Das
Antwortschreiben: Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Frage:
- Warum tragen ultraorthodoxe Juden schwarze Kleidung?
- Wie unterscheidet sich die Lebensweise der orthodoxen von den
ultraorthodoxen Juden? Vorbemerkung:
Die Beschreibung der Unterschiede zwischen Orthodoxen (auch
Nationalorthodoxe genannt) und Ultraorthodoxen (heb. Charedim) kann in
diesem Rahmen nur in Kürze skizziert werden. Die Erklärung bezieht sich
insbesondere auf die Verhältnisse in Israel.
Antwort: - Orthodoxe und Ultraorthodoxe halten
sich an die gleichen Regeln der Halacha, der jüdischen Religionsgesetze, und
akzeptieren die Interpretationen derselben großen Gelehrten, beginnend mit
dem Talmud bis hin zum 20. Jahrhundert. Es gibt
jedoch Unterschiede sowohl in der Lebensweise dieser beiden Gruppen als auch
in der ideologischen Ausrichtung. -
Äußerlichkeiten: Die Männer der Ultraorthodoxen
tragen schwarze Anzüge und Hüte. Diese Kleidung war typisch für das
osteuropäische Stettl des 19. Jh. Hierdurch wird die konservative
Einstellung und die Abschottung gegenüber der übrigen Welt zum Ausdruck
gebracht. Orthodoxe Männer tragen modernere Kleidung, auch wenn sie darauf
achten, nicht allzu freizügig zu erscheinen.
Verheiratete Frauen der Ultraorthodoxen bedecken aus Keuschheit ihr Haar mit
einer Perücke, während orthodoxe Frauen ihr Haar nur mit einer Mütze oder
einem Hut bedecken. Auch in der Art ihrer Kleidung unterscheiden sich die
Orthodoxen von den Ultraorthodoxen, wobei diese Äußerlichkeiten weniger in
den Regeln der Keuschheit als vielmehr in der Tradition begründet sind.
- Ideologische Unterschiede:
Der Staat: Die Ultraorthodoxen glauben, dass ein Judenstaat nur von dem
Messias errichtet werden darf. Der Staat Israel entspricht nicht der
Verheißung, weshalb sie ihn nicht anerkennen und auch keinen Wehrdienst
leisten. Die Orthodoxen streben ebenfalls einen Gottesstaat an, wirken aber
im Staat Israel mit, erkennen seine Institutionen an, dienen in der Armee,
halten sich für Patrioten, und die meisten bezeichnen sich als
nationalorthodox. Verhältnis zu den Arabern: Aus
dieser Einstellung der Ultraorthodoxen ergibt sich auch eine tolerante
Einstellung gegenüber den Arabern. Zwar ist das ganze dem Abraham
versprochene Land für die Ultraorthodoxen heilig, jedoch kann es bis zur
Ankunft des Messias von jedem bewohnt werden. Die Nationalorthodoxen
beanspruchen bereits jetzt das Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan
als jüdisches Land. Ob und wie viel Platz für die Araber eingeräumt werden
kann, ist auch unter ihnen umstritten. Studium und
Arbeit: Für die Ultraorthodoxen ist es die Pflicht des Mannes, sich sein
Leben lang dem Studium der heiligen Bücher zu widmen. "Die Tora sei ihre
Arbeit". Um die Erhaltung der Familie sollen sich die übrigen
Familienmitglieder, besonders die arbeitende Ehefrau, sowie Sponsoren und
die Gesellschaft kümmern. Die orthodoxen Männer arbeiten in der Regel und
studieren im Gegensatz zu den Ultraorthodoxen auch weltliche Wissenschaften
(z.B. Medizin, Jura, Physik). Offenheit und
Abkapselung: Die Ultraorthodoxen leben in geschlossenen Gemeinden. Es
herrscht eine strenge soziale Kontrolle. Sie schirmen sich gegenüber anderen
religiösen Gruppen ab, insbesondere gegenüber säkularen Juden, die sie
praktisch als Abtrünnige betrachten. Die Nationalorthodoxen sind offen
gegenüber den weltlichen Juden, innerhalb ihrer Gruppen oder Gemeinden
herrschen, wenn auch nicht ganz so streng, ebenfalls eine soziale Kontrolle
und eine nur relative Meinungsfreiheit.
Nachbemerkung: Da die Orthodoxen und die
Ultraorthodoxen sich sowohl in Israel als auch außerhalb Israels in
zahlreiche Untergruppierungen aufteilen und eine Differenzierung eine
umfangreiche Darstellung voraussetzt, musste diese Beschreibung ziemlich
allgemein bleiben. Mit freundlichen Grüßen
Ben Rabbi Nathan |