Die Zwangsdisputation von Barcelona 1263:
Der Verlauf der Disputation
Von Andrea Livnat
In der
Disputation, die an vier Tagen des Jahres 1263, dem 20., 27., 30.
und 31. Juli stattfand, hatte Nachmanides von Beginn an keine
wirkliche Chance auf eine gerechte Auseinandersetzung. Sieht man von
der Frage ab, ob man generell über Glaubensfragen mit Argumenten
diskutieren kann, war die Barcelona Disputation von Anfang an durch
ein völliges Ungleichgewicht zu Lasten der jüdischen Seite
gekennzeichnet. Das Streitgespräch wurde nicht nur von der
christlichen Seite einberufen und dabei auch bestimmt, wer als
Gesprächspartner zur Verfügung stehen sollte, Nachmanides hatte
keine Möglichkeit, die Teilnahme zu verweigern. Während Pablo
Christiani während des gesamten Disputationsverlaufs sehr offensiv
vorging, war Nachmanides darauf bedacht, stets den richtigen Weg
zwischen Verteidigung und Zurückweisung zu gehen, der die
christliche Seite nicht wirklich bloßstellte. In diesem Zusammenhang
sei noch einmal auf die Frage hingewiesen, in wie weit das Protokoll
von Nachmanides das tatsächlich Gesagte wiedergibt.
In jedem Fall
war diese Disputation nicht dazu angesetzt, die Wahrheit des
Christentums zu beweisen, diese stand keine Minute lang in Frage
gestellt. Denn die Disputation hatte von Beginn an nur zwei mögliche
Ausgänge. Entweder würde Pablo Christiani aus den talmudischen
Quellen beweisen können, dass der Messias bereits gekommen sei und
dadurch den letztendlichen Schluss gezogen haben, dass Jesus der
Messias sei. In diesem Fall, der den Dominikanern wohl wirklich
möglich erschien, hätte man eine massenweise Zwangskonversion oder
ähnliche Aktionen fordern können. Würde Pablo Christiani dies nicht
gelingen, wie es schließlich auch tatsächlich der Fall war, hieße
das jedoch keineswegs, dass der Messias noch nicht gekommen sei,
sondern lediglich, dass sich das talmudische Quellenmaterial nicht
zur Beweisführung eigne. Jesus als Messias und damit die Grundlage
der christlichen Religion stand damit nicht in Frage gestellt.
Nachmanides
behauptete, dass man sich gemeinsam auf eine Tagesordnung der
Disputation geeinigt habe. Tatsächlich wurde ihm diese wohl eher
diktiert. In jedem Fall heißt es zu Beginn seines Protokolls:
“Infolgedessen kamen wir überein, zuerst über das Problem des
Messias zu reden, ob er schon gekommen sei, wie die Christen
glauben, oder ob er noch kommen werde, wie die Juden glauben. Danach
wollten wir besprechen, ob der Messias wahrhaftiger Gott oder ganz
und gar Mensch sei, von einem Mann und einer Frau hervorgebracht.
Sodann wollten wir besprechen, ob die Juden am wahren Gesetz
festhielten oder ob die Christen es praktizierten.“
Das christliche Protokoll äußert sich etwas anders zur Tagesordnung.
Dort heißt es, man werde besprechen, ob der Messias schon gekommen
sei, ob er eine gottmenschliche Natur besitze, ob er für das Heil
der Menschen gelitten habe und gestorben sei und ob das jüdische
Gesetz mit der Ankunft des Messias aufgehört habe und aufhören müsse.
Nachmanides konnte dabei nach seinen eigenen Aussagen erreichen,
dass er die Zustimmung erhielt, so zu sprechen, wie er es möchte,
solange er keine "schändlichen Dinge" spreche, wie Raymond de
Penaforte einschränkte.
Vor der
Behandlung des ersten Disputationspunktes verlangte Nachmanides
jedoch eine Klarstellung von Pablo Christiani, da dieser, wie
Nachmanides anführte, bereits durch die Provence wandere und vielen
Juden sage, dass der Messias bereits gekommen sei und dies von den
Weisen der Juden selbst im Talmud so festgeschrieben sei.
Nachmanides spielte dabei neben der Bemerkung, wie dies sein könne,
denn die Talmudweisen hätten doch erst lange nach Jesus gelebt,
offenbar auf den Sinn der Disputation überhaupt an. Wenn Pablo
Christiani bereits den zu diskutierenden Gegenstand verbreitete,
wozu sollte dann das Zusammentreffen noch dienen.
Als erstes
Argument dafür, dass der Messias bereits gekommen sei, griff Pablo
Christiani das zwischen Juden und Christen viel zitierte Bibelzitat
Bereschit 49:10 auf. Die Diskussion drehte sich dabei darum, ob es
sich bei dem Namen Judah um eine Bezeichnung für das ganze Volk
Israel handelt, wie Pablo Christiani es deutete, oder um den Stamm
Judah, wie Nachmanides argumentierte. Im Anschluss führte Pablo
Christiani eine Haggaddah, Jerusalemer Talmud Berachot 2,4, an,
woraufhin Nachmanides sagte, dass er nicht an diese Haggaddah glaube.
Er fügte jedoch an, dass er sie trotzdem akzeptieren würde, da sie
ein Beweis gegen die Worte Pablo Christianis sei. Die Haggaddah
erzählt davon, dass der Messias am Tage der Tempelzerstörung geboren
wurde, Jesus aber sei bereits davor geboren und auch getötet worden.
Ein königlicher Richter wies Nachmanides darauf hin, dass es nicht
um die Frage gehe, ob Jesus der Messias sei, sondern ausschließlich
darum, ob der Messias bereits gekommen sei. Nachmanides unterschied
daraufhin, dass der Messias zwar schon geboren, wie es die Haggaddah
berichtet, jedoch noch nicht gekommen sei.
Pablo
Christiani kehrte zur Bibelexegese zurück und führte einen weiteren
Passus an, der oft in der christlich-jüdischen Auseinandersetzung
thematisiert wurde, Jeschajahu 52/53, in dem davon die Rede ist,
dass der Messias in die Hände seiner Feinde geriet und mit Frevlern
zusammengetan wurde. Nachmanides bestritt, dass es sich in der
Passage um den Messias dreht, gab aber schließlich zu, dass ihn die
Weisen tatsächlich auf den Messias deuten, er danach aber nicht, wie
Jesus, durch seine Feinde getötet werde.
Bei der
anschließenden Diskussion um das Talmudtraktat b Sanhedrin 98a, in
dem davon erzählt wird, dass der Messias in Lumpen gehüllt vor den
Toren Roms sitzt, mischte sich erstmals König Jacob I. mit einer
naiven Frage ein, die für die Dominikaner leidig gewesen sein
dürfte. Nachmanides wehrte auch dieses Traktat mit dem Hinweis ab,
der Messias sei zwar bereits geboren worden und sitze deswegen unter
Umständen tatsächlich in Rom, er sei aber noch nicht gekommen. Jacob
I. fragte darauf, wie das sein könne, wenn er doch am Tag der
Tempelzerstörung geboren wurde, würde er über 1000 Jahre leben.
Nachmanides wies daraufhin, dass ausgemacht war, er müsse nicht mit
dem König selbst disputieren, antwortete aber dennoch, dass das
Alter in Gottes Hand liege und schon andere, wie Adam, Methusalem,
Elia und Henoch, so alt wurden.
Damit endete
der erste Tag der Disputation und König Jacob I. setzte den nächsten
Termin für den kommenden Montag fest. An diesem Tag traf man in
einem städtischen Kloster zusammen, im Protokoll von Nachmanides
heißt es, alle Bewohner der Stadt waren da. Das ist sicherlich
übertrieben, doch es ist durchaus realistisch anzunehmen, dass die
Disputation eine große Menge Interessierter anzog. Zudem waren der
Bischof und die Priesterschaft, sowie die Gelehrten unter den
Franziskanern und Dominikanern anwesend.
Nachmanides gab
zu Beginn des zweiten Tages eine Grundsatzerklärung ab, die seine
letzten Äußerungen über die Anerkennung der Haggaddah erklären
sollten. Er verglich dabei die jüdischen Haggadoth mit den Sermones
der christlichen Priester, um zu verdeutlichen, dass sie nicht
zwingend anerkannt werden müssen. Die Frage nach dem Aufenthaltsort
des Messias, bis er an eines Tages in Rom auftauchen würde,
beantwortet Nachmanides mit dem Garten Eden.
Bei dem Ansatz
einen weiteren Beweis zu erbringen, wurde Pablo Christiani
schließlich von Nachmanides unterbrochen. Offensichtlich war die
Situation für Nachmanides doch ungünstiger als er in seinem
Protokoll zu erkennen gab. Anders ist kaum zu erklären, dass er sich
dazu hinreißen ließ, den Messiasgedanken in seiner Bedeutung für das
Judentum allgemein zu relativieren. Um die Rede wieder auf Jesus zu
bringen, fügte er an, dass dieser nicht der Messias sein konnte, da
noch immer Gewalt und Krieg in der Welt herrschen. Nachmanides wurde
daraufhin zuerst von Pablo Christiani und dann von Jacob I. zum
Schweigen aufgefordert. Die Härte der Auseinandersetzung lässt sich
nur zwischen den Zeilen erahnen, Nachmanides schlechte Position wird
jedoch durchaus deutlich.
Nach
verschiedenen kleinen Auseinandersetzungen über die göttliche Natur
des Messias, die Pablo Christiani durch die Stellung von
Dienstengeln beweisen wollte, und das messianische Leiden, wozu
Pablo Christiani eine Haggadah zitierte, wonach der Messias erklärt,
Leiden auf sich zu nehmen, wenn dadurch eine umfassende Auferstehung
der Toten erwirkt würde, wendet sich die Disputation dem Buch Daniel
zu. Im Zuge dessen griff Nachmanides Pablo Christiani erneut
vehement an und warf ihm Inkompetenz in Bezug auf die
Zeitberechnungen im Buch Daniel vor. Als Letztes wandten sich die
Disputanten an diesem Tag schließlich einer Haggadah zu, die von
Paradiesbetretung des Messias handelt.
Das nächste
Zusammentreffen fand am darauffolgenden Donnerstag wieder unter
Ausschluss der Öffentlichkeit im Palast des Königs statt. Dabei kam
es zu einem peinlichen Missgeschick Pablo Christianis, als er bei
dem Versuch, die Aussage von Nachmanides, der Messias könne 1000
Jahre und länger leben, Maimonides zitieren wollte, die Bücher aber
verwechselte und die passende Stelle nicht fand. Nach der
ausgiebigen Diskussion um diese Schrift schien man an diesem Tag
auseinander zu gehen. Das Protokoll von Nachmanides berichtet von
der Fortsetzung der Disputation am darauffolgenden Tag. Nachmanides
weigerte sich zu Beginn des Zusammentreffens weiter zu disputieren.
Auf die Nachfrage des Königs erklärte er, alle Zuhörer, auch die
anwesenden Priester hätten ihm geraten, die Disputation aufzugeben,
da sie eine für ihn schlechte Wendung nehmen würde. Nachmanides
wurde aus seiner Pflicht jedoch nicht entbunden und führte das
Streitgespräch schließlich fort. Der Zwischenfall zeigt jedoch, dass
die Lage für die jüdische Seite verfahrener sein musste als
Nachmanides in seinem Protokoll zugibt.
Schließlich
wandte sich Pablo Christiani mit der Frage an Nachmanides, ob dieser
glaube, dass der Messias vollkommener Gott und wahrer Mensch sein
wird. Nachmanides erwiderte zunächst, dass vereinbart sei, zuerst
darüber zu sprechen, ob der Messias überhaupt gekommen sei, und das
habe Pablo Christiani noch nicht beweisen können. Nach einer
Aufforderung des Königs lässt er sich jedoch auf das Thema ein und
erklärt, der Messias werde vollkommener Mensch sein. Pablo
Christiani zog darauf den Psalm 110 hinzu, der davon handelt, dass
Gott den Messias zu seiner Rechten sitzen lässt. Nachmanides
konterte mit einer Haggadah, wonach Abraham zur Linken und der
Messias zur Rechten Gottes sitze, beide seien dabei ganz und gar
Mensch. Pablo Christiani führte die Diskussion um das Wesen des
Messias noch anhand Leviticus 26:12 und Bereschit 1:2 weiter, doch
sie bildete anscheinend das Ende der Disputation. Nachmanides
berichtete in seinem Protokoll, dass er jedoch hörte, dass König
Jacob I. und die Dominikaner am kommenden Shabbat in die Synagoge
kommen wollten. Er blieb daraufhin noch länger in der Stadt. Sein
Protokoll schließt damit, dass sie in der Synagoge predigten, Jesus
sei der Messias. Die Disputation, deren Ausgang Pablo Christiani
keineswegs für sich entscheiden konnte, schien also völlig
vergebens.
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christlichen Seite
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Anmerkungen:
Mutius, S. 28.
.185 ע ,בער,
פריץ
יצחק:
לבקורת
הוויכוחים
של
ר' יחיאל
מפאריש
ושל
ר' משה
בן
נחמן,
בתרביץ
למדעי
הרוח
Mutius, S. 28.
Ebenda, S. 74.
Ebenda, S. 82.
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28-09-2006
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