Wie diese Darstellung zeigt ist Israel
nicht ein Staat ohne Verfassung, sondern ein Staat, der sich bewußt für
die kontinuierliche Entwicklung eines eigenen Verfassungsrechts
entschieden hat. So ist die entwickelte Verfassung kein Beispiel für das
Rechtswesen eine idealen, sondern das Bild eines wirklichen Staates.
Dieses Verständnis läßt sich insbesondere
an der Denkart der libertären Kräfte erkennen, die lieber auf eine
Verfassung verzichteten, als ein nicht der Verfassungswirklichkeit
entsprechendes Dokument zu verabschieden. So wurden auch die meisten
Verfassungsprinzipien erst von der Rechtsprechung entwickelt und später
durch die (Verfassungs-) Gesetzgebung übernommen. Dergestalt, daß die
Grundlage des Staates als jüdischer und demokratischer Staat, die
verfassungsrechtliche Stellung der Unabhängigkeitserklärung sowie der
Status der Menschenrechte erst nach Ausarbeitung durch den Obersten
Gerichtshof in diversen grundlegenden Texten Verfassungsrang erhalten
haben.
Der Militärdienst wird ihnen nicht
versperrt, es besteht nur keine Verpflichtung in den israelischen
Streitkräften zu dienen, im Gegensatz zu der drusischen
Bevölkerungsgruppe.
Kretzmer, D., Les Droits de l’Homme en Israël, S.
44f
Akzin, B., Menschenrechte in Israel, S. 28ff
Obwohl der rechtliche Einfluß der
Rechtsprechung, unter dem Eindruck der fehlenden
Verfassungsgerichtsbarkeit, auf die Legislative äußerst gering ist, kann
sie trotzdem ohne Weiters als "Motor" der Verfassungsentwicklung
bezeichnet werden. So ist die Bedeutung eines Grundgesetzes generell
geknüpft an seine Auslegung durch den Obersten Gerichtshof. Der dieses
natürlich gemäß den von ihm entwickelten Rechtsgrundsätzen
interpretiert.
Desweiteren läßt sich erkennen, daß das
israelische Verfassungsrecht von zwei grundsätzlichen Einflüssen geprägt
ist. Einmal durch die seit der Staatsgründung anhaltende
Sicherheitskrise und zum andern durch den Einfluß der religiösen Kräfte.
Dies zeigt sich allein daran, daß ein vollständiger Grundrechtskatalog
aufgrund des Widerspruchs beider Parteien bisher gescheitert ist.
Die neuere verfassungsrechtliche
Entwicklung, die Aufnahme eines (eingeschränkten) Grundrechtskatalogs
und einer eingeschränkten Überprüfbarkeit von Parlamentsgesetzen, lassen
erkennen, daß die Vervollständigung der Verfassung sich ihrem Ende
nähert. Ein Abschluß des Friedensprozesses und somit ein Ende der seit
Staatsgründung andauernden Sicherheitskrise, könnte dies noch
beschleunigen Umfragen zu Folge könnte die Verabschiedung eines solchen
Dokuments sogar die Unterstützung von 84 % der Bevölkerung aufweisen.
Trotz dieser neueren Entwicklung hin zu
einer Verfassungsurkunde, zeigt das Beispiel Israel, daß die
Freiheitlichkeit und Stabilität eines politischen Systems nicht von der
Existenz eine solchen feierlich verabschiedeten Dokuments abhängig ist.
Eine derartige Gesellschaft wird vielmehr geschaffen von den Bürgern die
in diesem Staatswesen leben. Ihrem politischen Bewußtsein, ihren
demokratischen Tugenden, ihrem Freiheitswillen, ihrem bürgerlichen
Einsatz und für Israel ganz wichtig, ihrem Friedenswillen.
Yoram Moyal
im FS 9
Trier, den 29. Januar 1997
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Verfassungsrecht in Israel
Literatur