Rede zur Verleihung des Deutschen Medienpreises
an den PLO-Präsidenten Jassir Arafat und den Ministerpräsidenten des Staates
Israel Jizhak Rabin, Baden Baden, 23. November 1995
Ich überbringe den tief empfundenen Dank der Familie Rabin - nicht nur
für die Würdigung des Lebenswerks des nun Verstorbenen, sondern auch für die
Einladung an seine Angehörigen, zur Entgegennahme der Auszeichnung nach
Baden-Baden zu kommen. Ich bin sicher, dass Sie Verständnis dafür haben,
dass die Familie Rabin heute hier nicht anwesend ist, nicht anwesend sein
kann, denn die jüdische Tradition gebietet eine dreißigtägige Trauerzeit.
Deshalb bin ich in Vertretung der Familie hier.
Über die heutige Würdigung der Person und des Werkes unseres
Premierministers bin ich zuliefst bewegt, und natürlich werde ich der
Familie Rabin und meinem Land darüber Bericht erstatten.
Der Preis wird zwei Staatsmännern verliehen für deren Mut und Tapferkeit,
den revolutionären Friedensprozess im Nahen Osten mit Erfolg in die Wege
geleitet zu haben. Aber ich frage mich immer wieder und begreife es nicht,
warum eigentlich eine Friedensanstrengung so hoch gelobt und ausgezeichnet
werden soll. Sollte es nicht für jeden Menschen das Natürlichste, das
Selbstverständlichste sein, Frieden anzustreben? Sollten nicht alle so
fühlen wie Friedrich Schiller, als er schrieb: "Ach, was für ein schöner
Tag, wenn der Soldat endlich zum wirklichen Leben zurückkehrt, zur
Humanität! Wenn die Fahnen wehen, um einen friedlichen und fröhlichen
Marktplatz zu verschönern - wenn eine letzte Plünderung der Felder nur noch
dazu dient, die Waffen und Helme mit Grün zu schmücken!"
Die Friedenssehnsucht des Menschen ist so alt wie die Menschheit selbst.
Bereits fünfhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung schrieb Herodot: "Niemand
ist verrückt genug, um den Krieg dem Frieden vorzuziehen: In Friedenszeiten
begraben die Söhne ihre Väter, in Kriegszeiten begraben die Väter ihre
Söhne."
Dennoch hat sich die Menschheit von Beginn an so aufgeführt, als sei
Krieg Teil der menschlichen Natur. König Abdallah, der Großvater des
heutigen Königs von Jordanien, sagte einmal: "Dem Tag folgt die Nacht, der
Nacht folgt der Tag. Und so folgt der Frieden dem Krieg, und gleich
hinterher folgt der Krieg dem Frieden."
Warum eigentlich ist das so? Empfanden die vernunftbegabten Staatsmänner
aller Zeiten nicht instinktiv, was der Talmud lehrt, nämlich: "Die Welt
beruht auf drei Säulen: auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und auf Frieden. Und
alle drei sind ein und dasselbe." Irgendwie wussten die Staatsmänner es
schon - meist strebten sie auch Frieden an -, aber leider allzu oft hielten
sie es mit George Clemenceau. Er mußte in seiner berühmten Rede von 1919
tief atmen und gestehen: "Es ist schließlich viel leichter, Krieg zu führen
als Frieden zu schließen."
Diese Betrachtungen lassen wohl nur den Schluss zu, dass es, um Frieden
anstreben, Frieden schließen, einen echten, langlebigen und dauerhaften
Frieden gewährleisten zu können, ganz außergewöhnlicher, herausragender und
leider sehr seltener tapferer Persönlichkeiten bedarf. Es bedarf Menschen
mit einer großen inneren Kraft und Stärke, Menschen vielleicht, wie Aristide
Briand sie beschrieb. "Um Frieden zu machen", sagte er, "muss man zu zweit
sein. Aber zunächst muss man mit sich selber Frieden schließen, bevor man
ihn den Nachbarn anbietet." Auch Aristide Briand ist übrigens ermordet
worden, Friedensstifter wie Jassir Arafat und Jitzhak Rabin verfügten über
diese seltene innere Kraft, doch nicht nur über sie. Diejenigen, die im
Nahen Osten den Friedensprozess einleiteten, waren allesamt Kämpfer, die in
Zeiten des Krieges groß geworden sind und geprägt waren von der
Verantwortung für die Verteidigung ihres Volkes: Präsident Sadat, der den
größten Teil seines Lebens inmitten der Streitkräfte seines Landes
verbrachte; Menachem Begin, der im Widerstand gegen die britische Besatzung
kämpfte; König Hussein, der seit Jahrzehnten Oberbefehlshaber seines Heeres
ist, und in Israel heute Shimon Peres, der jahrelang das
Verteidigungsministerium geführt hat. Und dann die heute Geehrten, Jassir
Arafat und Jitzhak Rabin.
Leider aber gibt es in jedem Volk Kleingeistigkeit. Sie bewirkt, dass
große Menschen nicht verstanden werden, dass Friedensvisionären die
Zustimmung verweigert wird, nur weil sie gleichzeitig die Verteidigung ihres
Landes nicht aus den Augen verlieren; ja es kann dahin kommen, dass man sie
mit Gewalt aus dem Weg zu schaffen versucht.
So wurde 1922 der deutsche Außenminister Walther Rathenau ermordet. Den
Mann, der einerseits mit dem Russen Georgij Tschitscherin das Geheimabkommen
von Rapallo unterzeichnete, das Deutschland den Weg zu einer
Wiederaufrüstung ermöglichte, der andererseits aber auch die Respektierung
des Versailler Friedensabkommens anstrebte, konnten extreme Nationalisten
nicht dulden. Wie viele aus politischen Gründen Ermordete starb er durch
Leute aus dem eigenen Volk. Ebenso König Abdallah von Jordanien, der 1951
wegen seiner Friedensinitiativen einem Anschlag zum Opfer fiel, dann der
ägyptische Präsident Sadat und manche Friedensbefürworter unter den
Mitarbeitern des PLO-Präsidenten Arafat wie Issam Sirtawi und Said Hamami.
Und jetzt Jitzhak Rabin.
Man möchte meinen, der Römer Cicero habe im ersten vorchristlichen
Jahrhundert einen Mann wie Jitzhak Rabin vorausgeahnt, als er sagte: "Zwei
Künste sind es, die uns die größte Würde bescheren: Die eine gehört dem
General, die zweite dem Staatsmann. Der Letztere bewahrt das Wunderbare des
Friedens - ersterer vermeidet die Gefahr eines Krieges." In der Person
Jizhak Rabins haben beide Künste sich vereinigt. Zum Schluss frage ich mich:
Ist der heutige Tag, an dem den beiden Friedensstiftern der Deutsche
Medienpreis verliehen wird, ein fröhlich stimmender Tag? Oder ist er eher
ein Tag der Trauer, an dem wir uns des Schmerzes über den Tod Jitzhak Rabins
erinnern? Ich neige dazu, ihn als einen hoffnungsvollen Tag zu sehen.
Wir schreiben heute den 23. November 1995. Vor genau 375 Jahren landete
die "Mayflower" mit den ersten Siedlern an der Küste Neuenglands in Amerika.
Das Ereignis, dem die Gründung der Kolonie New Plymouth folgte, eröffnete
der Welt eine neue Ära der Menschenrechte und der Demokratie. Das sollte uns
ermuntern, den heute verliehenen Preis als ein Zeichen für die Durchsetzung
des Friedens im Nahen Osten anzusehen.
In diesem Sinne auch möchte ich mit einem Wort von Victor Hugo schließen.
Es erscheint mir wie eine Verheißung und Herausforderung an den Nahen Osten:
"Krieg ist der Kampf der Menschen, Frieden ist der Kampf der Geister."
Aus dem Anhang "Auszüge aus öffentlichen Reden"
des Buches Europa, Israel
und der Nahe Osten