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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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I. Teil - e

Deutschland – ein weisser Fleck

Noch vor meiner Botschaftertätigkeit in Deutschland versuchte ich nähere Kenntnisse über die Geschichte der hier ansässig gewesenen jüdischen Gemeinden zu gewinnen. Kaum weniger war ich am Entstehen neuer Gemeinschaften in den Jahren seit dem Krieg interessiert – für mich damals ein widersprüchlicher, ja rätselhafter Vorgang, der Argwohn und Beklemmungen weckte. Was konnte Juden veranlassen, in das Land ihrer Verfolger zurückzukehren?

Ein Artikel, den ich in der »Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung« fand, die seit 1946 wieder in Deutschland erscheint, bestätigte alle Befürchtungen. Er gibt Aufschluß über die Verfassung eines jüdischen Emigranten nach rund sechsmonatigem Aufenthalt in der alten Heimat. Die Bilanz, die der Zurückgekehrte aus seinen Erfahrungen zieht, ist desillusionierend, voll bitterer Anklage. Auch er wundert sich über die Schuldverdrängung und das kurze Gedächtnis der Deutschen, die selbst die Anfänge der Judenverfolgung entweder gar nicht oder rein »zufällig« wahrgenommen haben wollen, zufällig etwa am 9. November 1938, als überall im Land die Synagogen in Flammen aufgingen und eine Unzahl jüdischer Geschäfte dem organisierten Vandalismus von Nazi-Trupps zum Opfer fiel.

Um so nachdrücklicher leistet der Autor des Zeitungsbeitrages Erinnerungshilfe; er listet die perfiden Schikanen auf, jene Beschränkungen und Sondergesetze, die mit erbarmungsloser Folgerichtigkeit auf die »Endlösung« hinausliefen. Schon der Judenstern habe diejenigen, die ihn tragen mußten, zum Freiwild gemacht. Wenn er heute nur von solchen und anderen »Degradierungen der Juden« spreche, so der aus dem Exil Heimgekehrte, »und nicht eingehe auf die fürchterlichen Grausamkeiten, die begangen wurden, so deshalb, weil ich nur die Dinge in Erinnerung rufen will, deren Augenzeuge jeder deutsche Mann, jede deutsche Frau und jedes deutsche Kind war«. Am Ende allerdings steht die Frage, ob das deutsche Volk, da es doch über ein offenkundig mangelhaftes Erinnerungsvermögen verfüge, »wirklich glaubt, wieder einmal in der Welt den Namen des Volkes der Dichter und Denker zurückgewinnen zu können ...«

Ich hielt damals, nicht erst nach der Lektüre dieses Artikels, den Umgang der Deutschen mit den Nazi-Verbrechen schlichtweg für einen Ausdruck von Heuchelei, unerträglich, dazu angetan, Begegnungen mit Angehörigen dieses Volks möglichst zu vermeiden. Und wenn es denn schon dazu kommen sollte – die Umstände eines solchen Zusammentreffens, vor allem aber die Art meiner Reaktion auf eben jene Unwahrhaftigkeit, die ich »den« Deutschen unterstellte, wagte ich mir gar nicht erst auszumalen. Wahrscheinlich hätte ich die Beherrschung verloren.

Es gab auch die Frage: Wieweit wußten die Deutschen im voraus, jene, die Hitler demokratisch gewählt und an die Macht gebracht hatten, was genau er im Sinn hatte, was für ein Regime er anstrebte?

William L. Shirer schrieb in seinem Buch »Aufstieg und Fall des Dritten Reiches«: »Man kann Hitler mit allem beschuldigen, keiner aber kann ihn bezichtigen, daß er nicht immer, in seinen Reden wie auch in seinen Schriften, allen genau unterbreitet hat, was für ein Deutschland er aufbauen würde, käme er jemals an die Macht, und was für eine Welt er durch die gewaltige deutsche Eroberung gestalten würde. Der Entwurf des Dritten Reichs und darüber hinaus die barbarische ›Neue Ordnung‹, die Hitler über das eroberte Europa verhängt hat, wurden im voraus in allen ihren gräßlichen und grausamen Details in seinem Buch ›Mein Kampf‹ beschrieben.«

Shirer fügte hinzu, daß »Mein Kampf«, 1925 verlegt, im Laufe der Jahre in Millionen Exemplaren in Deutschland verkauft wurde, allein 1940 waren es sechs Millionen.

Ich war dreiundzwanzig, als ich zum ersten Mal deutschen Boden betrat, wenn auch nicht im buchstäblichen Sinne. Die Autoreise mit Freunden quer durch Europa, die ich damals unternahm, führte uns auf dem Weg nach Frankreich auf der Strecke zwischen Salzburg und Innsbruck für kurze Zeit durch bayerisches Gebiet. Es war schon spät in der Nacht, und wir hatten, wollten wir uns längere Umwege ersparen, keine andere Wahl. Wir fuhren, ohne unterwegs zu halten, bemüht, diesen Teil der Route möglichst schnell hinter uns zu bringen. Von dem Augenblick an, da wir an der Grenze deutsche Uniformen sahen, wurde im Auto kein Wort mehr gesprochen. Wir verspürten Anspannung und Beklommenheit, und obwohl es Winter war, fühlte ich mich verschwitzt, wie in feuchtheiße Tücher gehüllt. Erleichterung kam erst beim Passieren der Grenze zu Österreich auf, wir waren wie erlöst.

Die Ängste, die sich mit dieser nächtlichen Fahrt durch einen Teil Deutschlands verbanden, kamen natürlich nicht von ungefähr. Ihnen lagen Bilder und deren Eindrücke zugrunde, Gesehenes und Gehörtes, das in uns weiterwirkte, damals aber waren wir zu unwissend, um die Inkonsequenz und das Irrationale unseres Verhaltens zu begreifen. Gab es denn zur Hitler-Zeit nennenswerte Unterschiede zwischen Bayern und dem angrenzenden, 1938 annektierten Österreich, Hitlers Geburtsland? Wenn es, was die Befolgung der Nazi-Ideologie angeht, überhaupt Unterschiede gab, dann fielen sie aus heutiger Sicht eher zu Ungunsten der Österreicher aus. Davon sind vor allem Wiener Juden überzeugt, die den Nazis entkamen. Sie nannten mir gegenüber ihr Überleben immer wieder ein geradezu unglaubliches Wunder, gemessen daran, daß sie von ihren nichtjüdischen Landsleuten in der Regel kaum Hilfe zu erwarten hatten.

Nachdenklich zumindest stimmt auch, daß die mit der Judenverfolgung befaßten Behörden in Berlin von der Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit der eigenen Gestapo nicht überzeugt waren und sich Verstärkung aus Wien holten. Offenbar war man, wie Inge Deutschkron in ihrem Buch »Ich trug den gelben Stern« vermutet, der Meinung, die Wiener seien die »besseren« Antisemiten, beharrlicher und erfolgreicher im Aufspüren untergetauchter Juden.

Von alldem erfuhr ich, wie gesagt, erst relativ spät. Lange teilte ich die allgemeine, politisch und zeithistorisch heute unwiderlegbare Auffassung, wonach es Österreich war, das als erstes europäisches Land dem Expansionshunger Hitlers zum Opfer fiel – die sogenannte Vergewaltigung Österreichs. Dabei konnte Hitler sich dort, lange vor dem umjubelten Einzug deutscher Truppen in Wien, auf eine erstaunlich große Zahl überzeugter Parteigänger verlassen. Sie hielten wichtige Schlüsselpositionen besetzt und nutzten ihren Einfluß, um, gewissermaßen vor Ort, den »Anschluß an das Reich« vorzubereiten. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Feststellung des amerikanischen Historikers John Weiss, Sohn einer aus Österreich stammenden katholischen Familie. In seinem Buch »Ideology of Death« setzt er den Anteil der Österreicher an der Gesamtbevölkerung des Dritten Reiches – er betrug acht Prozent – in Relation zur statistischen Größe des österreichischen Personals in den Konzentrationslagern: Sie machte etwa vierzig Prozent aus und bestand überwiegend aus freiwilligen SS-Leuten. Von den Mitarbeitern Eichmanns kamen siebzig Prozent aus Österreich.

Daß ein Mann wie Karl Renner, Gründer der ersten wie auch der zweiten österreichischen Republik und deren Kanzler, ein Spitzenpolitiker der österreichischen Sozialdemokratie, nicht nur in seiner Abgeordnetenzeit, sondern auch noch nach 1933 den Gedanken des Zusammenschlusses mit Deutschland vertrat, rückt ihn ins Zwielicht, auch wenn er sich später offen und nachdrücklich von den Nazis distanziert hat. Er war kein Einzelfall. Um so weniger überrascht im Rückblick, wie lange Österreich insgesamt, auch nach der Bundespräsidentschaft Renners, an seiner Opferrolle festgehalten und es darüber verabsäumt hat, sich vor aller Welt zum ganzen Ausmaß eigener Schuld zu bekennen. Während Konrad Adenauer schon 1951 vor dem Deutschen Bundestag die uneingeschränkte Verantwortung des deutschen Volkes für die in seinem Namen geschehenen und von ihm mehrheitlich geduldeten Verbrechen der Nazi-Zeit erklärte, gingen Jahrzehnte ins Land, bis ein österreichischer Bundeskanzler öffentlich eine ähnliche Erklärung abgab. Es war Franz Vranitzky, auch er ein Sozialdemokrat, der 1993 diesen langerwarteten, fast schon überfälligen Schritt tat. Anlaß jener »historischen« Rede war die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Hebräische Universität in Jerusalem, deren Vizepräsident ich damals war.

Es mag heute seltsam anmuten und mir als Mangel an zeitgeschichtlichen Kenntnissen ausgelegt werden, daß sich alles, was sich in meinen Vorstellungen mit dem Begriff des Nationalsozialismus verband, allein auf Deutschland bezog, nicht auch auf Österreich. Das gilt fast noch bis in die Zeit des Beginns des Prozesses um Adolf Eichmann (1961). Doch hatten, was die Rolle Österreichs anlangt, nicht selbst die Holländer ein überwiegend argloses, ja wohlwollendes Verhältnis zu diesem Land? Die höchste Auszeichnung, die sie zu vergeben hatten, den Erasmus-Preis, verliehen sie 1947 »dem tapferen österreichischen Volke«.

Im Jahr des Eichmann-Prozesses erschien ein Buch, das nicht nur mein Denken und Geschichtsverständnis entscheidend beeinflußte: Shirers schon erwähntes Werk »Aufstieg und Fall des Dritten Reiches«. Es übte auch, dank der Art der Darstellung und seiner so reichen wie seriösen Informationsfülle, eine geradezu faszinierende Wirkung auf zahllose andere junge Israelis aus und fand als erste umfassende Monographie des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen weltweit Verbreitung. Der Autor war Amerikaner, der lange in Deutschland gelebt, deutsche Schulen besucht, eine deutsche Universität absolviert und danach, bis zum Kriegseintritt der USA, als Korrespondent für amerikanische Zeitungen das Innenleben des Dritten Reiches aus nächster Nähe beobachtet hatte, ein Mann mit ausgeprägtem Scharfblick und analytischem Verstand.

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Inhaltsverzeichnis

Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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