Frankreichs Rechtsaußen (5):
Dieudonné schüttet Öl ins Feuer
Von Bernard Schmid
Die allzu verständliche Empörung über den Mord von
Oullins, seine mutmaßlichen (teilweise) rassistischen Motive und den
möglichen Polizeiskandal droht auf die beschriebene Weise, gegen das
Gedenken an andere Opfer in Widerspruch gebracht zu werden. Die legitime Wut
könnte auf diesem Wege gar noch zur Entfremdung von Bevölkerungsgruppen
untereinander beitragen.
Einer darf dabei nicht fehlen, wenn es darum geht, Benzin
ins Feuer zu kippen: Der schwarze Franzose, Theatermacher und "Humorist"
Dieudonné Mbala Mbala, allgemein bekannt unter seinem Künstlernamen, der mit
seinem Vornamen identisch ist. Prompt meldete Dieudonné für den 22. April
(einen Samstag) eine Demonstration an unter dem Motto "Gegen die
Diskriminierung unter den Opfern".
In Wirklichkeit ging es Dieudonné aber darum zu zeigen,
dass es angeblich eine ungerechtfertigte Bevorzugung gebe, dass nämlich
jüdische Opfer bevorzugt behandelt würden. Zum "Beweis" für diesen Versuch,
Opfer gegeneinander auszuspielen, diente Dieudonné die Behandlung von vier
Mordaffären durch "die Medien und die politische Klasse". Neben dem Mord an
Ilan Halimi und jenem an Chaïb Zehaf (bei denen antisemitische bzw.
rassistische Motive zumindest in ein Gemengelage aus Tatmotiven eingeflossen
sein dürften) nannte Dieudonné noch zwei andere Morde, die offenkundig
keinen ideologischen Hintergrund hatten. Es gelang ihm, den Sohn und die
Schwiegertochter von Benoît Savéan dafür zu gewinnen, mit ihm gemeinsam zu
demonstrieren: Dieser Peugeot-Angestellte aus Audincourt im französischen
Jura war aus kriminellen Motiven entführt und gefoltert worden, da die Täter
die Geheimnummer seiner Bankkarte aus ihm herauspressen wollte. Am 25.
Februar 2006 (also einen Tag vor der Pariser Demonstration zum Andenken an
Ilan Halimi) war seine Leiche aufgefunden worden, die grausam zugerichtet
war, ihr fehlten etwa die Ohren. Die Affäre fand ein nicht unbeträchtliches
Medienecho, das freilich geringer ausfiel als im Mordfall Ilan Halimi:
Schlicht und einfach aus dem Grund, weil die Tat keinerlei ideologische
Motive zugrunde liegen hatte und daher keine gesellschaftlichen
Konsequenzen, keine (mehr oder minder unmittelbare) Auswirkung auf das
Zusammenleben der übrigen Menschen zu haben schien.
Im Endeffekt kamen circa 100 Menschen zu Dieudonnés
Demonstration vom 22. April (laut Kurzmeldung in Le Monde vom Abend des 24.
April). Damit blieb die Beteiligung ausgesprochen gering. Dennoch hatte der
Appell im Vorfeld einige Aufmerksamkeit erregt. In dem Aufruftext hatte
Dieudonné sich auch darüber echauffiert, dass Innenminister Nicolas Sarkozy
drei junge Juden aus der Pariser Vorstadt Sarcelles, die Ende Februar bei
einem antijüdisch motivierten körperlichen Angriff (leichtere) Verletzungen
am Kopf erlitten hatten, kurz nach dem Hochkochen der Mordaffäre Ilan Halimi
im Amt empfangen habe. Nicht aber habe er die Familie des
Peugeot-Angestellten Benoît Savéan oder Chaïb Zehaf empfangen. Diesen
Vorwurf der Ungleichbehandlung drehte Dieudonné aber nicht so, dass er
Aufklärung über den möglichen Polizeiskandal zum Mord an Chaïb Zehaf
gefordert hätte, was ja noch richtig gewesen wäre – sondern indem er sich
über die angeblichen ungerechtfertigten Privilegien für die drei jungen
Juden aus Sarcelles ereiferte. Diese hätten, so heißt es in dem Aufruf
wörtlich, "keinen Kratzer" gehabt. (Kratzer nicht, wohl aber Nasenbrüche...)
Dennoch hat Dieudonné es nicht geschafft, die Familie des in der Nähe von
Lyon ermordeten Chaïb Zehaf zur Teilnahme an "seiner" Demo zu bewegen.
Besonders diesen (wahrscheinlich rassistisch motivierten) Mord versuchte
Dieudonné ideologisch zu seinen Zwecken auszuschlachten. So behauptete er in
seinem Demoaufruf, der Todesschütze sei "der Sohn eines praktizierenden
Juden". (Diese ‘Information’ ist höchst wahrscheinlich falsch und findet
nirgendwo Bestätigung. Und selbst falls sie nicht falsch sein sollte, steht
sie in keinerlei Zusammenhang mit der Tat und erklärt nichts daran. Aus
gutem Grund sollte man in diesem wie in anderen Fällen davon absehen, auf
die Herkunft und Abstammung der Täter abzustellen, sofern sie nichts zur
Erhellung des Tathintergrunds beiträgt.) Der Bruder des Mordopfers, Halim
Tiaïbi, erklärte ferner in einem Interview mit der linksliberalen
Wochenzeitung Charlie Hebdo vom 15. April 2006 in ziemlich vernünftigen
Worten: "Der Wahlkampfleiter (sic; Anm.: der Mann bezeichnet sich als
Präsidentschaftskandidat für 2007) von Dieudonné hat meine Mutter angerufen,
um zu versuchen, sie für einen ‘Marsch gegen die Diskriminierung unter
Opfern’ zu gewinnen. Andere haben, ohne uns (die Familie) überhaupt zu
fragen, im Internet ein ‘Kollektiv Chaïb Zerhaf’ ausgerufen. (...) Ich mache
da nicht mit! Man nutzt nicht so ein Drama aus, um die Leute gegeneinander
auszuspielen." Unter den Urhebern des Internet-Aufrufs, den der Bruder des
Opfers kritisch zitierte, finden sich moslemische Gemeindefunktionär und der
moslemisch-kommunitaristische Ideologie Tariq Ramadan.
Dieudonné, der im kommenden Jahr zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren
will (aber wahrscheinlich nicht die formalen Voraussetzungen für eine
Kandidatur erfüllen wird: 500 Unterschriften von Bürgermeistern usw.), darf
grundsätzlich nirgendwo fehlen, wo Öl ins Feuer gekippt wird. Ende April
2006 ließ er sich für die erste Ausgabe der, nach zehnjähriger Pause wieder
erscheinenden, nationalrevolutionären Monatszeitschrift im Umfeld des Front
National namens Le Choc du mois interviewen. Darin verglich er sich selbst,
der in Frankreich aufgrund seiner unbequemen Auffassungen verfolgt werde,
mit dem ebenso "verfolgten" Jean-Marie Le Pen. (Nicht, dass er sich auf
dieselbe Seite gezählt hätte: Dieudonné behauptet in dem Interview glatt, er
selbst vertrete angeblich "die wahre Linke" und Le Pen "die wahre Rechte",
die übrigen politischen Akteure seien dagegen Betrüger. Aber unter
Verfolgten müsse man sich eben gegenseitig Respekt zollen...) (1)
Erstmals kann Dieudonné allerdings seit einigen Wochen
nicht länger behaupten, er sei "noch nie gerichtlich verurteilt worden" für
seine Hetzäußerungen, sondern er habe immer "Recht bekommen". Bis dahin
hatte er es tatsächlich immer geschafft, Freisprüche zu erzielen - indem er
behauptete, er agitiere nicht etwa gegen die jüdische Bevölkerungsgruppe an
sich, sondern gegen die Politik bestimmter jüdischer Kreise oder des
israelischen Staates. Am 10. März 2006 jedoch verurteilte ihn die 17.
Strafkammer im Pariser Justizpalast zu 5.000 Euro Geldstrafe wegen
"Aufstachelung zum Rassenhass".
Dem Urteil zugrunde liegt ein Interview, das Dieudonné der
Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) in ihrer Ausgabe vom 08. Februar
2004 gegeben hatte. Darin hatte Dieudonné pauschal davon gesprochen, jene
(jüdischen) Personen, die ihm widersprächen oder gewälttätig gegen ihn
vorgingen, seien "alles ehemalige Sklavenhändler, die sich im Bankgeschäft
und im Mediengeschäft recycelt haben, heutzutage auch im Terrorismus, und
die die Politik von Ariel Sharon unterstützen". Da keinerlei
nachvollziehbarer inhaltlicher Zusammenhang zum Sklavenhandel und ähnlichen,
real negativen historischen Erscheinungen bestand, kam das Gericht zum
Schluss, dass Dieudonné tatsächlich die jüdische Bevölkerungsgruppe als
solche bezichtige, "négriers" (Sklavenhändler) zu sein. Dies entspreche der
antisemitischen Vorstellungswelt vom jüdischen "Blutsauger". Daher ist
Dieudonné nunmehr, zum ersten Mal, vorbestraft. (Zu dem Gerichtsurteil siehe
France Soir vom 11. März 2006)
Tatsächlich hegt Dieudonné einen ungeheuren Groll gegen
die jüdische Bevölkerungsgruppe, da er ihr vorwirft, durch die Erinnerung an
die Shoah das Gedenken an historische Verbrechen zu "monopolisieren" - und
dadurch die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen der Sklaverei nicht
aufkommen zu lassen. Diese Form von "Opferkonkurrenz" bildet sein zentrales,
grundlegendes Motiv. Dabei ist aber der von ihm formulierte Vorwurf
inzwischen längst zum völlig irrationalen Selbstläufer, zum Ausdruck eines
zum Selbstzweck erhobenen Hasses geworden.
Wenn man Dieudonné etwa darauf hinweist, dass der
französische Code noir (das Gesetzbuch über den Sklavenhandel, das unter der
Monarchie eingeführt wurde und bis im 18. Jahrhundert galt) gleich in seinem
Artikel 1 den Juden die Teilhabe an dem Geschäft des europäischen
Sklavenhandels verbot (!), findet der Mann auch darauf noch eine Antwort.
Aber diese Antwort fällt absolut irrsinnig, und von jeder historischen
Grundlage losgelöst aus. Am 29. April 2005 stellte er etwa folgende
wahnwitzige, jeglicher historischen Grundlage entbehrende Behauptung im
Radiosender Beur FM auf: "Der erste Artikel des 'Code noir' besagt, dass
dieser Handel den Juden verboten sei. Aber warum? Deshalb, weil die Juden
seit langem das Monopol darüber hatten und weil man eine christliche
Dimension (darin) einführen musste. Das heißt, weil man aufhören musste, die
männlichen Sklaven zu kastrieren, weil man aufhören musste, die Kinder ins
Wasser zu werfen." (Zitiert nach dem auch sonst interessanten Buch der
Journalistin Anne-Sophie Mercier: La vérité sur Dieudonné, Paris, Verlag
Plon 2005, hier zitiert von S. 29)
Wie auch bei anderen antisemitischen Ideologen, hat sich
bei Dieudonné inzwischen das Ressentiment gegen die Wirklichkeitserfahrung
resistent gemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass sein Selbstbild (er sei das
Sprachrohr der Entrechteten und Enterbten, der Rächer der marginalisierten
Immigrantenjugend in den Banlieues etc.) auch weiterhin Makulatur bleibt.
Gerichtsurteile gegen Rechtsextreme
Auch gegen Angehörige der "klassisch" rassistischen und
antisemitischen extremen Rechten sind in jüngster Zeit mehrere Sanktionen
verhängt oder bestätigt worden.
Am Montag, den 22. Mai 2006 bestätigte das oberste französische Gremium für
Hochschullehre und Forschung, der CNESER, die Suspendierung des Front
National-Politikers von seinem Univeristätsamt als Juraprofessor an der
Hochschule Lyon-III. Bruno Gollnisch war zunächst durch die örtlichen
Hochschulbehörden aus dem Universitätsdienst entfernt worden, nachdem er am
11. Oktober 2004 (bei einer Pressekonferenz in den Räumen des Front National
in Lyon) die Existenz der Shoah geleugnet und relativiert hatte: Die
angeblich geknebelte Forschung müsse endlich frei über die Zahl der Toten
und ihre Todesart diskutieren können usw. Gollnisch wurde für 5 Jahre vom
Dienst suspendiert, d.h. faktisch bis zu seinem Eintritt in die Rente, und
sein Gehalt wurde um die Hälfte gekürzt. Nunmehr hat also das oberste
Gremium, das für Forschung und Lehre ist, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme
bestätigt. Sie muss nunmehr noch vom zuständigen Bidlungsminister (d.i. zur
Zeit der Christdemokrat Gilles de Robien) als oberster politischer Instanz
bestätigt werden, aber daran besteht kaum ein Zweifel.
Bereits fünf Tage zuvor, am 17. Mai 2006, hatte das Berufungsgericht in Lyon
die Verurteilung des früheren rechtsextremen Regionalparlamentariers Georges
Theil wegen Holocaustleugnung bestätigt. Theil muss für sechs Monate (ohne
Bewährung) in Haft und 10.000 Euro Geldstrafe bezahlen. Der Mann hatte am
14. Oktober 2004, drei Tage nach den oben zitierten Äußerungen des hohen
FN-Funktionärs Bruno Gollnisch und wohl durch diese beflügelt, ungeniert
offen die Existenz der Shoah bestritten. Die Gaskammern seien eine
Erfindung, und das tödliche Gas Zyklon B sei "ein Desinfektionsmittel" in
den Konzentrationslagern gewesen. Theil wörtlich, vor den Mirkophonen der
Presse und eines lokalen Fernsehsenders: "Je mehr die Deutschen davon
benutzten, desto mehr Leben haben sie gerettet."
Dafür wurde Theil am 07. Oktober 2005 zu einer Haftstrafe
von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dieses Urteil wurde jetzt
bestätigt. Damit ist Theil die erste Person, die in Frankreich aufgrund der
"Auschwitzlüge" tatsächlich ins Gefängnis muss. Bis dahin hatte es zwar
Urteile gegen Holocaustleugner gegeben, aber aufgrund von Bewährungsregeln
u.a. hatte bisher noch keiner hinter Gittern gesessen. Das ändert sich
jetzt. Theil war in jüngerer Vergangenheit Pressesprecher der FN-Fraktion im
Lyoner Regionalparlament gewesen (nachdem er selbst dort als Abgeordneter
gesessen hatte).
Der Chef des Front National, Jean-Marie Le Pen, selbst wurde seinerseits am
11. Mai 2006 in dritter und letzter Instanz wegen "Aufstachelung zum
Rassenhass" verurteilt. Le Pen hatte in einem Interview, das am 19. April
2003 (am Vorabend des letzten Parteikongresses des FN) in der Pariser
Abendzeitung Le Monde publiziert worden war, für die nahe Zukunft behauptet:
"An dem Tag, an dem wir nicht mehr fünf Millionen (Anm.: eine Angabe für die
heutigen Verhältnisse, die bereits übertrieben ist), sondern 25 Millionen
Moslems in Frankreich haben, da werden sie es sein, die bestimmen. Und die
Franzosen werden sich der Wand entlang drücken, und vom Trottoir herunter
steigen und dabei die Augen zum Boden richten. Und wenn sie es nicht tun,
wird man ihnen sagen: ‘Warum guckst Du mich so an, suchst Du Streit?’ Und
dann wird man besser Leine ziehen, denn sonst wird man Prügel abbekommen."
Nachdem er im April 2005 und im Februar 2005 in erster bzw. zweiter Instanz
verurteilt worden war, wurde das Urteil nunmehr rechtskräftig bestätigt. Le
Pen steht somit kein Rechtsweg mehr offen. Aufgrund von "Aufstachelung zum
Rassenhass" muss er 10.000 Euro Geldstrafe bezahlen und 5.000 Euro an die
Liga für Menschenrechte (LDH), die als Nebenklägerin auftrat, abdrücken.
>> Fortsetzung folgt...
Teil 1: Ideologische Abgrenzungsversuche, Islam-Diskussion
Teil 2: "Rupft" der MPF
erfolgreich den Front National?
Teil 3:
Antisemitismus-/Philosemitismus-Debatte und Bündnisdiskussion
Teil 4:
Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen nehmen
(periodenweise) zu Anmerkung:
(1) : Dieudonné, der Antisemitismus und die extreme
Rechte:
Dass Dieudonné auf diesem Wege in der ersten Ausgabe der
neuen Serie von Le Choc du mois zu Wort kommt, also in einer vor ihrem
Erscheinen nicht (bzw. seit 10 Jahren nicht mehr) existierenden Publikation,
bedeutet, dass er vorab über die Pläne ihres Neuerscheinens eingeweiht
worden sein muss. Daraus soll an dieser Stelle nicht geschlussfolgert
werden, dass er eng mit der französischen extremen Rechten rund um den FN
zusammen arbeite – das wäre wohl eine falsche Überinterpretation -, wohl
aber, dass er in einem bestimmten rechtsextremen Spektrum auf Beifall stößt
und dass er den Applaus von dieser Seite ohne viel Federlesens hinnimmt.
Vor allem auf dem "nationalrevolutionären" Flügel der extremen Rechten, die
in eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen aufgeteilt ist (neben den
Nationalrevolutionären gibt es etwa ultrakatholische Nationalisten,
neuheidnische und 'ethnopluralistisch'-differenzialistische Rechte,
Monarchisten...), stößt Dieudonné auf Zustimmung. Dagegen dürften etwa die
Ultrakatholiken wenig von Dieudonné, der immer wieder gerne gegen religiöse
Überzeugungen provoziert, wissen wollen. - Der "nationalrevolutionäre"
Flügel übt einen gewissen Einfluss auf die Zeitschrift Le Choc du mois aus.
Die französische Bezeichnung für diesen Teil der extremen Rechten lautet
übrigens 'nationalistes-révolutionnaires'.
Die Besonderheit der "nationalrevolutionären" Strömung innerhalb der
extremen Rechten liegt darin, dass ihre Aktivisten sich subjektiv
tatsächlich als Revolutionäre gegen die gesellschaftliche Herrschaftsordnung
verstehen (im Gegensatz zu anderen rechten Strömungen in Frankreich, die
sich etwa von vornherein in der Tradition der Konterrevolution "gegen 1789"
ansiedeln wie etwa der ultrakatholische FN-Flügel, und die Verteidigung bzw.
Wiederherstellung "der natürlichen Ordnung" anstreben). Und dabei verstehen
ihre Aktivisten den Nationalismus, die nationalistische Ideologie in ihrem
Weltbild als wichtigen Motor der Rebellion oder des "Befreiungskampfs".
Dabei vermengen die Nationalrevolutionäre hemmungslos die Situation in
Ländern, in denen tatsächlich nationale Unterdrückung besteht oder bestand
(wie etwa in Lateinamerika unter US-abhängigen Diktaturen, in den
französischen oder britischen Kolonien), mit jener der eigenen Nation bzw.
in den großen europäischen Staaten. Nun kann zwar niemand behaupten,
Frankreich oder Deutschland erlitten tatsächlich eine äußere Unterdrückung
oder Besatzungsherrschaft, wie beispielsweise Algerien oder Madagaskar sie
unter französischer Vorherrschaft erlebten. Aber aus der Sicht der
"nationalrevolutionären" Ideologie sind die großen europäischen Nationen
genauso Subjekte "nationaler Befreiung" wie etwa die "unterdrückten Völker"
der Iren, Basken... oder Kurden, Palästinenser... Den Unterschied zu
Situationen, in denen tatsächlich eine Form von äußerer Herrschaft über ein
Land ausgeübt wird, überbrücken die Nationalrevolutionäre mit
verschwörungstheoretischen Darstellungen zur Macht der USA (in deren
Knechtschaft sich die übrigen Nationen, vor allem die eigene befänden) und
"des internationalen Zionismus". Gerne identifiziert sich diese Strömung
auch mit den radikalsten Strömungen des palästinensischen Nationalismus, vor
allem aber versucht sie die Lage der "eigenen" Nation mit jener der
Palästinser/innen auf eine vergleichbare Ebene zu setzen. Antisemitismus ist
dieser Strömung der extremen Rechten, um es äußerst vorsichtig auszudrücken,
nicht fremd.
Die "nationalrevolutionäre" Publikation, die unter dem Titel Résistance – Le
mensuel des résistants au nouvel ordre mondial (zu deutsch: "Widerstand –
Die Monatszeitschrift der Widerstandskämpfer gegen die neue Weltordnung";
vgl. dazu auch die Webpage http://www.voxnr.com/) seit nunmehr circa drei
Jahren (wieder) erscheint, hat ihre Sympathie für Dieudonné entdeckt. In der
Ausgabe Nr. 30 vom Januar 2006 druckt die Zeitschrift auf einer Doppelseite
– von insgesamt 16 Seiten – seine "Neujahrswünsche an die Presse für das
Jahr 2006" ab. Darin bekräftigt Dieudonné seine Kandidatur zu den
Präsidentschaftswahlen im April 2007, die freilich in der Praxis wohl daran
scheitern dürfte, dass Dieudonné mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht
die formalen Rechtsvoraussetzungen für eine Kandidatur (500
Unterstützungsunterschriften von Bürgermeister oder Abgeordneten von der
Ebene der Bezirksparlamente an aufwärts) erfüllen dürfte. Vor allem aber
begründet Dieudonné darin sein Projekt des Widerstands gegen
Neokonservativismus, Neoliberalismus, unsoziale Politik und
US-Kriegspolitik, so wie er sie sieht und interpretiert. Zu einem nicht
unwesentlichen Teil schießt Dieudonné sich dabei auf als jüdisch bekannte
Persönlichkeiten ein, und behauptet: "Der Neokonservativismus (...) benutzt
überall dieselbe Waffe, um seine Gegner zu diskreditieren und seine
Übergriffe zu rechtfertigen: die Anklage, antisemitisch zu sein."
Dabei nimmt er Bezug auf die Vorwürfe gegen den venezolanischen Präsidenten
Hugo Chavez, dem im Januar 2006 von mancher Seite antisemitische Äußerungen
vorgeworfen worden waren, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht. (Chavez
hatte in einer Rede vom Widerstand gegen "die Nachfahren derer, die Christus
gekreuzigt haben", aufgerufen. Anders als manche Kritiker meinten, spielte
er damit aber wohl nicht auf die Juden als "Christusmörder" an, sondern auf
das Römische Reich – und tatsächlich waren es nach der biblischen
Darstellung die Römer, die Jesus hinrichteten. Dem populistischen
Präsidenten Chavez ging es wohl in darum, in einer mit katholischem Kitsch
unterlegten Darstellung herauszustreichen, dass "Jesus der erste Sozialist"
gewesen sei und dass das US-amerikanische Imperium von heute mit dem
Römischen Imperium von damals vergleichbar sei. Das klingt nicht sehr nach
streng wissenschaftlicher Analyse..., war aber wohl auch nicht mit
antisemitischen Motiven verknüpft.) Dieudonné benutzt dieses Beispiel aber,
um daraus die generelle Schlussfolgerung abzuleiten, überall diene der
Vorwurf des Antisemitismus dazu und ausschließlich dazu, Kritiker der
Mächtigen und ihrer unsozialen Politik mundtot zu machen. Schließlich zieht
er dann noch folgende schräge Parallele: "Frankreich muss das Venezuela
Europas sein", im Sinne einer Wortführerschaft einer selbstbewussten Politik
gegenüber den machtvollen USA.
Ferner äußert Dieudonné sich in dem Interview mit 'Résistance' auch zum
israelisch-palästinensischen Politik. Lapidar merkt er dazu an: "Um
definitiv aus der Krise heraus zu kommen, trete ich für die Schaffung eines
einheitlichen, multikonfessionellen palästinensischen Staates ein, der in
Frieden mit seinen Nachbarn zusammen leben wird." Dieudonné sagt nicht: Ich
(der ich nicht am Konflikt beteiligt bin) trete für die Koexistenz eines zu
bildenden palästinensischen Staates mit Israel ein. Er sagt auch nicht: Ich
wäre für die Bildung eines bi-nationalen Staates, in dem beide Völker, das
palästinensische und das israelische, zusammen leben könnten (wie es in
einem Teil der israelischen Linken und der PLO-Linken früher diskutiert
wurde und wohl noch wird). Er spricht von einem "einheitlichen" Staat,
dessen Nationalität er ausschließlich als 'palästinensisch' charakterisiert,
was keinen Platz für eine israelische Nationalität innerhalb der
angestrebten Koexistenz (?) lässt. Rätselhaft bleibt noch, was er unter
'multikonfessionnel' versteht: Einen Staat für Moslems und Christen? Oder
auch für Moslems, Christen und Juden? Letzteres spricht er nicht einmal aus.
Es entspräche einer programmatischen Vorstellung, die die PLO vor über 30
Jahren erhob, die aber längst historisch überholt ist. Offenkundig hat
Dieudonné schlicht keine Lust, sich über das Schicksal der jüdischen
Bevölkerung von Israel Gedanken zu machen, das er rhetorisch einfach umgeht.
Das übertrifft bei weitem noch die politischen Vorstellungen fast aller
palästinensischen Strömungen an Hemdsärmeligkeit - während anscheinend sogar
innerhalb der Hamas eine Diskussion über die Akzeptanz eines
palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 anfing, existiert Israel
und seine Gesellschaft innerhalb der Gedankenwelt Dieudonnés einfach nicht.
Das Bulletin Résistance, in dem Dieudonnés Auslassungen
abgedruckt sind, bezieht sich auf seinem Titelblatt ebenfalls positiv auf
die Staatschefs Venezuelas und Boliviens, Hugo Chavez und Evo Morales, den
durch eine Fotomontage eine brennende US-Flagge in die Hand gedrückt wird.
Wobei die beiden südamerikanischen Politiker von dieser ungebetenen
"Unterstützung" vermutlich nichts ahnen, und auch nichts dafür können.
Es ist gut möglich, dass Dieudonné die "nationalrevolutionäre" Publikation
nicht autorisiert hatte, seine Ansprache zu veröffentlichen, sondern dies
ungefragt passierte. Bemerkenswert daran ist aber dennoch, dass -1- nichts
über einen Prozess oder eine öffentliche Kritik Dieudonnés an der
Publikation bekannt geworden ist, und dass -2- Dieudonné drei Monate später
der rechtsextremen und "nationalrevolutionär" beeinflussten Zeitschrift Le
Choc du mois ein Interview gibt. Und natürlich ist ganz allgemein
bemerkenswert, welchen Applaus Dieudonné bei diesen militanten
Rechtsextremen (die selbst freilich die Devise auf ihrer Zeitschrift prangen
lassen: "Nicht rechts, nichts links, sondern das Volk") erfährt, obwohl er
sich ansonsten etwa auch für einen Dialog mit Afrika ausspricht, der der
klassischen extremen Rechten ziemlich schnurzegal sein dürfte.
Diese Publikation unter dem Titel Résistance wird von Christian Bouchet
herausgegeben, der um 1990 eine nationalrevolutionäre Gruppe unter dem Namen
Nouvelle Résistance (NR, "Neuer Widerstand"; entstanden durch Abspaltung von
der etwas größeren Gruppierung Troisième Voie, "Dritter Weg") gegründet
hatte. Diese ultraradikale Gruppe, der vielleicht 200 Mitglieder angehörten,
bezog sich in ihren öffentlichen Äußerungen in den neunziger Jahren positiv
auf russische Nationalisten, das iranische Regime oder die palästinensische
Hamas. Sie kam allerdings über ein Kleingruppendasein nie hinaus. Im
November 1996 beschloss "Nouvelle Résistance", sich an den Front National
anzunähern und ihre Mitglieder zum Beitritt zu der rechtsextremen Großpartei
aufzufordern. Nunmehr glaubte Christian Bouchet, im Spektrum der
"etablierten" extremen Rechten um einen Platz für seine Strömung ringen zu
können. Damals wurde der NR-Mann André-Yves Beck Angestellter im Rathaus des
südfranzösischen Orange (30.000 Einwohner), unter dem rechtsextremen
Bürgermeister Jacques Bompard. Auch heute noch, nachdem Jacques Bompard vom
Front National zum rechtskatholischen MPF übergetreten ist, amtiert
André-Yves Beck im dortigen Rathaus nach wie vor als Kommunikationsdirektor
- als solcher erwähnt wird er etwa in Le Monde vom 16. April 2006. Beim
Übertritt von Jacques Bompard zu der rechtskatholischen Partei hatte
MPF-Chef Philippe de Villiers allerdings klar gestellt, dass man André-Yvec
Beck nicht in ihren Reihen wünsche; sein Beitritt komme nicht in Frage,
aber, zitiert Libération vom 21. Oktober 2005 einen Mitarbeiter von MPF-Chef
de Villiers, "was im Rathaus von Orange abläuft, das geht nur den
Bürgermeister etwas an". - Nach der Parteispaltung des FN (1998/99) wurden
Bouchet und seine Anhänger wieder verstärkt eigenständig aktiv, nachdem sie
sich bereits 1998 mit anderen aktivistischen Strömungen jenseits der
"etablierten" FN-Parteipolitik zu der Sammelbewegung Unité Radicale (UR)
zusammengeschlossen hatten. Unité Radicale wurde 2002, nach dem
Attentatsversuch eines durchgeknallten UR-Mitglieds namens Maxime Brunerie
auf Präsident Jacques Chirac, verboten. Ihre Nachfolgeorganisation hört auf
den Namen Bloc identitaire, kam aber bisher nicht zu größerer Bedeutung.
Was diese sich selbst als "Résistance"-Anhänger bezeichnenden
Nationalrevolutionäre u.a. unter den Begriff "Widerstand" fasst, illustriert
die Nr. 30 der oben zitierten Publikation vom Januar 2006. Es handelt sich
um dieselbe Ausgabe, in der auf den Seiten 8 und 9 die Rede von Dieudonné
abgedruckt wird. Auf Seite 13 wirbt die nationalrevolutionäre Publikation
für ein Buch, das in ihrem Online-Verlag erhältlich ist, unter dem Titel
"Werwolf, histoire de la résistance allemande" (Werwolf, Geschichte des
deutschen Widerstands). Im Ankündigungstext liest man dazu: "Im Frühjahr
1944 ist das Reich noch nicht besiegt, aber Heinrich Himmler sieht bereits
das Schlimmste voraus. Er veranlasst also das Notwendige, damit das Reich
sich auf eine mögliche Invasion durch die alliierten Truppen vorbereitet.
Sehr zahlreiche Deutsche, Mitglieder der Hitlerjugend oder der NSDAP, werden
in Guerillakampf und Sabotage ausgebildet. Man wird sie als ‘Werwölfe’
bezeichnen. Sie werden einen Partisanenkrieg hinter den Linien der
alliierten Truppen führen, und manche werden ihren Kampf über den 8. Mai
1945 hinaus fortsetzen, manchmal bis 1948! (...)"
Dies alles macht aus Dieudonné natürlich keinen Anhänger der Nazi-"Operation
Werwolf". Aber eines kann der Mann kaum noch länger abstreiten: Dass er
zunehmend deutlich als Antisemit auftritt, der auch auf der extremen Rechten
als solcher erkannt und deshalb in einem Teilsegment ihres Spektrums als ein
Geistesverwandter betrachtet wird.
hagalil.com 29-05-2006 |