Altneuer Judenhass in Frankreichs Vorstädten:
Die gefährliche "Weltanschauung" eines Teils der
MigrantenjugendVon Danny Leder
Unter den zahlreichen, potentiellen Nebenschauplätzen
des israelisch-arabischen Konflikts ist, zumindest in Europa, Frankreich das
heikelste Terrain. Das hat kaum mit dem Nahost-Kurs der französischen
Staatsführung, der Berichterstattung der örtlichen Medien oder der
Einstellung der französischen Mehrheitsbevölkerung zutun, sondern ist
vielmehr das Ergebnis des Zusammentreffens von kolonialhistorisch bedingten,
gewichtigen ethnisch-religiösen Spannungsfaktoren und einer seit über
zwanzig Jahren andauernden sozialen Krise.
So zählt kein anderes Land in Europa derartig viele Moslems (annähernd fünf
Millionen) und Juden (rund 600.000). Beide Bevölkerungsgruppen stammen
mehrheitlich aus Frankreichs Ex-Kolonien im Maghreb, dem arabischen
Nordwestafrika, und leben teilweise heute noch, Tür an Tür, in jenen
städtischen Randzonen, die am stärksten unter sozialer Zerrüttung leiden.
In diesem Kontext kam es in Frankreich zu den meisten antijüdischen
Vorfällen, die in den Jahren 2000 bis 2005 in Europa, parallel zur zweiten
palästinensischen Intifada, registriert wurden. Der überwiegende Teil der
Übergriffe gegen Juden wurde von Jugendlichen aus moslemischen
Einwandererfamilien aus Nord- und Schwarzafrika verübt und ereigneten sich
in einer Grauzone zwischen emotionaler Strahlwirkung des Nahost-Konflikts,
radikal-islamischer Propaganda, archaischer, aus dem Maghreb herrührender
Stigmatisierung der Juden, familiärer Verwahrlosung sowie genereller
Jugendgewalt in sozialen Krisenzonen.
Nach einer anfänglichen Phase des Zögerns und der Hilflosigkeit reagierten
Frankreichs Staatsführung und Behörden besonders energisch auf antijüdische
Übergriffe, woraufhin 2005 ein Rückgang dieser Vorfälle verzeichnet wurde.
Dabei dürfte allerdings auch die zeitweilige Entspannung im Nahost-Konflikt
rund um den israelischen Rückzug aus Gaza eine Rolle gespielt haben.
Diese ansatzweise Entspannung wurde aber im Februar 2006 durch eine
unglaublich grausame Tat jäh unterbrochen, die sich genau an der
Schnittstelle zwischen brachialster Jugendkriminalität und antijüdischem
Ressentiment ereignete: die dreiwöchige Entführung und qualvolle Ermordung
eines jungen Juden durch eine Pariser Vorstadtbande. Rahmenbedingungen und
Tathergang dieses Verbrechens signalisierten die Verfestigung bei einem Teil
der franko-arabischen, franko-afrikanischen und franko-karibischen
Vorstadtjugend einer gefährlich-geläufigen anti-jüdischen "Weltanschauung".
Als charismatischer Träger dieser Ideologie hatte sich der populärste
schwarze Komiker und Bühnenautor Frankreichs, Dieudonné M’Bala M’Bala,
profiliert. Der Judenhass dürfte auch die eigentliche Grundlage gewesen sein
für die spektakuläre Annäherung zwischen M’Bala M’Bala und dem weiterhin
bedrohlich populären Rechtsaußen-Tribun Jean Marie Le Pen, die im November
2006 Frankreichs Öffentlichkeit überraschte.
Die Ermordung des Ilan Halimi
Holocaust-Gedenken statt Aufarbeitung von
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Der "Komiker" Dieudonné M’Bala M’Bala
Juden in
Migrantenvierteln: eine Minderheit in der Minderheit
Die Vorgeschichte im Maghreb: eine Geschichte
der Gegensätze
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Osteuropas
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