Frankreichs Rechtsaußen (2):
"Rupft" der MPF erfolgreich den Front National?
Von Bernard Schmid
Der Eine sitzt auf einem – hölzernen – Pferd, in voller
Kreuzritterrüstung und mit einem Säbel in der Hand. Der andere, im
gallischen oder germanischen Fellumhang, reitet auf einer Wildsau und
schwingt dabei eine Barbarenkeule. So stellt der Karikaturist von Charlie
Hebdo die beiden Parteichefs im französischen Rechtsaußenspektrum mitsamt
ihren "Fantasmen" dar: Jean-Marie Le Pen, den Vorsitzenden des Front
National (FN), als Keulenschwinger und den Grafen Philippe de Villiers vom
Mouvement pour la France (MPF, Bewegung für Frankreich) als Kreuzritter. Die
linksliberale Wochenzeitung widmete ihnen in ihrer Ausgabe vom 10. Mai 2006
eine Doppelseite, die Themenstellung lautete: "Das Vokabular der extremen
Rechten: eine vergleichende Studie".
Seit einigen Monaten liefern die beiden Politiker sich einen heftigen
Verdrängungswettbewerb. Nach Angaben von Guillaume Peltier, dem 30jährigen
Generalsekretär des rechtskatholischen MPF – der von 1998 bis 2001 selbst
der Jugendorganisation des Front National angehört hatte – sind in diesem
Zeitraum 3.000 ehemalige Mitglieder und Funktionäre der neo- oder
altfaschistischen Partei zu Philippe de Villiers übergelaufen. Bis dahin
hatte der Graf als politisch eher harmloses Leichtgewicht gegolten: Seit
1992 stand er an der Spitze einer Kleinorganisation unter dem Namen Combat
pour les valeurs (Kampf für die Werte), die vor allem Abtreibungsgegner,
nationalkonservative Mittelständler und eine Handvoll EU-Gegner
organisierte. Ein paar mal gelangen de Villiers zwar Überraschungserfolge,
namentlich bei den Europaparlamentswahlen von 1994 und 1999, bei denen ihm
die hohe Enthaltung und das Desinteresse der Wähler zu Hilfe kamen. Doch
gelang es ihm nicht, darauf eine längerfristige Erfolgsstrategie zu gründen.
De Villiers' Stunde kam aufgrund der innerparteilichen Lähmung des FN, wo
man sich vor einem Jahr mächtig über die Frage der Nachfolge des alternden
Jean-Marie Le Pen (78) in die Wolle bekam. Damals flogen derart die Fetzen,
dass der Front National im Abstimmungskampf über den EU-Verfassungsvertrag,
im Vorfeld des französischen Referendums von Ende Mai 2005, fast völlig mit
Abwesenheit glänzte. So blieb es vor allem de Villiers überlassen, das "Nein
von Rechts" zum Verfassungsvertrag zu formulieren, während das anders
motivierte "Nein von Links" die Mediendiskussionen beherrschte. Dieses
rechte Non begründete der Graf – an dem tatsächlich zur Abstimmung stehenden
Thema vorbei – vor allem mit der Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei als
"trojanischem Pferd des Islam in Europa".
Seitdem wird de Villiers nicht müde, Le Pen offen die Truppen abzuwerben. Im
März 2006 kam es sogar zu einem Prozess zwischen den beiden Parteien, den
der Front National in Paris angestrengt hatte, um die Konkurrenz vom MPF
wegen Plagiierens seiner Webpage anzuklagen. Und tatsächlich zeigte ein
Vergleich sehr leicht, dass beide Interseiten fast identisch aufgebaut
waren, bis in die Benutzung desselben Farbtons und desselben Schrifttyps
hinein. "Es gibt 5.000 Blautöne, aber es ist just das Blau des Front
National, das vom MPF benutzt wird", tobte Le Pens Rechtsanwalt Wallerand de
Saint-Just. Dennoch wurde der MPF freigesprochen, da kein Plagiat vorliege.
Begründung: Der Webmaster beider Internerseite war derselbe – Romain Létang
war, nachdem er die Homepage www.front-national.com entworfen hatte, selbst
zu den Rechtskatholiken unter de Villiers übergelaufen. Also durfte er auch,
rein rechtlich betrachtet, sein "geistiges und künstlerisches Eigentum"
mitnehmen.
Ferner konnte der MPF die letzten beiden rechtsextremen Bürgermeister
gewinnen: Jacques Bompard in Orange (30.000 Einwohner), im Dezember 2005,
und im März 2006 dann Marie-Christine Bignon, Oberhaupt der Kommune
Chauffailles bei Dijon (4.500 Einwohner). Jacques Bompard träumt
unterdessen, ganz offenkundig, immer noch von einem "besseren und
effektiveren Front National" - nach dem Abgang von dessen Chef Le Pen, der
jegliche Entwicklungschancen blockiere und das Parteileben monopolisiere.
Unter der (zu dieser Idee genau passenden) Überschrift "Le Pen gegen den FN"
veröffentlichte das nunmehrige MPF-Mitglied Bompard am 10. April 2006 ein
längeres Manuskript auf seiner Homepage (http://www.esprit-public.info/).
"Während die alltägliche Realität dem FN Tag für Tag mehr Recht erteilt",
schreibt Bompard darin, sei Jean-Marie Le Pen völlig unfähig, diese
Steilvorlage in politische Siege zu verwandeln. Dies bedeutet, dass einer
der mittlerweile prominentesten MPF-Politiker öffentlich erklärt, dass der
Front National in seiner Beschreibung der gesellschaftlichen Realität in
Frankreich "Recht" habe. Ein Artikel in der Pariser Abendzeitung Le Monde
vom 16. April 2006 über die Zustände im Rathaus von Orange zeichnet
unterdessen ein erschreckendes Bild darüber, wie unter Bompards Amtsführung
die wenigen kommunalen Oppositionsabgeordneten systematisch schikaniert,
eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Die rechtsextreme Rathauspolitik
in Orange, wo Jacques Bompard seit 1995 amtiert (die ersten zehn Jahre
hindurch als Mitglied des Front National), zog schon früh die Aufmerksamkeit
auf sich. Im Jahr 1996 etwa berichtete die landesweite Presse darüber, wie
die Rathausmannschaft unter Bompard die Bibliotheken gesäubert hatte. Bücher
"oppositionellen" Inhalts waren aus den Regalen verschwunden – bis hin zu
Kinderbüchern mit Märchen aus China oder Afrika. Denn die nationale Jugend
durfte nicht durch fremdländische Märchen im Geiste des "Kosmopolitismus"
erzogen werden.
Unterdessen konnte der MPF neuen Zulauf von bisherigen rechtsextremen Kadern
verzeichnen. In der zweiten Aprilwoche nahm er den ehemaligen
FN-Parlamentskandidaten (1996 in Gardanne) Damien Bariller auf - der infolge
der Parteispaltung des Front National vom Jahreswechsel 1998/99 zur engeren
Umgebung des Anführers der "Dissidenten" Bruno Mégret zählte und als dessen
"Kabinettschef" amtiert hatte. Damien Bariller zählte zu jener jungen
Kadergeneration der 30- und 40jährigen, die mit dem Alleinführungsanspruch
Le Pens innerhalb seiner Partei nicht einverstanden waren. Anfänglich war er
noch die "rechte Hand" von Bruno Mégret in seiner neuen Partei, dem MNR
(Mouvement national-républicain) gewesen, doch von dessen Niedergang –
ebenso wie viele andere Kader – enttäuscht und frustriert worden. Jetzt
amtiert er als Bezirksvorsitzender von Philippe de Villiers' MPF im
Département von Marseille. Auch der ehemalige FN- und spätere MNR-Politiker
Gérard Freulet, der im südelsässischen Mulhouse in den neunziger Jahren
Wahlergebnisse um die 25 % der Stimmen einholte, trat im April 2006 dem MPF
bei.
Warum fühlen solche Personen sich nunmehr bei den Rechtskatholiken wohl?
Die Partei de Villiers' hat jungen, gut ausgebildeten, nach Macht(teilhabe)
hungernden Kadern einfach mehr realpolitische Perspektiven als der Front
National (oder gar der gescheiterte MNR Mégrets) zu bieten: Während
Jean-Marie Le Pen sich selbst – wenn auch demagogisch, da die
Bündnisverweigerung der Bürgerlichen ihm diesen Standort zum Teil
aufgezwungen hat - als "auerhalb des Systems" stehend bezeichnet, hat der
Graf durchaus noch seinen Platz am Rande des politischen Establishments. So
führt er nach vor die Bezirksregierung in der Vendée, einer
westfranzösischen Region, die seit der katholisch-konterrevolutionären
Erhebung gegen die junge französische Republik von 1793 stets rechte
Politiktraditionen bewahrt hat.
In den 80er Jahren war de Villiers noch Staatssekretär gewesen. Seitdem hat
er seine Positionen nach rechts hin radikalisiert, aber die Verbindungen zum
konservativen Mainstream sind nach wie vor nicht abgerissen. Dabei hat
Philippe de Villiers freilich zugleich noch ein Problem: Aufgrund seines
wesentlich konservativeren sozialen Profils (und seiner realen
wirtschaftsliberalen Ansichten) konnte es ihm bisher kaum gelingen, in
vergleichbarer Weise eine Wählerschaft in den gesellschaftlichen
"Unterklassen" zu gewinnen wie Le Pen. Die Wählerschaft de Villiers' und des
MPF ist bisher (verglichen mit jener des Front National) wohlhabender,
dörflicher und zumTeil auch älter. Bzw. jene des FN ist großstädtischer,
ärmer und teilweise auch jünger, wobei sich der letztgenannte Unterschied
noch am ehesten verwischt.
Ferner ist die Anhängerschaft Philippe de Villiers' bisher nicht in
vergleichbarem Maße (subjektiv) "anti-system-orientiert", und folgt ihrem
Wortführer auch nur bedingt, wenn dieser zum Bruch mit Orientierungen des
Mainstreams im politischen Establishment Frankreichs aufruft. Konkret:
Philippe de Villiers wird in seinem Département (Le Vendée) mit
Prozentsätzen um die 67 Prozent gewählt - doch anlässlich der französischen
Volksabstimmung über den EU-Verfassungsvertrag vom 29. Mai 2005 stimmten
knapp über 50 Prozent der Einwohnerschaft des Départements mit "Ja". Aber
Philippe de Villiers hatte zum Nein-Stimmen aufgerufen. In einer solchen
Frage sah Jean-Marie Le Pen sich weitaus eher in Übereinstimmung mit seiner
Wählerschaft, die zum größten Teil mit "Nein" stimmte. (1)
Der FN-Chef zeigt sich nach wie vor davon überzeugt, dass "die Wähler
letztendlich das Original vorziehen und nicht die Kopien", sei es nun de
Villiers oder Sarkozy. Zumindest gegenüber dem Grafen könnte er Recht
behalten: Die Umfragen sehen Le Pen derzeit zwischen 11 und 14 Prozent der
Wahlabsichten, de Villiers dagegen zwischen 2 und 7 Prozent.
>> Fortsetzung:
Antisemitismus-/Philosemitismus-Debatte und
Bündnisdiskussion
Teil 1:
Ideologische Abgrenzungsversuche, Islam-Diskussion
Anmerkung:
(1) Jedoch kennt auch Jean-Marie Le Pen das Problem,
dass in konkreten historischen Momenten größere Teile seiner Wählerschaft
ihm nicht folgen mochten. Erstens hatte er eine Mehrheit seiner
Sympathisanten und Wähler gegen sich, als er im Sommer/Herbst 1990
anlässlich der Kuwait-Krise Partei für Saddam Hussein zu ergreifen begann.
Und zweitens zeigten sich nur rund 15 Prozent seiner eigenen Wähler bereit,
ihm zu folgen, als Le Pen im Frühjahr 1996 dazu aufrief, "zur Strafe für die
Konservativen" für die Linksparteien zu stimmen. Es ging ihm dabei darum, in
einem taktisch überdrehten, macchiavellistischen Winkelzug die bürgerliche
Rechte abzustrafen, die ihm gegenüber bündnis-unwillig war. Den WählerInnen
war das jedoch "zu hoch", zu kompliziert. Die Strategie wurde zwei Mal bei
lokalen Wahlen ausgetestet, zugunsten eines Sozialisten in der Orne
(Normandie) und zugunsten des KP-Kandidaten François Liberti im
südfranzösischen Sète. Zumindest im zweiten Falle machte das übrigens
durchaus Sinn, da Liberti nicht nur (Partei-)Kommunist ist, sondern vor
allem auch ein aus Algerien "vertriebener" ehemaliger Kolonialfranzose, der
in Fragen der Geschichtspolitik mit der revanchistischen Lobby der
"Algerienfranzosen" gemeinsame Sache macht. (Vgl. dazu Liauzu/Manceron: "La
colonisation, la loi et l'histoire", Paris 2006, S. 46 und 51) - Die
Wählerschaft verstand jedoch Le Pens angebliche "Globalstrategie" an diesem
Punkt nicht, und zog nicht mit.
hagalil.com 23-05-2006 |