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Jüdische Weisheit
 
 

Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263:
Zur Geschichte der Missionsversuche und der Zwangsdisputationen

Von Andrea Livnat

"So verfehlt es ist, jüdische Geschichte auf eine Leidens- und Verfolgungsgeschichte zu reduzieren, so falsch wäre es auch, die jüdisch-christliche Geschichte als bloße Aneinanderreihung von Polemik und Unterdrückung zu sehen. Es gab immer wieder Zeiten friedlichen Zusammenlebens und gegenseitiger Anleihen im kulturellen wie im religiösen Bereich"[1], gibt Günter Stemberger zu Beginn seines Kapitels über die Auseinandersetzungen mit dem Christentum im Mittelalter zu bedenken. Die kirchliche Sicht und die kirchlich beeinflusste weltliche Gesetzgebung in Bezug auf das Judentum wurden von der Tradition des augustinischen Judenbildes geprägt.

Augustinus (354-430 n.d.Z.) deutete das Recht der Juden darauf, weiter als solche leben zu dürfen, dadurch, dass sie das Gesetz sich selbst zur Schande und anderen Heiden zum Zeugnis tragen und somit als lebendiger Beweis für die Wahrheit der christlichen Lehre wandeln: "Das jüdische Volk wird Knecht seiner Brüder, Träger und Bewahrer der heiligen Schriften, deren tieferen Sinn nur die Christen begreifen. Solange Juden diese Funktion erfüllen, schützt sie das Kainszeichen (das 4. Laterankonzil von 1215 schrieb dann vor, dass Juden durch ein besonderes Zeichen erkenntlich sein müssen); sie dürfen nicht getötet werden, solange sie das Gesetz nicht vergessen."[2] Dennoch ist das Verhältnis des Christentums zur Religion seines Ursprungs von Beginn an missionarisch eingestellt. Die eher einfachen und vor allem plumpen Versuche der Antike und des frühen Mittelalters wurden im 12. Jahrhundert allmählich durch neue Ansätze der Mission abgelöst.

Amos Funkenstein unterscheidet vier Typen von anti-jüdischer Polemik nach dem 12. Jahrhundert[3]: Das alte Muster der "Dialogi cum Judaeis" oder die "Tractatus contra Judaeos", die rationalistische Polemik, die die philosophische Überlegenheit des Christentums demonstrieren sollte, der Angriff auf den Talmud und das gesamte nachbiblisches religiöse Schrifttum der Juden und schließlich der Versuch, durch den Talmud und andere nachbiblische Schriften die Wahrheit der christlichen Dogmen zu begründen, die angeblich in diesen schon zu lesen sei.

Die alten Polemiken waren stereotype Auflistungen von "Argumenten" für die Wahrheit des Christentums, aber schon lange keine Schriften mehr, die wirklich an Juden gerichtet waren, so wie in der Antike und im frühen Mittelalter. Die Traktate gegen Juden waren zu einem eigenständigen literarischen Genre gewachsen[4], das weiterhin die augustinische Ansicht vertrat. Durch eine theologische Deutung des Daseins der Juden als lebender Beweis für die Überholung des Alten Testaments und als Zeichen und Beweis dafür, dass die Macht von Judah gewichen ist, konnte die Kirche sowohl die Tolerierung wie auch die Diskriminierung von Juden rechtfertigen[5].

Im Laufe des 12. Jahrhunderts kam es zu einer radikalen Veränderung in der Polemik gegen die Juden, ein komplizierter Prozess, der vor allem mit theologischen Veränderungen im Westen Europas, aber auch mit allgemeinen Einflüssen, die den sozialen, ökonomischen und rechtlichen Status der Juden betreffen, zusammenhing. Drei Faktoren waren dabei jedoch besonders entscheidend: Die Rationalisierung der religiösen Polemik, das wachsende Bewusstsein auf christlicher Seite von der Existenz einer ausführlichen nachbiblischen religiösen Literatur und schließlich die Entstehung der neuen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, die unter anderem als erste Hebräischkenntnisse zu apologetischen Zwecken lehrten und einsetzten. Yitzhak Baer weist darauf hin, dass auch der innerjüdische Konflikt um 1232, der sogenannte Maimonides-Konflikt, der Kirche den Anstoß gab, sich mit den Büchern des Judentums zu beschäftigen[6].

Funkenstein gibt in diesem Zusammenhang zu Bedenken, dass man Intoleranz gerne als Problem der Unkenntnis darstellt; das Mittelalter und die christliche Missionstaktiken würden aber das genaue Gegenteil zeigen. Je mehr Kenntnisse über das Judentum, seine Sprache, seine Schriften und Bräuche bekannt wurden, desto aggressiver wurden die Missionierungsversuche. Es scheint offensichtlich, dass diese Erwartung in den modernen, aufgeklärten Kontext gehört. Im Mittelalter führten das wachsende Wissen auf beiden Seiten, aber auch die parallelen Entwicklungen und gegenseitigen Einflüsse zu einer Verschärfung der Gegensätze: "The increase of mutual knowledge was accompanied by a growing awareness of, and stress upon, the gap. If there existed a mutual cultural language it served for contradictory assertions."[7] Der Ansatz, die Informationen und Kenntnisse über das Judentum aus dessen Schrifttum gegen die Juden selbst zu verwenden, zu dem auch die Disputation von Barcelona gehört, gipfelte schließlich in dem ausführlichsten Unterfangen dieser Art, in Raymond Martinis Pugio fidei.

Das ausgehende 12. und das 13. Jahrhundert bot den Rahmen für die neuen Ansätze der Missionierung. Breite ökonomische und soziale Veränderungen, sowie eine positive Entwicklung im intellektuellen und spirituellen Bereich, die eine allgemeine Öffnung ermöglichte, gab den Blick über den "christlichen Tellerrand" frei: "The general environment of the mid-thirteenth century thus provided powerful stimulus to a serious effort at missionizing among the Jews, an effort that must be seen in part as simply a concomitant of the general tendency of that brilliant period toward intensified fulfillment of all the central demands of Christian living."[8]

In dieser Atmosphäre entstanden auch die neue Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner. Die Dominikaner hatten sich 1219 in Barcelona etabliert und zur Zeit der Disputation von Barcelona in Katalonien bereits großen Einfluss bekommen. Das Generalkapitel der Dominikaner veranlasste 1259 die spanischen Ordensträger mit der Bildung eines Studiengangs für Hebräisch und Aramäisch. Dabei waren Juden sicherlich nicht die Hauptziele der allgemeinen Mission, sie waren aus verschiedenen Gründen aber besonders attraktiv zur Mission: Anders als andere Ungläubige, die quasi eher außerhalb der Gesellschaft lebten, konnte Juden zunächst relativ einfach identifiziert und, z.B. für Zwangspredigten, verfügbar gemacht werden. Juden wurden außerdem als Maßstab für die Erfolge der Mission gesehen, da sie bereits lange den Missionsversuchen der Kirche widerstanden hatten. Würden die neuen Ansätze bei den Juden Erfolg zeigen, dann schienen generell neue Wege der Mission auf breiter Basis möglich. Schließlich kommt noch die spezielle Rolle der Konvertiten in der Missionierung hinzu, die ab dem 12. Jahrhundert vermehrt aktiv an Bekehrungsaktivitäten teilnahmen. Ihre Bedeutung in den großen Talmudkampagnen des 13. Jahrhunderts ist nicht unbedeutend.

Die Besonderheiten des Judenhasses innerhalb der neuen Bettelorden ist neben der generellen Grundstimmung im europäischen religiösen Leben des 13. Jahrhunderts mit deren speziellen Struktur, sowie den Faktoren verbunden, die zu ihrer Etablierung zählen. Dazu gehört hauptsächlich die neue Art von Frömmigkeit, die nicht den Rückzug von der gesellschaftlichen Welt forderte, sondern im Gegenteil den Ordensmitgliedern ermöglichte, Teil der Gesellschaft zu bleiben und Laien ebenfalls in die moralische Theologie zu integrieren. Die Mitglieder stammten vor allem aus den aufsteigenden Mittelklassen, was vermuten lässt, dass aggressive Mission und teilweise auch gewaltsame Feindseligkeiten gegen Juden auf den typischen Judenhass europäischer Kaufleuten zurückzuführen sind. Kontext für Angriffe auf Juden war die Inquisition, die den Rahmen von bloßen Wortgefechten auf Papier zu wirklichen Begegnungen zwischen Juden und Christen erweiterte: "Whereas before the thirteenth century most religious debate comprised either private conversation between individuals or simply fictions employed in literary polemic, real encounters between the friars and the Jews now became an important element in the attack of the Church upon Judaism."[9]

Den Anfang bildeten die Talmud-Kampagnen, die wie beispielsweise in Paris 1242, mit der Verbrennung von Talmudexemplaren endeten. Aus dem selben Jahr gibt es auch einen Hinweis auf neue Missionstaktiken aus einem Brief von König Jacob I. von Aragon. Ein weiterer Nachweis stammt aus einem päpstlichen Brief des Jahres 1245, der einerseits die Rechte von Konvertiten regelt und andererseits festhält, dass die nicht-christliche Bevölkerung gezwungen werden kann, Predigten der Franziskaner und Dominikaner anzuhören. Die ausdrückliche Nennung der beiden Bettelorden verdeutlicht nochmals ihr besonders eifriges Engagement im Bereich der Mission. Inwieweit die neuen Praktiken, insbesondere die Zwangspredigten verbreitet waren, ist nicht klar. Es gilt aber als sicher, dass es sich dabei keineswegs um verstreute Einzelaktionen handelte, sondern um geplante und mehr oder weniger groß angelegte Maßnahmen.  Neu war auch die königliche Protektion von Missionsversuchen gegen Juden. Sowohl in Paris wie auch in Barcelona fanden die Disputationen am Hof oder an einem anderen vom König vorgeschlagenen Ort statt. König Jacob I. von Aragon unterstützte die Missionsstrategien der neuen Orden seit den frühen 1240er Jahren besonders eifrig. Missionierung von Juden wurde dadurch institutionalisiert und in legalen Rahmen gestellt. Das Edikt von 1242 besiegelt die Institutionalisierung der neuen Praktiken der Bettelorden unter Protektion der Krone[10].

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Anmerkungen:
[1] Günter Stemberger, Einführung in die Judaistik, S. 119.
[2] Ebenda, S. 120.
[3] Amos Funkenstein, Basic Types of Christian Anti-Jewish Polemics in the Later Middle-Ages, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies, vol. 2, 1971.
[4] Ausführliches dazu bei Heinz Schreckenberg in den beiden Bänden: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.-13.Jh.) und Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld  (13.-20.Jh.).
[5] Zu den jüdischen Antworten, siehe Funkenstein, S. 376.
[6] Yitzhak Baer, A History of the Jews in Christian Spain, S. 150.
[7] Ebenda, S. 382.
[8] Robert Chazan, Daggers of Faith, S. 36.
[9] Jeremy Cohen, The Friars and the Jews, S. 82.
[10] Chazan, Daggers of Faith, S. 38 f.

hagalil.com 18-09-2006


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