MAX LIEBERMANN
Max Liebermann wird am 20. Juli
1847 als zweites von vier Kindern des Louis Liebermann und seiner Frau
Philippine, geb. Haller, in Berlin geboren. Louis Liebermann ist Teilhaber der
Kattunfabrik "Liebermann & Co", deren Aktivitäten durch den Kauf
eisenverarbeitender Hütten in Schlesien eine Erweiterung erfahren. Die Mutter
entstammt einer Juweliersfamilie.
Unter den Vettern von Max Liebermann
findet man Emil Rathenau, den Gründer der AEG. Ungeachtet der finanziellen
Möglichkeiten ist die Haushaltsführung einfach und orientiert an preußischer
Disziplin und Strebsamkeit. Seine Kinder erzieht der strenggläubige Vater
"treu dem Glauben der Väter, in der jüdischen Religion".
Schon während der Schulzeit erhält
Liebermann privaten Malunterricht bei Eduard Holbein und Carl Steffeck. Das
Abitur besteht er mit Mühe. Nach zwei lustlosen Semestern an der
Philosophischen Fakultät der Universität Berlin setzt Max Liebermann gegen
den Willen des Vaters seinen Wunsch durch, Maler zu werden. Im Frühjahr 1868
übersiedelt er an die Kunstakademie nach Weimar, ohne Anschluß an die dort
gelehrte Historienmalerei zu finden. Erst im Düsseldorfer Atelier des Ungarn
Mihály Munkácsy 1871 findet er in dessen Realismus eine künstlerische
Offenbarung. Im Herbst des nächsten Jahres debütiert der junge Maler mit den
"Gänserupferinnen" auf der Berliner Akademieausstellung. Die öffentliche
Kritik ist angesichts der "Häßlichkeit" entsetzt, Adolph von Menzel aber
verlangt den Kollegen kennenzulernen.
Mit 26 Jahren übersiedelt Liebermann
1873 nach Paris: "Munkácsy zog mich mächtig an, aber noch mehr taten es die
Troyon, Daubigny, Corot, vor allem aber Millet". Doch Millet verweigert
jeden Kontakt mit dem "Prussien". Auch der Kontakt zu Edouard Manet
scheitert. Dennoch bleibt der Maler sechs Jahre und kultiviert seine
Pleinair-Kunst. Als erster Deutscher nach dem Krieg von 1870/71 wird
Liebermann mit einer "mention honorable" ausgezeichnet. Den französischen
Beifall quittiert man in der Heimat mit Mißfallen. Die Annahme des Ordens
der Ehrenlegion 1890 verbietet die preußische Regierung. Nationalisten
werfen dem Maler moralisches Überläufertum und Vaterlandslosigkeit vor.
Liebermanns Frühwerk ist ohne seine
Reisen nach Holland nicht zu denken. Erstmals hält sich der Maler 1872
längere Zeit in den Niederlanden auf. Seitdem kehrt er im Sommer fast
alljährlich wieder. 1881 lernt er Josef Israels kennen, mit dem er
lebenslang freundschaftlich verbunden bleibt. Liebermanns Darstellungen des
Menschen und seiner Arbeit, der Weber, Bauern und Netzflickerinnen,
einfacher Szenen aus den Waisen- und Altmännerhäusern, Bürgerschulen und
Straßenalltag werden wegen ihrer unpathetischen Schlichtheit in Auffassung
und Darstellung von den einen gerühmt, von den anderen aus eben diesen
Gründen heftig abgelehnt. Doch statt sozialer Anklage sucht Liebermann die
"Poesie des einfachen Lebens". Malerisch ist es das unbedingte Bekenntnis
zur Freilichtmalerei. Um die Jahrhundertwende, als sich der Maler den
modernen Freizeitvergnügungen zuwendet, hält er sich bevorzugt in
Scheveningen und Noordwijk auf, wo er kriegsbedingt 1913 das letzte Mal
weilt. Typisch für diese Phase sind die zahlreichen Strandszenen mit
badenden und sporttreibenden Urlaubern.
1879 bis 1884 lebt Liebermann in
München. Seine Darstellung "Der zwölfjährige Jesus im Tempel" erregt die
Gemüter. Obwohl damals Bayerns Metropole als führende deutsche Kunststadt
gilt, empfinden manche die unheroische Alltäglichkeit der Bildauffassung als
Blasphemie. Die heftigen antisemitischen Erregungen gipfeln in einer
zweitägigen Debatte im Bayerischen Landtag. Danach wird der Jude Liebermann
nie wieder ein Thema aus dem Neuen Testament malen.
Nach seinen Studien- und Wanderjahren
kehrt der 37jährige Liebermann 1884 in seine Heimatstadt Berlin zurück. Im
September desselben Jahr heiratet er Martha Marckwald (1857-1943), eine
Schwägerin seines älteren Bruders. Am 19. August 1885 wird den
Jungvermählten die einzige Tochte Käthe geboren. Die Familie lebt ab 1892 im
noblen Wohnhaus am Pariser Platz Nr. 7, das direkt an das Brandenburger Tor
grenzt und am Beginn der Allee "Unter den Linden" liegt. Dieses Mietpalais
hatte der Vater Liebermanns 1859 erworben. Sein erwachsener Sohn zieht nach
dem Tod der Mutter 1892 ein. Nach dem Ableben des Vaters wird Liebermann
Eigentümer des Palais und Erbe eines Millionenvermögens. Der neue Hausherr
läßt die Wohnräume durch Hans Grisebach, den Architekten der Berliner
Secession, umgestalten. Die nobel gelegene Residenz bleibt bis zu
Liebermanns Tod seine Heimstätte.
Nach seiner Übersiedlung von München
nach Berlin bezieht Liebermann 1884 ein Atelier im Garten seines Wohnhauses
an Nordrand des Tiergartens In den Zelten 11. Später mietet der Maler eine
Werkstätte in der Königin-Augusta-Straße bzw. in der Bismarckstraße. Seit
1892 arbeitet er am Pariser Platz, wo er als Hausherr nach vierjährigem
Behördenstreit 1898 ein großzügiges Dachatelier mit Glasaufbau errichten
lassen kann. Der Kaiser selbst soll die Umbaupläne mit dem Vermerk
"scheußlich" bezeichnet haben. Liebermanns Spätwerk entsteht vor allem in
der Villa am Wannsee.
Die Berliner Secession
Nach dem Vorbild in München, Wien und
anderswo versteht sich die 1899 gegründete Berliner Secession als Gegenpol
zum verstaubten Akademiebetrieb. An der Spitze der Neugründung stehen Walter
Leistikow und Max Liebermann, den man zum Präsidenten wählt. In der
Kantstraße entsteht ein eigenes Vereins- und Ausstellungsgebäude. Etwa
gleichzeitig eröffnen die Cousins Bruno und Paul Cassirer ihre legendäre
Verkaufsgalerie. Unter Liebermanns Führung erringt die Secession eine das
gesamtdeutsche Kunstleben überragende Stellung. Bedingt durch das
Ausstellungsprogramm wird die Secession in der Öffentlichkeit mit
Impressionismus gleichgesetzt. Selbsternannte Mahner beargwöhnen die
impressionistische "Überfremdung" der deutschen Kulturlandschaft. Aber auch
innerhalb der Secession vermehren sich die Spannungen. Nach der
Zurückweisung zahlreicher expressionistischer Werke wirft Emil Nolde
Liebermann in einem offenen Brief hohle Phrasen und eitles Machtstreben vor.
Unter der Führung von Max Pechstein spaltet sich die neue Avantgarde ab.
Nach zwölfjahriger Tätigkeit legt Liebermann die Präsidentschaft zurück,
Lovis Corinth wird sein Nachfolger.
Die Villa in Wannsee
Liebermann war stolz darauf, die
finanzielle Basis für seine Villa nicht geerbt, sondern innerhalb von zwei
Jahren "ermalt" zu haben. Er erwirbt das auf halbem Weg zwischen Berlin und
Potsdam direkt am Großen Wannsee in der Großen Seestraße gelegene Grundstück
1909. Architektonisch orientiert sich das von Paul Baumgarten nach
Liebermanns Angaben geplante Landhaus am konservativen Vorbild Hamburger
Patriziervillen. Im Juli 1910 kann der Bauherr einziehen. Aus der
Stadtwohnung läßt Liebermann Werke seiner Impressionisten-Sammlung
übertragen. In der Idylle seines geliebten Gartens sucht der Nestor der
deutschen Kunst einen Ausgleich für die altersbedingt immer beschwerlicheren
Studienreisen nach Holland. Immer mehr findet er hier eine Gegenwelt zu den
Unruhen und Wirren der Zeit. Mit Ausnahme der Porträtaufträge entsteht hier
die Summe des Spätwerks: rund 200 Gartenbilder, zahlreiche Pastellen und
ungezählte Graphiken. Wenige Jahre nach Liebermanns Tod fand unweit von
seinem geliebten Refugium am 20. Jänner 1942 in einem Gästehaus des
NS-Sicherheitsdienstes die Wannsee-Konferenz statt. Erklärtes Ziel der
Beteiligten war die reibungslose Zusammenarbeit zur "Endlösung der
Judenfrage". Als nach dem Krieg Liebermanns Villa an seine Tochter
zurückgestellt wurde, verkaufte sie sie an die Stadt Berlin. Gegenwärtig
bemüht sich die deutsche Max Liebermann-Gesellschaft um eine Widmung und
Rekonstruktion des Areals, das trotz aller Bemühungen unverständlicherweise
noch immer an einen Tauchclub vermietet ist.
Max Liebermann und die Weimarer
Republik
Der parteilose Max Liebermann war
eine Symbolfigur der Weimarer Republik. In Opposition zum Militär- und
Obrigkeitsstaat unter Wilhelm II. wurde der Impressionismus auch zum
Ausdruck für das erstarkte Bürgertum und Liebermann sein künstlerischer
Repräsentant schlechthin. Um die Jahrhundertwende avancierte Liebermann zum
gesuchtesten Maler des liberalen Bürgertums. Nun stellten sich auch die
höchsten Spitzen des Staates an, um Porträt zu sitzen. Wie der
Impressionismus wurde auch Liebermann zu einem Klassiker. So überraschte es
nicht, daß der international Anerkannte 1920 zum Präsidenten der deutschen
Akademie der Künste gewählt wurde. Dieses Amt hatte Liebermann bis 1932
inne, anschließend war er deren Ehrenpräsident. Mit den Anliegen der
nachstoßenden Generation aber tat sich der scharfzüngige Maler oft schwer.
Dennoch blieb Liebermann wohl auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen ein
konsequenter Mahner für eine offene Kulturpolitik und gelebte Liberalität.
Max Liebermann und das Judentum
Max Liebermann, der jüdischen
Institutionen fernstand, ließ es sich nicht nehmen, sein Judentum zu
betonen. Als bald Achtzigjähriger resümiert er 1931, er habe sich ein
"ganzes Leben als Deutscher gefühlt", aber zuletzt mußte er erkennen, daß er
einen Traum geträumt hatte, der grausam scheiterte. Schon seit frühesten
Anfängen finden sich in der Kritik an Liebermanns Kunst antisemitische
Untergriffe. Um der drohenden Entlassung nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung zuvorzukommen, legt Liebermann am 7. Mai 1933 das
Ehrenpräsidium der Preußischen Akademie der Künste nieder und erklärt seinen
Austritt. Als letzte Äußerung des Malers erschien in der Presse die
Mitteilung: "Ich habe während meines langen Lebens mit allen meinen Kräften
der deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner Überzeugung hat Kunst
weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der
Preußischen Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied ich seit mehr
als dreißig Jahren und deren Präsident ich zwölf Jahre gewesen bin, nicht
länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat."
Das Ende
Nach 1933 wird es einsam um den
Maler. Im November 1934 erkrankt Liebermann schwer und stirbt am 8. Februar
1935 in seinem Haus am Pariser Platz. Am 11. Februar wird er in der
Familiengruft auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee
beigesetzt. Nur wenige geben dem Toten die letzte Ehre. Unter den
nichtjüdischen Trauernden finden sich Persönlichkeiten wie der Chirurg
Ferdinand Sauerbruch und die Maler Hans Purrmann und Käthe Kollwitz.
Weiteres Schicksal der Familie
Martha Liebermann ist nicht bereit,
Berlin und das Grab ihres Mannes zu verlassen. Die Tochter Käthe, die 1915
den Legationsrat und späteren Gesandten Dr. Kurt Riezler geheiratet hat,
emigriert mit ihrer Familie 1939 in die USA. Als die Mutter endlich
einwilligt, ihrem Beispiel zu folgen, ist es zu spät. Sie muß das Haus am
Pariser Platz zwangsweise aufgeben, die Villa am Wannsee verkaufen, ihr
Aktien- und Barvermögen wird gesperrt. Die NS-Behörden nehmen sie in
Geiselhaft. Zwar versuchen die Familie und ausländische Freunde, die
wiederholt höher lizitierte "Reichsfluchtsteuer" bereitzustellen. Aber immer
neue Schikanen verzögern die Ausreise. Nach einem Schlaganfall im Winter
1942/43 ist Martha Liebermann ans Bett gefesselt. Am 5. März erhält sie die
Aufforderung, sich zur Deportation in ein "Altersheim" nach Theresienstadt
bereit zu halten. Martha Liebermann nimmt eine Überdosis Veronal und stirbt
am 10. März 1943 im Jüdischen Krankenhaus.
