
Sehr geehrte Damen und Herren,
mehrmals wurde nach dem Unterschied zwischen koscher und
glatt-koscher gefragt:
- Gibt es verschiedene Grade von Koscher, mehr oder weniger
Koscher?
Antwort:
- Die kurze Antwort lautet: Es gibt nicht zweierlei koscher.
Entweder ist eine Speise koscher oder sie ist treife = Nicht-koscher.
- Die Tatsache, dass auch manche gläubigen Juden sich nicht
genau an die Regeln halten, bedeutet nicht, dass es strengere oder weniger
strenge Grade von koscher gibt, es bedeutet lediglich, dass diese Menschen
die Regeln nicht ganz so ernst nehmen. Ein Beispiel: Wenn jemand in einem
nicht-koscheren Restaurant rein vegetarische Speisen (die zweifelsfrei
koscher sind) zu sich nimmt, verstößt er gegen die Kaschrut-Regeln, da die
Benutzung von nicht-koscherem Geschirr die Speisen treife macht.
- Es bleibt noch die Frage nach dem Unterschied zwischen
koscher und glatt-koscher zu klären.
- Das mosaische Recht, das sehr darauf bedacht war, Regeln
für die Wahrung der Gesundheit und des Lebens einzuführen, hat den Begriff
koscher (hebräisch kascher, was rein, tauglich, geeignet, passend bedeutet)
geprägt. Jede Nahrung, die teils aus verständlichen, teils aus nicht
nachvollziehbaren Gründen erlaubt ist, heißt koscher. Jede andere Nahrung
wird als treife (nicht-koscher) bezeichnet und darf nicht verzehrt werden.
- Fleisch als Nahrungsmittel, insbesondere in warmen
Landstrichen, ist sehr empfindlich. Deshalb heißt es in der Tora: „Fleisch
von einem Tier, das auf dem Feld gerissen wurde, sollt ihr nicht essen; ihr
sollt es den Hunden vorwerfen“ (2. Buch Moses 22, 30). Hier gebraucht die
Bibel das Wort treife. Maimonides erklärt hierzu: Treife ist ein Vieh oder
Tier, das ein Mum (= Verletzung, Gebrechen, Missbildung, Verstümmelung) hat.
Selbst wenn das Tier dem Anschein nach noch gesund ist, jedoch durch die
Verletzung (Mum) eine Lebenserwartung von weniger als einem Jahr hat, ist es
treife und darf nicht verzehrt werden.
- Ein häufiger Mum, der das Rind treife macht, ist ein Loch
in der Lunge. Die Halacha (das Religionsrecht) geht davon aus, das eine Rind
mit einem Loch, wenn es noch so klein ist, ein volles Jahr nicht überleben
wird. Deshalb wird beim Schlachten eines Rindes die Lunge untersucht. Da der
Leser sich nicht für alle anatomischen Einzelheiten interessieren mag, wird
die Problematik hier nur kurz erörtert.
- Wenn beim Schlachter der Verdacht aufgekommen ist, es
könnte sich ein Loch in der Lunge befinden, wird die Lunge herausgeholt und
gründlich untersucht. Ist sie unbeschädigt, also glatt, ist das Tier
koscher. Ist sie beschädigt, wird das ganze Tier für einen Juden nicht
essbar.
- Raschi (Frankreich 1040 – 1105) war der Meinung, dass auch
der Verdacht allein das Tier unverzehrbar macht. Hingegen war Rabenu Tam
(Frankreich 1100 – 1171), der Enkel von Raschi, der Meinung, dass der
Verdacht allein nicht ausreicht, um ein Tier für nicht-koscher zu erklären.
Entscheidend sei die Prüfung.
- Die jüdischen Gemeinden konnten sich in dieser Frage nicht
einigen, und im Laufe der Jahrhunderte hat sich bei den verschiedenen
Gemeinden die eine oder die andere Einstellung durchgesetzt.
- Interessanterweise kommt auch bei dieser Problematik das
pluralistische Prinzip des jüdischen Rechts zum Vorschein. Es heißt nämlich,
dass man sich an die Bräuche der Vorfahren halten soll („Verrücke nicht die
alte Grenze, die deine Väter gezogen haben“ Sprüche 22, 28). Wenn also
bestimmte Gemeinden schon immer glatt-koscher Rindfleisch gegessen haben, so
sollten sich ihre Mitglieder weiterhin daran halten. Allerdings kennen die
meisten Juden den Begriff glatt-koscher gar nicht und begnügen sich mit
koscherem Fleisch.
Mit freundlichen Grüßen
Bar Rav Nathan
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