Genisa:
Verborgenes Erbe der deutschen Landjuden
Prof. Dr. L. Wamser
Aus den
MITTEILUNGEN DER
FREUNDE DER BAYERISCHEN VOR- UND FRÜHGESCHICHTE, Nr. 79 vom Juni
1995
In der Zeit vom 29. Juni bis 3. September 1995 wird die
Prähistorische Staatssammlung gemeinsam mit der "Hidden Legacy Foundation"
(London) die Sonderausstellung "Genisa - Verborgenes Erbe der deutschen
Landjuden" präsentieren.Die positive Resonanz
dieser 1992 im Londoner Goethe-Institut gestarteten, hernach in
Norwich/England, Würzburg und verschiedenen anderen deutschen und
österreichischen Städten sowie in Prag gezeigten Wanderausstellung bewogen
die Veranstalter, diese eindrucksvolle Präsentation authentischer, zum
gemeinsamen Fundus unserer Kultur gehörigen
Zeugnisse jüdischen Geisteslebens aus Franken und Schwaben in etwas
erweiterter Form auch in der Landeshauptstadt einer interessierten
Öffentlichkeit vor Augen zu führen.
Mit der von Evelyn Friedlander (London) initiierten
Ausstellung - deren Schirmherrschaft der Bayerische Staatsminister für
Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, Hans Zehetmair,
Nobelpreissträger Prof. Elie Wiesel, Seine Exzellenz, der deutsche
Botschafter in London, Hermann Freiherr von Richthofen, und seine Exzellenz,
der Hochwürdigste Bischof von Würzburg, Prof. Dr. Paul Werner Scheele,
übernommen haben - will die "Hidden Legacy Foundation" anhand von Funden auf
den Dachböden ehemaliger Landsynagogen (unbrauchbar gewordenen heiligen
Texten und anderen Objekten kultischen Charakters) einen Zugang zur
Wiederentdeckung und Begegnung mit der weithin unbekannten Welt des
süddeutschen Landjudentums vor allem während des 16. bis 19. Jahrhunderts
eröffnen. Waren jene Landjuden doch mit der in ähnlich bescheidenen
Verhältnissen lebenden christlichen, vorwiegend ländlich geprägten Dorf- und
Kleinstadtgesellschaft ökonomisch und durch Nachbarschaftsbeziehungen eng
verflochten. Sie bildeten - was meist völlig außer Acht bleibt - die
historische Basis, aus der heraus sich dann in den Städten seit den
Emanzipationsgesetzen und der damit einhergehenden dramatischen Landflucht
im 19. Jahrhundert jene häufig zitierte einzigartige, nachgerade als
"deutsch-jüdische Symbiose" empfundene Verbindung von deutscher Kultur und
jüdischem Geist entfaltete; sie läßt die ungeheuren, im Vernichtungsfeldzug
der Nationalsozialisten erlittenen Verluste gerade auch in dieser Hinsicht
als besonders tragischen Einschnitt der gemeinsamen deutsch-jüdischen
Geschichte erscheinen, die freilich auch vor 1933 nicht ohne jeden Konflikt
war.
Holzschnitt
mit einem weitverbreiteten allegorischen Darstellungsthema aus der Genisa
der Synagoge in Veitshöchheim: Ausschnitt aus einem "Bentscherl"
(Benedictionen) von 1660 (bisher unbekannter Druck), ursprünglich in der
Prager Haggada von 1626.
Es mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, daß
diese Ausstellung in den Räumen der Prähistorischen Staatssammlung, dem
staatlichen Hauptmuseum bayerischer Landesarchäologie, gezeigt wird. Da das
früher am dichtesten jüdisch besiedelte Gebiet Deutschlands - Unterfranken,
das einst sogar als deutsches Gegenstück zu den berühmten Stätten des
tieffrommen osteuropäischen Judentums galt (mit ehemals 135 Landgemeinden
von insgesamt 209 aller drei fränkischen Regierungsbezirke) - 1815 endgültig
an Bayern kam, die im Freistaat verbliebenen Zeugnisse jüdischen Lebens und
jüdischer Kultur für die Nachkriegsgeneration jedoch nur noch Denkmäler
erlernter, nicht erlebter Geschichte sind, wird auch hierzulande die
"Archäologie umständehalber zu einer Hilfswissenschaft der Zeitgeschichte"
(R. Sussmann). Die Sicherung, Erforschung und wo möglich Konservierung bzw.
Restaurierung der überkommenen Zeugnisse stellen daher auch für die
Denkmalpflege Bayerns "eine spezifische Aufgabe dar, die nicht allein als
eine historische Verpflichtung gelten muß, sondern das einzelne Objekt als
Mahnmal begreifen soll" (M. Petzet). Demzufolge wurden im Foyer der
Prähistorischen Staatssammlung bereits am 30. April 1987 vom Unterzeichner
im Rahmen einer öffentlichen Vortragsveranstaltung exemplarisch die
konzeptionellen Entscheidungen zur Wiederherstellung und Revitalisierung der
1986 bauarchäologisch untersuchten Dorfsynagoge in Veitshöchheim, Landkreis
Würzburg, behandelt, wobei auch der seinerzeit aufsehenerregende, landes-
und kulturgeschichtlich bedeutende Genisa-Fund dieses Gotteshauses eine
eingehende Würdigung erfuhr.
Daß die Prähistorische Staatssammlung in der
Landeshauptstadt München, deren jüdische Einwohnerschaft erstmals im Jahre
1229 nachweisbar ist, jetzt die Ausstellung "Genisa - Verborgenes Erbe der
deutschen Landjuden" aufnehmen darf, erscheint daher in mehrfacher Hinsicht
sinnvoll und beziehungsreich.
Synagoge,
Süd-Nord-Schnitt: G = Genisa; B = Raum zur Aufbewahrung intakter Bücher und
Zeitschriften; V = Vorsängerwohnung mit Schulraum; M = Mikwe
Für eine besondere Überaschung bei den
denkmalpflegerischen Bemühungen um die Rettung des 1727 errichteten
Synagogengebäudes in Veitshöchheim sorgte 1986 ein im Freien stehender,
randvoll mit Bauschutt, alten Bücherfragmenten, Zeitschriften,
handgeschriebenen Schriftstücken, Stoffresten und anderen organischen
Materialien angefüllter Bau-Container, dessen Inhalt bei Beginn der
archäologischen Untersuchungen gerade noch rechtzeitig vor dem verfrühten
Abtransport auf einen Friedhof amtlicherseits sichergestellt werden konnte.
Wie sich bei den sogleich eingeleiteten Nachforschungen herausstellte,
stammten die von einer Dachdeckerfirma ausgeräumten Fundobjekte allesamt aus
den zwickelartigen Hohlräumen über dem hölzernen Tonnengewölbe des
Gottesdienstraumes (Abb. 3),
wo sich bei
einer anschließenden Nachuntersuchung noch eine größere Anzahl weiterer
Schriften und Textilien in situ fand, viele davon im Zustand völligen
Zerfalls.
Die geborgenen Objekte gehören zum Bestand eines größeren
Depositums, dessen hebräische Bezeichnung "Genisa" - d.h. die
"Thesaurierung", die "Wertablage" - sich auf das Gebot bzw. den frommen
Brauch der Juden bezieht, unbrauchbar gewordene sakrale Schriften, aber auch
pietätgebietende Episoden profaner Texte (z.B. Reisebeschreibungen ins
Heilige Land) und andere Objekte, insbesondere solche, auf denen der Name
Gottes erscheint, in einem besonderen Gelaß zu verwahren.
Genisa
Veitshöchheim, Trauzeremonie unter dem Baldachin. Holzschnitt aus einem 1593
in Venedig gedruckten Hausbuch über Sitten und Gebräuche (Minhag)
Nach Ausweis der sichergestellten Schriftfunde wurde die
Veitshöchheimer Genisa bereits unmittelbar nach dem Bau der Synagoge
eingerichtet und mindestens bis in die Zeit um 1880, wenn nicht gar noch
etwas länger, als Aufbewahrungsort weiterbenutzt. Möglicherweise verbrachte
man während der langen Zeit ihrer Benutzung gelegentlich einen Teil der
Fragmente in geweihte Erde, um Platz zu schaffen.
Berühmt geworden ist die Genisa der Esra-Synagoge von
Alt-Kairo, wo in einem Anbau in der Zeit vom 9. bis 17. Jahrhundert eine
Unmenge von Handschriften, Bibel- und Talmundfragmenten, liturgischen,
rechtlichen und literarischen Schriften sowie Privat- und Geschäftsbriefen
in einer bemerkenswerten Vielfalt von Sprachen verstaut worden waren. Der
erste, der 1753 in Europa von jenem heute über 16 Bibliotheken von St.
Petersburg bis in die USA verstreuten Kairoer Genisa-Fund berichtete, war
Simon von Geldern, Heinrich Heines Großonkel.
Zurück zum Fund von Veitshöchheim: Obwohl hinsichtlich
seiner Bedeutung mit der Kairoer Genisa nicht annähernd vergleichbar,
lieferte dieser erste wissenschaftlich inventarisierte und bis dato einzige
unter amtlicher Kontrolle geborgene Genisa-Fund Deutschlands trotz seines
teilweise recht fragmentarischen Erhaltungszustands eine überraschende Fülle
kulturgeschichtlich wichtiger Materialien, die in der Fachwelt aufhorchen
ließen. Am häufigsten vertreten sind Druckschriften, darunter eine Reihe von
Unikaten. Ihr Schwerpunkt liegt - wie zu erwarten - im 18. Jahrhundert, doch
fanden sich in einiger Anzahl auch solche des 17. und 19. Jahrhunderts; die
ältesten Drucke reichen gar bis ins 16. Jahrhundert zurück.
Neben rein hebräisch(-aramäischen) Schriften religiösen
Inhalts (Bibel, Talmud, Rabbinische Literatur, Gebete und Liturgie) fand
sich jedoch auch ein ungewöhnlich hoher Anteil an jiddischer Literatur,
darunter zahlreiche, z.T. reich illustrierte Volks- und Familienbibeln,
biblische Erzählungen, Hausbücher über Ritualien und Gebräuche,
Gebetbuchliteratur für verschiedenste Anlässe, mehrere Ausgaben der
Pessach-Haggada, zahlreiche Taschen- und Wandkalender, ethische Literatur,
Fabeln, Legenden, Klagelieder, Geschichtswerke, Novellen und kurze
Prosaschwänke. Zum Bestand gehören ferner Buchstabiertafeln und Bücher für
Schulkinder, Spendenquittungen, Amulette (sog. Kindbettzettel) und andere
Einblattdrucke, (Gebete, Formulare, ein Lehrbrief). Die ebenfalls in einiger
Anzahl vorliegenden Handschriften, die überwiegend ins 18. Jahrhundert zu
datieren sind, umfassen vor allem Responsen (= rabbinische Gutachten),
Privat- und Geschäftsbriefe (u.a. mit Belegen für den Handel mit Wein,
Getreide, Rohhäuten, Gewürzen und Spezereien), Rechnungen,
Schuldenverzeichnisse, Notiz- und Tagebücher sowie Lotteriezettel, aber auch
einzelne liturgische Gebete auf Pergament sowie wenige farbig illustrierte
Einzelblätter (Weinsegen, Misrach und Omerzählung).
Genisa
Veitshöchheim. "Lichtzünden" am Sabbat durch die Hausfrau. Holzschnitt aus
einem Minhag. Druckstock aus Venedig (1593), um 1660 wiederverwendet in
einem Prager "Bentscherl".
Wie eine Bestandsaufnahme der geborgenen Druckschriften
durch Hermann Süß (Fürstenfeldbruck) ergab, war von den identifizierbaren
Drucken etwa ein Viertel bisher unbekannt. Unter den etwa 70 jüdischen
Taschen- und etwa 20 Wandkalendern, in denen manches volkstümlich
Interessante verborgen ist, sind hinsichtlich ihres Aussagewertes zur
Thematik der Genisa-Ausstellung zwei in Sulzbach gedruckte Kalender von 1759
und 1765 erwähnenswert. In diesen gibt der Drucker an, daß ihm vom Rabbinat
verboten wurde, die Gebete und Segenssprüche zum Neumond (dem jüdischen
Monatsanfang) und die Omerzählung (Zählung der 50 Tage von Pessach bis
Schawnot) mit den dazugehörigen Gebeten abzudrucken, da der betreffende
Kalender ja nach einem Jahr weggeworfen werde und somit die Gefahr bestehe,
den heiligen Gottesnamen einer Profanisierung preiszugeben. Stattdessen
wurden nun analog zu den nichtjüdischen Kalendern die Ankunfts- und
Abfahrtszeiten der fahrenden und reitenden Post abgedruckt, oder es wurden
Vorschriften zum Kaschern von Fleisch gegeben.
Nach der Bestimmung von Erika Timm (Trier) umfaßt das
erste Viertel der einsprachigen jiddischen Texte Ritualienliteratur, das
zweite biblische Erzählstoffe, das dritte sonstige stofflich jüdische
Literatur (Musar-Texte bzw. ermahnende Werke, reine Erzählliteratur und
historische Literatur), während das letzte Viertel Werke beinhaltet, die auf
nichtjüdischen europäischen Vorlagen beruhen: u.a. eine Lebensbeschreibung
des Prinzen Eugen, Briefsteller, "schöngeistige" Literatur, Übersetzungen
von 1001 Nacht, Rätsel oder das bis dato unbekannte, auf einer sehr frühen
mündlichen Fassung basierende Märchen vom Fischerssohn, das 25 Jahre später
von den Gebrüdern Grimm, jedoch in abweichender Form, als Märchen "Der König
vom goldenen Berge" aufgezeichnet wurde. Innerhalb der jiddischen Literatur
höchst bemerkenswert ist vor allem der unvermutet hohe Anteil der rein
muttersprachlichen (jiddischen) Texte gegenüber den sakralsprachlichen
(hebräischen samt aramäischen), wobei erstere noch während des 18.
Jahrhunderts ins Deutsche übergingen; letzteres wurde zwar weiterhin mit
hebräischen Lettern geschrieben, weist im Unterschied zum heutigen, mehr
osteuropäisch geprägten Jiddisch mit seiner mehr oder minder starken
hebräischen Komponente jedoch eine enge genetische Verwandtschaft mit den in
Franken gesprochenen Dialekten auf. Authentischen Zeugnissen der
Veitshöchheimer Genisa zufolge bezeichneten die dort lebenden Landjuden ihre
Muttersprache als "taitsch", d.h. deutsch. Rezeptionsgeschichtlich und damit
literatursoziologisch ist der Fund von Veitshöchheim schließlich noch
deshalb von Interesse, weil er innerhalb der jiddischen Literatur der
damaligen Zeit einen regionaltypischen Literaturbestand repräsentiert, der
weder durch unsere heutigen Wertungen noch durch die Auswahlkriterien nicht
repräsentativer Bibliotheksbestände vorgeprägt ist.
Die wenigen älteren deutschsprachigen, in lateinischer
Schrift gedruckten Genisa-Materialien - so eine Abhandlung aus dem Jahr 1740
mit Anleitungen, wie sich "der kluge Beamte" in juristischen Angelegenheiten
richtig verhalten soll, ein Ausgabe der "Frankfurter Kayserl.
Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung" von 1779, einige Würzburger Zeitungsausgaben
der Biedermeierzeit sowie einige handgeschriebene Briefe, Rechnungen und
Schuldforderungen nehmen insgesamt betrachtet eine eher marginale Stellung
ein. Dies gilt auch für die wenigen Schriftfragmente in lateinischer Sprache
und einen Rashi-Kommentar des 13. Jahrhunderts.
Die stoffliche Breite der Genisa-Materialien bezeugt indes
noch eine Reihe anderer Fundgruppen. Zu ihnen gehören zahlreiche ringförmig
zusammengebogene, mit Schilfblättern spiralig umwickelte Weidenrutenstücke,
mit denen einst am Laubhüttenfest der Palmzweig (Lulaw) zusammengebunden
war. Recht zahlreich vertreten sind sodann lederne Gebetsriemen zur
Befestigung an Arm und Kopf. Vom Inhalt der ursprünglich dazugehörigen
Tefillin-Lederkapseln fanden sich ebenfalls noch einige zusammengerollte
Pergamentstreifen mit daraufgeschriebenen Bibeltexten. Einige anders
proportionierte Pergamentstücke, die mit den ersten Abschnitten des
jüdischen Glaubensbekenntnisses ("Schema Israel - Höre Israel") beschrieben
sind, lassen sich dagegen als Bestandteile von Türpfostensymbolen (Mesusoth)
ansprechen. Ebenfalls für den rituellen Gebrauch diente ein leider nur
fragmentarisch erhaltenes Schofar-Hom mit je einem eingravierten hebräischen
Psalm auf der Vorder- und Rückseite.
Besonders hervorzuheben sind endlich die in beachtlicher
Anzahl geborgenen Textilien. Zu ihnen gehören rund zwei bis drei Dutzend
Thora-Wimpel: zu 3,5 bis 4 m langen Bändern umgearbeitete Leinentücher, die
zuvor bei der Beschneidung verwendet wurden. Sie sind alle mit Inschriften
und schmückenden Beifügungen bestickt, die sich auf die Beschneidung des
Knaben beziehen: mit bildlichen Darstellungen, dem Namen des Säuglings und
dem seines Vaters, dem Geburtsdatum des Kindes und dem vor der Beschneidung
gebeteten Segensspruch "Möge Gott ihn heranwachsen lassen für die Thora, für
seine Heirat und für gute Taten". Unter den Textilien befinden sich auch
verschiedene Kleidungsstücke, darunter Hauben oder Mützenreste und
Perückenunterfütterungen (als Beleg der Übernahme osteuropäischen
Brauchtums) sowie die Reste von Gebetsmänteln (Tallit) und diverse Schau
laden (Zizit) von den vier Enden solcher Mäntel, in welche die verstorbenen
Männer nach Abtrennung der Zizit - vor ihrer Beisetzung eingehüllt wurden.
Weiterhin fanden sich eine Anzahl verschiedenartigster Stoffbeutel, in denen
ursprünglich die Tefillin, kleinformatige Gebetbücher sowie eine kleine
Estherrolle aufbewahrt wurden, ferner diverse Stoffreste, darunter ein etwa
quadratmetergroßes, prächtig ornamentiertes Stück Brokat mit aufgenähten
Streifenbordüren, das von einem Thoramantel stammt.
Durch die systematische Erfassung und eingeleitete
Auswertung des Veitshöchheimer Genisa-Fundes erfuhr das Interesse der
Fachwelt an der Rettung und weiteren Erforschung dieser bedeutsamen - in
vieler Hinsicht gefährdeten - historischen Quellengattung jüdischen
Geisteslebens ohne Frage einen entscheidenden Impuls. Die Aufmerksamkeit
einer breiten Öffentlichkeit weckte 1987 obendrein eine gemeinsam mit H. Süß
ausgerichtete Präsentation einer repräsentativen Auswahl der 1986 geborgenen
Fundobjekte im Würzburger "Dokumentationszentrum zur jüdischen Geschichte
und Kultur in Unterfranken", der 1989 eine weitere, kleinere
Sonderausstellung über die ebenfalls kurze Zeit zuvor aufgefundene Genisa
von Memmelsdorf, Landkreis Haßfurt, folgte. Der entscheidende Durchbruch,
diese "verborgenen Zeugnisse" des Landjudentums durch Gründung der "Hidden
Legacy Foundation" einer nationalen und internationalen Öffentlichkeit
zugänglich zu machen, ist jedoch Evelyn Friedlanders nobler Initiative und
großem persönlichen Einsatz zu verdanken. Angeregt durch die Entdeckung der
oben behandelten Genisa-Funde, wurde sie bald auf einige weitere
Genisa-Reste aus Bayern und Baden-Württemberg (Hechingen, Westheim bei
Hammelburg, Freudental und Ichenhausen) aufmerksam, die zusammen mit den
beiden obenerwähnten unterfränkischen Fundkomplexen aus Veitshöchheim und
Memmelsdorf den Grundstock für die Objektauswahl der gemeinsam mit Dr. Falk
Wiesemann (Universität Düsseldorf), Fritz Armbruster (Haus der Bayerischen
Geschichte) und der Bertelsmann-Gruppe vorbereiteten Wanderausstellung
bilden. Die Ausstellung, zu der ein reich bebilderter Katalog mit
Einführungs- und Spezialbeiträgen sowie Objektbeschreibungen erscheinen
wird, soll einerseits für die Rettung sowie die historische,
bibliographische und theologische Erforschung der wiederentdeckten und
künftig ans Tageslicht gelangenden Zeugnisse des Landjudentums werben,
andererseits den Besuchern die originären kulturellen Lebensäußerungen und
wirtschaftlichen Verhältnisse einer religiös-sozialen Minderheit
nahebringen, die geprägt war von der Befolgung ihres Religionsgesetzes und
ihrer davon bestimmten, das Alltagsleben durchdringenden eigenständigen
Gebräuche.
Prof. Dr. L. Wamser
Aus den
MITTEILUNGEN DER
FREUNDE DER BAYERISCHEN VOR- UND FRÜHGESCHICHTE, Nr. 79 vom Juni
1995
Fund in der ehemaligen Synagoge in
Westheim (Bayern), entdeckt 1984.
Pentateuch mit Megillot und Haftarot. Aufgeschlagen ist fol. 130, der Beginn
des Buches Dewarim. Der jiddische Kommentar am Rand stammt von Moses
Saertel.
Druck mit Resten des Einbandes, nicht identifizierte Ausgabe, 17./18. Jh.
(?)
Fragment, ohne Titelblatt. 20x16,5 cm.
Das Buch Deuteronomium
präsentiert sich als eine Aneinanderreihung von Abschiedsreden Mosches und
endet mit einer Beschreibung seines Todes, an den wir uns am 7.Adar
erinnern.
hagalil.com 19-10-1996
|