionen oder gar von Zuwanderern zu sein, die gegen "die Araber und die Schwarzen" stänkern – aber Jean-Marie Le Pen mit bald 79 Jahren "zu alt" finden und mit ihrem Stimmzettel nicht länger "nur protestieren" möchten. Auch wird der Ausspruch Le Pens in der Schlussphase des Wahlkampfs, mit dem er den in Frankreich geborenen und aufgewachsenen Nicolas Sarkozy wegen der ungarischen Herkunft seines Vaters als "Zuwanderer" abstempelte, als zu extrem und exzessiv empfunden. Ein Kneipenwirt wird mit den Worten zitiert, bei seinen Kunden heibe Sarkozy "der neue Le Pen oder der kleine Le Pen"; er selbst stimmte im Jahr 2007 für "den groben Le Pen" im ersten Wahlgang, will sich aber in der zweiten Runde dem konservativen Kandidaten anschlieben. Das ist sicherlich keine ernstzunehmende Analyse des politischen Phänomens Sarkozy, sondern widerspiegelt eher die emotionale Umorientierung einer bisher dem rechtsextremen Kandidaten verpflichteten Wählerschaft. Aber es kennzeichnet die Wählerwanderung, die in diesem Bereich ganz offenkundig stattgefunden hat.
(4)  Vgl. dazu http://www.ldh-toulon.net/spip.php?article1838.
(5) Sonderbeilage zum Ausgang des ersten Wahlgangs, Ausgabe vom 24. April 2007.
(6) Angaben nach der französischen Wirtschaftstageszeitung La Tribune, Ausgabe vom 23. April 2007.
(7) Die näheren Zahlenangaben variieren. Der Fernsehsender TF1 beziffert am Wahlabend die Anzahl der Le Pen-Wähler aus dem ersten Wahlgang, die in der Stichwahl für Sarkozy  votiert  hatten, auf der Grundlage von Befragungen durch Meinungsforschungsinstitute am Ausgang der Wahlergebnisse  (die normalerweise relativ genaue Ergebnisse liefern) auf 66 Prozent. Die Tageszeitung L’Humanité gibt ihren Anteil in ihrer Ausgabe vom 09. Mai 2007mit "63 bis 66 Prozent" an, hingegen Libération vom  08. Mai mit "nur" 55 Prozent. Die Anzahl der Le Pen-Wähler vom 22. April, die sich zwei Sonntage später der Stimme enthielten, beziffert TF1 auf 19 Prozent, L’Humanité auf  "19 bis 25 Prozent", hingegen Libération auf 36 Prozent. Es bleiben, je nach vorausgehender Rechnung, zwischen 09 und 15 Prozent, die für Ségolène Royal votierten.
(8) Zitiert nach Le Monde vom 04. Mai 2007.
(9) Vgl. Libération vom 30. April 2007.
(10) Denkbar insofern, als Jean-Marie Le Pen tatsächlich in den 1990er Jahren wiederholt zur Wahl sozialistischer oder anderer linker Parlamentskandidaten aufrief, um die bündnisunwillige bürgerliche Rechte abzustrafen. Dies war etwa im Frühjahr 1996 bei "Nachwahlen" für einzelne freigewordene Parlamentssitze der Fall, zugunsten einer sozialdemokratischen Kandidatur im Bezirk Orne (Normandie), aber aber auch zugunsten des KP-Bürgermeisters im südfranzösischen Sète, François Liberti. Eine Besonderheit liegt im letzteren Falle freilich darin, dass Liberti nicht nur Parteikommunist ist, sondern auch ein ehemaliger Algerienfranzose, dessen Sichtweise auf die französische Kolonialvergangenheit in Nordafrika sich durchaus von jener seiner  Parteifreunde unterscheidet. Insofern mag neben der kalkulierten "Provokation", die im Aufruf Jean-Marie Le Pens zur Stimmabgabe "für einen Kommunisten" und gegen die konservativliberale Rechte (um letztere zu strafen) lag, auch eine gewisse Solidarität unter "algerienfranzösischen" Wählern eine Rolle gespielt haben. Allerdings ergaben zum damaligen Zeitpunkt Umfragen, dass frankreichweit nur 14 Prozent der Wählerinnen und Wähler des Front  National diese besondere  Wahltaktik Le Pens billigten.

hagalil.com 30-05-2007

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