Über 100 Menschen wurden in Deutschland seit der Wiedervereinigung
ermordet - weil sie nichtdeutscher Herkunft waren oder weil sie von einer
vermeintlichen Norm abwichen. Das sind die extremen Formen rechter Gewalt.
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, Hass auf Behinderte,
Obdachlose, Lesben und Schwule zeigen sich auch im Alltag, auf der Straße,
im Supermarkt und in den Betrieben, im Wahlkampf, auf Popkonzerten und auf
dem Schulhof. Doch gerade Verbrechen wie der Pogrom von Rostock und die
Anschläge von Solingen, Mölln und Hoyerswerda haben viele Menschen
alarmiert, die nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in der Rassismus
und Antisemitismus allgegenwärtig sind. Sie haben sich zu Initiativen
zusammengeschlossen - weil sie selbst von rechter Gewalt betroffen sind und
sich wehren wollen oder weil sie sich verpflichtet fühlen, ihr
entgegenzutreten. In Großstädten wie auf dem Land haben sich viele Hunderte
Projekte gegründet. Sie vermitteln Opfern rechter Gewalt Rechtsanwältinnen
und Ärztinnen, sie beraten Migrantinnen und Flüchtlinge, sammeln
Informationen über Bürgerrechte oder die rechte Szene. Sie drucken
Broschüren und stellen ihr Wissen ins Internet. Sie veranstalten Feste und
rufen zu Demonstrationen auf, sie diskutieren mit Schülerinnen genauso wie
mit Betriebsräten, sie versuchen, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu
nehmen. Kurz: Sie leisten wichtige Arbeit. Denn Migration und die Wahrung
der Menschenrechte gehören zu den drängendsten Themen der nächsten Zukunft -
weltweit und auch in einem Europa, das nicht länger Sicherheit und Wohlstand
für alle verspricht. Die jüngsten Wahlsiege europäischer Rechtspopulisten
sind nur der Vorschein kommender Konflikte.
Das Handbuch Antirassismus möchte die Arbeit der Initiativen und
Verbände würdigen. Es will auf ihre Notwendigkeit aufmerksam machen und
unterschiedliche Handlungsansätze vorstellen. Und es möchte Engagierten
helfen, Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen auszutauschen sowie Leserinnen
dazu anregen, selbst tätig zu werden.
Der erste Teil des Buches führt in das Thema ein und bietet einen
Überblick über Grundbegriffe von Analyse und Kritik. Was ist überhaupt unter
Rassismus und Antisemitismus zu verstehen? Woran erkennt man sie? Wie äußern
sie sich? Die dargestellten Konzepte und Kontroversen sollen Einsteigern
helfen, sich auf diesem schwierigen Feld zu orientieren. Sie sollen das
analytische Rüstzeug bieten für das eigene Engagement und den Umgang mit dem
politischen Diskurs und dem der Medien, deren Anteil am Aufkommen eines
rassistischen Klimas nicht unterschätzt werden darf. Auf den letzten Seiten
des einführenden Teils haben wir eine Auswahl von weiterführender Literatur
zum Thema zusammengetragen.
Der zweite Teil stellt die Initiativen vor, sowohl bundesweit
tätige Projekte wie regionale Gruppen, nutzbare Archive und nützliche
Publikationen. Über jedes der rund 700 Projekte informiert eine
Kurzbeschreibung.
Sechs Initiativen haben wir ausführlicher porträtiert, um die Breite der
Handlungsmöglichkeiten zu illustrieren: die
Antifa Dresden,
Asyl in der
Kirche Berlin, den Bildungsverein
Dien Hong in Rostock, den
jüdischen Onlinedienst haGalil
aus München, das bundesweit agierende Kultur-Netzwerk
Kanak Attak und die
Opferperspektive Brandenburg.
Das Handbuch Antirassismus ist als Nachschlagewerk gedacht. Der
Adressenteil, der die Projekte vorstellt, gliedert sich geographisch. Am
Anfang stehen in alphabetischer Reihenfolge die Initiativen, die bundesweit
agieren. Es folgen die Initiativen in den sechzehn Bundesländern - von
Baden-Württemberg bis Thüringen. Diese Kapitel führen zunächst die
landesweit arbeitenden Initiativen alphabetisch auf; dann kommen die lokalen
Projekte und Initiativen, sortiert nach Postleitzahlen und damit nach
Städten, Gemeinden und Stadtteilen. Die Namen der Projekte haben wir
ausgeschrieben (Abkürzungen finden sich in Klammern), studentische Projekte
sind unter der jeweiligen Universität zu finden. Diese Struktur soll eine
optimale Handhabung bei der Suche nach Initiativen in Wohnort-Nähe
ermöglichen. Ein alphabetisches Register am Schluss hilft, Projekte zu
finden, deren Name die Leserinnen zwar kennen, nicht jedoch deren
Wirkungskreis.
Bisher gab es außerhalb des Internet kaum Möglichkeiten, all diese
Projekte auf einen Blick kennen zu lernen. Sie arbeiten oft im Schatten der
Medienberichterstattung, ohne dass eine größere Öffentlichkeit auf sie
aufmerksam wird. Deshalb soll das vorliegende Buch über Initiativen
informieren, ohne ihre Arbeit inhaltlich und politisch zu bewerten. Mit
einer Ausnahme, nämlich der Grundhaltung, aus der heraus dieses Buch
entstand: Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus verdient Respekt.
Dies anzuerkennen, motivierte die Autorinnen, die rund 700 Adressen
zusammenzutragen und zu verifizieren. Die Fülle der Sammlung hinterlässt
viele Fragen, deren detaillierte Erörterung jedoch über den Rahmen dieses
Buches hinausginge. Offen bleiben Fragen nach Möglichkeiten der Vernetzung
und der Effizienz verschiedener Strategien, nach Chancen und Grenzen
ehrenamtlicher Arbeit genauso wie nach der inhaltlichen Steuerung durch die
Förderpolitik - und natürlich nach Menschen- und Weltbildern sowie
politischen Anschauungen. Dessen sind wir uns bewusst. Doch vielleicht kann
dieses Buch manche Anregung zu den Debatten liefern, wie sie an
verschiedenen Stellen, ob in Basisgruppen, Kommunen oder der Bundespolitik,
geführt werden.
Wir haben versucht, die Daten auf den uns letztmöglichen Stand zu bringen
(Frühsommer 2002). Trotzdem gibt es viele Gründe dafür, warum sich Fehler
nicht ausschließen lassen. Sei es, dass die Förderung, auf die ein Projekt
angewiesen ist, in der Zeit zwischen Redaktionsschluss und Veröffentlichung
gestrichen wurde. Oder, dass die Person, die treibende Kraft einer
Initiative war, in eine andere Stadt umgezogen ist oder Mitwirkende ihr
Ehrenamt nicht mehr mit ihrem Beruf in Einklang bringen konnten. Oder sei
es, dass sich Initiativen nach einer Reihe von Veranstaltungen schlicht
wieder auflösten. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind Landtagswahlen wie
zuletzt in Sachsen-Anhalt und die Bundestagswahl 2002. Neue politische
Mehrheiten verändern auch die Förderpolitik.
Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So haben wir auf die
Nennung der kommunalen Ausländerbeauftragten weitgehend verzichtet: Ihre
Namen und Anschriften sind in der Regel über die Landesbeauftragten
erhältlich. Ähnliches gilt für viele landesweit agierende Vereine: Ihre
Lokalstellen haben wir nur gelistet, wenn sie konkrete Hilfe vor Ort - etwa
Asylberatung - anbieten. In Regionen, in denen sehr viele Projekte tätig
sind, konnten wir nicht alle nennen, sondern haben versucht, die
gesellschaftliche Streuung abzubilden. Nicht aufgenommen haben wir
Initiativen, über die uns keine gesicherten Informationen vorlagen und die
auf unsere Anrufe, Faxe oder Mails nicht geantwortet haben.
Danken möchten wir Marius Babias und dem Team der
Kokerei Zollverein |
Zeitgenössische Kunst und Kritik für die Initiative zu diesem Buch
und seine Umsetzung. Dank gilt auch dem
Zitty-Verlag Berlin und dem
Duisburger Institut für Sprach-
und Sozialforschung für technische Unterstützung und Logistik, der
Familie Hirschfeld für großzügige logistische Hilfe und Martin Greve für
seinen kritischen Blick.
Ein Kompendium wie das Handbuch Antirassismus erfordert immer
wieder Aktualisierung. Das ist viel Arbeit, jedoch eine, die lohnt. Als wir
Ende 2001 mit den Recherchen begannen, haben wir nicht damit gerechnet, dass
es so viele Menschen sind, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus
engagieren. Das Ergebnis hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Allein
diese Erkenntnis war die Mühe wert. Wir gestehen gerne, hin- und hergerissen
zu sein zwischen der Überlegung, dass es gemessen an der Zahl der Projekte
und Initiativen um diese Republik besser bestellt sein müsste, und der
Vorstellung, wie sie denn aussähe, wenn es all diese Initiativen nicht gäbe.