Im Judentum ist die sittliche Forderung ein Grundsätzliches, ein
Tragendes der Religion" (vgl. S.13 Bd.1), d.h. was als gut erkannt, was als
göttliches Gebot gelehrt wird, soll in die Tat
umgesetzt werden.
Die Lehre des Judentums ist keine theoretische Erörterung ethischer
Lehrsätze, sondern eine Religion der Tat; seine sittlichen Forderungen
wollen im Leben erfüllt werden. Gott erkennen, heißt nicht, sein Wesen
verstehen, sondern den Weg des Rechten gehn, den Gott gewiesen hat.
Der Glaube ist kein zentrales Problem der jüdischen Religion. Das
hebräische Wort Emunah bedeutet "Vertrauen", Luthers Bibelübersetzung hat
"Glauben" dafür gesetzt. Im biblischen und rabbinischen Schrifttum wird
dieses Vertrauen auf Gott als religiös-sittliche Gesinnung vorausgesetzt,
nicht aber wie ein Dogma als Produkt des Denkens oder des Wollens gefordert.
Erst da, wo die Reflexion dazwischentrat, wie in der alexandrinischen und
mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophie, wurde der Begriff des
Glaubens an Gott zu einer aus Erkenntnis geschöpften Überzeugung entwickelt;
die vielfach aufgestellten Hauptsätze des Judentums (Ikkarim)
sind nicht als Glaubensartikel, sondern als Grundwahrheiten gedacht.
Aber im Judentum wurde nicht blinder Glaube gefordert und die Freiheit
des Denkens unterdrückt, es wurde niemals die Meinung vertreten, dass sich
die Frömmigkeit lediglich auf den Glauben gründe, und eine Erlösung der
Seele ohne sittliche Tat für möglich erklärt. Die einseitige Bewertung des
Glaubens durch Paulus mit ihrer Gefahr für das religiöse Leben, die selbst
in den urchristlichen Kreisen auf Widerspruch stieß (vgl. z.B. Jakobusbrief
214-18), hat im Judentum nie Eingang gefunden. Es hat vorübergehend
Strömungen gegeben, die den Höhepunkt des religiösen Erlebnisses in die
Spekulation und in das mystische Schauen verlegten, aber keine von ihnen hat
die Dringlichkeit der sittlichen Tat bestritten. Im gesamten nachbiblischen
Schrifttum herrscht nur eine Meinung darüber, dass die Religion sich
bewähren muss in der sittlichen Tat.
I. TaNaKh (Hebräische Bibel)
Ihr sollt wahren meine Satzungen und meine Rechte, die der
Mensch üben soll, dass er durch sie lebe - ich bin der Ewige. - 3 Mos 18
5.
Mose berief ganz Israel und sprach zu ihnen: Höre, Israel,
die Satzungen und Rechte, die ich heute vor euren Ohren verkünde. Und
ihr sollt sie lernen und wahren, sie zu üben. - 5 Mos 5 1.
So spricht der Herr der Heerscharen, der Gott Israels:
Bessert euren Wandel und euer Tun, so will ich euch an diesem Orte
wohnen lassen. Verlasset euch nicht auf die trügerischen Reden: Der
Tempel des Ewigen, der Tempel des Ewigen, der Tempel des Ewigen ist
hier!
Nur, wenn ihr euren Wandel und euer Tun bessert, wenn ihr Recht schafft
zwischen einem und dem andern, Fremdling, Waise und Witwe nicht
bedrückt, unschuldiges Blut nicht vergießt an diesem Ort und andern
Göttern nicht nachwandelt euch zum Unheil, werde ich euch wohnen lassen
an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, von
Ewigkeit zu Ewigkeit. - Jeremia 7 3-7.
Suchet das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr lebet,
dass der Ewige, der Gott der Heerscharen, mit euch sei, wie ihr es sagt.
Hasset das Böse und liebet das Gute und stellet das Recht fest am Tore.
- Amos 5 14-15.
Kommt, Kinder, hört mir zu, Gottesfurcht will ich euch
lehren. Wer ist der Mann, der Leben begehrt, der Tage wünscht, Gutes zu
schauen? Wahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor Trug. Weiche
vom Bösen und tu Gutes. Suche Frieden und jage ihm nach. - Psalm 34
12-15.
Halte dich fern vom Bösen und tu Gutes, so wirst du stets
Ruhe finden. - Psalm 37 27...
III. Jüdisch-hellenistische Literatur.
1. Dass eine Gesetzgebung sich in so hervorragender Weise von den
andern unterschied und zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass
sie die Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend machte,
sondern die übrigen guten Eigenschaften wie Gerechtigkeit,
Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene Eintracht der Bürger
untereinander als Äußerung der Frömmigkeit erkannte und sie demgemäß
erläuterte.
Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung
zur Frömmigkeit gegen Gott. - Josephus gegen Apion II.16.
Über den Autor:
Erinnerung
an Ismar Elbogen
Die eigentliche Heimat Elbogens blieb die "Hochschule" in der heutigen
Tucholsky-Straße in Berlin-Mitte, der er bis zur erzwungenen Emigration
1938 treu blieb. Gleich vier amerikanische Einrichtungen taten sich
zusammen, um dem Gelehrten eine Zukunft anbieten zu können...
Erschienen im ersten Teil "Grundlagen der jüdischen Ethik"
(II. Grundlegende Sittlichkeitsanschauungen,
1. Tun und Glauben)
der "Lehren
des Judentums nach den Quellen" (s.p. 36ff I.Bd, Aus den Quellen:der
1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe des Verbandes der Deutschen
Juden v. 1928/30)