Edgar M. Bronfman *
New York, New York – Obwohl Religionsfreiheit und
Meinungsfreiheit fundamentale Rechte sind, geraten sie dennoch manchmal in
Konflikt miteinander, wie jetzt im Fall der Karikaturen, die vor einiger
Zeit in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten" veröffentlicht worden sind,
in denen der Prophet Muhammad (Frieden sei mit ihm) abgebildet worden ist.
Das hat unter Muslimen Aufruhr ausgelöst, nicht nur in Dänemark, aber
überall in der islamischen Welt, da allgemein als selbstverständlich
betrachtet wird, dass der Islam die bildliche Darstellung Muhammads
verbietet.
Bei dieser Debatte geht es nicht um „Selbstzensur", die nach
Flemming Rose, dem Feuilletonredakteur der Zeitung, seit dem Mord am
holländischen Filmemacher Theo van Gogh Europa befallen habe. Es geht darum,
ob der Respekt für andere religiöse Glaubensvorstellungen, Traditionen und
Bräuche auch wirklich für alle gilt, einschließlich der Muslime.
Wir ziehen das Wort „Respekt" dem Wort „Toleranz" vor, weil
das „Toleriertwerden" kein positiver Begriff ist. Darüber hinaus ist
„Respekt" kein einseitiges Konzept, es beruht auf Gegenseitigkeit. Sollten
die betreffenden Karikaturen absichtlich angefertigt und veröffentlicht
worden sein, um Muslime zu provozieren und die öffentliche Meinung in
Dänemark aufzuhetzen, wie Rose anzudeuten scheint, ist etwas falsch
gelaufen.
Die Karikaturen haben bewirkt, dass alle Muslime verletzt
wurden, statt nur auf jene Fanatiker zu fokussieren, die Kritik tatsächlich
verdienen. Manchmal sind Provokationen notwendig um Menschen aufzurütteln.
Während der letzten 30 Jahre ist dies dem Jüdischen Weltkongress nicht fremd
gewesen. Doch sollten religiöse Sitten, Gebräuche und Glaubensvorstellungen
von Anhängern anderer Religionen und von Nichtgläubigen gleichermaßen
respektiert werden, denn das ist eine Voraussetzung dafür, selbst
respektiert zu werden.
Obwohl das Recht der freien Meinungsäußerung ein unteilbares
Recht ist, kann es vom juristischen Standpunkt aus als offensiv betrachtet
werden, wenn jemand in einem überfüllten Saal „Feuer!" ruft, da dadurch
Panik ausgelöst wird und es zu Körperverletzung kommen kann. Worte und
Handlungen, die heftige Reaktionen und Wut auslösen – egal wie
ungerechtfertigt das sein mag – sollten eingeschränkt werden, zumindest
dann, wenn religiöse Glaubensvorstellungen ins Spiel kommen.
Der Schlüssel zur Beendigung von Hass und zur Schaffung einer
besseren Welt sind gegenseitiger Respekt und Einverständnis unter
Angehörigen unterschiedlicher Religionen. Wir betrachten die Entweihung
irgend eines heiligen Buches als einen Affront gegen uns selbst. Eine
Entweihung des Korans, der Thora, der christlichen Bibel oder irgend einer
religiösen Stätte sollte als eine Beleidigung gegen uns alle empfunden
werden. Gegenseitiger Respekt bedeutet nichts anderes als: Du respektierst
mich und das, wozu ich mich bekenne, und ich respektiere dich und wozu du
dich bekennst.
Die recht kleine Minderheit in Dänemark bewusst zu provozieren
und sie zu beleidigen war falsch. Ja, Immigranten müssen sich in die
Gesellschaft ihres Gastlandes integrieren, seien sie Muslime, Juden oder
Christen, sie behalten dabei ihre eigene Identität, Glaubensvorstellung,
ihre Sitten und ihre Religion. Parallelgesellschaften können leicht zum
Nährboden für Fanatiker, Zeloten und schließlich für Terroristen werden.
Eine Immigration scheitert manchmal, weil Immigranten sich nicht genug
anstrengen möchten. Aber manchmal wird sie auch durch ein intolerantes und
raues Gastland erschwert.
Aufgabe von Regierungen und Gesetzgebern ist es, zu
garantieren, dass die Immigranten nicht als kürzlich Eroberte behandelt
werden (wie einige Populisten vorschlagen), sondern dass man ihnen mit
Respekt begegnet. Diejenigen, die sich um ihre Integration bemühen, sollten
mit offenen Armen empfangen werden, ihnen sollte ermöglicht werden, mit mehr
als nur mit Steuergeldern für die Kassen ihrer neuen Länder beitragen zu
können.
Während der letzten zweitausend Jahre und bis zur Schaffung
des Staates Israel sind Juden immer eine kleine Minderheit in den Ländern
gewesen, in denen sie sich niedergelassen haben. Unsere Vorfahren haben
unter Pogromen, unter dem sich stark ausbreitenden Antisemitismus und darauf
folgend unter dem Holocaust gelitten. Lügen über Juden, über den jüdischen
Glauben und die jüdischen Traditionen sind nie verschwunden. Tatsächlich ist
es so, dass sie ihren Comeback machen, vor allem in „westlichen
Demokratien", von denen wir angenommen hatten, sie wären nach den Schrecken
des Holocaust immun gegen Antisemitismus geworden.
Dennoch standen jüdische Intellektuelle und Politiker immer an
der vordersten Front im Kampf für Menschenrechte, Demokratie und
Meinungsfreiheit. Aber für die Meinungsfreiheit gibt es Grenzen, die
respektiert werden sollten. Die Publikation von Material, das von einer
kleinen religiösen Minderheit als kränkend empfunden wird, geht zu weit.
Demokratien werden daran gemessen, wie sie ihre Minderheiten behandeln.
In den Jahrzehnten nach Veröffentlichung der Erklärung des
Zweiten Vatikanischen Konzils „Nostra Aetate" haben sich die katholische
Kirche und die jüdische Gemeinde um einen Dialog bemüht. Dies ist ein
erfolgreiches Beispiel dafür, wie jahrhundertealte Vorurteile und Hass
überwunden werden können, indem man einander zuhört, statt nur übereinander
zu reden.
Christen, Juden und Muslime sind alle Kinder Abrahams, wir
sollten erfahren, was wir an Gemeinsamkeiten haben. Danach sind Unterschiede
vielleicht weniger bedeutend. Wir müssen uns zurückhalten in dem, was wir
über andere Religionen sagen und in der Weise, wie wir andere Religionen
beurteilen. Wir brauchen keine neuen Gesetze. Die Meinungsfreiheit können
wir nicht einschränken. Wir müssen uns selbst einschränken. Sonst werden am
Ende wir selbst eingeschränkt.