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Avi Primor
»...mit
Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn
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IIId.Teil
Vor schwierigem Terrain
Natürlich kam das erste Treffen zwischen Deutschen und Israelis im Dezember
1957, bei dem gemeinsame militär- und verteidigungspolitische Fragen im
Vordergrund standen, nicht ohne Wissen Konrad Adenauers zustande. Den
israelischen Bevollmächtigten – Shimon Peres, Asher Ben Natan und General
Chaim Laskov – saßen auf deutscher Seite Mitarbeiter des
Verteidigungsministeriums gegenüber, an ihrer Spitze Minister Franz Josef
Strauß. Mit den Israelis war auch Oberst Avigdor Tal gekommen. Da es noch
keine diplomatischen Beziehungen, mithin auch keinen israelischen
Militär-Attaché in der Bundesrepublik gab, füllte Oberst Tal diese Rolle
inoffiziell unter einem Decktitel in der Wiedergutmachungs-Delegation des
Staates Israel in Köln aus. Sie kostete ihn, der in Prag aufgewachsen war,
einige Überwindung. Nur allzubald nämlich stellte sich heraus, daß seine
Verhandlungspartner, höhere Offiziere der Bundeswehr, in Hitlers Wehrmacht
gedient hatten. Daß es Tal dennoch gelungen ist, eine tragfähige Grundlage
für die künftige Zusammenarbeit der Streitkräfte beider Länder zu schaffen,
hat sich im Verlauf der folgenden Jahre immer wieder bestätigt. Heute
amtiert sein Sohn, General Ilan Tal, an der israelischen Botschaft in Bonn
erfolgreich als Militär-Attaché.
Unser Interesse am Kauf deutscher U-Boote
wuchs, je rascher der Wiederaufbau der Werften in der Bundesrepublik
voranging. Vorerst jedoch blieb es bei der Lieferung von Waffen
amerikanischen Fabrikats. Im Gegenzug folgten Bestellungen leichter Waffen
für die Infanterie der Bundeswehr, ohne daß die Öffentlichkeit von dem
Treffen erfuhr, das Ende 1957 diese Geschäfte erst möglich gemacht hatte.
Weder der Regierung Israels noch den an den Verhandlungen beteiligten
deutschen Stellen konnte daran gelegen sein, daß Einzelheiten der Pläne über
die Zusammenarbeit publik wurden. Die Deutschen sorgten sich um die Reaktion
der arabischen Staaten, um die Auswirkungen auf deren Verhalten gegenüber
der Hallstein-Doktrin in bezug auf die Anerkennung der DDR. Und die
Regierung in Jerusalem fürchtete vor allem den Zorn der eigenen Bevölkerung.
Es war ohnehin schon schwierig genug, die im
Land immer noch spürbare Ablehnung des Wiedergutmachungsabkommens zu
entkräften. Noch entschiedener würde sich das israelische Volk gegen die
Kooperation mit deutschen Militärs wenden, falls, was sich auf Dauer nicht
ausschließen ließ, Nachrichten darüber an die breitere Öffentlichkeit
gelangten. Rechtfertigen konnte man das Vorhaben nur mit dem Hinweis auf die
bedrohliche Lage, in die Israel seit den Waffenlieferungen der Sowjetunion
an die arabischen Staaten geraten war. Kurz, man mußte die Kontakte mit
Deutschland auf diesem heiklen Gebiet als unausweichliche Konsequenz aus
einer Situation darstellen, in der es um das Überleben ganz Israels ging. In
diesem Sinne ist dann auch später argumentiert worden.
Als nicht weniger problematisch stellten sich
die Waffenkäufe dar, welche die Bundesrepublik in Israel tätigte. Natürlich
konnte man erklären, daß der Auf- und Ausbau militärischer Rüstungsbetriebe
genauso mit der Existenzfrage zusammenhing wie die Einfuhr ausländischer
Waffen. Exporte von Waffen aus eigener Produktion ausgerechnet nach
Deutschland aber, so stand zu befürchten, würden in Israel weithin auf
Unverständnis stoßen, mehr noch, man würde sie schlichtweg als »Hilfe an die
deutschen Soldaten« verurteilen. Auch hier also war höchste Vorsicht
geboten. Trotzdem, als sich die militärische Zusammenarbeit zwischen Israel
und Deutschland verstärkte, ließ es sich nicht vermeiden, daß Einzelheiten
darüber mehr und mehr in die Öffentlichkeit sickerten, ungeachtet aller
Vorschriften und Maßnahmen der israelischen Zensur.
Das Zensurgesetz ist wegen des
Kriegszustands, in dem Israel sich noch immer befindet, auch heute noch,
wenn auch erheblich gelockert, in Kraft. Es unterbindet die Veröffentlichung
interner militärischer Pläne und Verteidigungsgeheimnisse in allen Medien.
Zeitungen etwa, die über eine rein militärische Angelegenheit berichten
wollen, sind gehalten, den Text des betreffenden Artikels vor dessen
Erscheinen der Militärzensur zur Prüfung vorzulegen.
Ich selbst kam mit der Zensur erstmals nur
indirekt und auf mehr private Weise in Berührung. Zu der Zeit, als Moshe
Dayan, der damalige Oberbefehlshaber der israelischen Streitkräfte, von Ben
Gurion und Shimon Peres im Zusammenhang mit den Plänen zum Ankauf von
U-Booten nach Deutschland geschickt werden sollte und Nachrichten darüber
aus unentdeckten Quellen an die Öffentlichkeit drangen, war ich Soldat –
genauer gesagt, ich erholte mich von einer Verwundung, die ich im
Sinai-Krieg davongetragen hatte. Im Lazarett machte ich die Bekanntschaft
einer jungen Soldatin, Miki (Michal) Shein. Sie besuchte eine erkrankte
Kameradin und war, wie ich bald erfuhr, als Militärzensorin tätig. Aus
unseren ersten Begegnungen entwickelte sich eine dauerhafte Zuneigung – die
Zensorin wurde später meine Frau –, schon damals aber erhielt ich Einblicke
in den Dienstalltag einer Militärbehörde, die sich neben der regulären
Anwendung der Geheimhaltungsvorschriften gelegentlich auch mit Sonderfällen
beschäftigen mußte.
Als derart ungewöhnliches, von jeder Norm
abweichendes Beispiel ist mir das Prüfungsgesuch eines Journalisten in
Erinnerung geblieben. Der Mann bat meine Freundin um die
Veröffentlichungserlaubnis für einen Text, den er kurioserweise als Gedicht
ausgab. Auffallend an diesem Versgebilde war, daß jede Zeile mit einem Wort
begann, das die hebräische Bezeichnung für U-Boote, »Zolelot«, verfremdete,
ohne die Bedeutung des Ursprungswortes zu verschleiern oder gar gänzlich
aufzuheben. So stand am Anfang der ersten Zeile »Aolelot«, am Beginn der
zweiten »Bolelot«, und so fort. Nur am Schluß fehlte das Wort, das nach
diesem Schema mit Z hätte beginnen müssen. Der Hinweis darauf, daß die
seltsame Zeilenabfolge auf U-Boote deute, jede Veröffentlichung darüber aber
von der Zensur verboten sei, ließ den Verfasser ungerührt – er habe doch,
beteuerte er, das Wort für U-Boote, Zolelot, absichtlich und ganz bewußt
vermieden.
In diesem Fall blieb es bei dem Verbot.
Generell aber ließen sich die Absichten der Regierung durch keine noch so
strengen Zensurbestimmungen verheimlichen, und am Ende mußte man die
Hoffnung auf eine baldige Realisierung der Pläne unter Beteiligung
Deutschlands aufgeben. Moshe Dayan sagte die Reise ab, die U-Boote für
Israel wurden anderweitig beschafft. Dafür konnte ich als Botschafter im
April 1996 auf einer Werft in Emden an der Taufe des ersten der drei U-Boote
teilnehmen, die Israel dort 1990 offiziell bestellt hat. Diesmal regte sich
bei uns kein Widerstand, Kritik kam nur am Zeitpunkt der Schiffstaufe auf.
Eine israelische Zeitung berichtete von jenem Ereignis unter der Überschrift
»Ein U-Boot für die Wahlen« und äußerte den Verdacht, die Regierung habe die
Zeremonie im Hinblick auf die Parlamentswahlen vorziehen lassen, um sich vor
den Wählern mit der Fertigstellung des U-Boots brüsten zu können. Was einmal
die Gemüter beunruhigt hat, wird heute nicht nur allgemein akzeptiert, es
wird den Beteiligten in aller Öffentlichkeit auch als Verdienst angerechnet.
1965 ließ sich die deutsch-israelische
Zusammenarbeit auf militärischem und rüstungstechnischem Gebiet nicht länger
verheimlichen. Die damaligen Enthüllungen wirkten im Nahen Osten wie ein
Schock. Wie befürchtet, lösten sie in Israel wie in Deutschland erhebliche
Verstimmungen aus, die zu einer Krise der wechselseitigen Beziehungen
führten. Schon vorher war das Verhältnis Belastungen ausgesetzt, die sich
vor allem an zwei Ereignissen festmachen lassen: am Eichmann-Prozeß in
Jerusalem und an der vom israelischen Geheimdienst aufgedeckten Beteiligung
deutscher Wissenschaftler an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen in
arabischen Ländern.
Am Anfang stand der Fall Eichmann. Den Namen
des SS-Obersturmbannführers, der 1960 in Argentinien enttarnt und von dort
nach Israel entführt worden war, kannten bis zu seiner Festnahme nur wenige.
Selbst in Israel war er, von Ausnahmen abgesehen, lediglich den in die Pläne
zu Eichmanns Ergreifung eingeweihten Kreisen vertraut. Erst als man hier, in
Deutschland und der gesamten Welt vom Ausmaß der Verbrechen erfuhr, die der
Hauptverantwortliche für die praktische Durchführung der »Endlösung«
begangen hatte, erst als feststand, daß man mit Eichmann den Leiter einer
beispiellosen, perfekt funktionierenden Ausrottungsmaschinerie gefaßt hatte,
wurde der Name zu einer Art Symbol, das für alle Untaten des NS-Staates
stand und als solches bis heute fortwirkt.
Israel ging es, als der Prozeß am 11. April
1961 in Jerusalem eröffnet wurde, nicht um Rache. Der Grund, weshalb man den
fünfzehn Jahre von der Bildfläche Verschwundenen so lange und so intensiv
gesucht hatte, bis er endlich vor Gericht stand, lag nicht einfach darin,
daß man ihn um jeden Preis bestrafen wollte, obwohl natürlich ein Verbrechen
dieser Größenordnung einer angemessenen Bestrafung zuzuführen war. Ben
Gurion verfolgte ein anderes, wichtigeres Ziel, das mit dem Willen des
israelischen Volkes in vollem Einklang stand. Er wollte mit dem Verfahren am
Beispiel des Angeklagten der gesamten Weltöffentlichkeit die Geschichte des
Holocaust vor Augen führen, sie so wahrhaftig, sorgfältig, umfassend und
eindringlich wie möglich über den millionenfachen Mord aufklären, den die
Nazis an den Juden verübt hatten.
Für uns bedeutete der Prozeß eine äußerst
schmerzhafte Auseinandersetzung mit diesem Trauma, ja er kam einer
gigantischen Unterbrechung jedweder Art von Verdrängung gleich. Was
Deutschland anging, so war hier zwar Ende der fünfziger Jahre in Ludwigsburg
die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung
nationalsozialistischer Gewaltverbrechen eingerichtet worden, eine Behörde,
deren Ermittlungsarbeit wertvolle Hilfe bei der Vorbereitung von
Strafverfahren leistete. Den Durchschnittsdeutschen aber berührten solche
Aktivitäten wenig, kaum jemand sah sich dadurch herausgefordert, sich mit
den Greueln der NS-Zeit und ihrer Aufdeckung zu beschäftigen. Man konnte
sich damals sogar fragen, ob es in Deutschland überhaupt ein generelles
Interesse an den Geschehnissen der Jahre vor 1945 gab – die Neigung, sie
möglichst zu verdrängen, schien hier, zumindest zu jenem Zeitpunkt, stärker
verbreitet zu sein als in Israel. Wie also, lautete die zweite Frage, würde
die deutsche Öffentlichkeit den Eichmann-Prozeß aufnehmen? Würde man für
glaubwürdig halten, was dort zur Sprache kam?
Daß die Regierung der Bundesrepublik und
viele Vertreter des öffentlichen Lebens sich angesichts des Prozesses gegen
Eichmann um das Ansehen ihres Landes in Israel und aller Welt sorgten, war
verständlich. Man befürchtete ein sich über längere Zeit erstreckendes
Zurschaustellen deutscher Verbrechen aus der NS-Zeit, eine demonstrative
Abfolge von Vorhaltungen, die leicht in pauschale Verunglimpfungen
umschlagen, womöglich gar den Charakter einer Hetzkampagne annehmen konnte.
In Wirklichkeit stellte sich der Prozeß als
etwas ganz anderes dar. Noch vor der Urteilsverkündung wurde er überall,
auch in Deutschland, als ein ernsthaft und professionell geführtes,
sachliches Verfahren anerkannt. Niemand unterstellte dem Gericht politische
Motive oder emotionale Ressentiments. Dies wie auch der Grad der
Aufmerksamkeit, den er in der deutschen Öffentlichkeit fand, unterschied das
Tribunal gegen Eichmann von den Nürnberger Prozessen. Unmittelbar nach
Kriegsende hatte die Bevölkerung existenziellere Bedürfnisse, als regelmäßig
ein Verfahren zu verfolgen, dem man als »Siegerprozeß« von vornherein nur
wenig Vertrauen entgegenbrachte. Tatsächlich haben, wenn nicht alles
täuscht, die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse trotz ihrer historischen
Tragweite im Bewußtsein der Deutschen keine sonderlich tiefen Spuren
hinterlassen.
Anders dagegen verhielt es sich mit dem
Verfahren gegen Adolf Eichmann. Das Interesse daran übertraf unsere
Erwartungen, und auch die Sorgen der Bundesregierung stellten sich bald als
unbegründet heraus. Ben Gurion selbst hatte sich dafür eingesetzt, daß die
Ankläger sich ganz auf die Nazis und ihre Verbrechen beschränkten, ohne das
deutsche Volk sozusagen mit auf die Anklagebank zu setzen. Wieder und immer
wieder betonte er die Notwendigkeit, zwischen Nazi-Deutschland und der
Bundesrepublik zu unterscheiden. In dieser Hinsicht war er erfolgreich:
Keiner der zahlreichen deutschen Journalisten und niemand aus dem Kreis
derer, die als offizielle Prozeßbeobachter nach Jerusalem gekommen waren und
sich dort oft monatelang aufhielten, klagte über irgendwelche Belästigungen
seitens der einheimischen Bevölkerung. Allgemein war man sogar überrascht
über das Bemühen der Israelis, Entgegenkommen zu zeigen und Kontakte zu
knüpfen.
Daß es 1961 dennoch nicht wenige Israelis
gab, denen an solchen Kontakten absolut nicht gelegen war, hätte damals
niemand bestritten. Keinem jedoch wäre es eingefallen, die angereisten
Deutschen unhöflich, taktlos oder gar beleidigend zu behandeln. Im
Vordergrund stand eher das Interesse zu erfahren, wie die Deutschen auf den
Prozeß reagierten. Das bezog sich mehr noch auf die Wirkung des Verfahrens
in Deutschland selbst. Darüber berichteten die israelischen Zeitungen
überwiegend positiv, so daß insgesamt der Eindruck entstand, der Prozeß
könne eine Art Rückbesinnung bewirken und die Gleichgültigkeit der Deutschen
gegenüber ihrer jüngeren Vergangenheit aufbrechen. Die Art ihres Umgangs
damit hat überhaupt stets eine ungemein wichtige Rolle im Verhalten der
Israelis gegenüber Deutschland gespielt.
Knapp zwei Monate vor der Entführung
Eichmanns, sie wurde am 23. Mai 1960 bekanntgegeben, kam es zu einem
folgenreichen, für uns historischen Ereignis. Auf dem langen Weg der
Annäherung beider Länder trafen ihre damals wichtigsten Repräsentanten zum
ersten Mal zusammen, die Gründer der modernen Staaten der Juden und der
Deutschen der Nachkriegszeit, David Ben Gurion und Konrad Adenauer. Es waren
zwei Männer, die nicht nur in hohem Ansehen standen, sondern die auch –
jeder für sich – über ein in Demokratien sonst nicht häufiges Maß an Macht
verfügten. Was sie verband, war der Wille, Mittel und Wege zu einer
gemeinsamen Verständigung zu suchen und somit den Abgrund zu überwinden, der
beide Völker trennte. Da für die Begegnung weder ein Ort
in Israel noch in Deutschland in Betracht kam, einigte man sich auf ein
Treffen in New York. Im dortigen Hotel Waldorf Astoria bezogen die
Staatsmänner am 14. März 1960 Quartier.
Zum Inhalt ihrer Gespräche, der im Laufe der
Jahre bekannt geworden ist, gehören auch jene Punkte, die sich auf die
weitere Zusammenarbeit bei der Entwicklung moderner Waffen bezogen.
Tatsächlich ist damals über Rüstungsfragen nicht nur gesprochen worden. In
der Folgezeit jedenfalls kam es zu einer wesentlich engeren
militärtechnischen Kooperation zwischen Israel und der Bundesrepublik als in
allen Jahren zuvor. Noch wichtiger aber war der mit dem Treffen erzielte
psychologische Durchbruch, wichtig zumindest für das israelische Volk und
dessen Verhältnis zum deutschen. Sicherlich trug dazu auch die Freundschaft
bei, die, aus gegenseitiger persönlicher Sympathie erwachsen, Ben Gurion und
Adenauer verband und alles andere war als ein Randphänomen mit rein privatem
Charakter. Sie setzte sich mit wachsendem Verständnis und Vertrauen bis zu
Adenauers Tod fort und spiegelt sich in der Korrespondenz, die beide
miteinander führten. 
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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin
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