Begegnungsstätte:
Das Jugend- und Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München
Das Jugend- und Kulturzentrum der Israelitischen
Kultusgemeinde in München besteht in seiner heutigen Form seit 1983.
Vorläufer war das 1957 in der Möhlstraße 14 eröffnete "Heim der jüdischen
Jugend", hebräisch "Maon Hanoar" genannt. Es war für die jüdischen Kinder
gedacht, die mit ihren Eltern in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten in
München geblieben waren oder im Zuge von Migration und Flucht – etwa 1956
nach dem niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand, 1968 nach dem Ende des Prager
Frühlings, 1968/ 1969 nach der Vertreibung aus Polen – eine Bleibe in
München gefunden hatten.
Eigentlich hatte man nach 1945 die Situation für Juden in Deutschland als
eine Transit-Station begriffen. Schnell und effizient hatte man zur
Versorgung der Überlebenden und Flüchtlinge soziale und kulturelle
Einrichtungen geschaffen, die jedoch nur für eine Übergangszeit gedacht
waren – bis alle ihre Auswanderungsziele erreicht hätten. Kindergärten,
Religionsunterricht, Zentren für Berufsausbildung (ORT-Schulung), Sport- und
Freizeitaktivitäten wurden für die Kinder und Jugendlichen geboten. Für
wenige Jahre konnte in München sogar ein jüdisches Gymnasium etabliert
werden.
Und woher kamen die jüdischen Kinder und Jugendlichen? Jüdische Flüchtlinge,
die sich außerhalb des Einzugsgebiets der Nationalsozialisten in Sicherheit
gebracht hatten, hatten auf der erneuten Flucht – nun ab 1945 nach Westen –
ihre Kinder dabei. Außerdem kam es in den Lagern für jüdische Displaced
Persons zu den höchsten Geburtenraten der jüdischen Bevölkerung weltweit.
Der Versuch eines Neubeginns bestand vor allem in der Gründung neuer
Familien.
Wie gesagt, die Mehrzahl der Überlebenden und Flüchtlinge hatte München als
Transit-Station begriffen und war ausgewandert – nach Amerika, Kanada und in
den neu gegründeten Staat Israel. Zurück blieben jene, die keine Kraft mehr
für eine weitere Emigration hatten und eine Handvoll deutschstämmiger Juden,
Überlebende und Remigranten, die einen Neuanfang wagen wollten. Ende der
fünfziger Jahre zählte die Münchner jüdische Gemeinde ca. 1.500 Mitglieder.
Für ihre Kinder musste es weiterhin altersgemäße Angebote geben.
In einem Artikel in den Münchner Jüdischen Nachrichten vom November 1957
heißt es: "Unsere Jugend kannte keine 'glückliche Kindheit'. An ihrer Wiege
stand die Gefahr, der Hunger war ihr Pate. In Verstecken geboren, waren sie
meist auf die Gnade Fremder angewiesen. Ihre Familien, oft
auseinandergerissen – dezimiert. Eine harte Wirklichkeit für kleine Kinder!
Und dann die frühe Jugend im chaotischen Nachkriegsdeutschland!"
Von dieser bitteren Bilanz aus gesehen sind inzwischen an die fünfzig Jahre
vergangen, in denen sich enorm viel getan hat.
Nach dem Terroranschlag am 5. September 1972 auf die israelischen
Olympiateilnehmer wurde die Kinder- und Jugendfreizeitstätte in ein
Gartenhaus in der Prinzregentenstr. 91 verlegt. Anfang der achtziger Jahre
stand dessen Komplettsanierung an. Im Februar 1983 stieg eine
Neueinweihungsparty. Dabei bekam die Institution auch einen neuen Namen:
Jugend- und Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde. Hinter dem
langen Titel stand und steht ein neues Selbstverständnis dieser Einrichtung
der Trägerschaft der Israelitischen Kultusgemeinde: das Angebot
freizeitpädagogischer Maßnahmen für Kinder und Jugendliche aus der Jüdischen
Gemeinde und ein Forum für Wissensvermittlung und Begegnung von Juden und
Nichtjuden.
Schwerpunkt: Jugendzentrum
Lebten in München bis Ende der 80er Jahre ca. 4.000 Juden, so hat sich die
jüdische Gemeinschaft zwischen 1990 bis 2006 auf über 9.000 Mitglieder
vergrößert.
Ihre Lebensgeschichten, also auch die der Kinder und Jugendlichen weisen ein
paar besondere Merkmale auf, das von der umgebenden Mehrheitsgesellschaft
abweichende religiöse Bekenntnis, die Familiengeschichte, die in
unterschiedlichster Weise mit Phänomenen wie Verfolgung und Emigration
verknüpft ist, auch wenn die Kinder diese nicht unbedingt am eigenen Leibe
erfahren haben müssen, und Bilingualität.
Seit Beginn der 80er Jahre hat sich die jüdische Jugendarbeit strukturell an
die allgemeine Jugendarbeit angenähert. Das Unterhaltungs- und
Partizipationsprogramm steht unter mehreren Vorzeichen: Vermittlung
jüdischer Kultur und Tradition, Unterstützung bei der Bewältigung von
Kindheit und Adoleszenz und den damit verbundenen Erfahrungen in Schul-,
Studien- und Alltagswelt. Es sollen Lernprozesse gefördert werden, die
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zur kritischen mitgestaltenden
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben befähigen.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den spezifischen Problemen und Fragen
jüdischer Jugendlicher der so genannten zweiten, dritten und inzwischen
schon vierten Generation nach dem Holocaust, deren Eltern bzw. Großeltern
zum Teil noch durch ein anderes kulturelles und sprachliches Ausgangsmilieu
geprägt wurden. Dies gilt aus historisch anderen, in der Praxis jedoch
ähnlich wirkenden Gründen auch für die Kinder und Jugendlichen, die in den
letzten sechzehn Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion hinzugekommen sind.
Zur Programmpalette gehören Angebote im Spiel- und Sportbereich ebenso wie
Vermittlung von jüdischem Wissen und das Feiern jüdischer Feste. Das
Jugendzentrum bietet auch organisatorische Unterstützung für Jugendgruppen,
die sich selbständig mit jüdischen Themen befassen. Wichtig ist ein
generationsübergreifender, familienorientierter Ansatz, der Kinder,
Jugendliche und junge Erwachsene in den Mittelpunkt nimmt, die Eltern
einbezieht und den jüdisch-nichtjüdischen Dialog
Angeboten werden u. a.
außerschulische Kinder- und Jugendbildung wie Chor, Tanz, Theater, Schach
Musikkindergarten und Musikschule
Freizeitangebote wie Sonntagsprogramme, spielpädagogische Aktivitäten,
Ferienmaßnahmen
Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe
Ausbildungsprogramm für Jugendgruppenleiter
Interreligiöser Dialog sowie internationale Jugendbegegnung
Integrationsangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus dem
Kreis der Neuzuwanderer
Sozialpsychologische Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene sowie deren Eltern
Große Bedeutung hat hier das ehrenamtliche Engagement jüdischer und
nichtjüdischer Helfer.
Die Angebote werden in enger Kooperation mit dem Stadtjugendamt München, mit
anderen Jugendverbänden wie dem Kreisjugendring München-Stadt und dem
Bayerischen Jugendring durchgeführt. Förderung gibt es auch durch andere
Träger wie die Robert Bosch-Stiftung und bezogen auf Integrationsmaßnahmen
auch mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie dem Europäischen
Flüchtlingsfonds der Europäischen Union.
Schwerpunkt: Kulturzentrum
"Jews are like other people – only more so", schrieb einmal die
amerikanisch-jüdische Journalistin Dorothy Parker. Das lässt sich belegen.
Information und Begegnung jüdischer wie nichtjüdischer Besucher des Hauses
und ein Konzept, das auch den Dialog zwischen den Generationen fördert,
kennzeichnen das Programm seit dem Neubeginn im Frühjahr 1983.
Die Öffnung nach außen, die Aufnahme eines offenen Angebots waren Zeichen
eines Umbruchs, Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses jüdischer
Gemeinden in Deutschland, das Anfang der 80er Jahre aufkam. Endlich war man
angekommen in einem Land, das man nach 1945 nur als Transit-Station
begriffen hatte. Auch auf nichtjüdischer Seite war eine neue Generation
herangewachsen, die Fragen nach der deutschen Geschichte, nach der Haltung
der Eltern, nach dem deutsch-jüdischen Verhältnis stellte.
Die Gründung der Jüdischen Volkshochschule München (nach der in Berlin die
zweite Einrichtung dieser Art im gesamten deutschsprachigen Raum) und ein
Kulturprogramm voller zeitgemäßer Themen war eine Antwort auf diese neue
Situation, entsprach dem Bedürfnis nach Information, kontroverser Diskussion
und Austausch.
Das große Anliegen des Kulturzentrums wurde es, Judentum nicht als Relikt
vergangener Epochen sondern als eine lebendige Kultur zu vermitteln:
traditionsreich, widersprüchlich, innovativ und vielstimmig.
Dies spiegelt sich seit nunmehr 23 Jahren wider im Spektrum der Themen:
etwa der Gesprächsreihe "Verdrängen – Vergessen – Vergeben – Versöhnen?" mit
Wladislaw Bartoszewski, Wolf Biermann, Daniel Cohn-Bendit und Otto Schily;
Zeitzeugen-Begegnungen mit Ignatz Bubis, Heinz Galinski, Jan Karski und
Gerhart Rieger; Veranstaltungen mit Künstlern wie Wolf Biermann, André
Heller und Daniel Libeskind, internationalen Stars wie Alan Dershowitz und
Ruth Westheimer, Publizisten und Schriftstellern aus dem In- und Ausland
Ilse Aichinger und Ruth Klüger, Robert Jungk und Stefan Heym, Martin Doerry
und Alain Finkelkraut, Ljudmila Ulitzkaja und Jonathan Safran Foer, Leon de
Winter und Amos Oz, Konzerte mit Timna Brauer, dem Chor der Großen Synagoge
aus Jerusalem oder einem Talentwettbewerb für Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene aus der Münchner Jüdischen Gemeinde.
Jubiläums-Ausstellungen über Kurt Tucholsky und Stefan Zweig, über
Kindertransporte 1938/39 nach England, über "Junge Juden in Deutschland",
"Jüdisches Leben in Au und Haidhausen", Kooperationen mit dem vormaligen
Jüdischen Museum München und zuletzt "Synagogen in Deutschland" gehören
ebenso zur Programmpalette wie Theateraufführungen (eigene Produktionen und
Gastspiele wie von "Yiddishpiel", des Jiddischen Theater Tel Aviv).
Im Laufe der letzten zweieinhalb Jahrzehnte entwickelte sich das
Kulturzentrum zu einer Stätte der Begegnung, die der Integration der
jüdischen Gemeinschaft in München Rechnung trägt. Viele Projekte entstanden
im Zusammenwirken mit anderen Institutionen wie dem Kulturreferat der
Landeshauptstadt München, der Münchner Volkshochschule, der Monacensia, der
Münchner Stadtbibliothek und der Initiative "Gegen Vergessen – Für
Demokratie".
Lernen (Iwrit, Folkloretanz, Jüdische Küche, Jüdisches Wissen), Gedenken
(Jom Haschoa, 9. November), Informieren und Spaß haben (jüdische Feste),
Archivieren, Beraten (bei Recherchen zu jüdischen Themen) und Diskutieren:
die vielfältige Kulturarbeit liefert ein Spiegelbild des besonderen –
traditionsreichen wie paradoxen – jüdischen Lebens in Deutschland.
9. November 2006:
Feierliche Eröffnung der neuen
Hauptsynagoge München
In Münchens Mitte, am Jakobsplatz, entsteht das
Jüdische Zentrum München, ein offenes Ensemble aus Hauptsynagoge,
Gemeindehaus und Jüdischem Museum...
12. November 2006:
"Tag der Begegnung" im
Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz
Die Münchner Jüdische Gemeinde ist nach 68 Jahren wieder sichtbar ins Herz
der Stadt München zurückgekehrt. Dies wird gefeiert. Mit einem vielseitigen
Programmangebot werden alle interessierten Münchner willkommen geheißen...
Geschichtlicher Überblick:
Jüdisches Leben in
München gestern und heute
Die Quellenlage ist nicht ganz zweifelsfrei, jedoch ist unter Historikern
unbestritten, dass sich in München bereits kurz nach der Stadtgründung 1158
auch Juden ansiedelten....
Geschichte verpasster Gelegenheiten:
Jüdisches München
"Vom Mittelalter bis zur Gegenwart" verfolgen die Autoren des Bandes
"Jüdisches München" die Geschichte und Geschichten der Münchner Juden – von
ersten Zeugnissen einer Ansiedlung im frühen 13. Jahrhundert über die
Emanzipation seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und die daran anschließende
Vertreibung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten bis hin zur
Neugründung der Gemeinde gleich im Juli 1945 und ihrer Fortentwicklung bis
heute...
Leseprobe:
Jüdisches München
Natürlich war München nie jüdisch, so wie es etwa katholisch, bayerisch oder
bierselig ist. (...) Dennoch gab es ein "jüdisches München" in dem Sinne,
daß in den letzten beiden Jahrhunderten Menschen jüdischer Herkunft das Bild
der Stadt entscheidend mitgestaltet haben...
Die Reichenbachschul:
Die älteste Münchner
Synagoge
Am vergangenen Samstag wurde in der Synagoge in der Münchner
Reichenbachstrasse der letzte G'ttesdienst gefeiert. Am kommenden Wochenende
wird die neue Synagoge am Jakobsplatz eingeweiht...
Große Herausforderung:
Die
Integrationsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde München
Die nunmehr seit 15 Jahren andauernde Zuwanderung der Juden aus der
ehemaligen Sowjetunion stärkt die Israelitische Kultusgemeinde nicht nur
quantitativ. Die Menschen, die nach München kommen, bereichern das
Gemeindeleben und bringen große Potentiale für das gesellschaftliche Leben
in Deutschland mit...
Jüdische Grundschule:
Die Sinai-Schule der
Israelitischen Kultusgemeinde München
Die Sinai-Schule ist eine konfessionelle, staatlich anerkannte Grundschule.
Sie wurde vor 30 Jahren gegründet und unterrichtet etwa 150 Schüler in zwei
Zügen...
|