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Im Stich gelassen:
Der wachsende Antisemitismus in Frankreich

Von Danny Leder
Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 2004

Die Mahntafeln hängen neuerdings neben den Eingangstüren fast aller Pariser Grundschulen: "Zur Erinnerung an die Schüler, die zwischen 1942 und 1944 deportiert wurden, weil sie als Juden geboren wurden. Opfer der Nazi-Barbarei und der Vichy-Regierung. Sie wurden in den Todeslagern umgebracht."

Diese Tafeln bereiteten mir bei meinen Streifzügen durch Paris eine kleine Genugtuung. Ich bin in einer jüdischen Familie in Wien aufgewachsen. Vor 22 Jahren zog ich nach Paris. Nach dem eher belastenden Klima in Österreich entdeckte ich in Frankreich einen erträglicheren atmosphärischen Rahmen für einen Sohn von Holocaust-Überlebenden. Inzwischen ist dieses Gefühl der Geborgenheit wieder zunehmender Spannung gewichen. Wobei ausgerechnet die Gesten zur Besänftigung der qualvollen Vergangenheit neue Gefahren für die Juden der Gegenwart heraufbeschwören.

So wurde für den elfjährigen Julien die Enthüllung einer der oben beschriebenen Tafeln zum Verhängnis. Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters hatte sich vor zwei Jahren in seiner Grundschule, im volkstümlichen 20. Pariser Bezirk, bei der Tafelenthüllung, zum Verlesen der Namen der deportierten Kinder gemeldet. Als er in die erste Klasse der Unterstufen-Gesamtschule überwechselte, galt er deswegen moslemischen Mitschülern als "der Jude". Sie quälten ihn unentwegt. Schließlich empfahl die Schuldirektorin den Eltern, Julien aus der Schule zu nehmen. Sie könne ihn nicht vor seinen Peinigern schützen, gestand sie.

Der als Anführer identifizierte Bub wurde zwar eine Woche vom Unterricht suspendiert, eine nachhaltigere Bestrafung, so die Schuldirektorin, hätte aber Julien nur noch heftigeren Anfeindungen ausgesetzt. Das sah auch die Mutter ein: Auch sie wünschte keine scharfe Sanktion gegen ein elfjähriges Kind, auch sie verstand, dass es Erwachsenen nur schwer möglich ist, in ein derartiges Gruppenklima hineinzuwirken. Dazu kam der brisante soziale Hintergrund: Die Schule ist ein Sammelbecken für Kinder aus besonders zerrütteten Familien. Auch dass Julien dem Unterricht aufmerksam folgte, sorgte bei etlichen Mitschülern für Hass.

Die Mutter hatte anfänglich die Hetze, der ihr Sohn ausgesetzt war, unterschätzt und Julien eingeschärft, man dürfe sich durch antijüdische Bemerkungen nicht einschüchtern lassen. Die Frau hatte in Kenntnis der Lage ihr Kind in diese Schule in ihrem Wohnbezirk geschickt. Zwar müssen nach französischem Recht die Eltern ihre Kinder, sofern sie diese nicht in eine Privatschule geben, in die nächstgelegene öffentliche Schule schicken. Nicht wenige, auch links eingestellte Mittelschichtler, vermeiden aber für ihre Kinder durch diverse Tricks Schulen, die einen schlechten Ruf haben. Nicht so diese Mutter, eine engagierte Anhängerin der von der Linken postulierten sozialen Durchmischung.

Dabei sind die meisten antijüdischen Angriffe eingebettet in ein allgemeines Klima der Gewalt, das in verarmten Vorstädten und Randvierteln um sich greift. Wo sich Attacken Halbwüchsiger auf Polizisten, Busfahrer, Briefträger, Ärzte und Angehörige der Feuerwehr häufen, wo zum Teil tödliche Bandenkriege ausgefochten werden, fällt der Schritt zur Drangsalierung der jüdischen Nachbarn nicht schwer. Die bisher identifizierten anti-jüdischen Gewalttäter - ausnahmslos junge Moslems - waren oft bereits zuvor in Kleinkriminalität abgeglitten.

Paris war einmal ein guter Ort

Das erschwert die Einordnung dieser Vorfälle: Julien wurde zweifellos als "Jude" gemobbt, aber an den meisten Schulen in den Randvierteln werden Kinder, die sich als lernbegierig erweisen, von ihren Kameraden ausgegrenzt. In diesem Kontext weigerten sich anfänglich auch jüdische Persönlichkeiten, solche Vorfälle als Ausdruck einer "antisemitischen Welle" einzustufen. Mobbing und Gewalttaten gegen Juden, so erklärten sie, seien nur ein Phänomen unter vielen der sozialen Krise.

Inzwischen haben diese - durchaus zutreffenden - Erklärungsansätze ihre tröstliche Wirkung eingebüßt. Immerhin wurden seit Ende 2001 (parallel zur zweiten palästinensischen "Intifada") in Frankreich über 700 anti-jüdische Zwischenfälle registriert. Es gab serienweise Anpöbelungen aber auch tätliche Angriffe auf Gläubige vor Synagogen und auf Kinder vor jüdischen Schulen. Es gab Brandlegungen in jüdischen Bethäusern und Schulen, in koscheren Restaurants und Metzgerläden. Es gab Überfälle auf Wohnungen in Sozialbauten und auf Reihenhäuser, die jüdische Familien zum Auszug zwangen.

Die aktuelle Situation entspringt der Parallelpräsenz von über fünf Millionen Moslems und 600 000 Juden, beide vorwiegend aus dem Maghreb, dem arabischen Nordwesten Afrikas, stammend und in Frankreich vielfach in den selben Wohngegenden angesiedelt.

Die verhältnismäßig auffällige jüdische Präsenz in Paris hatte lange Zeit zu meinem Wohlbefinden beigetragen. Ich habe keine religiöse Bindung an das Judentum. Aber ungeachtet dieser Einstellung ist es nun mal so, dass auf mir, wie wohl auf den meisten Menschen aus jüdischen Familien, entnormalisierende Klischees lasten. Für deren Linderung war Paris ein guter Ort. Es gibt über die ganze Stadt und die Banlieue verstreut jüdische Viertel. Es gibt Sozialbau-Siedlungen, in denen einem pausenlos Kinder mit Kippa über den Weg laufen, koschere Imbiss-Stuben, die - in ruhigeren Zeiten - auch die Moslems der Umgebung mit orientalischen Schnellgerichten verköstigten, Schlüsseldienste und Zeitungsläden, an deren Eingang ganz ungeniert die "Mezuza" (der jüdische Haussegen) hängt. Ich brauchte da nicht wirklich dazuzugehören oder mit diesen Leuten zu verkehren, das bloße Wissen um deren Existenz war für mich wertvoll.

Freilich erlebte ich in den letzten zwei Jahrzehnten auch wieder den steten Rückgang dieser jüdisch-maghrebinischen Präsenz. Die Juden aus Nordafrika haben, im Zeitraffer, die selben Etappen wie die jüdischen Familien aus Osteuropa durchschritten: urbane Streuung und schrittweise Auflösung in einem breiten Mittelstandsmilieu.

Eine kompakte jüdische Bevölkerung in den Unterschichtsvierteln machte noch anlässlich des Sechstagekriegs, 1967, Angriffe auf Juden zu einer riskanten Angelegenheit. Heute aber bleiben hauptsächlich alte oder eher vereinzelte Personen übrig. Von denen gibt es zwar viele: Nach Erhebungen jüdischer Wohltätigkeitsvereine dürfte der Prozentsatz der in der Armutsfalle gefangenen Juden überdurchschnittlich hoch sein. Aber diese Menschen leben heute in einer mit sozialen Spannungen unvergleichlich stärker aufgeladenen Umgebung. Außerdem ist die jüdische Einwanderung aus Nordafrika, wo es nur mehr wenige tausend Juden gibt, weitgehend versiegt.

Im übrigen gerät die ursprüngliche, jüdisch-maghrebinische Gruppenidentität, die selbstverständliche Traditionen mit geselliger Integration in die französische Rahmengesellschaft verband, immer mehr ins Hintertreffen. Unter den jüngeren jüdischen Gläubigen wird sie oft durch den hochritualisierten Neo-Hassidismus der Chabad-Lubawitsch-Gemeinden abgelöst. Diese aus den USA ausstrahlende sektenartige Bewegung hat auch in Frankreich einen zentralen Platz im Erscheinungsbild der Juden errungen.

Eine attraktive exotische Note

Dabei war die ursprünglich osteuropäische Provenienz der Lubawitscher kein Hindernis bei der Rekrutierung der aus maghrebinischen Familien stammenden Jugendlichen. Die europäische Prägung der Lubawitscher bot eine attraktive exotische Note. Sie schien auch für eine profunde Religionsinterpretation zu bürgen, um sich gegenüber der Generation der Eltern und ihrem vorgeblich verwässerten Judentum zu profilieren.

All dies gilt auch für islamistische Vereine. Bei den jungen Moslems ist eine den Lubawitschern vergleichbare Bewegung tonangebend: die "Union der islamischen Organisationen Frankreichs" ist beseelt von der religiös-kulturellen Dogmatik der ägyptischen "Moslembrüder" und saudischer Rigoristen. Junge Moslemaktivisten halten diese prätentiöse Dogmatik dem überlieferten, volkstümlichen Islam ihrer maghrebinischen Eltern entgegen.

Politisch sind die Lubawitscher ein Teil des rechtsreligiösen Flügels des Zionismus: sie betrachten die seit 1967 von Israel besetzten Gebiete durchgehend als jüdisches Territorium. Das entspricht auch der Stimmung, die in den jüdischen Basisgemeinden in den französischen Vorstädten herrscht. Seit ihrer weitgehend erzwungenen Auswanderung aus Nordafrika pflegen etliche Juden einen heftigen pro-israelischen Nationalismus, der sich infolge der anti-jüdischen Attacken in Frankreich noch weiter verhärtet hat.

Freilich gibt es eine große Gruppe von jüdischen Franzosen, die nichts mit der bizarren Orthodoxie und dem rechtslastigen Zionismus der Lubawitscher anfangen können, die sich aber auch nicht vom Schicksal des traditionellen Judentums und Israels schlicht abzukoppeln vermögen. Diese Personengruppe, überwiegend Angehörige der gebildeten Mittelschichten und oft engagierte Träger der linken Politkultur, fühlten sich während der ersten Welle der anti-jüdischen Attacken von der französischen Linken im Stich gelassen. Ihre Isolierung kulminierte in der Phase vor dem Irak-Krieg, als am Rande der Aufmärsche der Kriegsgegner jüdische Passanten von franko-arabischen Demonstranten angegriffen wurden.

Inzwischen engagieren sich Frankreichs Regierungslager und der überwiegende Teil der Linksopposition, die zuständigen Behörden und die meisten Medien mit besonderer Energie gegen anti-jüdische Übergriffe. Dass deren Zahl trotzdem seit Jahresbeginn überdurchschnittlich angestiegen ist, macht die Verletzlichkeit der jüdischen Minderheit um so deutlicher. Dieses besondere Angewiesensein auf Schutz von oben führt auch zu dem eingangs erwähnten kleinen Julien zurück, obwohl er und seine Mutter eine derartige Stellung unbedingt vermeiden wollten. Von seinen Klassenkameraden verstoßen, vermied Julien so lange wie möglich den Appell an die schützende Hand der Schulobrigkeit, die ihm ja dann auch keine Hilfe erteilen konnte. Spätestens seit dieser Affäre hat mich in Paris wieder ein Gefühl des Ausgestoßenseins eingeholt.

Wenn ich, was häufig vorkommt, Erstklässler aller Hautfarben bei Schulausflügen in der Pariser U-Bahn, einander die Hand haltend, tratschend und lärmend sehe, ein Erlebnis das mich früher in Hochstimmung versetzte, frage ich mich jetzt: können sich unter ihnen noch problemlos Kinder aus jüdischen Familien befinden?

Der Autor lebt als Journalist in Paris.

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hagalil.com 30-05-2004

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