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Judentum und Israel
   
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Michael Karpin und Ina Friedman:
Der Tod des Jitzhak Rabin
- Anatomie einer Verschwörung


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Din Rodef

Teil 3
Din Rodef und Din Moser

Michael Karpin und Ina Friedman

Kapitel 5 aus Michael Karpins und Ina Friedmans
"
Der Tod des Jitzhak Rabin
":
American Connection

Die Hetzkampagne gegen Jitzhak Rabin in Israel mochte noch so roh und schrill sein - verglichen mit der Kampagne in den USA, die sich gemeinhin eines zivilen Umgangstons im politischen Streit rühmen kann, konnte sie einem fast maßvoll vorkommen.

Im September 1995 brandeten die Hasstiraden gegen den Ministerpräsidenten und seine Regierung dermaßen hoch, dass Colette Avital, Israels Generalkonsulin in New York, dem Treiben nicht mehr untätig zusehen wollte. Zunächst hatten die Rabin-Gegner innerhalb der amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft den Ministerpräsidenten als Verräter und Rodef beschimpft; doch dann waren sie so weit gegangen, ihn einen Nazi zu nennen. Avital wusste, daß rechte und orthodoxe Juden die Extremisten in Israel mit Ratschlägen und Geld versorgten - mit viel Geld. Auf ihrem Schreibtisch stapelte sich ein bedrückendes Sortiment von jüdischen Zeitungen, Zeitschriften, Pamphleten, Handzetteln, Radio- und Fernsehmitschnitten und Texten aus dem Internet - ein endloser Strom des Hasses auf Rabin, der sich aus Gerüchten, Lügen, Erfindungen, Halbwahrheiten und Verzerrungen speiste. Avital hielt es für ihre Pflicht, den Ministerpräsidenten davor zu warnen, selbst wenn ihr Bericht daheim zu Gerüchten Anlaß geben würde, die dritthöchste Diplomatin Israels in den Vereinigten Staaten sei der Hysterie verfallen.
Seit fast zwei Jahren, zunächst entgeistert, dann entsetzt, beobachtete Avital ein empörendes Phänomen: In der Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde der Welt war nur eine einzige Stimme zu hören: die der radikal-orthodoxen Minderheit, die fast geschlossen gegen den nahöstlichen Friedensprozeß Front machte. Die Friedensanhänger in New York waren offenbar nicht in der Lage, mehr als ein leises Protestmurmeln dagegen über die Lippen zu
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bringen, während die orthodoxen Rabbiner und Rechtsradikalen pausenlos zur Beseitigung des israelischen Ministerpräsidenten aufriefen. Avital war konsterniert und verärgert zugleich. Wie konnte es sein, daß die amerikanisch-jüdische Gemeinde, die progressivste und neuerungsträchtigste der Welt, einzig und allein mit einem aggressiven Fundamentalismus zu hören war? Wie war es möglich, daß in diesem Schmelztiegel aus religiösem Pluralismus und Kreativität die Ansichten der orthodoxen Minderheit vorherrschten?
Tag für Tag spürte sie, wie die Mauer der Feindseligkeit zwischen den orthodoxen Juden New Yorks und den offiziellen Gesandten des Staates Israel breiter und höher wurde. Niemals zuvor war israelischen Diplomaten in den USA oder sonstwo der Zutritt zu ganzen jüdischen Vierteln verwehrt worden. Mari hatte Avital gewarnt, und zwar unmißverständlich: Sollte sie einen Fuß in die Bastionen der orthodoxen Juden New Yorks setzen, würde man sie mit Flaschen und Steinen empfangen. Die älteren Menschen in den jüdischen Gemeinden sagten ihr, daß kein Teil des amerikanischen Judentums jemals soviel abgrundtiefen Haß gegen eine gewählte Regierung Israels zum Ausdruck gebracht hätte. Manchmal fühlte sie sich wie in einem Alptraum, während die große Mehrheit der amerikanischen Juden, und nicht zuletzt die israelische Regierung selbst, stumm danebenstanden und zusahen.
Colette Avital war die erste Frau im Amt des Generalkonsuls, die sich in der diplomatischen Residenz Israels an der Upper East Side von Manhattan eingerichtet hatte. Die gebildete, elegante Frau Anfang Fünfzig spricht leise, aber deutlich und, so heißt es in ihrem Umkreis, versteht es meisterhaft, selbst ihre turbulentesten Gefühle zu verbergen. Doch ihr sanftmütiges Gebaren täuscht, denn Avital hat Rückgrat und schreckt vor Streit nicht zurück. Um das Hindernisrennen des diplomatischen Dienstes in der von Männern beherrschten israelischen Politik zu bewältigen, muß eine Frau außer Talent auch Schneid und Entschlossenheit besitzen. Dreißig Jahre bevor sie nach New York geschickt wurde, war sie in
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das Büro ihres Vorgesetzten in Jerusalem gegangen und hatte um ihre Versetzung aus der Verwaltung in den diplomatischen Dienst ersucht. «Da haben Sie keine Chance», sagte er. «Frauen sind für die Diplomatie nicht geeignet. Frauen sind hysterisch.»
Dieses Vorurteil war ihr noch gut in Erinnerung, selbst nach dreißig Jahren einer Karriere, die es Lügen strafte. Avital wurde 1993 nach New York versetzt, nachdem sie zuvor als israelische Botschafterin in Portugal gedient hatte. Die als arbeitswütig verschrieene Expertin für Öffentlichkeitsarbeit fand bald Anerkennung als eine Diplomatin, die an ihre Mission glaubt und ihren Standpunkt ebenso elegant wie überzeugend durchsetzt. In der Arbeitspartei wurden Stimmen laut, man müsse sie aus dem diplomatischen Dienst holen und für eine politische Karriere gewinnen. Doch bei all ihrem Können war sie nicht auf den Schwall an Drohungen und Beschimpfungen vorbereitet, der ausgerechnet in New York auf sie und ihre Mitarbeiter niederging.
Schon bevor Avital ihnen entgegentrat, zeigten sich die orthodoxen Juden in New York mißvergnügt über die Neue. Die Rabbiner und führenden Vertreter der Gemeinden, befangen in ihren Vorstellungen von Kindern, Küche und Synagoge, waren der Meinung, eine Frau habe auf einem so hochrangigen Posten nichts zu suchen. Man lud Avital ein, beim Jahresdinner 1994 des Jerusalem Reclamation Project (JRP) zu sprechen, einer rechten Organisation, die Gelder sammelt, um Juden in arabischen Vierteln Jerusalems anzusiedeln. Als sie aufs Rednerpult zuschritt, empfing man sie mit einem Hagel aus Pfiffen und Buhrufen. Von da an ging es bergab. Und als die Jewish Press - die wichtigste Wochenschrift der Orthodoxen und radikalen Rechten New Yorks - ihre Leser aufforderte, über Avitals Leistung abzustimmen, war die überwältigende Mehrheit dafür, ihr so schnell wie möglich den Laufpaß zu geben. Daß man sie in Begleitung des ABC-Nachrichtenmode-rators Peter Jennings sah, den man in rechten Blättern gewöhnlich als «Israel-Prügler» bezeichnete, trug gewiß nicht dazu bei, Avital bei den Verleumdern in ein besseres Licht zu rücken. Im Grunde
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stand ihr eine Einheitsfront aus orthodoxen und rechten jüdischen Aktivisten gegenüber, angeführt von dem Abgeordneten im Parlament des Staates New York, Dov Hilkind, den Rabbinern Abraham Hecht und Herbert Bomzer, den Geschäftsleuten Sam Domb und Jack Avital. Hinzu kam allerdings noch Bürgermeister Rudolph Giuliani, der eigentlich nicht richtig dazupaßte, doch politisch in der Schuld der andern stand. Es überrascht kaum, daß die meisten New Yorker Gegner des nahöstlichen Friedensprozesses über den verstorbenen Rabbiner Meir Kahane miteinander verbunden waren, dessen Organisationen und Zöglinge die Allianz der orthodoxen rechten Kräfte geschmiedet und den Bürgermeister für ihre Sache eingespannt hatten.
Avital, die eine Liste der Ausfälle gegen Jitzhak Rabin angelegt hatte, verfolgte besorgt die wachsenden Feindseligkeiten. In einem Bericht, den sie zwei Jahre nach dem Händedruck Rabins und Arafats verfaßte, listete sie die Namen der Organisationen auf, die an der Offensive gegen die Osloer Verträge beteiligt waren, darunter Americans für ein sicheres Israel, das Weltkomitee für Israel, die Amerikanischen Freunde von Hebron, Pro-Israel, Frauen in Grün, die Zionistische Organisation von Amerika (ZOA), das Jerusalem Reclamation Project, das Central Israel Fund-One Israel, Zo Artzenu, Yesha-One Israel Fund, Operation Kiryat Arba, Operation Chizuk («Stärkung») und das Komitee für die Bewahrung von Eretz Hakodesh (des Heiligen Lands). Am meisten beunruhigte sie, schon wegen ihrer Mitgliederzahl und ihres Einflusses, die orthodoxe Young-Israel-Bewegung.
Am 19. September 1993, nur sechs Tage nach dem historischen Händedruck auf dem Rasen des Weißen Hauses, gab der Nationalrat von Young Israel bei einem eilends einberufenen Treffen von Ostküstenrabbinern in New York - ihre israelischen Kollegen waren über Satellit dabei - das Signal zum Kampf gegen das Osloer Abkommen. Young Israel ist eine der mächtigsten Gruppierungen in der orthodox-jüdischen Gemeinschaft Amerikas, mit etwa 20000 Familien der Mittel- und Oberschicht, die enge Verbindun-
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gen zu ähnlichen Kreisen in Israel halten. Der rasch veröffentlichte Appell «für den Widerruf des Osloer Abkommens» hatte einen unmißverständlich aufrührerischen Unterton. Denn bei allen hartnäckigen Streitereien der politischen Lager in Israel waren die Organisationen der amerikanischen Juden bislang stillschweigend der Daumenregel gefolgt, in allen Staatsangelegenheiten die jeweils gewählte Regierung Israels zu unterstützen - oder zumindest nicht gegen sie aufzutreten. Das Gelübde von Young Israel, das Osloer Abkommen zu bekämpfen, spiegelte die Kluft im amerikanischen Judentum wider, die sich zwischen der orthodoxen Gemeinschaft und den konservativen und reformerischen Strömungen aufgetan und seit dem Sechstagekrieg ständig verbreitert hatte.
Anfangs war es nur ein feiner Riß gewesen, vorübergehend gekittet dank der Solidaritätswelle für Israel, die durch das amerikanische Judentum lief, als im Mai 1967 der ägyptische Präsident Nasser seine Truppen zusammenzog und die Straße von Tiran für Schiffslieferungen nach Israel sperrte. Mit viel Energie betrieb man Spendenkampagnen. Tausende von Freiwilligen wollten nach Israel fliegen und dort für die Reservisten einspringen, deren Einberufung die Wirtschaft fast lahmgelegt hatte. Das America-Israel Public Affair Committee (AIPAC), die wichtigste pro-israelische Lobby in Washington, legte Überstunden ein, um die Unterstützung von Wirtschaftsbossen und Kongreßmitgliedern für den bedrohten Staat zu gewinnen, und bewies dabei erstmals seine beeindruk-kende Stärke. Als den amerikanischen Juden am Ende des Juni-Blitzkrieges aufging, was für einen überwältigenden Sieg Israel errungen hatte, waren sie ebenso begeistert wie die Israelis selbst. Diese brüderlichen Gefühle wurden noch verstärkt durch ein unterschwelliges Schuldempfinden: Als das Gespenst der Vernichtung das letzte Mal aufgetaucht war, während des Holocaust, war es der Führung der amerikanischen Juden nicht gelungen, ihre Regierung für die Sache der europäischen Juden zu mobilisieren.
Die orthodoxen Juden allerdings hatten noch einen dritten Beweggrund: eine religiöse Erweckungsbewegung, die zugleich
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auch den Charakter der national-religiösen Gemeinschaft in Israel selber veränderte. In einem Artikel der von Young Israel herausgegebenen Vierteljahresschrift Viewpoint (Winter 1993) beschrieb Rabbiner Simcha Krauss von der New Yorker Gruppierung Young Israel of Hillcrest die Auswirkung des Sieges auf die orthodoxen Juden in den Vereinigten Staaten einerseits und seine Bedeutung für die Menschen, die ihn persönlich errungen hatten, andererseits.
«Für Rabin und andere israelische Führer, die keinen Sinn für die spirituellen Dimensionen unseres Vermächtnisses haben, war der Sieg im Sechstagekrieg in Wahrheit nur ein militärischer. Das Land, das damals befreit wurde, hatte für sie keine besondere Bedeutung. Für jene von uns, die yirei shomayim (gottesgläubig) sind, war die spirituelle Bedeutung des Sechstagekriegs überwältigend, und das Land, das er uns eingebracht hat, hat unser Leben verändert. Nicht nur hat es unseren Stolz, Juden zu sein, erneuert, sondern auch Tausende von Juden dazu angeregt, sich auf die spirituelle Suche zu machen und die baal teshuva (Rückkehr zur Religion) in die Wege zuleiten.»
Nach der Eroberung (oder, laut Krauss, «Befreiung») von Großisrael entwickelte sich eine enge Symbiose zwischen den orthodoxen Lagern auf beiden Seiten des Ozeans. Die Zahl der orthodoxen Touristen, die nach Israel fuhren, schnellte ebenso in die Höhe wie die der Studenten, die für ein Jahr oder länger an speziellen Jeschiwa-Seminaren teilnahmen. Tausende junger orthodoxer Amerikaner siedelten sich in den besetzten Gebieten an, und Stiftungen für national-religiöse Projekte - wie die JRP, der Yesha-Rat und die Gemeinde von Hebron - konkurrierten mit den schon etablierten Kampagnenorganisationen United Jewish Appeal und Israel Bonds um die Gelder orthodoxer Spender.
Besuche von israelischen Rabbinern und rechten Politikern in den USA taten das ihre, um die amerikanischen Freunde auf Trab
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zu bringen. Besonders gefragt für Vörtragsreisen durch die orthodoxen Gemeinden war Ariel Sharon, der einige Male von Yehiel Leiter vom Yesha-Rat begleitet wurde. Dieser hatte das Organisationsbüro seiner Spendenkampagne schon 1992 nach New York verlegt und berichtete im Dezember 1993, man habe in den letzten anderthalb Jahren 1,5 Millonen Dollar an die Siedler überwiesen. Rusty Moslow, der Präsident von Pro-Israel, prahlte ebenfalls, daß die Antwort auf 160000 Briefe, die man im Gefolge des Osloer Vertrags verschickt hatte, «unerwartet gut» gewesen sei. Andere Likud-Größen wie der ehemalige Ministerpräsident Jitzhak Sha-mir, der Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert und der Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu, traten ebenfalls den Weg durch die Vortragssäle an. Die Konkurrenz um amerikanische Gelder für die Siedlungen war so groß, daß es unweigerlich zu häßlichen Konflikten kommen mußte. Im Dezember 1993 zum Beispiel erhob Jack Avital, der Vizepräsident des Weltkomitees für Israel, gegen Benjamin Netanjahu den Vorwurf, er habe für den Yesha-Rat bestimmte 200000 Dollar zum Abbau des riesigen Likud-Schul-denbergs verwendet. Der Likud entgegnete, das Geld sei für eine große Demonstration verwendet worden, die zusammen mit anderen Gruppen im Gemeinsamen Führungsstab organisiert worden sei - womit er freilich unabsichtlich preisgab, daß die Spenden aus den Vereinigten Staaten halfen, die Hetzkampagne gegen Rabin zu finanzieren.
Hier lag der Gegensatz, der sich dann zu einer Kluft verbreitern sollte, zwischen der orthodoxen Gemeinschaft in Amerika und den Konservativen und Reformern in Israel, ganz zu schweigen von den zahllosen amerikanischen Juden, die sich keiner religiösen Strömung zuordnen, doch ihre Identität als Juden bewahren. Da letztere keine ideologischen oder institutionellen Bande mit den entsprechenden israelischen Kreisen geknüpft hatten, engagierten sie sich nicht so vehement und direkt für Israel wie die orthodoxen Juden. Die jährlichen Umfragen des American Jewish Committee zeigen diesen Unterschied. In der Befragung von 1995 z.B. sagten
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72. Prozent der Orthodoxen, sie fühlten sich Israel «sehr verbunden», verglichen mit 13 Prozent der reformerisch eingestellten Juden. Zwar stellen die Orthodoxen nur etwa ein Zehntel der sechs Millionen Juden Amerikas, die israelischen Orthodoxen hingegen ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, doch inspirieren und unterstützen sich die beiden Gemeinschaften in hohem Maße. Ihr passionierter Glaube und nicht ihre Zahl sorgte für ihren politischen Einfluß.
Die Gebietseroberungen von 1967 veränderten laut Rabbiner Krauss das Leben der orthodoxen Juden in den Vereinigten Staaten grundlegend. Doch es gab einen weiteren «Tag, der unsere Welt verwandelt hat», den 13. September 1993, als das Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO unterzeichnet wurde. Yaakov Kornreich, ein Journalist, der für verschiedene orthodox-jüdische Zeitschriften schreibt, hat unter ebendiesem Titel seine Eindrücke und Gefühle beschrieben, als «ein Vertrag öffentlich besiegelt wurde, der eines Tages das Leben jedes einzelnen Juden verändern wird». Während andere Beobachter auf der ganzen Welt Rührung oder Begeisterung darüber empfanden, daß sich einstige Feinde auf friedliche Weise ein Land teilten, das Konflikte ein Jahrhundert lang zerrissen hatten, dachte Kornreich ganz anders: «Wir sahen erschrocken und ungläubig zu», erinnerte er sich, «sprachlos und hilflos außen vor stehend, als die Heimat von 130000 Juden [in den besetzten Gebieten] mit einem Federstrich vielleicht für immer hergegeben wurde.»
Sechs Tage nach dem schicksalhaften Federstrich in New York trafen die Rabbiner der Young-Israel-Bewegung zusammen und antworteten auf den Schock mit einem Aktionsplan. Keiner machte den Vorschlag, erst einmal abzuwarten, um zu sehen, ob Kornreichs Befürchtung über das Schicksal der Siedler zutraf. Niemand dachte daran, erst einmal Luft zu holen und dem Frieden eine Chance zu geben. Mit der Unterstützung schlachterprobter Kämpfer wie Rabbiner Herbert Bomzer aus Brooklyn führten der Präsident von Young Israel, Chaim S. Kaminetzki, und Geschäfts-
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führer Rabbiner Pesach Lerner die Bewegung ganz im Sinne jener Mitglieder, die nach Israel emigriert waren und Dutzende von neuen Gruppen in den besetzten Gebieten aufgebaut hatten. Und Young Israel war nicht alleine. In den amerikanischen orthodoxjüdischen Kreisen war man entschlossen, das gerade unterzeichnete Osloer Abkommen mit allen Mitteln zu bekämpfen: mittels Gebeten, Versammlungen, Demonstrationen, Rundbriefen, Leserbriefen, Radio- und Fernsehsendungen und vor allem mittels Druck auf Lokal- und Bundespolitiker. Dieser Mühsal hätte man eigentlich das Prädikat «Graswurzelbewegung» in der besten Tradition der amerikanischen Demokratie verleihen können, hätte sie nicht voll blindem Haß das Ziel verfolgt, eine demokratisch gewählte Regierung in einem 12000 Kilometer entfernten Land zu stürzen.
Am 13. Dezember 1993 vermerkte Colette Avital in ihren Aufzeichnungen die ersten Demonstrationen von Aktivisten der AntiOslo-Bewegung. 300 Leute hatten sich auf dem Times Square versammelt, die meisten von ihnen mit Gebetskäppchen und Plakate schwingend, auf denen es hieß: «Macht Israel nicht zu einem zweiten Libanon» und «Jüdisches Blut ist nicht billig», während sie den Reden von Rabbiner Abraham Hecht, des Parlamentariers Dov Hilkind, des Stadtrats Anthony Wiener und des Geschäftsmanns Sam Domb lauschten. Von Zeit zu Zeit stürmten Demonstranten auf die Straße und blockierten den Verkehr auf dem Broadway, bis der Polizeikordon sie zurückdrängen konnte. Die Demonstration wurde vom World Committee on Israel getragen, unter Führung des inzwischen verstorbenen Dr. Manfred Lehmann, der sie als «überparteilichen Protest» bezeichnete, weil «die alten und etablierten jüdischen Organisationen gelähmt» seien. Robert Friedman von der Village Voice fiel ein junger Demonstrant im Parka auf, der die Mütze der New York Ranger und eine Sonnenbrille trug. Warum er gekommen sei? «Rabin ist schlimmer als Hitler. Hitler war ein Goi, der Juden getötet hat. Rabin ist ein Jude, der Juden tötet. Rabin sollte umgebracht werden.»
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Damals war dies noch eine vereinzelte Stimme; Rabbiner und andere führende Vertreter der orthodoxen Gemeinschaft schreckten vor solch hanebüchenen Vergleichen noch zurück. Dennoch, die Demonstration war ein Dammbruch. Zum ersten Mal ertönten Rufe wie «Tötet Rabin» und tauchten Plakate mit den Worten «Rabin - Verräter» in der Menge auf. In Israel erlebte man dies erst vier Monate später.
Voll Zorn über eine derart unerhörte Sprache beklagte sich Colette Avital direkt bei Malcolm Hoenlein, dem Direktor des einflußreichen Präsidentenrats von zweiundfünfzig großen jüdischen Organisationen. «Das ist verbale Gewalt», fauchte sie und verlangte eine scharfe Verurteilung der Haßtiraden. «Das ist ansteckend und muß im Keim erstickt werden.» Doch Avital war nicht die einzige, die Hoenlein anrief. Die Leiter von Young Israel und der ZOA, die von ihrem weit rechts stehenden Präsidenten Morton Klein zu den Demonstrationen geführt worden war, setzten Hoenlein unter Druck, er solle neutral bleiben. Selbst bekannte Verfechter des Friedens rieten zur Zurückhaltung, da ein Protest den Aktionen einer kleinen Minderheit weitere Aufmerksamkeit verschaffen würde. Schließlich brachte Hoenlein seine Mißbilligung zum Ausdruck - ohne nennenswerte Wirkung.
Nach New York war Capitol Hill Ziel eines Zangenangriffs von israelischen und amerikanisch-jüdischen Gegnern des Friedensprozesses. Dank ihrer direkten Verbindungen zum Likud und Yesha-Rat erhielten die orthodoxen Rabbiner in Amerika ständig Berichte über angebliche Vertragsverletzungen der Palästinensischen Autonomiebehörde. Viele dieser Meldungen stammten von Yossi Ben-Aharon, dem ehemaligen Leiter des Büros von Ministerpräsident Shamir; von Yigal Carmon, der Shamirs Berater für Terrorismusbekämpfung gewesen war, und von Yoram Ettinger, einem ehemaligen Attache für Kongreßangelegenheiten der israelischen Botschaft in Washington. Doch die «Dreierbande», wie Rabin sie getauft hatte, ging noch einen Schritt weiter. Zur großen Verärgerung des AIPAC und der israelischen Botschaft richteten sie ihr
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eigenes Büro in Washington ein, um im Kongreß Lobbyarbeit zu betreiben. Man verfolgte drei Ziele: Verlegung der amerikanischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem; im Keim schon die Idee zu ersticken, amerikanische Truppen im Rahmen eines Friedensvertrags zwischen Israel und Syrien (der allerdings noch nicht in Sicht war) auf den Golanhöhen zu stationieren; und vor allem, amerikanische Gelder für die sich immer in akuter Geldnot befindende Palästinensische Autonomiebehörde zu stornieren, was diese - und den Friedensprozeß - an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hätte.
Diesem Unternehmen schloß sich die orthodoxe jüdische Lobby an, die große Anstrengungen unternahm, um zwei mächtige republikanische Kongreßmitglieder für sich zu gewinnen: Jesse Helms aus North Carolina, den Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Senat, und Benjamin Gilman aus New York, den Vorsitzenden des Ausschusses für internationale Beziehungen im Repräsentantenhaus. Der republikanische Senator Alfonse D'Ama-to aus New York und die Kongreßabgeordneten Michael Forbes, Charles Schumer und Peter King hatten sich schon bereit erklärt, die Schlacht im Kongreß anzuführen.
Der Höhepunkt des Kreuzzuges gegen die Palästinensische Autonomiebehörde war der 13. Juni 1995, als eine Delegation von 100 orthodoxen Rabbinern nach Washington kam, um den Aufschub der von der Regierung versprochenen Hilfen für die Palästinensische Autonomiebehörde durchzusetzen, bis die Palästinenser die Forderungen der israelischen Rechten erfüllt hatten. Zwei Wochen später sollte der Kongreß über das Verlangen der Regierung debattieren, den Palästinensern weitere 100 Millionen Dollar zu überweisen, aus einem Gesamtpaket von 500 Millionen an Hilfsgeldern und Krediten in einem Zeitraum von fünf Jahren. Washington war mit den Zahlungen an die Palästinenser bereits im Verzug. Obwohl zwei Jahre seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens vergangen waren, hatten die Vereinigten Staaten -über einen dafür eingerichteten Verteilungsapparat der Geberlän-
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der, den Holst-Fonds - der Palästinensischen Autonomiebehörde nur 80 Millionen Dollar überwiesen. Helms und Gilman hegten die Hoffnung, die Zahlungen noch weiter verzögern zu können, und beantragten, die Fortsetzung der versprochenen Hilfe müsse halbjährlich vom Kongreß abgesegnet werden. D'Amato hatte die Forderungen noch verschärft und vorgeschlagen, die amerikanische Hilfe an die Palästinensische Autonomiebehörde ganz zu streichen und sie statt dessen für amerikanisch geführte humanitäre Projekte zu verwenden.
Der Kreuzzug der Rabbiner - auf die Beine gestellt von Rabbi Sholom Gold, dem ehemaligen Präsidenten von Young Israel -hatte das Ziel, Unterstützung für diese Anträge zu mobilisieren. Gold erklärte vor der Presse, solange die PLO die Kriterien der freiwilligen Zusammenarbeit, Rechenschaftslegung und Offenheit nicht erfülle, müsse sie «immer noch als terroristische Organisation betrachtet werden». Young Israel, der Rabbinical Council of America, die Rabbinical Alliance of America und nichtjüdische Gruppen wie die Pro-Israel Christians und die Traditional Values Coalition (mit denen die orthodoxe Lobby ein Ad-hoc-Bündnis geschmiedet hatte): Alle heuerten sie Busse an, und man fuhr nach Washington. Dort fielen die Rabbiner in die Büros von Senatoren und Abgeordneten aus beiden außenpolitischen Ausschüssen ein. Sie beriefen sich auf einen sechzehnseitigen Bericht der ZOA mit einer Litanei palästinensischer Vertragsverletzungen, angefangen von der mangelnden Bereitschaft, den Terrorismus zu bekämpfen, bis hin zur antiisraelischen Propaganda in den staatlich kontrollierten Medien. Doch der Kern ihrer Klagen war das Osloer Abkommen selbst. «Wenn man Land für Versprechungen tauscht und die Versprechungen gebrochen werden, sagen sie <Tut uns ja so leid>, aber das Land ist unwiederbringlich verloren», erklärte Rabbiner Moshe Portnoy den Senatoren. «Israel wird nie mehr in der Lage sein, das Land zurückzuerobern.»
Was in diesen Gesprächen wohlweislich unterschlagen wurde, war ein zwei Wochen zuvor veröffentlichter Bericht des Außenmi-
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nisteriums, wonach die PLO sich an die Grundsatzerklärung (Osloer Abkommen) gehalten und Maßnahmen eingeleitet habe, um der Gewalt vorzubeugen und die Verantwortlichen für Terroranschläge zu bestrafen. Vertreter Israels informierten den Kongreß über diesen Befund und mühten sich nach Kräften, den Angriff der Orthodoxen abzuwehren. Botschafter Itamar Rabinovich zog persönlich über den Capitol Hill und warnte die Abgeordneten, daß «eine kleine, gutorganisierte und schlagkräftige Gruppe innerhalb der Vereinigten Staaten mit aller Entschlossenheit gegen die Regierung Rabin arbeitet». Diese Beobachtung wurde im Kongreß selbst bestätigt. Der demokratische Senator Joseph Lieberman aus Connecticut, selbst ein orthodoxer Jude, sah sich von Rabbinern und anderen rechten Lobbyisten unablässig durch die Korridore des Senats verfolgt, wies deren Annäherungsversuche jedoch ab. «Die Siedler investieren riesige Summen in die Propaganda», klagte Lieberman. Zwar gab er zu, daß die Palästinensische Autonomiebehörde weniger Fortschritte mache, als er erhofft hatte, doch er stellte entschieden in Frage, ob die richtige Antwort darauf sei, «die Hilfe für die Palästinenser einzustellen und damit den Friedensprozeß letztlich abzuwürgen».
Andere Kongreßmitglieder zeigten sich verärgert ob des Versuchs, das politische Schlachtfeld von Jerusalem nach Washington zu verlegen. Während einer Sitzung des außenpolitischen Ausschusses im Repräsentantenhaus machte sich der demokratische Abgeordnete Akee Hastings aus Florida Luft: «Ich denke, wir veranstalten heute dieses Hearing, weil parteipolitische israelische Interessen mit Macht in die amerikanische Tagespolitik drängen. Und ich denke weiterhin, daß die israelische Innenpolitik im amerikanischen Kongreß nichts zu suchen hat...Ich verabscheue den Versuch von Oppositionsparteien in Israel, die aufrichtige Besorgnis amerikanischer Juden in den Dienst ihrer eigenen politischen Interessen zu stellen.» Ebenso schneidend äußerte sich der Geschäftsführer des AIPAC, Near Sher, in einem Interview: «Es ist sehr problematisch, wenn bestimmte Gruppen versuchen, im
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Kongreß Lobbyarbeit gegen die rechtmäßige Regierung Israels zu betreiben. Es ist gefährlich, wenn innerisraelische Fragen in die Hallen des amerikanischen Kongresses gezerrt werden.»
Noch während die ioo Rabbiner versuchten, im Kongreß eine Lobby für ihre Ziele zu schaffen, warf sich sogar Außenminister Peres ins Zeug. Telefonisch bat er Gilman, die Rabbinerdelegation nicht zu empfangen, da ein solches Treffen den Friedensprozeß gefährden könne. «Die meisten amerikanischen Juden unterstützen das Osloer Abkommen», mahnte er den Kongreßabgeordneten, «die Orthodoxen sind nur Randfiguren.» Doch die Rabbiner setzten sich durch. Gilman empfing sie nicht nur, er gab gemeinsam mit den Delegationsleitern eine Pressekonferenz, in der er den Bericht des Außenministeriums als «Schönfärberei» abtat und sich hinter die Forderungen der Rabbiner stellte.
Begeistert von ihrem Erfolg, bestieg die Delegation die Treppe zum Lincoln Memorial und sprach Gebete zum Wohle Großisraels. Man hatte sich diesen Ort ausgesucht, um die Juden an eine andere, vierhundertköpfige Delegation von Rabbinern zu erinnern, die im Herbst 1943 an dieser Stelle demonstriert hatten, nach einem Gang zu Präsident Roosevelt, den man flehentlich gebeten hatte, die europäischen Juden zu retten. Die Anspielung war deutlich: Dem jüdischen Volk drohte eine Katastrophe von den Ausmaßen des Holocaust. Freilich ging man vor der Presse nicht so weit, die schweren Geschütze aufzufahren: «Es dreht sich hier nicht um die Frage, ob man für oder gegen den Friedensprozeß ist. Es geht nicht einmal unmittelbar um die Haltung der israelischen Regierung», erklärte Rabbiner Steven Pruzansky nicht ganz wahrheitsgetreu. «Es geht hier allein um ein Problem des amerikanischen Steuerzahlers.»
Vor ihren eigenen Gemeinden schlugen die führenden Vertreter der Orthodoxen und Rechten jedoch ganz andere Töne an. Beispiele für solche Brandreden gibt es genug. Der World Likud (ein Ableger der israelischen Partei) überschwemmte orthodoxe Synagogen in
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Brooklyn und Miami mit Flugblättern, auf denen die israelische Regierung angegriffen wurde. Rabbiner Mordechai Friedman, Leiter der orthodoxen Vereinigung amerikanischer Rabbiner, klagte in Radio- und Fernsehinterviews: «Rabins Demokratie verfolgt die Siedler» und «Die israelische Armee ist in eine ultralinke Rabin/ Peres-Miliz verwandelt worden». Als Rabbiner Benjamin Schafer-stein von der Kanzel aus wetterte, «Israel ist nicht mehr demokratisch, sondern eine Diktatur von Rabin und Peres», nahmen die Gläubigen das Diktum protestlos hin - kein Wunder, denn in den Blättern der orthodoxen Gemeinschaft war die israelische Regierung bereits als «Judenratpolizei» denunziert worden. Andere Würdenträger mieden demonstrativ die sumpfigen Felder der Politik und widmeten sich der allgemeinen Volksbildung. Rabbiner Moshe Tendier etwa, Biologieprofessor an der Yeshiva University und angesehene Halacha-Autorität, erläuterte den Medien geduldig, daß gemäß dem jüdischen Religionsgesetz jeder, der als Rodef erkannt ist, getötet werden muß.
Während die Gemeinderabbiner ihre Offensive vorantrugen, achteten sie sorgfältig darauf, ihre Flanken zu schützen. Den IDF-Offizieren, die nach Amerika geschickt wurden, um die Umsetzungsschritte des Osloer Abkommens zu erläutern, verwehrten sie den Zutritt zu ihren Synagogen. Die Mitglieder ihrer Gemeinden, so die Rabbiner, seien der gegenwärtigen israelischen Regierung nicht gewogen, und sie könnten daher nicht für die Sicherheit der Offiziere einstehen. Wenigstens ersparten sie den Militärs die Demütigung ihrer diplomatischen Weggefährten: Talia Lador etwa, Konsul für Öffentlichkeitsarbeit in New York, wurde bei der Eröffnung der Jerusalemwoche in Queens mit den Rufen «Verräter» und «Nazi» empfangen.
Auch Colette Avital kam bald unter Sperrfeuer. So beschimpfte man sie am Telefon als «Nazi» und drohte, sie zu «erledigen». Hörer, die bei Zev Brenners Radioshow «Talkline» anriefen, bezeichneten sie als «Feind Israels» und «Verräterin, die vor Gericht gestellt werden sollte». «Wir sorgen dafür, daß sie vor ein Er-
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schießungskommando gestellt wird», raunzte ein Anrufer. Brenner, der nach eigenem Bekunden derlei noch nie erlebt hat, beobachtete, daß die Haßtiraden gegen die Regierung Rabin zweimal besonders explosiv waren: nach der Bekanntgabe des Friedensnobelpreises im Oktober 1994 und nach der Unterzeichnung des Abkommens Oslo II im September 199s. «Die Juden aus Brooklyn, die in der Sendung anriefen, legten gleich mit wüsten Beschimpfungen los und nannten Colette Avital und Rabin <Nazis> und <Verräter>. Ich mußte sie aus der Leitung werfen, um ein Mindestmaß an Würde zu bewahren.» Avital schlug zurück, in Sendungen, die ein viel breiteres Publikum erreichten. Bei Mike Wallace in «60 Minutes» antwortete sie auf Drohungen von Mike Gozovsky, dem Leiter der Kahane Chai in New York, und warnte vor der verbalen Gewalt jüdischer Fanatiker. Dieser Auftritt brachte ihr' einen weiteren Schwall telefonischer Beschimpfungen ein, die zeigen sollten, daß sie jederzeit mit neuen Angriffen zu rechnen hatte.
Anregungen fand die Kunst der Hetze gegen die Regierung Rabin auch in selbstgebastelten «Infos», die per Fax und E-Mail verschickt oder auf Webseiten abgelegt wurden und dann mündlich oder durch Zitate in rechten jüdischen Publikationen weitergetragen wurden. Avital erinnert sich: «Einmal ging bei den Orthodoxen das Gerücht um, israelische Soldaten, die Siedler (im Westjordanland) begleitet hätten, hätten den Befehl erhalten, sie inmitten eines arabischen Gebietes zu verlassen und damit ihr Leben in Gefahr zu bringen. Viele orthodoxe Juden in Amerika haben Söhne und Töchter in den besetzten Gebieten und waren erbost. Doch das Ganze war natürlich eine Ente.»
Anfang 1995 sprach Rabbiner Sholom Gold vor einer Rabbinerversammlung in New York, und das Algemeiner Journal druckte lange Passagen seiner Rede ab. Gold verglich zunächst die Gefahren, die in Rabins Politik lauerten, mit dem Holocaust, und rechtfertigte dann seine Charakterisierung von Rabins Kabinett als «unmoralische Regierung» mit einem Gerücht, das ihm zu Ohren gekommen war. Dem Algemeiner Journal zufolge behauptete Gold:
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«Vor zwei Wochen, an dem Abend, als ein junger israelischer Taxifahrer von Terroristen auf offener Straße ermordet wurde, hatte das israelische Kabinett zu einer Party eingeladen. Auf die Frage, ob es nicht angebracht sei, diese abzusagen, nachdem ein Jude von einem Terroristen getötet wurde, hat Rabin geantwortet: <Solche Dinge passieren in Israel jeden Tag.>» Das Publikum reagierte erwartungsgemäß mit Zornesschreien, woraufhin Gold seine Zuhörer mahnte: «Die Zeit der politischen Höflichkeiten ist um. Machen Sie jedem Mitglied der Regierung, das nach Amerika kommt, das Leben schwer.»
Ein in den orthodox-jüdischen Kreisen Amerikas besonders beliebtes Klagelied, das in Israel selbst nur von den Mitgliedern der radikalen Zo Artzenu zu hören war, handelte von der angeblichen Neigung der Regierung Rabin, die eigenen Bürger zu tyrannisieren. 1995 brachte The Jewish Press während des ganzen Sommers auf den ersten Seiten großformatige Fotos israelischer Polizisten, die haredische Demonstranten vom Ort einer Protestaktion wegschleiften. Die Fotos waren nicht gefälscht; die begleitenden Schlagzeilen, in denen behauptet wurde, Rabbiner seien bei Demonstrationen verhaftet worden, waren Mummenschanz. Berichte dieser Art häuften sich: Die israelische Regierung ließe Rabbiner systematisch verprügeln und verhaften und dann während der Haft foltern; die Regierung versuche jeglichen Protest zu ersticken, indem sie Demonstrationen verbiete, die Polizei anweise, Demonstranten mit brutaler Gewalt zu vertreiben und sie vor allem dazu anhalte, dabei auch Frauen und Kinder zu schlagen. Allenthalben behauptete die orthodox-jüdische Presse, Jitzhak Rabin habe das Land in eine «Diktatur» verwandelt, während dieselben Blätter in großer Aufmachung über die vielen Demonstrationen berichteten, die zum Teil von ihren Lesern finanziert wurden.
Die Parteilichkeit dieser Blätter tat dem Vertrauen in ihre Berichterstattung keinen Abbruch. Die Jewish Press und ihr Herausgeber Sholom Klass waren für ihre Sympathien für jüdische Fanatiker bekannt. Rabbiner Kahane und sein Sohn Benjamin
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hatten in der Zeitung ihre festen Kolumnen, ein Forum, das letzterer nutzte, um «das apathische jüdische Volk gegen die israelische Regierung zu mobilisieren, die israelische Kinder mit Drogen, AIDS und anderen Annehmlichkeiten der westlichen Kultur vollgestopft hat». Die Schlagzeile, mit der das Blatt 1994 seinen Bericht über das Massaker an Palästinensern in der Höhle der Stammesväter schmückte, überging solche Einzelheiten wie die Zahl der Opfer und den Namen des Mörders, um gleich auf den Punkt zu kommen: «Hintergründe des Massakers: Regierung Rabin auf der Anklagebank». In einem Artikel dieser Ausgabe wurde Goldstein als «Heiliger von Kiryat Arba» bezeichnet. Und in nicht mehr zu unterbietender Niederträchtigkeit zitierte man seine Bewunderer mit den Worten: «Die Araber, die Goldstein töteten, hatten vor, Juden zu töten.»
Der Wunsch, das Schlimmste über die von der Arbeitspartei geführte Koalitionsregierung zu denken, trieb die Leser dieser Zeitungen dazu, jedem Bericht zu glauben und dann die israelischen Vertretungen in New York und Washington mit Anrufen und Faxen zu überfluten, in denen Rabin und seine Minister als «Verräter» und «Regierung der Nazis» beschimpft wurden. «Woche für Woche bezeichnen sie die israelische Regierung als Nazis», klagte Avital in einem Interview mit der New York Times, während der Sprecher des Konsulats sich regelmäßig bei Klass über die giftige Sprache seines Blattes beschwerte - doch es nützte nichts.
Die orthodoxen Wochenblätter standen mit ihren Feindseligkeiten gegenüber Rabin und dem Vertrag von Oslo nicht allein. Und der Ministerpräsident war nicht das einzige Objekt von unverfrorenen Ausfällen und Tiraden. Peres eignete sich ebenso als Ziel, da er in Israel bereits mit einer Reihe von Verleumdungskampagnen konfrontiert gewesen war. Die Gerüchte, die man während seiner langen politischen Laufbahn über ihn in Umlauf brachte, reichten von der Behauptung, seine Mutter sei Araberin (Peres ist in Belorußland geboren und hat auch einen entsprechenden Akzent), bis hin zur Anschuldigung, sein Sohn habe sich vor dem Wehr-
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dienst gedrückt (er war in Wahrheit Luftwaffenpilot). Doch als Ministerpräsident war Rabin ein lohnenderes Ziel, wenn auch gewiß ein weniger bequemes. Seine militärische Laufbahn, von den Tagen an, da er sich als Jugendlicher dem Palmach-Untergrund anschloß, bis zu seiner Ernennung zum Stabschef der IDF im Sechstagekrieg, verlieh ihm gerade in den Augen nationalistischer Kreise einen unangreifbaren Rang im Pantheon israelischer Helden und bekräftigte sein Image als Verkörperung eines «echten Eingeborenen», eines Sabra: Er stand für Bodenständigkeit und Aufrichtigkeit, ja sogar Reinheit. Rabin hatte an der politischen Börse Israels zwei beneidenswerte Beinamen: «Mr. Sicherheit» und «Teflon», letzterer, weil der Schmutz, mit dem ihn seine politischen Feinde bewarfen, nicht an ihm haftenblieb.
Auf der anderen Seite des Globus jedoch, fern von der Mythologie der «Sabra-Erfahrung», waren die Versuche, Rabin als Feind alles Gerechten, Guten und Aufrechten zu diffamieren, in geradezu unglaublichem Maße erfolgreich. Mit groben, unbeholfenen Pinselstrichen machte man aus dem Helden ein Schreckgespenst, das sich dem Alkohol ergeben habe, die Religion verabscheue und allen jüdischen Werten feindlich gegenüberstehe. Selbst seine militärischen Leistungen wurden durch Verleumdungen in den Schmutz gezogen: Er habe im Unabhängigkeitskrieg von 1948 seine Leute auf dem Schlachtfeld im Stich gelassen und am Vorabend des Sechstagekrieges einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Die Februarausgabe 1995 der Vierteljahresschrift Outpost ist ein erhellendes Beispiel dafür, wie Hetze funktioniert: Haltlose Vorwürfe werden als Fakten vorgestellt, die dann als Rechtfertigung für Schmähungen dienen. Die meisten Autoren der Ausgabe schlagen in ihren Beiträgen auf Rabin und seine Friedenspolitik ein; der Aufmacher ist ein Artikel mit dem Titel «Der wahre Rabin» von Erich Isaac, emeritierter Geographieprofessor der New York City University und Mitglied des Herausgebergremiums von Outpost. Zu Beginn fragt Isaac nach der Quelle des Vertrauens, das die «etablierten jüdischen Organisationen und führende Per-
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sönlichkeiten der Vereinigten Staaten» Rabin entgegenbrächten, und kommt zu dem Schluß:
«Zum großen Teil gründet sich dieses Vertrauen auf Jitzhak Rabin, den Armeeführer. Typisch dafür ist eine Anzeige in einer Reihe von amerikanisch-jüdischen Blättern vom August 1994 mit der Überschrift: <Wenn es um Israels Sicherheit geht, kann keiner Rabin etwas vormachen. Keiner.> Tenor der Anzeige war, daß Rabin als der Mann, der 1967 für Israel die Gebiete eroberte, niemals territoriale Zugeständnisse machen würde, die den Staat gefährden. Für all jene, die sich einlullen lassen von Rabins angeblichen militärischen Glanzleistungen als unerschrockener Führer in der Schlacht vor der Staatsgründung und als siegreicher General bei der Verteidigung des Landes, sollte Dr. Uri Milsteins demnächst erscheinendes Buch The Rabin File ein Weckruf sein. Vielleicht wird eines Tages dann folgende Frage zu den historischen <Was-wäre-wenn>-Gedankenspie-len hinzukommen: <Hätte Milsteins Buch den knappen Sieg der Arbeitspartei verhindert, wenn es einige Jahre früher erschienen wäre?>»
Was in New York als durchaus vernünftige Frage klingen mochte, erwies sich bald als trügerisch. Denn Milsteins Buch - in dem er Rabin der blamablen Feigheit während des Unabhängigkeitskriegs bezichtigt - wurde von seinen Historikerkollegen in Israel in der Luft zerrissen. «Die kommentierenden Ausführungen Milsteins ergänzen nicht die Tatsachen, sie ersetzen sie und werden als Tatsachen aufgetischt», schrieb Dr. Levy Yagil in der Ha'aretz in einer trockenen, aber vernichtenden Kritik.
Isaacs Artikel ist in klarem und nüchternem Stil verfaßt und war - wenn auch auf Schlußfolgerungen aus zweifelhaften Forschungen beruhend - als ernsthafter Beitrag zur demokratischen Auseinandersetzung gemeint. Doch in derselben Ausgabe von
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Outlook findet sich auch der Beitrag eines gewissen J. S. Sorkin, der sich alle Mühe gibt, den Ruf des Ministerpräsidenten zu vernichten, und sich über Rabins angebliche Feigheit hermacht. Die Autoren in Outlook werden immer kurz mit Hinweis auf ihre wissenschaftliche oder organisatorische Tätigkeit vorgestellt, doch unter Sorkins Beitrag hieß es nur, «bevor die Order ausgegeben wurde, man habe dem Händedruck zu applaudieren», habe der Autor «Arbeiten in verschiedenen Blättern veröffentlicht». Ein Wink mit dem Zaunpfahl: Sorkin macht erst gar nicht den Versuch, Isaacs nüchternem Stil zu folgen. Im Gegenteil, er beklagt die «gespenstische Charade der Nobelpreiszeremonie in Norwegen» und den Glauben, wonach der «Weg zum Frieden über einen Staat westlich des Jordan für das alte palästinensische Volk führt, ein Glaube, der in die besten Köpfe Israels eingedrungen ist wie eine <Invasion der Körperfresser>». Er stempelt Rabin zum «Borderline-Alkoholiker, der bekanntermaßen sein Leben lang immer wieder psychische und militärische Rückzüge angetreten hat», und holt am Ende zu folgendem Schlag aus:
«Was immer Rabins persönliches Schicksal sein mag, sein bisheriges Vermächtnis ist belastet von Anschuldigungen, er habe sich 48 als feige vor dem Feind erwiesen, von seinem selbsteingestandenen psychischen Zusammenbruch von 67, seinem Rückzug im Libanon 85*, seinem Rückzug aus Gaza und Jericho 94 und Gott weiß aus welchen Gebieten noch in den kommenden Wochen...
Viel jüdisches Blut ist bereits im Namen des Friedens vergossen worden, und obwohl man darauf vertrauen kann, daß sein Wahnsinn nie obsiegen wird, bleibt die Frage - ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust -, wieviel Blut die Juden noch vergießen müssen, bis dieser erbärmliche Mensch von dannen zieht.»
Als Verteidigungsminister in der Regierung der nationalen Einheit 1984-1988.
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Rabins «Feigheit vor dem Feind» im Jahr 1948 ist eine «Tatsache», die Sorkin bei Milstein auflas. Von anderen Historikern des Unabhängigkeitskrieges wird sie allerdings als die Entscheidung eines Feldkommandeurs bewertet, seine Männer nicht in eine Schlacht zu werfen, die nichts weiter gebracht hätte, als die ohnehin schon ausgebluteten Einheiten noch weiter zu dezimieren. Außerdem griff Rabins Harel-Brigade den Feind 1948 mehrmals an, bis sie die Straße nach Jerusalem freigekämpft und gesichert hatte. Sein «psychischer Zusammenbruch» zwei Wochen vor dem Ausbruch des Sechstagekriegs ist eine Episode, die Rabin mit seltener und vielleicht unvorsichtiger Offenheit in seinen Memoiren schildert. Dagegen half schon ein Beruhigungsmittel und eine gut durchschlafene Nacht. Sein «Rückzug im Libanon 85» war weder der seine noch ein «Rückzug», sondern ein Teilrückzug, befohlen von der Regierung der nationalen Einheit, in der einige Minister entsetzt waren, daß die israelischen Streitkräfte überhaupt so tief in den Libanon eingedrungen waren. Und sein «Rückzug aus Gaza und Jericho» ließ einen Seufzer der Erleichterung durch die Reihen der Soldaten und Reservisten gehen, die Befehl hatten, die israelische Kontrolle über die Million elend dort lebender Palästinenser aufrechtzuerhalten. Sogar Vertreter der Rechten unterstützten den Schritt, der Rabin dann den Friedensnobelpreis einbrachte.
Einige der amerikanischen Rabin-Gegner machten ihrem Ressentiment nicht nur in randständigen Publikationen Luft, sondern mühten sich, ihre Litanei seiner Verbrechen und kleineren Sünden in die amerikanische Mainstream-Presse zu bringen. Meister in diesem Spiel war Dr. Manfred Lehmann, ein Millionär aus Miami, der ein Vermögen damit gemacht hatte, Teile seiner Sammlung von Judaica und seltener Briefmarken zu verkaufen (letztere unter anderen an König Ibn Saud). Von der Ausbildung her Orientalist, tat Lehmann nichts, um seine bodenlose Verachtung für die Araber zu verhehlen, und bezeichnete die Palästinenser bei Gelegenheit als Nazis. Und in den Blättern, für die er regelmäßig schrieb, sparte er nicht mit Hieben gegen die Verfechter des Friedensprozesses. Rabin
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verglich er mit Marschall Petain und Außenminister Yossi Beilin mit Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels.
So überraschte es, daß Lehmann im Oktober 1995 Gast bei einem Abendessen war, das vom Präsidentenehepaar Clinton gegeben wurde, die mit Rabin herzlich befreundet waren. Tatsächlich hatte das Weiße Haus die Einladung an Sam Domb verschickt, der Clintons Wahlkampagne 1992 unterstützt hatte. Domb bat um die Erlaubnis, Lehmann mitzubringen, und die Clintons vertrauten auf sein Urteilsvermögen. Im Laufe des Abends sprach Lehmann Mrs. Clinton an und teilte ihr mit, die Regierung Rabin ließe gewohnheitsmäßig jüdische Frauen brutal verprügeln, die gegen den Osloer Friedensprozeß demonstrierten. Mrs. Clinton gelang es offenbar mit Geschick, eine Antwort auf dieses Gambit zu vermeiden, doch Lehmann gab sein Spiel nicht auf. Denn am nächsten Tag rief ein Journalist im Weißen Haus an und bat sie um ihre Antwort auf das, was sie von Lehmann erfahren habe. Da es für Gäste des Präsidenten nicht üblich ist, den Inhalt von Gesprächen bei privaten Anlässen der Presse mitzuteilen, reagierte man im Weißen Haus erzürnt.
Trotz des Eklats schreckte Lehmann nicht davor zurück, seine Botschaften mittels einer anderen Strategie in der Presse unterzubringen, und diesmal außerordentlich erfolgreich. Im Februar 1996 veröffentlichte eine Reihe amerikanischer Zeitungen, darunter das Wall Street Journal, eine Meldung, die in Washington und Jerusalem großes Aufsehen erregte und den Friedensprozeß zu gefährden drohte. Es ging um eine Ansprache Jasir Arafats bei einem Klausurtreffen arabischer Botschafter in Stockholm. Thema der Rede war, so hieß es, «Der kommende totale Zusammenbruch Israels». In dem Bericht über das Treffen hieß es, Arafat habe den Diplomaten gesagt, mindestens die Hälfte der russischen Einwanderer nach Israel seien Christen oder Muslime, die, wenn der erwartete Bürgerkrieg dort ausbreche, für einen vereinten palästinensischen Staat kämpfen würden. «Wir Palästinenser werden überall die Macht übernehmen, auch in ganz Jerusalem», habe er
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angeblich prophezeit und hinzugefügt, große Schwierigkeiten würde es nicht geben, da die meisten Juden nach Amerika auswandern würden. «Sie müssen wissen, daß wir vorhaben, den Staat Israel zu eliminieren und einen rein palästinensischen Staat aufzubauen. Wir werden den Juden mittels psychologischer Kriegsführung und einer Bevölkerungsexplosion das Leben unerträglich machen; die Juden werden nicht unter uns Arabern leben wollen!» Seine Rede habe Arafat mit einem Aufschrei beendet: «Ich kann mit Juden nichts anfangen; sie sind und bleiben Juden! Wir brauchen jetzt all die Hilfe, die wir von Ihnen bekommen können, in unserem Kampf für ein vereintes Palästina in ausschließlich arabisch-muslimischer Hand.»
Die Berichte lösten auf höchster Ebene derartige Bestürzung aus, daß sich die amerikanische und die israelische Botschaft in Stockholm zusammen mit dem Mossad an die Untersuchung der Angelegenheit machten. Wie sich herausstellte, hatte es tatsächlich ein Treffen arabischer Botschafter in Stockholm gegeben, und Arafat hatte dabei gesprochen. Doch es gab keine schriftliche oder Bandaufzeichnung seiner Rede, und alles, was die Ermittler in die Hände bekamen, waren heftige Dementis der Pressezitate durch Teilnehmer und Arafats Büro in Gaza.
In den Vereinigten Staaten schrieb man die ursprüngliche Meldung einer schwedischen Zeitung namens Dagen zu. Tatsächlich war sie am 16. Februar in einem gleichnamigen Blatt christlichcharismatischer Ausrichtung im norwegischen Bergen erschienen. Verblüfft darüber, daß ein norwegisches Provinzblatt die Riesen der Branche mit einer solch heißen Story übertrumpft hatte, machte sich Akiva Eldar von der Ha'aretz auf den Weg, um die Quelle der Meldung ausfindig zu machen. Beim norwegischen Dagen konnte man nur sagen, daß ein anonymer schwedischer Journalist die Information an einen Reporter des Dagen weitergegeben habe. Die außenpolitische Redakteurin des schwedischen Dagen erinnerte sich, daß ihr und einigen Kollegen die Story ebenfalls von einem «projüdischen Journalisten» angeboten wurde.
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Man habe sie jedoch unter den Tisch fallen lassen, da die eigenen Leute nicht in der Lage waren, die Zitate anhand anderer Quellen zu erhärten.
Schließlich entdeckte Eldar, daß der Bericht zuerst gar nicht in Skandinavien, sondern in New York veröffentlicht worden war, am 9. Februar in American Jewish Week, von niemand anderem als Dr. Manfred Lehmann, einem gebürtigen Stockholmer, der sich enger Kontakte zu seinen schwedischen «Quellen» rühmte. Der anonyme «projüdische Journalist» hatte Lehmanns Story dem norwegischen Dagen untergeschoben, die amerikanischen und israelischen Blätter griffen den Bericht auf, und das Karussell begann sich zu drehen. Seltsamerweise entsprechen die angeblichen Zitate aus Arafats Rede in der Jerusalem Post vom 23. Februar, die ebenfalls dem Dagen zugeschrieben werden, fast wörtlich Lehmanns englischer Fassung. Die Post fügte die noch merkwürdigere Bemerkung hinzu, erstmals seien die entscheidenden Passagen von Arafats Rede schon am 7. Februar in Israel bekanntgemacht worden, und zwar von dem «Off-shore-Sender Arutz 7», der sie gewiß nicht aus dem Dagen hatte, wo die Story erst sieben Tage später erschien.
Wie hatte Lehmann den gesamten Text der angeblichen Arafatrede in die Hand bekommen? Das wollte er nicht sagen. Er sagte Eldar nur, einer der anwesenden Botschafter habe seine Aufzeichnungen «jemandem» in Stockholm überlassen, der sie dann ins Französische übersetzt habe. Der geheimnisvolle Übersetzer gab seinen Text dann einem ungenannten schwedisch-jüdischen Journalisten weiter, der ihn ins Schwedische übertrug und dem norwegischen Dagen übermittelte. Bis zum heutigen Tag gibt es keinen handfesten Beleg dafür, daß Arafat die ihm von Lehmann zugeschriebene Rede jemals gehalten hat, und der Millionär nahm die Wahrheit über seine Rolle in der Affäre mit ins Grab.
Im Juli 1995 waren die Angriffe auf Rabin so heftig und allgemein geworden, daß dem Premier eine grimmige Bemerkung über «eine
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kleine Gruppe Rabbiner in Amerika» entfuhr, «die man besser als Ayatollahs bezeichnen sollte». Anlaß dieser spitzen Bemerkung war ein Vorgang, der gewiß als Krönung der Hetzkampagne gegen Rabin in die Geschichte eingehen wird: der Aufruf zur Gewalt durch eines der angesehensten Mitglieder des rabbinischen Establishments, Rabbiner Abraham Hecht.
Mit seinen dreiundsiebzig Jahren war Rabbiner Hecht ein Mann von großem Einfluß. Der New Yorker Kardinal O'Connor hatte ihm eine Audienz beim Papst verschafft. Bürgermeister Giuliani hatte ihn bei seiner Amtseinführung im Dezember 1993 auf die Ehrentribüne gebeten. Als er im Dezember 1994 New York besuchte, hatte auch Rabin Hecht Zeit und besondere Aufmerksamkeit gewidmet und ihn über die Fortschritte des Osloer Prozesses unterrichtet, was der Rabbiner mit stoischer Ruhe aufnahm. Hecht galt zwar nicht als Halacha-Autorität, doch als Leiter der 54oköpfigen Rabbinical Alliance of America war er als Mann mit exzellenten Beziehungen geschätzt, der die Karriere junger Kollegen voranbringen konnte. Schon früh in seiner Laufbahn hatte er sich politischen Tätigkeiten gewidmet, und während es mit ihm steil bergauf ging, unterstützte er Rabbiner Kahane und schloß sich Dov Hilkinds United Jewish Coalition an. Auch war er eine Säule des Konservatismus in Fragen, die über die Grenzen der Halacha hinausgingen. Als er sich 1989 für Giuliani einsetzte, verkündete er, sein Kandidat werde in einer von Übeln wie vorehelichem Sex, Abtreibungen und homosexuellen Verbrechen korrumpierten Stadt endlich aufräumen, und er unterstützte (wie der örtliche Ku-Klux-Klan) die milde Bestrafung eines Mörders durch einen texanischen Richter, weil dessen Opfer nach dem Wort des Richters «Schwuchteln» waren.
Über ein halbes Jahrhundert lang war Rabbiner Hecht mit der Shaare-Zion-Synagoge am Ocean Parkway in Brooklyn verbunden gewesen, mit einer Gemeinde aus überwiegend reichen, syrischstämmigen Juden. Vielleicht haben sie nicht bemerkt oder waren nicht besorgt darüber, daß ihr geistlicher Führer die Heiligkeit von
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Groß-Israel vor allen anderen Werten verkündete. Nach dem 19. Juni 1995 jedoch war es schwieriger, gleichmütig zu bleiben. Denn an jenem Tag sprach Hecht vor einer Versammlung der International Rabbinical Coalition for Israel - einer Organisation von 3000 orthodoxen Rabbinern zur Rettung der besetzten Gebiete vor dem Friedensprozeß - und machte dabei eine erschreckende Bemerkung. Die Aufgabe irgendeines Teils des biblischen Lands Israel sei eine Verletzung des jüdischen Religionsgesetzes, erklärte er seinen Zuhörern, und so sei es erlaubt und notwendig, Rabin und alle seine Helfer zu töten.
Die Reaktion unter den Zuhörern war gemischt. Viele der Rabbiner unterschrieben eine Erklärung, in der Hechts Ansichten unterstützt wurden. Anderen verschlug es die Sprache. Was immer sie über den Sinn des talmudischen Gebots Din Rodef insgeheim gedacht oder im vertraulichen Gespräch gesagt haben mochten, mit der öffentlichen Verkündung eines solchen Urteilsspruchs ging Hecht entschieden zu weit. Danach besuchten ein paar Kollegen Hecht in seinem Brooklyner Büro und baten ihn inständig, seine Aussage zurückzuziehen. Doch Hecht blieb unerbittlich. «Ich spreche nicht für mich, sondern für das jüdische Gesetz», erklärte er, «und die Aufgabe von Gebieten ist ein schweres Verbrechen im Judaismus». Tatsächlich verschickte Hecht in den Monaten darauf Briefe an amerikanische Rabbiner, mit Kopien für die israelischen Kollegen, in denen er seine Worte wiederholte. Im August 1995 nutzte er das Forum der Jewish Press für einen offenen Brief «an alle Rabbiner in den USA», in dem er bekräftigte, daß «die Thora den Einsatz der äußersten Mittel gegen jene gestattet, die unseren jüdischen Mitmenschen Schaden zufügen». Darüber hinaus erklärte er, die israelischen Offiziere, die nach Amerika geschickt wurden, um den Osloer Friedensplan zu erläutern, seien «hier nicht erwünscht, und wir müssen bereit sein, sie als das bloßzustellen, was sie sind: Feinde des jüdischen Staates und des jüdischen Volkes.»
Am 9. Oktober 1995 bekundete Rabbiner Hecht im New York Magazine, ihm sei «buchstäblich schlecht» wegen des Friedens-
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Prozesses, «denn er frißt mich bei lebendigem Leibe auf». Auf die Frage, wie er sich fühlen würde, sollte jemand aus seiner Erklärung vom Juni den Schluß ziehen, daß er das Recht habe, Rabin zu töten, antwortete Hecht: «Ich würde gar nichts fühlen ... Rabin ist kein Jude mehr. Dieser Mann hat so viel Schaden angerichtet. Das kann ich ihm nicht vergeben.» Zur umstrittenen Erklärung selbst sagte er:
«Ich habe doch nur gesagt, daß gemäß dem jüdischen Gesetz jede Person - nehmen Sie, wen Sie wollen -, die willentlich, bewußt und absichtlich Menschen oder Eigentum oder den menschlichen Reichtum des jüdischen Volkes einem fremden Volk überantwortet, sich der Sünde schuldig macht, die unter Todesstrafe steht. Und bei Maimonides - zitieren' Sie mich ruhig - heißt es ganz klar: Wenn ein Mann ihn tötet, hat er eine gute Tat vollbracht.»
Wie, so fragte sein Gesprächspartner, könne dieses Prinzip mit dem Gebot «Du sollst nicht töten» vereinbart werden?
«Das Gebot sagt, ich soll nicht morden, und nicht, <Du sollst nicht töten>», erklärte Hecht mit einem Glanzstück semantischer Akrobatik. «Wenn es sagt <Du sollst nicht töten>, kann man ja nicht in den Krieg ziehen. Und auch keine Hühner schlachten.»
In der letzten Oktoberwoche gab Hecht, inzwischen überall gefragt, dem Korrespondenten des ersten israelischen Fernsehens, Ya'akov Ahimeir, ein Interview, in dem er nachdrücklich wiederholte: «Ich habe gesagt, Maimonides zufolge gilt für jeden, der Land oder Menschen Israels an Fremde aushändigt - daß jeder, der rasch genug zur Stelle ist, das Vorrecht hat, ihn zu töten.»
«Welcher Schluß ist daraus zu ziehen?» fragte Ahimeir, erstaunt, daß jemand sich derart vor laufender Kamera äußerte. «Daß, Gott bewahre, dem Ministerpräsidenten von Israel Schaden zugefügt werden sollte?»
«Nein, nein -»
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«Sie sagen, daß jeder, der -»
«Ja», bestätigte Hecht. «Aber ich hatte nicht das Vorrecht.» «Was meinen Sie damit, <Ich hatte nicht das Vorrecht>?» «Ganz einfach. Er lebt noch», sagte Hecht lachend. Ahimeir war über das Material, das er auf Band hatte, so bestürzt, daß er beschloß, es nicht zu senden, um nicht Gefahr zu laufen, daß er oder sein Sender der Mordhetze angeklagt würden. Erst nach dem Attentat gab er das Interview frei.
Rabbiner Hechts Ausfälle waren die klarsten in aller Offenheit ausgestoßenen Hetzworte. Als angesehenes Mitglied des orthodoxen rabbinischen Establishments hörten oder lasen Hunderte von Rabbinern seine Tiraden. Nur eine Handvoll widersprach ihnen öffentlich. «Die Stimme Hechts ist nicht die eines einsamen, verrückten Extremisten», fühlte sich das New York Magazine verpflichtet zu erklären, als es das Interview brachte, «sondern die eines wachsenden Chors jüdischer Militanter, die die Grenze einer berechtigten Diskussion überschritten haben und sich das Recht herausnehmen, zur Gewalt aufzurufen - und selbst Gewalt zu üben.»
In diesem Netz war auch der republikanische Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, gefangen.
Ehrengast bei seiner Amtseinführung war Dov Hilkind, ein beliebter Politiker Anfang Vierzig, der mal als offenherzig und schlagfertig, mal als schrullig und laut beschrieben wird. Er war auf der Liste der Demokraten in das Parlament des Staates New York gekommen und hegte Hoffnungen, eines Tages den Weg nach Washington zu schaffen. Hilkind, 1950 im Brooklyner Distrikt Williamsburg geboren, wuchs in der grauen Welt eines selbstauferlegten Ghettos auf, das die orthodoxen Juden als Bollwerk gegen die Assimilation errichtet hatten. Als Sohn von Holocaust-Überlebenden, die sich 1947 in New York niedergelassen hatten, fühlte er sich von Kahanes Evangelium angezogen, das die Zukunft der amerikanischen Juden in apokalytischen Tönen zeichnete, und 1970, als er am Queens College studierte, schloß er sich der Jewish
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Defense League (JDL) an. Er beteiligte sich an deren Patrouillengängen, die die Bewohner der jüdischen Viertel vor der Gewalt armer und zorniger Schwarzer schützen sollten. Hilkind gewann unter den jungen «Milizionären» rasch den Ruf eines geborenen Anführers, der sich besonders bei den «Kommandounternehmen» der JDL und anderen Protestaktionen hervortat. Zusammen mit neun Bundesgenossen wurde er erstmals festgenommen, als die Gruppe die Amtsräume der sowjetischen UN-Botschaft stürmte und sich mit Handschellen an das Tor fesselte. Als Zugabe stürmte er gemeinsam mit einem anderen JDL-Aktivisten die ägyptische Botschaft und entfachte eine Schlägerei, bei der drei Botschaftsangehörige verletzt wurden.
Derlei Gebaren mag Hilkinds Karriereaussichten in der Politik nicht verbessert haben, doch es war Qualifikation genug, uni von Rabbiner Kahane zur rechten Hand in der JDL erkoren zu werden. Seitdem lernte er eine ganz andere Spielart politischer Bildung kennen. Hilkind zog sich 1973 offiziell aus der Führungsriege der JDL zurück und wurde Chef der SOIL (Save Our Israeli Home-land), einer neuen Kahane-Gründung, der Juden auf den Leim gehen sollten, die sich vom kriegerischen Gehabe der JDL abgestoßen fühlten. Kahane hatte sein Hauptquartier inzwischen nach Jerusalem verlegt, befehligte jedoch von hier aus immer noch die New Yorker Operationen. Wie er arbeitete, geht aus einem Brief an ein Führungsmitglied der JDL hervor (der der Village Voice zugespielt wurde):
«SOIL unter Dov H. ist ein gutes Beispiel dafür, was gemacht werden kann. Ich denke, wir sollten Dov zum nächsten Vorstandstreffen [der JDL] einladen, damit er erklärt, was getan wurde und wird. Alle SOIL-Namen sollten diskret der JDL überlassen werden, die diese Leute erst viele Wochen später kontaktieren darf, ohne zu sagen, daß man die Adressen von SOIL hat. Arbeiten Sie eng mit Dov zusammen. Ich habe ihm gesagt, er soll Ihnen zuhören.»
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Und er lauschte und lernte gut. Zwanzig Jahre später nutzte Hilkind immer noch den Namen der angeblich moderaten SOIL, um Zulauf für Demonstrationen gegen das Osloer Abkommen zu gewinnen.
Hilkinds Assistent bei der SOIL war Victor Vancier, ein stämmiger junger Mann, dessen hauptsächliche Arbeit darin bestand, Sprengsätze und Molotowcocktails zu basteln. Seinen Dutzenden von gewalttätigen Attacken auf Schwarze, Mitarbeiter sowjetischer Einrichtungen und Araber verdankte er die Aufnahme in die «Terroristen»-Kartei des FBI. Man konnte ihn schließlich festsetzen und vor Gericht stellen. Er hatte einen Bombenanschlag auf eine sowjetische Diplomatenresidenz in New York verübt sowie während eines Auftritts der Moiseyev Dance Company einen Kanister Tränengas in die Metropolitan Opera geworfen. Im Oktober 1987 wurde Vancier zu zehn Jahren Haft in einem Staatsgefängnis verurteilt, doch schon nach der Hälfte dieser Zeit wurde er entlassen und avancierte zu einem Star der jüdischen Medien New Yorks. In Zev Brenners Samstagabend-Talkshow «Talkline» pries er Baruch Goldstein als «Zaddik» (heiliger Lehrer) und nannte Rabin einen «Verräter und Judenmörder». Als Gastmoderator für zwei Sendungen im Kabelfernsehen, «Positively Jewish» und «Jewish Task Force», nutzte er die Gelegenheit zu Tiraden gegen Schwarze, Araber und NichtJuden im allgemeinen.
Wundersamerweise fiel der Schatten von Vanciers Verbrechen nie auf seinen Chef bei der SOIL, obwohl Hilkind selbst ähnlicher Machenschaften verdächtigt worden war. 1976 stand er vor einem Bundesgericht, weil er nach der Stürmung der nach Entebbe entführten Air-France-Maschine durch ein israelisches Kommando eine Rauchbombe in die ugandische UN-Mission geworfen hatte. Ein Jahrzehnt später verdächtigte ihn das FBI, an der Planung einer Serie von sechs Bombenanschlägen gegen arabische Ziele in New York, Massachusetts und Kalifornien beteiligt gewesen zu sein -bei denen ein Mensch getötet und mehrere verletzt wurden -, doch Beweise gegen ihn waren nicht aufzutreiben. Mindestens fünf
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