
Michael Karpin und Ina Friedman:
Der Tod des Jitzhak Rabin
- Anatomie einer Verschwörung
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Din Rodef und Din Moser
Teil 4
Fundamentalismus und politische Macht
Michael Karpin und Ina
Friedman
Jeder Jude mit einer Frage zu dem Labyrinth von Gesetzen und
Vorschriften, die zusammen als Halacha bezeichnet werden, hat das
Recht, einen Rabbiner seiner Wahl um Klärung zu bitten. Hat er
jedoch einmal den Rat eines Rabbiners eingeholt, ist ein
praktizierender Jude freilich moralisch verpflichtet, ihn zu
befolgen. «Nehme dir einen Rabbiner und erlöse dich von deinen
Zweifeln», lautet ein oft zitierter Spruch, und im Leben der
Orthodoxen und besonders der Haredim ist es selbstverständlich, daß
man Rabbiner in großen und kleinen Angelegenheiten um Rat fragt.
Rabbiner können auch auf eigene Initiative mit Urteilssprüchen an
die Öffentlichkeit gehen - wie es in Israel regelmäßig geschieht -,
doch ob sie außerhalb ihres Kreises eingeschworener Anhänger für
irgend jemanden bindend sind, ist eine strittige Frage. Der einzelne
Rabbiner trägt daher eine große Verantwortung, denn seiner Deutung
der Halacha müssen zumindest jene folgen, die sie erbitten. Wenn er
daher Zweifel in einer bestimmten Frage hat, hat er die Pflicht,
eine höhere und erfahrenere rabbinische Autorität zu befragen.
Dieses Verfahren, dem die selbständigen Gemeinden in der Diaspora
jahrhundertelang gefolgt sind, führt dazu, daß Hunderttausende von
israelischen Juden, deren Lebensform auf der Halacha beruht,
gelegentlich in einer Zwickmühle sitzen. Sie müssen sich entscheiden
zwischen den Vorschriften des menschlichen und des göttlichen
Gesetzes, wie es der Rabbiner ihrer Wahl deutet. In der ganzen
Geschichte Israels waren sich die führenden Politiker und Rabbiner
dieses potentiellen Konflikts schmerzlich bewußt und taten ihr
Äußerstes, um ihn durch eine Mischung aus Kompromissen und
Selbstbeschränkungen einzudämmen.
In den ersten Jahren nach der Staatsgründung war die religiöse
Gemeinschaft noch verhältnismäßig klein und politisch schwach, und
es war für Rabbiner undenkbar, ihre Gefolgsleute in eine Lage zu
versetzen, in der sie zwischen der Treue zur Religion und zum Staat
wählen mußten.
Nach Oslo änderte sich dies dramatisch. Schon lange bevor die
anarchieträchtige Diskussion um Din Rodef und Din Moser
ihren Schatten über die israelische Gesellschaft warf, hatten
führende Vertreter der Religiösen gegenüber der politischen Führung
dreist die Frage gestellt, wer eigentlich bei politischen
Entscheidungen nationaler Tragweite in letzter Instanz das Sagen
habe: die Rabbiner, die sich auf die Halacha beriefen, oder die
gewählte Regierung Israels.
Zum ersten offenen Schlagabtausch kam es Ende März 1994, sechs
Monate nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens und einen Monat
nach dem Massaker an neunundzwanzig arabischen Gläubigen in der
Höhle der Stammesväter in Hebron.
Nach dem Massenmord verhängte das Militär über die 80.000
palästinensischen Einwohner von Hebron eine ganztägige
Ausgangssperre, weil man Vergeltungsaktionen gegen die 450 jüdischen
Siedler der Stadt befürchtete. Nach dem Anschlag hatte die PLO die
Gespräche über die Umsetzung des Osloer Abkommens abgebrochen und
die Räumung der Siedlungen in Hebron gefordert. Rabin befand sich in
einer schwierigen Lage. Er mußte vor allem die Spannungen in der
Stadt abbauen und für die Sicherheit von Israelis und Arabern
gleichermaßen sorgen. Doch zugleich galt es abzuwägen, wie sich die
Räumung einer jüdischen Siedlung im eben angelaufenen Friedensprozeß
unmittelbar und langfristig auswirken würde. Seine Berater machten
ihm zwei Vorschläge.
Der eine lautete, alle etwa 50 jüdischen Familien, die in drei
Arealen in Hebron lebten, in die benachbarte Siedlung Kiryat Arba zu
verlegen. Der zweite lautete, nur die sieben jüdischen
Familien (darunter die des Kach-Anführers
Baruch Marzel) umzusiedeln, die in Wohnmobilen in der Nähe von Tel
Rumeida lebten, das von den anderen beiden Arealen abgeschnitten
war. Die Entscheidung war um so schwieriger, als Rabins oberste
Sicherheitsberater über den richtigen Kurs in dieser prekären Frage
gespalten waren. Der Stabschef der israelischen Armee, Ehud Barak,
war dafür, die Juden aus Tel Rumeida umzusiedeln, doch der Chef des
Shabak, Ya'akov Perry, befürchtete, jeder Versuch, jüdische Siedler
in Hebron umzusiedeln, würde auf gewaltsamen Widerstand stoßen.
Perry malte ein bedrückendes Bild an die Wand: israelische Bürger,
die das Feuer auf die eigenen Truppen eröffneten oder
Massenselbstmorde nach dem Vorbild von Masada begingen. «Es wird
fürchterliche Szenen geben», warnte er mit düsterer Miene.
Die Regierung steckte in einem tiefen Dilemma. Die
Sicherheitslage in Hebron war kritisch, doch man konnte die
Palästinenser nicht unbegrenzt in ihre Häuser einschließen.
Gleichermaßen galt, daß die militanten Siedler den Status quo nicht
kampflos aufgeben würden. Als bekannt wurde, daß es Pläne gab,
jüdische Familien aus Tel Rumeida zu evakuieren, trat das
Hebron-Büro in den Hungerstreik und rief die Bevölkerung auf, ihre
Unterstützung für die jüdische Gemeinschaft durch eine
Großdemonstration in der Stadt zu bekunden. Die Armee antwortete mit
einer Zugangssperre für Hebron, um dies zu verhindern und den
schwelenden Zorn der arabischen Bevölkerung nicht noch anzuheizen.
Und in dieser aufgeladenen Atmosphäre traf sich am 29. März in
Kiryat Arba eine Gruppe von Männern, die sich Rabbinischer Rat für
das Land Israel nannten. Bei der Zusammenkunft sollte ein
folgenreicher Schritt erörtert werden: die Veröffentlichung eines
halachischen Urteilsspruchs, der es den israelischen Soldaten
verbot, einen etwaigen Befehl zur Evakuierung jüdischer Siedler oder
Siedlungen in den besetzten Gebieten zu befolgen. Niemals zuvor
hatten israelische Geistliche auch nur erwogen, die Autorität der
Regierung so grundlegend in Frage zu stellen, und die Stimmung, die sich nun verbreitete, ähnelte einem Finale, an
dessen Ende das Land vielleicht zerrissen sein würde.
haRaw
Avraham Shapira, ehem. aschkenasischer Oberrabbiner Israels
Die Weisen, die sich in Kiryat Arba berieten, waren keineswegs
schlichte Gemüter, die die religiöse Gemeinschaft Israels als
irregeleitete oder übereifrige Außenseiter abtun konnten. Kopf der
Gruppe war der einundachtzigjährige Rabbiner Avraham Shapira,
ehemals Oberrabbiner der Aschkenasim in Israel; zwei hochangesehene
Kollegen standen ihm zur Seite: der gleichaltrige Rabbiner Moshe Zvi
Neria, Träger des Israel-Preises für seine Leistungen in Bildung und
Erziehung und Leiter des nationalreligiösen Jeschiwa-Netzwerks Bnei
Akiva; sowie der fünfundachtzigjährige Rabbiner Shaul Yisrael,
Israel-Preisträger für jüdische Studien und Nachfolger von Rabbiner
Kook als Dekan der fast sakrosankten Jeshiva Mercaz Harav in
Jerusalem.
Diese führenden Vertreter des nationalreligiösen Establishments
waren im hohen Alter allesamt zu Hitzköpfen geworden. Rabbiner Neria
war über die Unterzeichnung des Osloer Abkommens derart empört, daß
er tatsächlich eine neue Version des offiziellen Gebets für das Wohl
Israels schrieb, in dem der Allmächtige angefleht wurde, das Land
«vor seinen Führern, Offizieren und Beratern» zu schützen.
In stundenlangen, quälenden Diskussionen berieten die in Kiryat
Arba versammelten Rabbiner über die Entscheidung. Daß ihr
Urteilsspruch richtig war, zweifelten sie nicht an. Alle waren sich
einig, daß jeder Soldat, der sich gemäß der Halacha verhalten
wollte, die Pflicht hatte, einen Befehl zur Räumung einer Siedlung
zu verweigern. Bereits Rabbiner Kook selbst hatte unter Berufung auf
Maimonides festgestellt, das jüdische Gesetz verbiete es,
irgendeinen Teil des Landes Israel unter nichtjüdische Hoheit zu
geben. Einige der Teilnehmer verfochten leidenschaftlich die
Position, ein religiöser Jude, der gezwungen werde, ein religiöses
Gebot zu mißachten oder ihm zuwiderzuhandeln, habe die Pflicht zum
Widerstand - und dies galt nicht nur für einen Soldaten, sondern für
jeden Juden, den eine Zivilbehörde unter Druck setzte. Doch die
gemäßigteren Mitglieder des Forums schreckten vor einem eindeutigen
Urteil zurück, aus Furcht, es könnte zur massenhaften
Befehlsverweigerung in der Armee führen und damit gerade jenen Arm
schwächen, der die Kontrolle Israels über die besetzten Gebiete
gewährleistete. Statt dessen machten sie den Vorschlag, jeder
religiöse Soldat, der einen Befehl nicht guten Gewissens ausführen
könne, solle aus Gewissensgründen davon befreit werden.
Jedenfalls war nicht klar, wie sich ein Pauschalurteil auf die
militärische Disziplin auswirken würde, und die Rabbiner waren auch
nicht darauf aus, die Anarchie in die Armee zu tragen, sondern den
Ministerpräsidenten einzuschüchtern. «Das ist das einzige, was Rabin
aus der Fassung bringen kann», erklärte Rabbiner Shapira seinen
Kollegen. Für ihn war selbstverständlich, daß religiöse Soldaten die
stillschweigende Konvention kannten, wonach ein Rabbiner von
Shapiras oder Nerias Statur, der ein solch durchgreifendes Urteil
fällt, nicht erwartet, daß es wörtlich genommen wird (eine
Unterscheidung, die in religiösen Kreisen als Unterschied zwischen
«mündlichem» und «geschriebenem Gesetz» bekannt ist). Die Rabbiner
erwarteten von den Soldaten (manche davon selbst Siedler)
allerhöchstens, daß sie einen jeweils eigenen Ausweg aus einer für
sie unangenehmen Lage fanden. Der eigentliche Sinn des
Urteilsspruches war es, Rabin so weit zu bringen, daß er als erster
das Steuer herumreißen mußte. Indem die Rabbiner ein Urteil
veröffentlichten, noch bevor eine Entscheidung über Tel Rumeida
gefallen war, hofften sie zudem, den Schwarzen Peter der Regierung
zuschieben zu können.
Rabin rechnete womöglich damit, daß die Rabbiner sich bereit
machten, den ersten Schuß in einem Duell abzufeuern, das sich am
Ende als bloßer Schlagabtausch in einem Psychokrieg erweisen sollte.
Doch es war schwierig für ihn, jene Männer richtig einzuschätzen,
die den Siedlern und der Nationalreligiösen Partei so eng verbunden
waren. «Sind die verrückt geworden?» fauchte er seine Berater an.
«Wollen die wirklich, daß Soldaten die Befehle ihrer Kommandeure
verweigern?» Andere, die dem nationalreligiösen
Establishment viel näher standen, zweifelten
ebenfalls, ob das Spiel mit bloßem Jammern enden würde. Yoel
Bin-Nun, den die Gefahr einer Konfrontation zwischen der religiösen
Gemeinschaft und der Regierung in Alarm versetzte, fuhr rasch nach
Tel Aviv, um den Stabschef Barak zu warnen, in den besetzten
Gebieten würde es zu einem Aufstand kommen, wenn die Regierung
versuchen sollte, die Siedler aus Tel Rumeida herauszuholen. Und
dennoch, bei einer zweiten Beratungsrunde mit Rabin unterstützte
Barak immer noch den Räumungsplan, während Perry sein
Katastrophenszenario erneut an die Wand malte, so daß die
Entscheidung schließlich allein bei Rabin blieb.
Unterdessen machten die Rabbiner mit einer öffentlichen Warnung
einen weiteren Schritt: «Es ist Pflicht, einen Befehl zur Räumung
einer Siedlung im Land Israel zu verweigern.» Merkwürdigerweise kam
die schärfste Reaktion darauf aus den Reihen der Religiösen selbst.
Die Nationalreligiöse Partei sprach sich auf doppelbödige Weise
gegen die Befehlsverweigerung, aus, «solange die fraglichen Befehle
nicht offen illegal sind». Doch Colonel Eliezer Stern, der
modern-orthodoxe Kommandeur der Offiziersschule der IDF, stauchte
die drei Rabbiner, die das religiöse Dekret unterzeichnet hatten,
heftig zusammen. Bin-Nun schloß sich ihm an. Doch Rabbiner Shapira
hatte nur Verachtung für seine Kritiker übrig und nannte sie
spöttisch «Rebbelach [Rabbinerlein], die vor der Regierung
herumscharwenzeln». Ungewöhnlich barsch erklärte er: «Eine
Entscheidung des säkularen Regimes kann einen Juden nicht binden,
wenn sie dem [religiösen] Gesetz zuwiderläuft.»
Rabin, von der vehementen Sprache verblüfft, beschloß vorsichtig
und strategisch klug zu antworten. Barak wies er an, die Reaktion
auf das Dekret in den Reihen der Armee zu überprüfen, und schon nach
vierundzwanzig Stunden lag das Ergebnis einer Nachfrage bei
religiösen Offizieren ab dem Majorsrang vor. Von den mehreren
Dutzend befragten Offizieren erklärten mit zwei Ausnahmen alle, sie
würden ihre Befehle gehorsam ausführen; Rabin war sich nun sicher,
daß er keine Meuterei auslösen würde, wenn er die Taktik der
Rabbiner auf die Probe stellte. Dennoch entschied er sich gegen die
Räumung der Siedlung Tel Rumeida. Der Loyalität der Armee war er
sich zwar gewiß, doch fürchtete er zu Recht die Reaktion der Siedler
auf einen solchen Schritt - und besonders mögliche Gewalt gegen die
eigenen Soldaten. Zudem versuchte er drei Tage nach dem
provozierenden Dekret, die von den widerspenstigen Rabbinern
verschuldete gereizte Atmosphäre zu beruhigen, indem er den
stellvertretenden Verteidigungsminister Mordechai Gur zu Shapira
schickte, um ihn zu einem Widerruf oder zumindest einer Änderung des
Dekrets zu veranlassen.
Shapira blieb jedoch stur, und man ließ die Angelegenheit auf sich
beruhen.
Diese Entscheidung sollte Rabin noch bereuen. Denn sie trug dazu
bei, daß im spannungsgeladenen Sommer 1995 Vertreter des
Rabbinischen Rates für das Land Israel ein noch dreisteres Urteil
unterzeichneten. Die Rabbiner Chaim Druckman, Nachum Rabinovitch,
Eliezer Waldman und Dov Lior - die zu den lautstärksten und
einflußreichsten Rabbinern im nationalreligiösen Lager gehören -
setzten ihre Unterschriften unter ein Dekret von Shapira und Neria,
das es den Soldaten nicht allein verbot, an der Räumung von
Siedlungen teilzunehmen. «Wir stellen fest, daß es verboten ist,
IDF-Stellungen zu räumen und Gebiete an Nicht-Juden zu übergeben»,
verkündeten die Rabbiner am 12. Juli 1995. Erklärend hieß es, «eine
Dauerstellung der IDF ist de facto eine jüdische Siedlung», und es
sei «einem Juden verboten, auf irgendeine Weise an der Evakuierung
einer jüdischen Siedlung, einer Stellung oder eines Vorpostens
teilzunehmen». Um die Wirkung ihres Entscheids noch zu verstärken,
gemahnten sie die Öffentlichkeit an Maimonides' Gebot, selbst der
Befehl eines Königs müsse verweigert werden, wenn er von einem Juden
verlange, das Gesetz der Thora zu verletzen.
Damals waren die Verhandlungen zum Oslo-II-Abkommen noch nicht
abgeschlossen. Doch wie immer es am Ende aussehen mochte, ganz
Israel wußte, daß es im wesentlichen darum ging, Teile des
Westjordanlands an die Palästinensische Autonomiebehörde zu
übergeben. Der Urteilsspruch der Rabbiner sollte also verhindern,
daß Oslo II jemals unterzeichnet wurde. Die israelische Armee hatte
viele Stützpunkte in palästinensischen Städten und Dörfern, und
selbst wenn kein einziger Siedler infolge des Abkommens gehen mußte
- in der Tat wurde keine Siedlung und kein Siedler nach irgendeinem
der drei zwischen Israel und den Palästinensern in der Zeit vom
September 1993 bis September 1995 unterzeichneten Abkommen evakuiert
-, so war ein Verbot ihrer Schließung im Grunde nichts anderes als
eine Weisung an die israelische Regierung, den Friedensprozeß zu
stoppen.
Diesmal antwortete Rabin energisch: «Das ist eine Aufforderung
zum Gesetzesbruch», erklärte er und befahl Generalstaatsanwalt
Michael Ben-Ya'ir zu prüfen, ob gegen die verantwortlichen Rabbiner
ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet werden könne. Auch
Staatspräsident Ezer Weizman, der Obberrabbiner der Aschkenasim
Yisrael Meir Lau und der ehemalige Oberrabbiner der Sephardim
Ovadiah Yosef verurteilten das religiöse Dekret scharf. Yosef, der
als geistiger Mentor der Shas-Partei (Ultraorthodoxe) beträchtlichen
politischen Einfluß hatte, zeigte sich beunruhigt, das Dekret könne
das Land in einen Bürgerkrieg treiben. Doch nicht einmal diese Rüge
aus den Reihen der religiösen Gemeinschaften hielten Shapira und
Druckman davon ab, sich am 21. September in Kiryat Arba zu treffen,
um das Dekret ausdrücklich zu bestätigen, das Abkommen Oslo II für
«null und nichtig» zu erklären und zu verkünden, man werde «keinen
Ort in Judäa und Samaria aufgeben».
Dennoch leitete man kein Strafverfahren gegen die Rabbiner ein. Der
Generalstaatsanwalt erklärte: «Wer das [rabbinische] Dekret befolgt,
kann mit drei Jahren Haft bestraft werden.» Dennoch ging er unter
Berufung auf den Grundsatz der freien Meinungsäußerung nicht gegen
die Rabbiner vor. Und Rabin ließ die Angelegenheit auf sich beruhen.
Obwohl ihn die Anmaßung der Rabbiner in Wut versetzt hatte, war er
offenbar überzeugt davon, daß es ein großer Fehler wäre, etwas zu
tun, was darauf hinweisen würde, daß er sie als Machtfaktor ernst
nahm. Rabins «Schlacht um den Frieden» kam von einem Abkommen zum
nächsten voran, und mit jedem Schritt wurde deutlicher, daß die
nationalistischen Rabbiner trotz ihrer Bemühungen, sich die
israelischen Soldaten gefügig zu machen, keine Divisionen besaßen.
Eine ganz anders wirkende Drohung war die Wiederbelebung der
Gesetze Din Rodef und Din Moser. Hier ging es
keineswegs um den offenen Aufruf, sich der Regierung in den Weg zu
stellen, sondern um eine heimtückische Flüsterkampagne, die keine
Spuren hinterließ außer Gerüchten und Hörensagen aus zweiter Hand.
Denn in letzter Instanz steckte ein von Rabbinern gebilligter
«Tötungsauftrag» gegen Jitzhak Rabin dahinter. Nur in einem Fall
hinterließ ein Rabbinertrio eine schriftliche Spur, die auf ihre
Verwicklung hinwies. Sie wurde allerdings nie als Beweismaterial in
einem Strafverfahren eingesetzt.
Die Spur bestand aus einem Brief, abgeschickt im Januar 1995 in der
kleinen, oberhalb von Nablus im Westjordanland gelegenen Siedlung
Bracha. Vierzig rabbinische Gelehrte in Israel, den Vereinigten
Staaten, Belgien und Kanada wurden in diesem Brief um Antworten auf
zwei Fragen gebeten:
Sind Ministerpräsident Rabin und die Mitglieder seiner Regierung im
Lichte der Osloer Abkommen und des Rückzugs der IDF aus weiten
Teilen des Gazastreifens als Mosrim zu bezeichnen? Und wenn ja, ist
es notwendig, sie vor der Strafe zu warnen, die ihnen droht, wenn
sie nicht zur Besinnung kommen?
Urheber des Schreibens war Rabbiner Eliezer Melamed, der
vierunddreißigjährige Dekan der Jeschiwa Har Bracha und Sekretär des
Rabbinischen Rates für das Land Israel. Neben ihm zeichneten
verantwortlich für die Umfrage Rabbiner Dov Lior aus Kiryat Arba und
Rabbiner Daniel Shilo aus Kedumin, einer der ersten Siedlungen der
Gush Emunim.
Ihr
Brief beweist, daß Din Moser in einer Reihe von
Gesprächsrunden ernsthaft diskutiert wurde, denn sie behaupten
darin, in der gesamten jüdischen Welt würde man sich ebendiese Frage
stellen...
... weiter p. 170ff
im
Buch von
Michael Karpin und Ina Friedman:
Der Tod des Jitzhak Rabin
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26-10-04 |