4.1. Historischer Exkurs:
Die Fixierung der Juden in der Zirkulation
[ZUR
DISKUSSION IM FORUM]
Wie bereits im Kapitel 3.1. angedeutet ist die
Fixierung der Juden in der Distributionssphäre ein älteres Phänomen, dessen
historischer Rahmen an dieser Stelle aufgezeigt wird.
Genauere Beschreibungen des jüdischen Lebens in
Europa existieren hauptsächlich seit dem V. Jahrhundert, als die christliche
Geistlichkeit sich der Geschichtsschreibung annahm, auch wenn die ersten
jüdischen Gemeinden am Rhein bereits im 1. und 2. Jahrhundert christlicher
Zeitrechnung existiert haben.
Die in Europa ansässigen Juden hatten ab dem 7. Jahrhundert, wenn sie sich
nicht taufen lassen wollten, kaum die Möglichkeit, Land zu erwerben. Zudem
verbot die Kirche nur jüdischen Großgrundbesitzern, christliche Sklaven zu
beschäftigen. Durch diese Maßnahmen ist im Laufe der Zeit eine
Bewirtschaftung des Bodens durch Juden unmöglich gemacht worden. Sie haben
sich gezwungen gesehen ihre Ländereien zu verkaufen und ihr Geld meist im
Handel anzulegen.
Dennoch sind diese Maßnahmen während des ersten Jahrtausends nach
christlicher Zeitrechnung noch im vor allem unter dem Aspekt einer
religiösen Konkurrenz zu betrachten.
Die Verfügbarkeit von Geld ist im Mittelalter eine
Überlebensfrage gewesen, nur so konnte sich ein brüchiger Schutz der Burg-
und Feudalherren erkauft werden. Ohne diesen waren die verschiedensten
Menschen Übergriffen schutzlos ausgeliefert, bzw. konnten sie in den Städten
vielfach kein Aufenthaltsrecht bekommen. Diese Schutz und Rechtlosigkeit hat
nicht nur die Juden getroffen. Sie hatte allerdings für sie als Minorität
und vor dem Hintergrund eines offiziellen Christentums, dass seine Identität
zunehmend über den Hass auf die "Anhänger der Vaterreligion"
bezog, weitreichende Konsequenzen. Nur für eine kurze Zeit des
Karolingerreichs besitzen Juden eine Art Monopol im internationalen Handel,
das vor allem auf ihren internationalen Kontakten und dem Besitz von barem
Geld in unmittelbarer Folge von Vertreibungen beruht. Im Gefolge der
Kreuzzüge haben die Juden schließlich ihre Rechte, Handel zu treiben, nicht
ohne Not an die Städte abgegeben. So sind sie auf einen neuen Zweig der
wirtschaftlichen Betätigung abgedrängt worden, den Geldverleih, der das
Stereotyp des ‚Wuchers’ mitbegründet.
Bis zur Jahrtausendwende spielte die Geldwirtschaft
ökonomisch keine stark ausgeprägte Rolle; der Ein- und Verkauf von Produkten
und Waren wurde gewöhnlich auf dem Wege des Tauschhandels geregelt. Mit dem
Ausbau des Orienthandels durch die italienischen Städte sind riesige
Kapitalien gebunden worden, die dem Binnenmarkt verloren gingen. Seit dem
10. Jahrhundert tauchen auf den Märkten der Champagne die Venezianer,
Byzantiner und Lombarden als Händler auf. Größere Christliche Geldgeschäfte
sind ab dieser Zeit an der Tagesordnung. Das von Papst Alexander III. 1179
zugestandene Recht, dass Juden gegen Zinsen Geld leihen dürfen, der
sogenannte ‚Wucher’, wird 1215 bestätigt, als Innozenz III. ein an die
Christen gerichtetes Verbot der Zinsnahme erlässt, das als Kanonisches
Zinsverbot bekannt wird. Die späte Erwähnung und Verdammung des ‚jüdischen
Wuchers’ durch den Papst zeigt auch seine geringe Bedeutung innerhalb des
Geldhandels. Allein jedoch die Tatsache, dass die Juden Zinsen nehmen - in
welcher Höhe auch immer -, macht sie vor allem bei kleinen Produzenten in
dieser Zeit höchst unbeliebt. Somit hat keine Maßnahme, kein Gesetz die
Juden in Europa so sehr in ihrem sozialen Status beeinflusst, wie das immer
wieder neu verkündete, neu formulierte christliche Zinsverbot, welches
seinen Ursprung im Alten Testament hat. Vor den ersten Kreuzzügen gilt für
das Judentum noch der Ausspruch des jüdischen Lehrers Raschi: "Wer Zins an
einen Fremden ausleiht, soll vernichtet werden."
Erst in der Folge der Ermordung und Ausplünderung seitens der Kreuzfahrer
und durch ökonomische Not der Juden innerhalb der europäischen Länder
begründet, hat sich die Haltung der Rabbiner geändert:
"Man soll den Nichtjuden nicht auf Zins leihen, wenn man seinen
Lebensunterhalt auf eine andere Weise verdienen kann"
Nicht nur die Bauern, auch die Bürger in den Städten
haben die Zinsnahme als unsittlich abgelehnt. Sie nahmen für ihre Produkte
feste, oft überhöhte Preise, die ihnen den Lebensunterhalt sichern, und
haben dem Denken des Zuerwerbs fremd gegenüber gestanden.
Die italienischen Genossenschaften der Lombarden, die
einer ähnlichen Ordnung wie die Juden unterworfen waren und deren Vorrechte
teilten, hatten mit ihren weitreichenden Unternehmungen einen weitaus
größeren Anteil an der Entwicklung der frühkapitalistischen Technik, den
Wucher eingeschlossen, als die Juden. Allerdings haben sich erstere allein
auf Grund der Tatsache, dass sie Christen gewesen sind, in die sie umgebende
Gesellschaft integrieren können.
Da die mittelalterliche Sozialordnung nicht bereit
gewesen ist Juden in Zünfte, Gilden und Korporationen aufzunehmen, bleibt
den Juden nur der Handel mit Trödel und verfallenen Pfändern, der ihnen
wiederum den Vorwurf der gemeinsamen Sache mit Dieben und Mördern einträgt.
Sie konnten auch keine Innung von Geldwechslern und Geldverleihern bilden.
Gleichzeitig bildet die starre Form der Zünfte und Gilden den Christen ein
Hemmnis im Ausbau der Geschäfte christlicher Handwerker. Im Gefolge der
Pestjahre 1348/49 wird jedoch die Finanzkraft der Juden derart geschwächt,
dass die jüdische Geldleihe an Bedeutung verlor. Die großen
Finanztransaktionen verlagern sich auf weltbekannte Handelsgesellschaften
von Christen, wie Fugger, Welser oder die Imhofs, die mit ihren Silber- und
Kupferbergwerken selbst den bedeutendsten Anforderungen nachkommen können.
Gerade diese großen Geschäftsleute erhielten in der Bevölkerung den
Hass-Namen "Christen-Juden".
Obwohl empirisch die Rolle der Handelsgesellschaften sehr viel
einflussreicher war, verfestigt mit zunehmender Arbeitsteilung und
Ausdehnung des Marktgeschehens sich das Bild des ‚wuchernden Juden’:
"Sind also die Juden besser als die Christen, weil sie nicht mit ihren
Händen arbeiten wollen? Stehen sie nicht unter dem Wort Gottes: ‚im Schweiß
deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen?!‘ Wer sich dem Wucher
hingibt, der arbeitet nicht, sondern schindet die Anderen und tritt dabei in
seinem Müßiggang noch stolz auf"
Hier wird bereits die Bedeutung des Arbeitsbegriffs und die
Abgrenzung konkreter Handarbeit vom angeblichen Wucher deutlich, die Luther
später verfestigen wird (vgl. Kapitel 4.3.).
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