2.2.2. Der Typus des Manipulativ-Autoritären
Der manipulative Charakter erscheint bei Adorno als gefährlichste Form
autoritätsgebundener Subjektivierung. Als seine Repräsentanten gelten der
Kritischen Theorie Nationalsozialisten wie Himmler, Höss oder Eichmann, aber
auch Typen von Managern, Geschäftsleuten oder Technokraten. Bei ihnen
besteht ein besonders stark ausgeprägter Hang zur Stereotypie.
Diese Menschen sind gekennzeichnet durch eine regelrechte Organisationswut
und das Unvermögen, direkte menschliche Erfahrungen zu machen, sowie durch
fast völligen Mangel an Emotionen. Manipulative zeichnen sich durch einen
zwanghaften Überrealismus aus, "der alles und jeden als Objekt betrachtet,
das gehandhabt, manipuliert und nach eigenen theoretischen und praktischen
Schablonen erfasst werden muß."
Der Inhalt ihres Handelns hat weitgehende Beliebigkeit, primär ist, das
"etwas getan" wird. Dieser Charakterzug macht sie zu den idealen Bürokraten
und Organisatoren, sie sind diejenigen, die Abschiebungen organisieren oder,
wenn gefordert, Gaskammern bauen. Dabei besteht bei den Manipulativen nicht
zwangsläufig ein Hass gegenüber dem Objekt, aber auch kein Mitleid. Schuld
oder Gewissensbisse empfinden sie nur, wenn sie ihrer sozialen Funktion
nicht gerecht werden.
Aus den Prozessberichten von Hannah Arendt wird deutlich, dass Adolf
Eichmann in erster Linie ein gut funktionierender Bürokrat war, der selten
auf eigene Initiative handelte.
"»Persönlich« hatte er nie das geringste gegen die Juden gehabt; im
Gegenteil, er besaß gute »private Gründe«, kein Judenhasser zu sein."
So ist Eichmann auch kein Radau-Antisemit gewesen und noch nicht einmal aus
Überzeugung in die NSDAP eingetreten.
Es zeichnet die manipulativ-autoritätsgebundenen Charaktere aus, dass ihre
"nüchterne Intelligenz und die fast komplette Absenz von Affekten"
sie zu gnadenlosen Administratoren werden lässt. Dabei ist ihnen Legalität
ein oberstes Gebot. Eichmanns Stereotypie hat sich im Prozess gegen ihn im
klischee- und schablonenhaften Reden manifestiert. In der verdinglichten
Wahrnehmung von den Juden fordert deren Individualität die Stereotypie der
Manipulativen heraus. Sie unterscheiden sich vom typischen Autoritären durch
"das Nebeneinander von extremem Narzißmus und einer gewissen
Oberflächlichkeit und Hohlheit."
Zur Kompensation seiner Affektlosigkeit identifiziert sich der manipulative
Typ total mit der Eigengruppe, zu welcher er gehört. An sie liefert er sich
mit allen Konsequenzen völlig aus, bereit seine Individualität dem Wohl des
Ganzen zu opfern.
Für den Nationalsozialismus ist der Manipulative, zur Organisierung der
industriellen Vernichtung, unabdingbar gewesen. Hier haben sich staatliches
und individuelles ideologisches Interesse zusammen in der Volksgemeinschaft
manifestiert. Oder wie es Leo Löwenthal ausdrückte:
"Wenn in dem Idealverhältnis, in dem subjektive und objektive rationale
Autorität zur Deckung kommen, die Autorität gleichsam ein Moment der
Vernunft wird, dann ist in der bestehenden Gesellschaft umgekehrt die
Vernunft in Gefahr, beständig sich in Autorität aufzulösen."
Die immense Ausdehnung der Bürokratie in allen Bereichen der Gesellschaft,
die kritische Theorie spricht von einer verwalteten Welt, bietet den
Manipulativen nicht nur ein Tätigkeitsfeld, dass ihrer Charakterstruktur
entspricht. Zugleich forcieren die Verwaltungsakte und bürokratischen
Tätigkeiten geradezu eine psychische Anpassung; sie erfordern
Affektlosigkeit und Oberflächlichkeit, wenn der Apparat reibungslos
funktionieren soll. Denkt man nur an den Bereich von Asylrecht und den davon
tangierten Behörden, so wird vorstellbar welch großes Maß an Kälte und
Unmenschlichkeit bei den Beamten oder Verwaltungsangestellten erforderlich
ist, um Verwaltungsakte in Form von Abschiebungen zu vollziehen, die für die
davon Betroffenen Hunger, Tod oder Folter zur Folge haben können. Der
Sadismus autoritär Subjektivierter kommt ‚nur’ vereinzelt zum Durchbruch.
Unter dem Aspekt der Standortsicherung und Kapitalverwertung oder der
Abschottung der Grenzen gegenüber Flüchtlingen sind Handlungen
manipulativ-autoritärer Charaktere heute noch funktional. Menschen, die
individuell verrückt werden verhalten sich "alles andere als systemkonform
(...) – das Individuum wird darum für gewöhnlich isoliert und "behandelt",
um Störungen des Betriebs zu vermeiden. Demgegenüber bewahren
"die antisemitisch Wahnsinnigen und rassistisch Paranoiden überhaupt keine
Würde (...), weil sie in ihrem Inneren vollkommen integriert und
integrierend, (...) mit Staat und Kapital identisch geworden sind – und in
entsprechenden Situationen zum gesellschaftlichen Leitbild werden."
Die beschädigte Form moderner Subjektivität ist dem allgemeinen,
kapitalistischen Tauschverhältnis geschuldet, welches die menschlichen
Beziehungen vollkommen durchdringt und gestörte Subjektivierung produziert.
Je mehr die Vergesellschaftung des Individuums zunimmt, desto stärker hat es
sich in vorgegebene Funktionen einzupassen. Individualität, deren Prinzip
schon immer ein Widersprüchliches gewesen ist, gerinnt so vollends zu dem
was Marx und die Kritische Theorie als Charaktermaske ihrer Träger
bezeichnet. Letztendlich wird das Individuum selbst zur Funktion. Das Ideal
spätkapitalistischer Individualität, gründet in Regression oder Absenz des
Ich. Es findet seinen Ausdruck in einer Ersatzindividualität, für welche die
Identifikation mit Kleidungsmarken wie Carhart und Nike, Hugo Boss oder
Bennetton ein Ausdruck ist. Ein Substitut des Gewissens bieten Greenpeace,
Aktionen zum Umweltschutz gesponsert von Radeberger und die Bild Zeitung.
Dem monadisierten Selbst werden Anpassung, Lifestyle und Glück als Ideologie
serviert, statt das es Bewusstsein entwickelt. So bleibt das Gegebene das
Unvergängliche.
"Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das
sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt zur Errichtung von
Menschenschlachthäusern so weit hinten in Polen, daß jeder der eigenen
Volksgenossen sich einreden kann, er höre die Schmerzensschreie nicht. Das
ist das Schema der ungestörten Genussfähigkeit."
Dieses Schema wirkt bis heute ungebrochen fort, es scheint sich unter dem
Einfluss der Kulturindustrie auszudehnen.
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