Sie brauchen immer ein wenig Zeit, aber wenn die Deutschen eine
Änderung wollen, dann informieren sie sich und gehen bei der Reform dann
voll aufs Ganze.
Nach dem Erfolg der Integration beim holländischen und französischen
Fußball, beide sind, wie Deutschland auch, Einwanderungsländer seit den
60-er Jahren, öffnete auch Deutschland die Tore seines Heiligtums für
Einwanderer: Podolski und Klose aus Polen, Neuville aus der Schweiz, zwei
Spieler aus Ghana, ganz zu Schweigen von der deutschen Einigung, die der
Mannschaft Michael Ballack bescherte.
Die Diskussionen über die Einwanderungsgesetze sind eines der wichtigsten
Themen auf der deutschen Tagesordnung. Anders als in Frankreich kamen die
Einwanderer auf Initiative des Staates nach Deutschland, der es vorzog, sie
als temporäre Gastarbeiter aufzunehmen. Deutschland gehört zu jenem Ländern,
die die Staatsangehörigkeit nicht durch Geburtsort oder Verfassungsbezug,
sondern durch Abstammung (Lex sanguinis) bestimmen. Erst in den letzten
Jahren wurde die Haltung Deutschlands flexibler, und es bezeichnet sich nun
zunehmend als Einwanderungsland. Das Ergebnis: fünf Tore von Klose, zwei von
Podolski, eines von Neuville. Gefehlt hätte noch ein Siegestor von Odonko
beim Endspiel in Berlin.
Das jüdische Trauma verlässt einen in Deutschland nicht: Der Lärm der
Sirenen, die Fahnen mit dem Adler, die Rufe "Sieg, Sieg" im Stadion, das
kurze Verweilen vor einem Gebäude und der Gedanke, dass erst vor 60 Jahren
dort ein Auto angehalten hat, schwarze Stiefel die Treppe hinaufstampften
und Juden verhaftet wurden (vor meinem Gebäude, wie auch vor vielen anderen,
gibt es eine kupferne Platte auf dem Bürgersteig, auf der steht, dass einmal
Juden hier wohnten). All dies lässt einem den Atem stocken...
... und dann diese Mannschaft, befreit einen von den meisten Vorurteilen,
die man über Deutschland bisher hatte.
Das ist eines der Erfolgsgeheimnisse der jetzigen deutschen Mannschaft.
Sicherlich auch das Geheimnis ihrer Beliebtheit. Sogar die Liste mit den
Namen und Geburtsorten der Spieler enthüllt das: Das ist keine bayerische
Mannschaft mehr. Nur zwei Spieler kommen noch von Bayern München. Die
meisten Spieler stammen aus dem fröhlichen Rheinland.
Verantwortlich für die Veränderung ist Jürgen Klinsmann, der von Spiel zu
Spiel allmählich zum Status eines Papsts aufsteigt (übrigens- für wen ist
der wohl heute Abend?) ...
Klinsmann verkörpert den neuen Deutschen. Er ist ein Mann der Welt, er lernt
von ihr und wendet das Gelernte in seiner Heimat an. Er verändert die
Deutschen selbst und auch das Bild, das sich die Welt von ihnen macht. Die
Tatsache, dass sein größter Rivale vor der WM Franz Beckenbauer war, der
Bayer mit dem rollenden "R", verstärkt den Erfolg Klinsmanns nur noch. ...
Klinsmann wird das neue Gesicht Deutschlands.
Auch Eldad Beck spricht im Sportsteil von Jedioth achronoth von Klinsmann
und Deutschlands neuem Gesicht:
Deutschland war schon bereit für die Siegesfeiern. Hunderttausende Fans
wollten am Wochenende Berlin erobern, die Politiker forderten einen
nationalen Feiertag am Tag nach dem Endspiel und der Fußballbund war bereit,
jede Forderung Klinsmanns zu erfüllen, nur damit er nicht nach Amerika
abhaut.
Nur eines nahm die Gastgebernation nicht ernst: Die Macht des römischen
Fluchs-Deutschland hat Italien noch niemals besiegt - und so platzten in den
letzten zwei Minuten der Verlängerung alle Träume, Hoffnungen und
Illusionen. Die deutsche Nation, die in den letzten drei Wochen ihre
Nationalmannschaft lieben gelernt hat, überfiel tiefe Trauer. Das große Fest
war mit einem Schlag zu Ende.
Im Stadion, auf den Straßen und in den Häusern brachen die Leute in Tränen
aus. Die Fanmeilen, die nach jedem deutschen Sieg vor Begeisterung platzten,
leerten sich.
Die Deutschen hüllen ihre Mannschaft in Liebe und Wärme ein. "Wir weinen mit
euch. Ihr seid trotzdem unsere Helden", schrieb die Bild. "Ihr habt wie
Weltmeister gekämpft". Dennoch ist das nur ein kleiner Trost für die
Mannschaft. "Die Enttäuschung ist riesig", gibt Klinsmann zu. "Dennoch
gebührt der Mannschaft großes Lob. Sie machte ein ganzes Land stolz. Wir
haben der Welt ein neues Gesicht Deutschlands gezeigt".
Alon Zander nennt in haArez noch ein paar gute Gründe, mit denen sich
Deutschland über das Ausscheiden aus dem Turnier hinwegtrösten kann: Man war
besser als Brasilien und hat eine wunderbare WM ausgerichtet:
"Deutschland hat eine beispielhafte WM organisiert, ordentlich, lustig, ohne
peinliche Zwischenfälle und mit Mengen von fröhlichen und originellen Fans.
Die Gastfreundschaft, mit der die ausländischen Mannschaften und Fans
aufgenommen wurden, hat den Deutschen sehr viel Sympathie eingebracht. Das
ist ein ausgezeichneter Grund, stolz zu sein. Ein weiterer Grund ist die
ehrgeizige, junge deutsche Mannschaft, die wirklich alles gegeben hat.
Klinsmann sagte nach dem Spiel zurecht: 'Die Mannschaft spielte bei jedem
Spiel mit ganzem Herzen. Deutschland kann stolz auf uns sein.'...Und noch
ein Grund: Miro Klose ist Torschützenkönig des Turniers..."
Lob,
Lob, Lob!
Eine Einführung in die Seele der
deutschen Fans
In den Medien ist kein einziges kritisches Wort gegen die deutsche
Mannschaft geäußert worden. Von allen Seiten nur Lob, Unterstützung und
Trost...
Schwarz-Rot-Gold mit Davidstern:
Der nationale Trend
Ein israelischer Fan der deutschen Mannschaft bei der WM zu sein, war bisher
eine Art perverses Vergnügen für Masochisten oder für solche, die einfach
Aufmerksamkeit erwecken wollten. Aber damit ist's jetzt vorbei...
Moishe Hundesohn:
Die Weisheit Salomons
Nicht unbedingt wörtlich...
Moishe Hundesohn:
Der
kleine Patriot
Muss Ruth dran glauben?...
WM-Fieber:
Moishe
Hundesohn
und der Elfmeter
Jingele, sei nich so negativ...
Moishe Hundesohn:
Das
WM-Virus
Meschugge wegen Fussball...
Das nationale Apriori:
Wie aus der BRD endgültig 'Deutschland'
wurde
Zu sehen sind nun die propagierten Accessoires in
Millionenausfertigung, ganz Deutschland schwelgt, klatscht, schreit, jubelt
und singt "blühe deutsches Vaterland" wie früher nur die NPD im
Hinterstübchen der Deutschen Klause in Delmenhorst...
Schunkeln,
singen, Fahnen schwingen:
Deutschland, Deutschland!
Es ist beruhigend, dass Mama nicht beunruhigt ist. Auch ich muss gestehen,
dass ich nichts von der Aggression und der Beunruhigung verspüre, die mich
vor nicht allzu langer Zeit bei dem Anblick eines solchen Fahnenaufgebots
ergriffen hätten...