antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil


Newsletter abonnieren
Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263:
Die Kontrahenten

Von Andrea Livnat

Vor diesem Hintergrund wurde Moses ben Nachman in die Disputation von Barcelona 1263 einberufen. Mit Nachmanides hatte sich die christliche Seite nicht einfach irgendeinen Rabbiner als Disputanten gewählt, sondern einen der bedeutendsten Gelehrten und einen der führenden jüdischen Denker, Bibelexegeten, Philosophen, Kabbalisten und Poeten im Mittelalter.

Nachmanides lebte etwa 1194-1270 n.d.Z. und wurde in Gerona geboren. Aus einer Response von Solomon ben Abraham Adret geht hervor, dass Nachmanides seinen Lebensunterhalt als Arzt verdiente. Er gehörte zu den angesehensten Rabbinen seiner Zeit und leitete eine Jeschiwah in Gerona. Daneben hatte er aber auch weitgehenden Einfluss auf das jüdische öffentliche Leben in Katalonien. Sein Verhältnis zu König Jacob I. war gut. Nach der Disputation sprach ihm Jacob I. die Summe von 300 Dinar zu.

Im Anschluss wurde Nachmanides jedoch in einen Prozess gegen die Dominikaner verwickelt, in dem er sich auf das vom König zugesicherte Recht auf freie Rede berief. Jacob I. konnte ihn aus diesem Prozess herauswinden und eine Vertagung auf unbestimmte Zeit erwirken. Die Dominikaner konnten daraufhin Papst Clemens IV. dazu veranlassen, einen Brief an Jacob I. zu senden, der eine Bestrafung von Nachmanides forderte. Angeblich musste Nachmanides daraufhin aus Spanien flüchten, die genauen Umstände, die dazu führten, dass er das Land verließ sind jedoch nicht klar[1]. Er wanderte auf jeden Fall nach Eretz Israel aus und kam im Sommer 1267 in Akko an Land. Am 9. Elul ereichte er endlich Jerusalem, das er in einem Brief an seinen Sohn Nachman als eine einzige Ruine beschrieb. Sieben Jahre nach der Invasion von Tartaren fand er nur wenige Juden in der Stadt vor, organisierte jedoch die Überreste der Gemeinde, errichtete eine Synagoge in einem renovierten Haus und gründete eine Jeschiwah. Ein Jahr darauf zog er nach Akko, wo er der spirituelle Führer der jüdischen Gemeinde wurde. Wo genau Nachmanides starb und begraben wurde, ist nicht bekannt.

Etwa 50 Arbeiten sind erhalten, die man Nachmanides zweifellos zuordnen kann, darunter vor allem Talmud- und Halachah-Kommentare, aber auch Briefe, Gedichte, Gebete und das Sefer haBikuach, das die Disputation von Barcelona beschreibt. Seinen Bibelkommentar verfasste Nachmanides bereits im hohen Alter, wobei er den Hauptteil noch in Spanien schrieb, nach seiner Ankunft in Eretz Israel aber noch weitere Arbeiten anfügte. Der Kommentar behandelt sowohl den narrativen wie auch den legislativen Teil der Bibel. Im Gegensatz zu anderen berühmten mittelalterlichen Kommentatoren, wie beispielsweise Raschi, hat Nachmanides bei der Einbeziehung von zahlreichen aggadischen und halachischen Interpretation ausführlich seine eigene Meinung dargestellt. Dadurch ist die Arbeit wesentlich mehr als nur Kommentar, sondern spiegelt vielmehr sein Weltbild, seinen Glauben, seine Sicht der Torah und Israels wieder. Seine vielen anderen Arbeiten seien in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, da sie für die Disputation keine wesentliche Rolle spielen, anders jedoch die kabbalistischen Aktivitäten von Nachmanides. In seinen Kommentaren finden sich große Affinitäten zur Kabbalah; kabbalistische Konzepte sind auch in der letzten Sektion seines halachischen Werks Torat haAdam verwoben. Kabbalistische Elemente finden sich außerdem in den liturgischen Gedichten, wie z.B. im Schir haNeschamah. Nur eine einzige Arbeit, der Kommentar zum ersten Kapitel des Sefer Jezirah, befasst sich jedoch ausschließlich mit der Kabbalah.

Die Wahl von Nachmanides als Gegenspieler in der Disputation war für die christliche Seite ein zweischneidiges Risiko. Einerseits wäre der Erfolg der neuen Strategie besonders hoch, wäre es möglich die Disputation gegen einen so bedeutenden Gelehrten für sich zu entscheiden. Andererseits waren die Chancen gegen Nachmanides von Beginn an sicher geringer als gegen einen weniger belesenen und gelehrten Kandidaten. Im Verlauf der Disputation sollte es dann tatsächlich auch zu peinlichen Momenten kommen, die durch die Unwissenheit des christlichen Gegenspielers von Nachmanides, Fra Pablo Christiani, verursacht wurden.

Pablo Christiani wurde als Jude in Südfrankreich, vermutlich in Montpellier, geboren, konvertierte schließlich und schloss sich den Dominikanern an. Er gehörte wahrscheinlich einer berühmten jüdischen Familie an, denn in einer Quelle wird er als Schüler von Rabbi Eliezer von Tarrascon erwähnt. Die genauen Umstände und Beweggründe seiner Konversion sind nicht bekannt. Vor seinem großen Auftritt in Barcelona hatte er sich bereits durch missionarische Predigten in der Provence und im Königreich Aragon einen Namen gemacht. Nach der Disputation wurde er von seinem Orden nach Rom geschickt, um den Papst um Aktionen gegen Nachmanides und weitere allgemeine Restriktionen gegen den Talmud zu erbitten. 1269 konnte er Louis IX. von Frankreich davon überzeugen, die Juden per Dekret dazu zu zwingen, seine Predigten anzuhören und ihre Judenkennzeichen zu tragen. Gegen Ende seines Lebens, er starb 1274, trug Pablo Christiani eine weitere Disputation mit Mordechai ben Joseph von Avignon aus. Der Lebensweg Pablo Christianis, der sich für die Nachwelt erhalten hat, zeigt eine besondere Innovativität in Bezug auf Missionierung von Juden. Schon früh sind Angriffe auf jüdische Geldverleiher und den Talmud an sich verzeichnet[2].

Am wichtigsten in der dominikanischen Karriere des Konvertiten Pablo Christiani ist jedoch sein Engagement in der Weiterentwicklung einer neuen Missionsstrategie. Er handelte dabei allerdings nicht alleine, sondern vor dem Hintergrund einer ganzen Schule, der Schule von Raymond de Penaforte. Der Dominikaner Raymond de Penaforte implementierte seine Ideen für neue Wege der Missionierung vor allem in zwei seiner Schüler, Pablo Christiani und Raymond Martini[3], der später das Pugio fidei verfassen sollte. Raymond de Penaforte erkannte auch die entscheidende Bedeutung, die Hebräischkenntnisse im Prozess neuer Missionsstrategien spielten und gründete spezielle Schulen, an denen Hebräisch und auch Arabisch gelehrt wurde, "schools designed especially for the missionary which issued not the usual teaching license (licentia docendi) to their graduates but rather a permit to dispute matters of faith (licentia disputandi)."[4] Die Aktivitäten Pablo Christianis sind im übrigen nicht aus seiner eigenen Feder belegt. Über sein Wirken gibt es ausschließlich Quellen aus anderen Händen, von anderen Mönchen oder Beobachtern aufgeschrieben, aber auch in Urkunden, Edikten und päpstlichen Briefen[5].

Auch die noch so ausgefeilten neuen Missionsstrategien wären jedoch wertlos gewesen, wenn sie nicht den entsprechende Rahmen für eine Begegnung gefunden hätten. Diesen verschaffte, wie bereits erwähnt, König Jacob I. von Aragon, der dadurch auch eine neue Dimension der Legalisierung und Institutionalisierung der Judenmission herbeiführte. König Jacob I, der den Beinamen "der Eroberer" trug, was bereits sein Wirken treffend kennzeichnet, lebte zwischen 1208 und 1276[6]. Die Juden mussten unter seiner Regentschaft zwar unter sehr hohen Steuerabgaben leiden, behielten jedoch ihre interne Autorität und waren auch am Hofe in hohen Positionen in der Steuerverwaltung und Finanzwesen beschäftigt. "Drei Gesichtspunkte sind es im wesentlichen, welche die Stellungsnahme eines mittelalterlichen Herrschers und auch der aragonischen Könige zu den Juden bestimmen: die Förderung der katholischen Religion, das Interesse der christlichen Untertanen und die Bereicherung des königlichen Schatzes"[7], urteilt Fritz Yitzhak Baer über die Politik Jacobs I. in Bezug auf die Juden in seinem Königreich. Die Unterstützung der Missionsversuche der Dominikaner ist jedoch vielmehr auf Jacobs spirituelle Komplexität zurückzuführen. Wenn sich auch in seinen Feldzügen und politischen Aktivitäten keineswegs als "Heiliger" zeigte, angeblich auch wenig gebildet war und nicht lesen konnte, so präsentierte er sich doch als durch und durch spiritueller Mensch, davon überzeugt, dass die Juden die Wahrheit Jesu Christis anerkennen müssen. Er legte "außergewöhnliches Interesse für die Bekehrung der Juden"[8] an den Tag, unterstützte die Kirche fast kompromisslos und unterhielt außerdem gute Beziehungen zu den Dominikanern und Raymond de Penaforte: "Thus, the king was more than simply committed to pious purposes: his view of the Church was heavily conditioned by the attitudes of the mendicants who stood in the forefront of many of the most important new ecclesiastical initiatives, including the innovative missionizing campaign among the Jews."[9] Doch Jacob tat mehr als nur einen Rahmen für die Disputation zu schaffen. Er war während des Streitgespräches ständig anwesend, intervenierte durch Zwischenfragen, die er offensichtlich nicht zurückhalten konnte, er wies die Disputanten zurecht und agierte vor allem vehement nach der Disputation durch verschiedenen Dekrete und seinen Besuch in der Synagoge von Barcelona. Neben den rein spirituellen Gründen dürfte Jacob auch finanziell an den Erfolgen der Inquisition interessiert gewesen sein, wurde schließlich das Vermögen der Beseitigten konfisziert.

Die Verbindung aus diesen drei Personen ergab den speziellen Rahmen für die Disputation von Barcelona im Jahr 1263. König Jacob I. unterstützte das Interesse der Dominikaner, die, vertreten durch Pablo Christiani, Nachmanides als Gesprächsgegner wählten, um die neue Strategie der Judenmission zu ihrem ersten großen Test zu bringen.

>> Weiter:
Der Verlauf der Disputation

Zurück

Anmerkungen:
[1] Chazan, Barcelona and Beyond, S. 98 f.
[2] Chazan, Daggers of Faith, S. 71
[3] Ausführlich dazu siehe z.B. Cohens, S. 129 ff.
[4] Cohens, S. 107.
[5] Chazan, Daggers of Faith, S. 70 ff.
[6] Chazan, Barcelona and Beyond, S. 28 ff. und Stephen P. Bensch, Barcelona and Its Rulers, S. 277ff.
[7] Baer, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien während des 13. und 14. Jahrhunderts, S. 29f.
[8] Baer, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien während des 13. und 14. Jahrhunderts, S. 33.
[9] Chazan, Barcelona and Beyond, S. 31.

hagalil.com 20-09-2006


Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!
 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved