Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263:
Die Kontrahenten
Von Andrea Livnat
Vor diesem Hintergrund wurde
Moses ben Nachman in die Disputation von Barcelona 1263 einberufen.
Mit Nachmanides hatte sich die christliche Seite nicht einfach
irgendeinen Rabbiner als Disputanten gewählt, sondern einen der
bedeutendsten Gelehrten und einen der führenden jüdischen Denker,
Bibelexegeten, Philosophen, Kabbalisten und Poeten im Mittelalter.
Nachmanides lebte etwa 1194-1270
n.d.Z. und wurde in Gerona geboren. Aus einer Response von Solomon
ben Abraham Adret geht hervor, dass Nachmanides seinen
Lebensunterhalt als Arzt verdiente. Er gehörte zu den angesehensten
Rabbinen seiner Zeit und leitete eine Jeschiwah in Gerona. Daneben
hatte er aber auch weitgehenden Einfluss auf das jüdische
öffentliche Leben in Katalonien. Sein Verhältnis zu König Jacob I.
war gut. Nach der Disputation sprach ihm Jacob I. die Summe von 300
Dinar zu.
Im Anschluss wurde Nachmanides
jedoch in einen Prozess gegen die Dominikaner verwickelt, in dem er
sich auf das vom König zugesicherte Recht auf freie Rede berief.
Jacob I. konnte ihn aus diesem Prozess herauswinden und eine
Vertagung auf unbestimmte Zeit erwirken. Die Dominikaner konnten
daraufhin Papst Clemens IV. dazu veranlassen, einen Brief an Jacob
I. zu senden, der eine Bestrafung von Nachmanides forderte.
Angeblich musste Nachmanides daraufhin aus Spanien flüchten, die
genauen Umstände, die dazu führten, dass er das Land verließ sind
jedoch nicht klar.
Er wanderte auf jeden Fall nach Eretz Israel aus und kam im Sommer
1267 in Akko an Land. Am 9. Elul ereichte er endlich Jerusalem, das
er in einem Brief an seinen Sohn Nachman als eine einzige Ruine
beschrieb. Sieben Jahre nach der Invasion von Tartaren fand er nur
wenige Juden in der Stadt vor, organisierte jedoch die Überreste der
Gemeinde, errichtete eine Synagoge in einem renovierten Haus und
gründete eine Jeschiwah. Ein Jahr darauf zog er nach Akko, wo er der
spirituelle Führer der jüdischen Gemeinde wurde. Wo genau
Nachmanides starb und begraben wurde, ist nicht bekannt.
Etwa 50 Arbeiten sind erhalten, die
man Nachmanides zweifellos zuordnen kann, darunter vor allem Talmud-
und Halachah-Kommentare, aber auch Briefe, Gedichte, Gebete und das
Sefer haBikuach, das die Disputation von Barcelona beschreibt.
Seinen Bibelkommentar verfasste Nachmanides bereits im hohen Alter,
wobei er den Hauptteil noch in Spanien schrieb, nach seiner Ankunft
in Eretz Israel aber noch weitere Arbeiten anfügte. Der Kommentar
behandelt sowohl den narrativen wie auch den legislativen Teil der
Bibel. Im Gegensatz zu anderen berühmten mittelalterlichen
Kommentatoren, wie beispielsweise Raschi, hat Nachmanides bei der
Einbeziehung von zahlreichen aggadischen und halachischen
Interpretation ausführlich seine eigene Meinung dargestellt. Dadurch
ist die Arbeit wesentlich mehr als nur Kommentar, sondern spiegelt
vielmehr sein Weltbild, seinen Glauben, seine Sicht der Torah und
Israels wieder. Seine vielen anderen Arbeiten seien in diesem
Zusammenhang nicht erwähnt, da sie für die Disputation keine
wesentliche Rolle spielen, anders jedoch die kabbalistischen
Aktivitäten von Nachmanides. In seinen Kommentaren finden sich große
Affinitäten zur Kabbalah; kabbalistische Konzepte sind auch in der
letzten Sektion seines halachischen Werks Torat haAdam
verwoben. Kabbalistische Elemente finden sich außerdem in den
liturgischen Gedichten, wie z.B. im Schir haNeschamah. Nur
eine einzige Arbeit, der Kommentar zum ersten Kapitel des Sefer
Jezirah, befasst sich jedoch ausschließlich mit der Kabbalah.
Die Wahl von Nachmanides als
Gegenspieler in der Disputation war für die christliche Seite ein
zweischneidiges Risiko. Einerseits wäre der Erfolg der neuen
Strategie besonders hoch, wäre es möglich die Disputation gegen
einen so bedeutenden Gelehrten für sich zu entscheiden. Andererseits
waren die Chancen gegen Nachmanides von Beginn an sicher geringer
als gegen einen weniger belesenen und gelehrten Kandidaten. Im
Verlauf der Disputation sollte es dann tatsächlich auch zu
peinlichen Momenten kommen, die durch die Unwissenheit des
christlichen Gegenspielers von Nachmanides, Fra Pablo Christiani,
verursacht wurden.
Pablo Christiani wurde als Jude in
Südfrankreich, vermutlich in Montpellier, geboren, konvertierte
schließlich und schloss sich den Dominikanern an. Er gehörte
wahrscheinlich einer berühmten jüdischen Familie an, denn in einer
Quelle wird er als Schüler von Rabbi Eliezer von Tarrascon erwähnt.
Die genauen Umstände und Beweggründe seiner Konversion sind nicht
bekannt. Vor seinem großen Auftritt in Barcelona hatte er sich
bereits durch missionarische Predigten in der Provence und im
Königreich Aragon einen Namen gemacht. Nach der Disputation wurde er
von seinem Orden nach Rom geschickt, um den Papst um Aktionen gegen
Nachmanides und weitere allgemeine Restriktionen gegen den Talmud zu
erbitten. 1269 konnte er Louis IX. von Frankreich davon überzeugen,
die Juden per Dekret dazu zu zwingen, seine Predigten anzuhören und
ihre Judenkennzeichen zu tragen. Gegen Ende seines Lebens, er starb
1274, trug Pablo Christiani eine weitere Disputation mit Mordechai
ben Joseph von Avignon aus. Der Lebensweg Pablo Christianis, der
sich für die Nachwelt erhalten hat, zeigt eine besondere
Innovativität in Bezug auf Missionierung von Juden. Schon früh sind
Angriffe auf jüdische Geldverleiher und den Talmud an sich
verzeichnet.
Am wichtigsten in der
dominikanischen Karriere des Konvertiten Pablo Christiani ist jedoch
sein Engagement in der Weiterentwicklung einer neuen
Missionsstrategie. Er handelte dabei allerdings nicht alleine,
sondern vor dem Hintergrund einer ganzen Schule, der Schule von
Raymond de Penaforte. Der Dominikaner Raymond de Penaforte
implementierte seine Ideen für neue Wege der Missionierung vor allem
in zwei seiner Schüler, Pablo Christiani und Raymond Martini,
der später das Pugio fidei verfassen sollte. Raymond de
Penaforte erkannte auch die entscheidende Bedeutung, die
Hebräischkenntnisse im Prozess neuer Missionsstrategien spielten und
gründete spezielle Schulen, an denen Hebräisch und auch Arabisch
gelehrt wurde, "schools designed especially for the missionary
which issued not the usual teaching license (licentia docendi) to
their graduates but rather a permit to dispute matters of faith
(licentia disputandi)."
Die Aktivitäten Pablo Christianis sind im übrigen nicht aus seiner
eigenen Feder belegt. Über sein Wirken gibt es ausschließlich
Quellen aus anderen Händen, von anderen Mönchen oder Beobachtern
aufgeschrieben, aber auch in Urkunden, Edikten und päpstlichen
Briefen.
Auch die noch so ausgefeilten neuen
Missionsstrategien wären jedoch wertlos gewesen, wenn sie nicht den
entsprechende Rahmen für eine Begegnung gefunden hätten. Diesen
verschaffte, wie bereits erwähnt, König Jacob I. von Aragon, der
dadurch auch eine neue Dimension der Legalisierung und
Institutionalisierung der Judenmission herbeiführte. König Jacob I,
der den Beinamen "der Eroberer" trug, was bereits sein Wirken
treffend kennzeichnet, lebte zwischen 1208 und 1276.
Die Juden mussten unter seiner Regentschaft zwar unter sehr hohen
Steuerabgaben leiden, behielten jedoch ihre interne Autorität und
waren auch am Hofe in hohen Positionen in der Steuerverwaltung und
Finanzwesen beschäftigt. "Drei Gesichtspunkte sind es im
wesentlichen, welche die Stellungsnahme eines mittelalterlichen
Herrschers und auch der aragonischen Könige zu den Juden bestimmen:
die Förderung der katholischen Religion, das Interesse der
christlichen Untertanen und die Bereicherung des königlichen
Schatzes",
urteilt Fritz Yitzhak Baer über die Politik Jacobs I. in Bezug auf
die Juden in seinem Königreich. Die Unterstützung der
Missionsversuche der Dominikaner ist jedoch vielmehr auf Jacobs
spirituelle Komplexität zurückzuführen. Wenn sich auch in seinen
Feldzügen und politischen Aktivitäten keineswegs als "Heiliger"
zeigte, angeblich auch wenig gebildet war und nicht lesen konnte, so
präsentierte er sich doch als durch und durch spiritueller Mensch,
davon überzeugt, dass die Juden die Wahrheit Jesu Christis
anerkennen müssen.
Er legte "außergewöhnliches Interesse für die Bekehrung der
Juden"
an den Tag, unterstützte die Kirche fast kompromisslos und
unterhielt außerdem gute Beziehungen zu den Dominikanern und Raymond
de Penaforte: "Thus, the king was more than simply committed to
pious purposes: his view of the Church was heavily conditioned by
the attitudes of the mendicants who stood in the forefront of many
of the most important new ecclesiastical initiatives, including the
innovative missionizing campaign among the Jews."
Doch Jacob tat mehr als nur
einen Rahmen für die Disputation zu schaffen. Er war während des
Streitgespräches ständig anwesend, intervenierte durch
Zwischenfragen, die er offensichtlich nicht zurückhalten konnte, er
wies die Disputanten zurecht und agierte vor allem vehement nach der
Disputation durch verschiedenen Dekrete und seinen Besuch in der
Synagoge von Barcelona. Neben den rein spirituellen Gründen dürfte
Jacob auch finanziell an den Erfolgen der Inquisition interessiert
gewesen sein, wurde schließlich das Vermögen der Beseitigten
konfisziert.
Die Verbindung aus diesen drei
Personen ergab den speziellen Rahmen für die Disputation von
Barcelona im Jahr 1263. König Jacob I. unterstützte das Interesse
der Dominikaner, die, vertreten durch Pablo Christiani, Nachmanides
als Gesprächsgegner wählten, um die neue Strategie der Judenmission
zu ihrem ersten großen Test zu bringen.
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Der Verlauf der Disputation
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Anmerkungen:
Chazan, Barcelona and Beyond, S. 98 f.
Chazan, Daggers of Faith, S. 71
Ausführlich dazu siehe z.B. Cohens, S. 129 ff.
Cohens, S. 107.
Chazan, Daggers of Faith, S. 70 ff.
Chazan, Barcelona and Beyond, S. 28 ff. und Stephen P. Bensch,
Barcelona and Its Rulers, S. 277ff.
Baer, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien
während des 13. und 14. Jahrhunderts, S. 29f.
Baer, Studien zur Geschichte der Juden im Königreich Aragonien
während des 13. und 14. Jahrhunderts, S. 33.
Chazan, Barcelona and Beyond, S. 31.
hagalil.com
20-09-2006
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