Sehr
geehrte Damen und Herren, ich
versuche eine Antwort auf eine schwierige Situation:
Eine Autistin (Syndrom Asperger),
konfessionslos, möchte Jüdin werden.
Sie wurde von einem liberalen Rabbiner zum Gijur angenommen.
Sie möchte ("muss") einen orthodoxen Gijur
haben. Das Problem:
Ob es uns passt oder nicht, Autismus wird in
der Bevölkerung als seelische (Geistes-) Krankheit verstanden. Rabbiner sind
von diesem Vorurteil nicht ausgeschlossen. Orthodoxe Rabbiner würden nach
meiner Einschätzung eher dazu neigen als liberale.
Die Aussichten auf einen orthodoxen Gijur
sind, sofern der Autismus offenbar wird (man muss immer damit rechnen, dass
es herauskommt), mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleich
Null. Sofern eine Person unbedingt
den orthodoxen Gijur vorzieht, ist es eine persönliche Entscheidung, gegen
die man weder das eine noch das andere sagen kann.
In diesem besonderen Fall stellt sich die
Frage: Warum muss es unbedingt ein orthodoxer Gijur sein? Wo bestehen die
grundsätzlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Verfahren?
Ein Jude ist ein Jude, er ist weder besser
noch schlechter, wenn er den einen bzw. den anderen Gijur gemacht hat. Er
ist dem Gott Israels genau so nahe oder fern als orthodoxer bzw. liberaler
Jude. Sollte ihm der orthodoxe Ritus eher zusagen, kann er als liberaler
Jude am orthodoxen Gottesdienst teilnehmen wie jeder andere. Sogar im Staat
Israel, der in seiner religiösen Ausrichtung von der Orthodoxie dominiert
wird, ist ein im Ausland vollzogener liberaler Gijur anerkannt.
Selbst ich, der in eine Familie von seit
vielen Generationen orthodoxen Rabbinern hineingeboren wurde und nur den
orthodoxen Ritus praktiziert, könnte mich, mangels anderer Möglichkeiten,
mit einem liberalen Gottesdienst anfreunden.
Sollte der liberale Rabbiner den Gijur
durchführen, wäre das eine positive Wendung, und wenn es für die Autistin
auch nur den Einstieg in das Judentum bedeuten würde.
Der Gijur wird im allgemeinen (liberal oder
orthodox) sehr schwer gemacht. Wer das Gefühl und die Überzeugung hat,
unbedingt Jude werden zu müssen, sollte sich über eine vorhandene
Möglichkeit freuen. Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan |