Oktoberfest-Attentat:
Starke Zweifel an der Einzeltäter-Theorie
boa-kuenstlerkooperative
Am 26. September 1980 um
22.19 Uhr, explodierte auf dem Wiesengelände des Münchner Oktoberfestes die
mit 1,39 Kilogramm TNT gefüllte Mörsergranate des Neonazis Gundolf Köhler.
Dreizehn Menschen fanden dabei den Tod, 211 wurden verletzt, 68 davon
schwer. Der Münchner Autor und Journalist Ulrich Chaussy meldete schon vor
Jahren begründete Zweifel an der Einzeltäterschaft Köhlers an.
Der größte faschistische Terroranschlag der
deutschen Nachkriegsgeschichte traf am 26. September 1980, eine ahnungslose,
ausgelassene Menschenmenge. Es war Freitag und es herrschte Hochbetrieb auf
der Münchner Wiesn, als um 22.19 Uhr die Bombe des 21-jährigen
Geologiestudenten Gundolf Köhler aus Donaueschingen dreizehn Menschen in den
Tod riss und 211 zum Teil schwer verletzte. Unter den Toten befand sich auch
Köhler selbst. Er war Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe
Karl-Heinz- Hoffmann, die schwer bewaffnet in Wäldern und Fluren den
Pratisanenkrieg probte. Köhler hatte bei diesen paramilitärischen Übungen
mitgemacht, sogar eine selbstgebaute Handgranate hat er dort gezündet. Auch
zu anderen rechtsextremen Organisationen und Personen hatte er Kontakt.
Das Attentat ereignete sich mitten in der Wahlkampfzeit. Der damalige
bayerische Ministerpräsident und Bundeskanzlerkandidat der Unions-Parteien,
Franz Josef Strauß (CSU), sprach noch am Tatort in die Mikrofone: Dies sei
das Werk von "linken Terroristen". Sehr schnell stellte sich jedoch die
Täterschaft von Gundolf Köhler und dessen neonazistischer Hintergrund
heraus. Am 28. September erklärte der bayerische Innenminister Gerold
Tandler: "Alle Ermittlungen sprechen dafür, dass die Angehörigen der
Wehrsportgruppe Hoffmann schuld sind an diesem Massenmord auf der Wies'n."
Aber nur einen Tag später erklärte derselbe Minister: "Es gibt nicht den
geringsten Anlass zu glauben, dass es sich hier um eine Tat gehandelt hat,
die von der Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann vorbereitet, organisiert und
durchgeführt wurde." Und weiter: "Köhler war ein Einzeltäter."
Oktoberfest-Attentäter
Gundolf Köhler auf dem Titelbild der WSG-Zeitung 'Kommando' (2. von links)
Acht Monate nach dem Bombenanschlag legte die
Sonderkommission "Theresienwiese" des Bayerischen Landeskriminalamtes ihren
Schlussbericht vor: Köhler soll die Bombe selbst gebaut, transportiert und
gezündet haben. Die Akten wurden geschlossen und die "Ermittlungen gegen
unbekannt " beendet.
Der "Stern" berichtete: "In den 57 Aktenbänden, die die Sonderkommission
'Theresienwiese' zusammengetragen hat, gibt es in der Tat genügend Hinweise
auf mögliche Mitwisser und Mittäter Köhlers. Aber anstatt diesen Spuren
nachzugehen, wurde geschlampt. Aussagewillige Tatzeugen wies die Polizei ab:
'Die Täter sind schon bekannt.' Fotos von Rechtsextremisten und Verdächtigen
aus der Umgebung Köhlers wurden den Augenzeugen häufig gar nicht vorgelegt.
Die Polizei unterließ es auch, mit den sonst üblichen Phantomzeichungen von
Verdächtigen in die Öffentlichkeit zu gehen. Alibis wurden nachlässig
überprüft und Hausdurchsuchungen bei Verdächtigen zum Teil mit wochenlanger
Verspätung angeordnet."
Auf der Grundlage des vom Bayerischen Landeskriminalamtes vorgelegten
Schlussberichts stellte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann Ende 1982 die
Ermittlungen offiziell ein und führte zum Hintergrund des Anschlags aus:
Wahrscheinlicher als eine politisch motivierte Tat seien schwere persönliche
Krisen.
Der Hartnäckigkeit antifaschistischer Initiativen war es schließlich zu
verdanken, dass die Bundesanwaltschaft sich noch einmal mit dem Fall
befasste. Allerdings waren die Ermittler wieder die selben: Im Auftrag der
Bundesanwaltschaft überprüfte das Bayerische Landeskriminalamt ab März 1984
sich selbst und kam vier Monate später erwartungsgemäß zu dem Ergebnis,
nichts übersehen zu haben. Die Einzeltäter-Theorie wurde weiter
aufrechterhalten, nach der Köhler weder Mittäter noch Mitwisser gehabt haben
soll.
Hören
(RealAudio):
[»Die Tat
eines einzelnen Wahnsinnigen?«]
Hörprobe aus »Ungelöst - Die
großen Kriminalfälle der Bundesrepublik: Das Oktoberfest-Attentat«,
Hörbuch Hamburg Verlag,
2000
Der Münchner Autor und Journalist Ulrich Chaussy
meldete in seinem 2000 erschienen Hörbuch "Oktoberfest. Ein Attentat"
begründete Zweifel an der offiziellen Wahrheit an. Chaussy hat die Tat und
die Arbeit der Ermittler rekonstruiert. Am Ende ist klar: Die
Einzeltäter-Theorie lässt viele Fragen offen, das Wiesn-Attentat ist bis
heute ungeklärt.
Mehrere Zeugen hatten unabhängig von einander Köhler mit mehreren anderen
Personen noch kurz vor der Explosion am Tatort gesehen. Von zwei Männern in
Parkas ist die Rede, mit denen er auf der Verkehrsinsel vor dem Haupteingang
der Oktoberfest-Wiese debattiert habe, auch von einem Mann, der im Moment
der Explosion geflüchtet sei; dann das merkwürdige Gespräch, das eine Frau
nach dem Anschlag in Tatortnähe mitgehört hat. "Ich wollt's nicht, ich kann
nichts dafür, bringt's mich um. Und wo ist der Koffer, den Köhler angeblich
mit sich hatte? So manche Spur, so manche Zeugenaussage findet sich im
Schlussbericht des Generalbundesanwalts überhaupt nicht wieder. Chaussys
Fazit lautet: "Entgegen der allgemeinen Meinung ist der Fall
Oktoberfestattentat ungelöst."
Ulrich Chaussy hat dargelegt, dass die Ermittler von einem bestimmten
Zeitpunkt an bemüht waren, Köhler als Einzeltäter hinzustellen. Ob sie dabei
Einflüsterungen aus der Politik folgten? Nachweisbar ist es nicht. Er habe
nichts, was in diesem Zusammenhang "tauglich für eine Verschwörungstheorie
wäre", sagt Chaussy in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Doch
eines gibt es immer wieder, und man konnte es bei den Verfahren gegen
diverse Brandstifter in Asylantenheimen beobachten: Während man
Linksterroristen stets rationales Planen und gezieltes Handeln unterstellt,
heißt es bei Rechtsterroristen, sie handeln emotional, aus dem Bauch heraus,
und es gebe keine Beziehung zwischen Anstifter und Täter. Es war dann einer,
dem die Sicherung durchgebrannt ist, und man interessiert sich nicht für den
Hintergrund."
Auch der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich, der im Auftrag von
Attentatsopfern für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen kämpfte, hält die
These vom verzweifelten Einzeltäter für unglaubwürdig. "Bewusst oder
unbewusst wurden alle Spuren und Zeugenaussagen, die der Einzeltätertheorie
widersprechen, nicht richtig gewürdigt oder beiseite geschoben.". Die
Einzeltätertheorie hält Dietrich für ein "politisch erwünschtes
Ermittlungsergebnis, damit kein Zusammenhang zwischen Köhler und anderen
rechtsradikalen Personen und Strukturen nachgewiesen wird". Denn das hätte
die CSU stark in Bedrängnis bringen können und bestätigt: "Alte und neue
Nazis sind gerade in Bayern viel zu lange falsch eingeschätzt oder
verharmlost worden." So sagte beispielsweise Bayerns Innenminister Gerold
Tandler noch im Januar 1980, die Wehrsportgruppe Hoffmann sei "nicht eine
gefährliche Organisation im eigentlichen Sinne" und ihre Mitglieder seien
"halbverrückte Spinner".
Dietrichs Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen wurde abgelehnt. So
bleibt bis heute ungeklärt: Gab es Mittäter, Auftraggeber, Hintermänner?
(boa München, quellen: az, sz, Münchner Lokalberichte, boa-Archiv)
Bei
http://www.nadir.org:
von Michael Backmund: Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter:
D a s O k t o b e r f e s t - A t t e n t a t v o m 2 6
. S e p t e m b e r 19 8 0
Um nicht zu vergessen:
25. Jahrestag des
Oktoberfestattentats
Am 26. September 1980 wurde am Haupteingang des Oktoberfests
eine Splitterbombe gezündet. 13 Menschen starben und über 200 wurden zum
Teil schwer verletzt...
Strategie der Spannung?
Der
schwerste Terroranschlag in der Bundesrepublik
Ein Freitagabend, der 26. September 1980. Es ist kurz nach 22
Uhr, in wenigen Minuten schließen die Bierzelte auf dem Münchner
Oktoberfest. Das Riesenrad dreht seine letzten Runden...
26.September 1980
- 22. 19 Uhr:
Die falsche Zeit, der falsche Ort
Wenn sie nur etwas schneller gegangen
wären. Oder etwas langsamer. Oder wenn sie einen anderen Weg gewählt hätten.
Gar keine große Abweichung, nur ein paar Meter abseits der Route, die sie am
26.September 1980 genommen hatten. Wie anders wäre ihr Leben verlaufen...
Per non dimenticare:
Um nicht zu vergessen
26.09. 2005 - 12 Uhr, Beginn der Gedenkveranstaltungen
in München...
hagalil.com 23-09-2005 |