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Bücher / Morascha
Koscher leben...
Jüdische Weisheit
 
 

Avi Primor
»...mit Ausnahme Deutschlands«
Als Botschafter Israels in Bonn

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I. Teil - d

Deutschland – ein weisser Fleck

Nein, meine totale Abneigung gegen Deutschland mußte andere Ursachen haben. Sie grenzte, mit nichts vergleichbar, an Feindseligkeit und war dennoch mit rationalen, vordergründigen Argumenten nicht zu erklären. Wenn ich meine Gefühle aufrichtig zu analysieren versuche und dabei auch die Erinnerungen an all das einbeziehe, was in meinem früheren Umfeld, vor allem von meiner Generation, gedacht und ausgesprochen wurde, dann scheint sich zumindest eine der Spuren abzuzeichnen, die kausal zum Kern meiner einstigen Haltung gegenüber Deutschland führen. Genau besehen, handelte es sich um ein internes Problem, mit dem allein wir Juden uns befassen und auseinandersetzen mußten. Es hatte, psychologisch höchst kompliziert, mit den Grundlagen unseres Daseins zu tun und lief auf die Erkenntnis eines Vorgangs hinaus, der sich am kürzesten mit dem Wort Demütigung umschreiben läßt.

Denn was den Juden in Nazi-Deutschland angetan wurde, konnten wir weder einfach nur als Niederlage noch als bloßes historisches Unglück empfinden. Jahrelang hatte man die Juden mehr und mehr entwürdigt, sie als minderwertig, ja als Untermenschen hingestellt und ihnen jede Art von Gleichberechtigung genommen. Und wie, fragten wir, junge, in der Freiheit geborene Israelis, hatten sie sich damit arrangiert? Sie paßten sich unterwürfig der Lage an, senkten den Kopf und warteten – worauf, wußte niemand. Dann kam die Zeit ihrer systematischen Vernichtung, und auch dies, so meinten wir, nahmen sie widerstandslos hin. Hatten sie in ihrer Schicksalsergebenheit wenigstens versucht, ein paar Nazis mit in den Himmel zu nehmen? Im Gegenteil, sie ließen sich willig wie Lämmer zur Schlachtbank führen, es gab kein Feld der Ehre, auf dem sie heldenmütig hätten fallen können. Bedeutete all dies aber nicht, daß wir uns letztlich der ermordeten Brüder und Schwestern zu schämen hatten?

Die Frage mag heute mehr als befremdlich klingen, doch damals lagen uns, muß ich gestehen, derlei Gedanken und Empfindungen nicht fern. Immerhin bildeten wir, die in Palästina Fuß gefaßt hatten, nach allgemeiner Auffassung eine neue, eine stolze Generation von Juden. Keiner Macht unterworfen, verabscheuten wir die sogenannte jüdische Existenz im Exil. Jüdische Würde lag für uns allein noch im Zionismus. Die Emanzipation der Juden im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Europa betrachteten wir als vergebliches und gescheitertes Experiment. Formeln wie jene von der »Symbiose zwischen Deutschen und Juden« wurden belächelt. Wir waren überzeugt, daß Juden weder in Europa noch sonstwo sich wirklicher Gleichberechtigung erfreuen durften. Kein Deutscher, auch kein Bürger der Weimarer Republik, vermochte mit deutschen Juden wie mit seinesgleichen umzugehen, ebensowenig wie ein Franzose seinen jüdischen Nachbarn als Franzosen oder ein Engländer einen britischen Juden als gesellschaftlich gleichgestellten Landsmann akzeptierte.

Gleich sein unter Gleichen, normal und in Würde leben konnten wir nur durch die Rückkehr nach »Zion«, unserer ursprünglichen biblischen Heimat. Normal leben, das hieß eine selbstverantwortliche und durch kein Gesetz für Minderheiten eingeschränkte Existenz mit der Möglichkeit der freien Berufswahl, hieß aber auch staatliche Unabhängigkeit. Wir waren stolz, daß wir wieder als Bauern arbeiten durften, in einem Beruf, der uns jahrhundertelang in Europa verschlossen gewesen war. Ähnliches galt für Industriearbeiter und Soldaten. Ungeachtet der Freiheiten, die uns anderswo versagt geblieben wären, hätten wir vielleicht Verständnis für die Juden außerhalb Palästinas aufgebracht, die nicht bereit waren, ihr Leben mit unserem zu teilen. Völlig unbegreiflich schien nur das Ausmaß der Passivität, mit der sich die mittel- und osteuropäischen Juden ihren Unterdrückern und Mördern ergaben.

Dem Gefühl der Demütigung, das wir empfanden, lag eine mittlerweile längst verschwundene Unwissenheit zugrunde, eine beschränkte und wohl auch überhebliche Form der Ahnungslosigkeit. Außer dem Eindruck tiefer Erniedrigung bewirkte sie Ohnmacht und Wut. Doch um Rachebedürfnisse zu befriedigen, lag für uns Deutschland, das dies alles verursacht hatte, zu weit, außerdem wurde es nach dem Krieg von den Siegermächten beschützt. Im übrigen gab es andere, nicht weniger wichtige Probleme: Vor uns lagen der Kampf um die Erlangung der Unabhängigkeit und die Abwehr der Invasoren aus den Nachbarstaaten. So blieb, was Deutschland betraf, nur eine Möglichkeit – es fortan einfach zu ignorieren, es wie einen weißen Fleck auf der Landkarte zu behandeln. Tröstlich nur, daß das Gebiet, das dieser Fleck bezeichnete, zerstört war bis zur Unkenntlichkeit.

Mit einer derartigen Einstellung, so plausibel sie zunächst schien, ließ sich freilich nicht ewig leben. Irgendwann mußte der Zeitpunkt kommen, an dem man sich auf beiden Seiten, in Deutschland wie in Israel, nicht nur mit der Schuldlast der jüngsten Geschichte auseinandersetzte, die unzweifelhaft allein bei Deutschland lag, man mußte auch Überlegungen anstellen über das künftige wechselseitige Verhältnis beider Staaten. Schon Anfang der fünfziger Jahre wagte Ministerpräsident David Ben Gurion, der große Staatsmann, vom Entstehen eines »neuen Deutschland« zu sprechen. Gemeint war damit die Bundesrepublik, die 1949, ein Jahr nach Ausrufung des jüdischen Staates Israel, gegründet worden war, knapp zwei Monate vor Umwandlung der sowjetisch besetzten Zone in die Deutsche Demokratische Republik.

Die Frage, ob mit der Bundesrepublik wirklich ein demokratisches Staatswesen entstanden sei, hat viele Israelis damals und in der Folgezeit intensiv beschäftigt. War das Instrumentarium der neugegründeten Republik kräftig genug, um sich der Schatten der Vergangenheit zu erwehren? Würde es ein Erziehungssystem geben, in dem die Kinder sich an neuen ideellen Werten orientierten?

Die Meinungen darüber waren geteilt. Immerhin hat Ben Gurion mit keinem Wort den Eindruck herzustellen versucht, die Deutschen hätten sich mit plötzlicher Entschlossenheit, gute Demokraten zu werden, grundsätzlich gewandelt. Er behauptete nie, in Deutschland lebe nunmehr ein anderes Volk als jenes, dessen Mehrheit seinem »Führer« zugejubelt und fast bis zum letzten Augenblick hinter ihm und seinen Verbrechen gestanden hatte. Ben Gurion bewies nur Realitätssinn, als er der Regierung der Bundesrepublik Glaubwürdigkeit zusprach. Diese Regierung sei ehrlich um den Aufbau eines anderen Deutschland bemüht, und wir, die wir am stärksten unter den Nazi-Verfolgungen litten, hätten die moralische Pflicht, einen solchen Versuch zu unterstützen. Unberührt ließ uns das Argument nicht, von seiner Richtigkeit aber, geschweige denn von der Notwendigkeit, es praktisch umzusetzen, waren wir deshalb noch lange nicht überzeugt.

Zumal junge Israelis, Menschen meiner Generation, waren wenig geneigt, Hinweisen auf die veränderte politische Situation in Deutschland Gehör und Glauben zu schenken und sich von herkömmlichen Auffassungen zu trennen. Anders als manchem Realpolitiker stellte sich uns die Frage, ob die Deutschen, von den Repräsentanten ihrer öffentlichen Institutionen abgesehen, insgeheim noch immer Nazis seien. Bereuten sie deren Verbrechen, die sie vielfach, zumindest passiv, unterstützt hatten? Oder bedauerten sie nur, daß der Krieg, durch welche Umstände auch immer, verloren war?

Daß uns Jüngeren vieles, was mit Deutschland zusammenhing, noch lange suspekt schien, hatte durchaus konkrete Gründe. Noch nachhaltiger wurden unsere Gedanken und Empfindungen beeinflußt von Tatsachen, die wir nur halb oder unbewußt wahrnahmen. Dazu gehörte das beharrlich praktizierte Leugnen jeglicher Schuld und Mitwisserschaft. Sobald der Krieg zu Ende war, hörten wir von den Deutschen stets nur das eine: Sie hätten von allem Furchtbaren, das geschehen war, nichts gewußt. Mehr oder weniger überzeugend erweckten sie den Anschein völliger Ahnungslosigkeit. Wenn sie schon bereit waren, zuzugeben, etwas von den Greueltaten gewußt zu haben, verhielten sie sich wie die Angeklagten in den Nürnberger Prozessen: Sie schoben die Verantwortung auf einen Mann, auf Hitler. Er allein, den man nicht mehr belangen konnte, wurde so zu einer Art Abladeplatz für leichtfertig verdrängte persönliche Schuld zahlloser ehemaliger Helfer und Helfershelfer.

Ich war elf oder zwölf, als ich im Kino zum ersten Mal eine amerikanische Wochenschau sah. Obwohl nicht mehr ganz neu, hatte sie an Aktualität nicht verloren. Gezeigt wurden Szenen der von der amerikanischen Besatzungsmacht im Mai 1945 angeordneten Zwangsbesichtigung des Konzentrationslagers Buchenwald durch Angehörige der deutschen Bevölkerung von Weimar und Umgebung. Unvergeßlich der Anblick ordentlich gekleideter, disziplinierter Männer, Frauen und junger Leute, die, von G.I.s flankiert, in Reihen durch das Lager zogen. Und ebenso unvergeßlich der Horror der Leichenberge und der ausgemergelten Gesichter und Körper der Überlebenden, allesamt Elendsgestalten, von den Toten kaum zu unterscheiden. Schließlich dann die hilflosen, fast immer gleichlautenden Beteuerungen der Deutschen: Davon haben wir nichts gewußt, das alles war uns unbekannt. Eine amerikanische Journalistin, die die Aufnahmen kommentierte, faßte ihre Eindrücke in dem Satz zusammen, die Worte »Ich wußte nichts« hätten offenbar zur deutschen Nationalhymne gehört.

Nicht nur mit Schuld, auch mit Sühne und Bußopfer läßt sich auf vielerlei Weise umgehen. Bei einem Besuch Berlins, ich war schon Botschafter in Bonn, fiel mir an dem im Krieg durch Bomben beschädigten und weitgehend in diesem Zustand belassenen alten Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eine Gedenktafel auf. Ich mußte die Inschrift mehrmals lesen, sie erschien mir zumindest zweideutig: Die Turmruine solle, hieß es, »an das Gericht Gottes erinnern, das in den Jahren des Krieges über unser Volk hereingebrochen ist«. Ist der Satz wie eine biblische Textstelle zu verstehen, die etwa ein Jahr der Dürre im Land mit der Versündigung des Volks rechtfertigte? Wo liegt die Klammer, die eine solche Inschrift mit den an grausamer Realität durch nichts zu überbietenden Verbrechen Nazi-Deutschlands verbindet? Und schließlich: Über welches Volk war das Gottesgericht hereingebrochen? Nur über das deutsche? Wenn ja, dann fehlt die Begründung.

Es gab Begegnungen, auch solche gesellschaftlicher Art, die, ob man wollte oder nicht, den Gedanken an ein kollektives Selbstmitleid der Deutschen nahelegten. Bemerkenswert ist, daß sich darin das Gesetz von Ursache und Wirkung umzukehren oder gar völlig zu verflüchtigen scheint. In dieser Hinsicht ist mir ein Abendessen, zu dem ein Botschafterkollege meine Frau und mich geladen hatte, in besonderer Erinnerung. Es war 1994, bald nach unserer Ankunft in Deutschland. Das Gespräch zwischen meiner Frau und ihrem Tischherrn, einem höheren Beamten, bestand im wesentlichen aus dessen Monolog, in dem er die eigene Leidensgeschichte und die seiner Familie unter den Bombenangriffen der Alliierten in den letzten Kriegsjahren schilderte. Die Geduld meiner Frau war bewundernswert, gelangte schließlich aber an einen Punkt, an dem es ihr geboten schien, den Redefluß des Herrn mit einer kurzen Bemerkung zu unterbrechen. Genau die Zeit, von der er spreche, gab sie ihrem Nachbarn zu verstehen, habe ihre Mutter in Auschwitz verbracht. Er wandte sich darauf der Dame an seiner anderen Seite zu.


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Erschienen 1997 beim Ullstein-Verlag, Berlin


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