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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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I. Teil - f

Deutschland – ein weisser Fleck

Im Jahr des Eichmann-Prozesses erschien ein Buch, das nicht nur mein Denken und Geschichtsverständnis entscheidend beeinflußte: Shirers schon erwähntes Werk »Aufstieg und Fall des Dritten Reiches«. Es übte auch, dank der Art der Darstellung und seiner so reichen wie seriösen Informationsfülle, eine geradezu faszinierende Wirkung auf zahllose andere junge Israelis aus und fand als erste umfassende Monographie des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen weltweit Verbreitung. Der Autor war Amerikaner, der lange in Deutschland gelebt, deutsche Schulen besucht, eine deutsche Universität absolviert und danach, bis zum Kriegseintritt der USA, als Korrespondent für amerikanische Zeitungen das Innenleben des Dritten Reiches aus nächster Nähe beobachtet hatte, ein Mann mit ausgeprägtem Scharfblick und analytischem Verstand.

Shirers detaillierte Schilderung der Tötungsmaschinerie in den deutschen Konzentrationslagern las sich und liest sich noch heute wie ein Bericht aus der Hölle. Kaum weniger aber beeindruckten mich die Passagen seines Buches, in denen er seine Rückkehr nach Deutschland beschreibt, nunmehr Kriegsberichterstatter, der die amerikanischen Truppen auf ihrem Vormarsch begleitet, voll wacher Neugier auf die Wiederentdeckung des Landes, das er etwa zwei Jahre vorher verlassen mußte. »Ich fand das Volk wieder und fand das Land wieder«, schreibt er, »das Volk betäubt und leidend und hungernd, in seinen von Bomben zerstörten Behausungen und in seinen elenden Kleidern, vor Kälte zitternd, als der Winter kam, und das Land als riesiges Trümmerfeld ... Dahin hatten es Adolf Hitlers Torheiten – und auch die eigene Torheit, ihm so blind und begeistert zu folgen – gebracht. Dennoch stieß ich, als ich im Herbst 1945 nach Deutschland zurückkehrte, auf wenig Erbitterung gegen ihn.«

Auf die Frage, was von einem Volk zu erwarten sei, dessen Führung derart versagt und soviel Leid verursacht hatte, findet Shirer keine Antwort. Erstaunt steht der Deutschlandkenner vor einem Phänomen, das er sich nicht erklären kann: die Indolenz, die ausbleibende Empörung, der fehlende Mut zur – wenn auch späten, allzu späten – Auflehnung gegen ein Regime, das Millionen und Abermillionen von Toten auf dem Gewissen hat. Wie kommt es, daß sich aus dem Volk, von den Überlebenden des Widerstands abgesehen, so wenig Ankläger fanden? Die Deutschen, nun selber zu Leidtragenden geworden, hüllten sich in achselzuckendes Schweigen.

Spätere Erfahrungen, aber auch solche jüngeren Datums seit der Übernahme meines Amts in Deutschland, vermittelten mir Aufschlüsse zu wenigstens einem Aspekt dieser Haltung. Israel bemüht sich seit langem, in Deutschland und den ehemals von den Nazis besetzten Ländern Menschen aufzufinden, die, auf welche Weise auch immer, Juden vor der Verfolgung gerettet und damit vor dem fast immer sicheren Tod bewahrt haben. Daß sie dabei ihr eigenes Leben riskierten, zeichnet diese Menschen doppelt und dreifach aus, zumal in Deutschland, wo sie nicht nur die in Staats- und Parteidiensten stehenden Angehörigen des Überwachungsapparats zu fürchten hatten, sondern oft genug auch die Denunziation unauffälliger, womöglich sogar freundlicher Nachbarn. Merkwürdigerweise setzte sich nach dem Krieg, als alle Gefahr vorbei war, gerade diese, auf die allernächste Umgebung gerichtete Furcht in nicht wenigen Fällen fort. Mitunter mag Bescheidenheit im Spiel gewesen sein und Scheu vor der Öffentlichkeit, vielleicht auch die selbstsichere Gewißheit bloßer humanitärer Pflichterfüllung, die keine offizielle Anerkennung verlangte, ihr im Gegenteil aus dem Weg ging. Öffentliche Ehrungen sind, auch wenn ihre Veranstalter sie für gerechtfertigt halten, nicht jedermanns Sache. Das trifft um so mehr zu, je größer der Zeitraum ist, der zwischen der zu würdigenden Tat und der Würdigung selbst liegt.

Tatsächlich haftet Auszeichnungen oft etwas Anachronistisches an, sie vergilben leicht wie Altpapier. Zu unserer Überraschung aber schwang bei der Weigerung vieler, unsere Anerkennung und Dankbarkeit für die Rettung jüdischer Mitbürger anzunehmen, eine gewisse Zurückhaltung mit, womöglich ein Rest jener alten Vorsicht, die sie einmal gegenüber Anverwandten und Nachbarn walten ließen. Die Ungewißheit, wie diese auf die Auszeichnung reagieren würden, ließ sie lieber ganz darauf verzichten. So forderte selbst noch lange nach dem Krieg der Einsatz aufopferungswilliger Menschen, die Juden versteckten oder zur Flucht verhalfen, seinen Preis – ein, wie uns schien, zutiefst tragischer Vorgang. Kein jemals mutiges Handeln wurde dadurch entwertet. Nach unserer Einschätzung aber stellt schon die geringste Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung ein nachträgliches Zugeständnis an die Kräfte dar, die man in allerkleinstem privaten Bereich durch schlichte Mitmenschlichkeit besiegt hatte, damals oft spontan, ohne jeden Gedanken an mögliche Folgen.

Viele Helfer und Retter waren nicht mehr zu ermitteln. Andere, als sie endlich gefunden waren, zeigten kein oder nur wenig Interesse an denen, die ihnen ihr Leben verdankten – die unterdessen vergangene Zeit hatte gleichsam einen Riegel zwischen sie geschoben. Oder aber die Last der Erinnerung war noch so groß, daß sie erneut übermächtig zu werden drohte, unerträglich in einer mittlerweile veränderten Welt. Wie auch sollte man Jüngeren begreiflich machen, daß etwa selbst nach der Kapitulation der Hitler-Wehrmacht noch Juden in Deutschland umgebracht und Menschen, die ihnen hatten helfen wollen, dafür »standrechtlich« erschossen wurden?

Ehrung für Kurt (posthum) und Herta Fuchs im Auftrag der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem im Kulturamt der Stadt Dresden am 28. Februar 1996. Links Ministerpräsident Kurt Biedenkopf.

Ein solcher Fall hat sich tatsächlich im Mai 1945 in einem Ort in Sachsen zugetragen. Drei Monate vorher, im Februar, konnten drei jüdische Häftlinge auf einem der berüchtigten »Todesmärsche«, mit denen die SS die letzten Insassen eilig aufgelöster Konzentrationslager quer durch Deutschland trieb, den begleitenden Wachmannschaften entkommen. Völlig entkräftet fanden sie Unterschlupf im Haus des Ehepaars Kurt und Herta Fuchs. Die sowjetischen Truppen rückten näher und näher, das Kriegsende war in Sicht. Nachdem ihre Helfer sie zunächst als Zwangsarbeiter ausgegeben hatten, machten die Geretteten am 10. Mai keinen Hehl mehr daraus, entflohene jüdische KZ-Häftlinge zu sein. Und da geschah das Unfaßliche: Einwohner des Ortes denunzierten das Ehepaar, und zwei Tage später, fast zwei Wochen nach Hitlers Tod und vier Tage nach der Kapitulation, wurden Kurt Fuchs und einer der Geflüchteten öffentlich hingerichtet. Die beiden anderen konnten sich im letzten Moment der Verhaftung entziehen, zusammen mit Herta Fuchs. Am 28. Februar 1996, mehr als ein halbes Jahrhundert nach diesen Ereignissen, hatte ich in Dresden gemeinsam mit Kurt Biedenkopf Gelegenheit, Frau Fuchs in einer ergreifenden Feierstunde die Yad-Vashem-Urkunde des Staates Israel zu überreichen.

Nun waren Vorkommnisse der Art, wie sie sich noch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches in jener kleinen sächsischen Gemeinde zugetragen haben, gewiß Einzelfälle, wenig geeignet, daraus pauschale Schlußfolgerungen abzuleiten. Andererseits warfen sie ein bezeichnendes Licht auf die Kontinuität eines Systems, das mit der Unterzeichnung von Kapitulationsurkunden noch längst nicht zu existieren aufgehört hatte. Es lebte nicht nur in den Köpfen seiner Diener fort, es funktionierte offensichtlich auch noch im Zustand scheinbarer Agonie.

Insofern bestand, bevor ich mir aufgrund eigener Erfahrungen ein genaueres Bild verschaffen konnte, nicht der geringste Zweifel, daß es eine Solidarität gegeben hatte zwischen der Mehrheit des deutschen Volks und seiner Führung. Am Ende schien mir, daß die Deutschen gespürt haben, daß nicht Hitler, Himmler oder Göring, die Funktionsträger und Militärs versagt hatten, sondern sie selbst. Kein Wunder, daß dieses Volk, nachdem seine Symbiose mit den Nazis zerbrochen war, »von allem nichts gewußt« haben wollte.

Ein solches Volk aber nahm man am besten erst gar nicht zur Kenntnis.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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