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Judentum und Israel
   
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Michael Karpin und Ina Friedman:
Der Tod des Jitzhak Rabin
- Anatomie einer Verschwörung

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Die Hetzkampagne gegen Jitzhak Rabin in Israel mochte noch so roh und schrill sein - verglichen mit der Kampagne in den USA, die sich gemeinhin eines zivilen Umgangstons im politischen Streit rühmen kann, konnte sie einem fast maßvoll vorkommen.

Aus Kapitel 5:
American Connection

Teil 2
Anfangs war es nur ein feiner Riss

Michael Karpin und Ina Friedman

Colette Avital, Israels Generalkonsulin in New York, verfolgte besorgt die immer wildere Hetze gegen Israels Regierungschef Rabin und seinen palästinensischen Partner Jassir Arafat. Die wachsenden Feindseligkeiten, die nationalistisch-orthodoxe Kreise in den USA gegen Israels Regierung schürten, dokumentierte sie die Ausfälle gegen Jitzhak Rabin in einer Liste.

In einem Bericht, den sie zwei Jahre nach dem Händedruck Rabins und Arafats verfasste, listete sie die Namen der Organisationen auf, die an der Offensive gegen die Osloer Verträge beteiligt waren, darunter Americans für ein sicheres Israel, das Weltkomitee für Israel, die Amerikanischen Freunde von Hebron, Pro-Israel, Frauen in Grün, die Zionistische Organisation von Amerika (ZOA), das Jerusalem Reclamation Project, das Central Israel Fund-One Israel, Zo Artzenu, Yesha-One Israel Fund, Operation Kiryat Arba, Operation Chizuk («Stärkung») und das Komitee für die Bewahrung von Eretz Hakodesh (des Heiligen Lands).

Am meisten beunruhigte sie, schon wegen ihrer Mitgliederzahl und ihres Einflusses, die orthodoxe Young-Israel-Bewegung.
Am 19. September 1993, nur sechs Tage nach dem historischen Händedruck auf dem Rasen des Weißen Hauses, gab der Nationalrat von Young Israel bei einem eilends einberufenen Treffen von Ostküstenrabbinern in New York - ihre israelischen Kollegen waren über Satellit dabei - das Signal zum Kampf gegen das Osloer Abkommen.
Young Israel ist eine der mächtigsten Gruppierungen in der orthodox-jüdischen Gemeinschaft Amerikas, mit etwa 20.000 Familien der Mittel- und Oberschicht, die enge Verbindungen zu ähnlichen Kreisen in Israel halten. Der rasch veröffentlichte Appell «für den Widerruf des Osloer Abkommens» hatte einen unmissverständlich aufrührerischen Unterton. Denn bei allen hartnäckigen Streitereien der politischen Lager in Israel waren die Organisationen der amerikanischen Juden bislang stillschweigend der Daumenregel gefolgt, in allen Staatsangelegenheiten die jeweils gewählte Regierung Israels zu unterstützen - oder zumindest nicht gegen sie aufzutreten. Das Gelübde von Young Israel, das Osloer Abkommen zu bekämpfen, spiegelte die Kluft im amerikanischen Judentum wider, die sich zwischen der orthodoxen Gemeinschaft und den konservativen und reformerischen Strömungen aufgetan und seit dem Sechstagekrieg ständig verbreitert hatte.

Anfangs war es nur ein feiner Riß gewesen, vorübergehend gekittet dank der Solidaritätswelle für Israel, die durch das amerikanische Judentum lief, als im Mai 1967 der ägyptische Präsident Nasser seine Truppen zusammenzog und die Straße von Tiran für Schiffslieferungen nach Israel sperrte. Mit viel Energie betrieb man Spendenkampagnen. Tausende von Freiwilligen wollten nach Israel fliegen und dort für die Reservisten einspringen, deren Einberufung die Wirtschaft fast lahmgelegt hatte. Das America-Israel Public Affair Committee (AIPAC), die wichtigste pro-israelische Lobby in Washington, legte Überstunden ein, um die Unterstützung von Wirtschaftsbossen und Kongreßmitgliedern für den bedrohten Staat zu gewinnen, und bewies dabei erstmals seine beeindruckende Stärke. Als den amerikanischen Juden am Ende des Juni-Blitzkrieges aufging, was für einen überwältigenden Sieg Israel errungen hatte, waren sie ebenso begeistert wie die Israelis selbst. Diese brüderlichen Gefühle wurden noch verstärkt durch ein unterschwelliges Schuldempfinden: Als das Gespenst der Vernichtung das letzte Mal aufgetaucht war, während des Holocaust, war es der Führung der amerikanischen Juden nicht gelungen, ihre Regierung für die Sache der europäischen Juden zu mobilisieren.

Die orthodoxen Juden allerdings hatten noch einen dritten Beweggrund: eine religiöse Erweckungsbewegung, die zugleich auch den Charakter der national-religiösen Gemeinschaft in Israel selber veränderte. In einem Artikel der von Young Israel herausgegebenen Vierteljahresschrift Viewpoint (Winter 1993) beschrieb Rabbiner Simcha Krauss von der New Yorker Gruppierung Young Israel of Hillcrest die Auswirkung des Sieges auf die orthodoxen Juden in den Vereinigten Staaten einerseits und seine Bedeutung für die Menschen, die ihn persönlich errungen hatten, andererseits.
«Für Rabin und andere israelische Führer, die keinen Sinn für die spirituellen Dimensionen unseres Vermächtnisses haben, war der Sieg im Sechstagekrieg in Wahrheit nur ein militärischer. Das Land, das damals befreit wurde, hatte für sie keine besondere Bedeutung. Für jene von uns, die yirei shomayim (gottesgläubig) sind, war die spirituelle Bedeutung des Sechstagekriegs überwältigend, und das Land, das er uns eingebracht hat, hat unser Leben verändert. Nicht nur hat es unseren Stolz, Juden zu sein, erneuert, sondern auch Tausende von Juden dazu angeregt, sich auf die spirituelle Suche zu machen und die Bewegung der B'alej Tschuwah (Rückkehr zur Religion) in die Wege zuleiten.»

Nach der Eroberung (oder, laut Krauss, «Befreiung») von Großisrael entwickelte sich eine enge Symbiose zwischen den orthodoxen Lagern auf beiden Seiten des Ozeans. Die Zahl der orthodoxen Touristen, die nach Israel fuhren, schnellte ebenso in die Höhe wie die der Studenten, die für ein Jahr oder länger an speziellen Jeschiwah-Seminaren teilnahmen. Tausende junger orthodoxer Amerikaner siedelten sich in den besetzten Gebieten an, und Stiftungen für national-religiöse Projekte - wie die JRP, der Yesha-Rat und die Gemeinde von Hebron - konkurrierten mit den schon etablierten Kampagnenorganisationen United Jewish Appeal und Israel Bonds um die Gelder orthodoxer Spender.

Besuche von israelischen Rabbinern und rechten Politikern in den USA taten das ihre, um die amerikanischen Freunde auf Trab zu bringen. Besonders gefragt für Vortragsreisen durch die orthodoxen Gemeinden war Ariel Sharon, der einige Male von Yehiel Leiter vom Yesha-Rat begleitet wurde. Dieser hatte das Organisationsbüro seiner Spendenkampagne schon 1992 nach New York verlegt und berichtete im Dezember 1993, man habe in den letzten anderthalb Jahren 1,5 Millonen Dollar an die Siedler überwiesen. Rusty Moslow, der Präsident von Pro-Israel, prahlte ebenfalls, daß die Antwort auf 160.000 Briefe, die man im Gefolge des Osloer Vertrags verschickt hatte, «unerwartet gut» gewesen sei. Andere Likud-Größen wie der ehemalige Ministerpräsident Jitzhak Shamir, der Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert und der Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu, traten ebenfalls den Weg durch die Vortragssäle an.

Die Konkurrenz um amerikanische Gelder für die Siedlungen war so groß, daß es unweigerlich zu häßlichen Konflikten kommen mußte. Im Dezember 1993 zum Beispiel erhob Jack Avital, der Vizepräsident des Weltkomitees für Israel, gegen Benjamin Netanjahu den Vorwurf, er habe für den Yesha-Rat bestimmte 200.000 Dollar zum Abbau des riesigen Likud-Schuldenbergs verwendet. Der Likud entgegnete, das Geld sei für eine große Demonstration verwendet worden, die zusammen mit anderen Gruppen im Gemeinsamen Führungsstab organisiert worden sei - womit er freilich unabsichtlich preisgab, daß die Spenden aus den Vereinigten Staaten halfen, die Hetzkampagne gegen Rabin zu finanzieren.

Hier lag der Gegensatz, der sich dann zu einer Kluft verbreitern sollte, zwischen der orthodoxen Gemeinschaft in Amerika und den Konservativen und Reformern in Israel, ganz zu schweigen von den zahllosen amerikanischen Juden, die sich keiner religiösen Strömung zuordnen, doch ihre Identität als Juden bewahren. Da letztere keine ideologischen oder institutionellen Bande mit den entsprechenden israelischen Kreisen geknüpft hatten, engagierten sie sich nicht so vehement und direkt für Israel wie die orthodoxen Juden. Die jährlichen Umfragen des American Jewish Committee zeigen diesen Unterschied. In der Befragung von 1995 z.B. sagten 72% der Orthodoxen, sie fühlten sich Israel «sehr verbunden», verglichen mit 13% der reformerisch eingestellten Juden. Zwar stellen die Orthodoxen nur etwa ein Zehntel der sechs Millionen Juden Amerikas, die israelischen Orthodoxen hingegen ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, doch inspirieren und unterstützen sich die beiden Gemeinschaften in hohem Maße. Ihr passionierter Glaube und nicht ihre Zahl sorgte für ihren politischen Einfluß.

Die Gebietseroberungen von 1967 veränderten laut Rabbiner Krauss das Leben der orthodoxen Juden in den Vereinigten Staaten grundlegend. Doch es gab einen weiteren «Tag, der unsere Welt verwandelt hat», den 13. September 1993, als das Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO unterzeichnet wurde. Yaakov Kornreich, ein Journalist, der für verschiedene orthodox-jüdische Zeitschriften schreibt, hat unter ebendiesem Titel seine Eindrücke und Gefühle beschrieben, als «ein Vertrag öffentlich besiegelt wurde, der eines Tages das Leben jedes einzelnen Juden verändern wird». Während andere Beobachter auf der ganzen Welt Rührung oder Begeisterung darüber empfanden, daß sich einstige Feinde auf friedliche Weise ein Land teilten, das Konflikte ein Jahrhundert lang zerrissen hatten, dachte Kornreich ganz anders: «Wir sahen erschrocken und ungläubig zu», erinnerte er sich, «sprachlos und hilflos außen vor stehend, als die Heimat von 130000 Juden [in den besetzten Gebieten] mit einem Federstrich vielleicht für immer hergegeben wurde.»

Sechs Tage nach dem schicksalhaften Federstrich in New York trafen die Rabbiner der Young-Israel-Bewegung zusammen und antworteten auf den Schock mit einem Aktionsplan. Keiner machte den Vorschlag, erst einmal abzuwarten, um zu sehen, ob Kornreichs Befürchtung über das Schicksal der Siedler zutraf. Niemand dachte daran, erst einmal Luft zu holen und dem Frieden eine Chance zu geben. Mit der Unterstützung schlachterprobter Kämpfer wie Rabbiner Herbert Bomzer aus Brooklyn führten der Präsident von Young Israel, Chaim S. Kaminetzki, und Geschäftsführer Rabbiner Pesach Lerner die Bewegung ganz im Sinne jener Mitglieder, die nach Israel emigriert waren und Dutzende von neuen Gruppen in den besetzten Gebieten aufgebaut hatten. Und Young Israel war nicht alleine. In den amerikanischen orthodoxjüdischen Kreisen war man entschlossen, das gerade unterzeichnete Osloer Abkommen mit allen Mitteln zu bekämpfen: mittels Gebeten, Versammlungen, Demonstrationen, Rundbriefen, Leserbriefen, Radio- und Fernsehsendungen und vor allem mittels Druck auf Lokal- und Bundespolitiker. Dieser Mühsal hätte man eigentlich das Prädikat «Graswurzelbewegung» in der besten Tradition der amerikanischen Demokratie verleihen können, hätte sie nicht voll blindem Haß das Ziel verfolgt, eine demokratisch gewählte Regierung in einem 12000 Kilometer entfernten Land zu stürzen.

Am 13. Dezember 1993 vermerkte Colette Avital in ihren Aufzeichnungen die ersten Demonstrationen von Aktivisten der AntiOslo-Bewegung. 300 Leute hatten sich auf dem Times Square versammelt, die meisten von ihnen mit Gebetskäppchen und Plakate schwingend, auf denen es hieß: «Macht Israel nicht zu einem zweiten Libanon» und «Jüdisches Blut ist nicht billig», während sie den Reden von Rabbiner Abraham Hecht, des Parlamentariers Dov Hilkind, des Stadtrats Anthony Wiener und des Geschäftsmanns Sam Domb lauschten. Von Zeit zu Zeit stürmten Demonstranten auf die Straße und blockierten den Verkehr auf dem Broadway, bis der Polizeikordon sie zurückdrängen konnte. Die Demonstration wurde vom World Committee on Israel getragen, unter Führung des inzwischen verstorbenen Dr. Manfred Lehmann, der sie als «überparteilichen Protest» bezeichnete, weil «die alten und etablierten jüdischen Organisationen gelähmt» seien. Robert Friedman von der Village Voice fiel ein junger Demonstrant im Parka auf, der die Mütze der New York Ranger und eine Sonnenbrille trug. Warum er gekommen sei? «Rabin ist schlimmer als Hitler. Hitler war ein Goi, der Juden getötet hat. Rabin ist ein Jude, der Juden tötet. Rabin sollte umgebracht werden.»

Damals war dies noch eine vereinzelte Stimme; Rabbiner und andere führende Vertreter der orthodoxen Gemeinschaft schreckten vor solch hanebüchenen Vergleichen noch zurück. Dennoch, die Demonstration war ein Dammbruch. Zum ersten Mal ertönten Rufe wie «Tötet Rabin» und tauchten Plakate mit den Worten «Rabin - Verräter» in der Menge auf. In Israel erlebte man dies erst vier Monate später.

Voll Zorn über eine derart unerhörte Sprache beklagte sich Colette Avital direkt bei Malcolm Hoenlein, dem Direktor des einflussreichen Präsidentenrats von zweiundfünfzig großen jüdischen Organisationen. «Das ist verbale Gewalt», fauchte sie und verlangte eine scharfe Verurteilung der Hasstiraden. «Das ist ansteckend und muss im Keim erstickt werden.» Doch Avital war nicht die einzige, die Hoenlein anrief. Die Leiter von Young Israel und der ZOA, die von ihrem weit rechts stehenden Präsidenten Morton Klein zu den Demonstrationen geführt worden war, setzten Hoenlein unter Druck, er solle neutral bleiben. Selbst bekannte Verfechter des Friedens rieten zur Zurückhaltung, da ein Protest den Aktionen einer kleinen Minderheit weitere Aufmerksamkeit verschaffen würde. Schließlich brachte Hoenlein seine Missbilligung zum Ausdruck - ohne nennenswerte Wirkung...
>>> Fortsetzung folgt:

Auf dem Weg zum 4.November:
Die Propaganda gegen Arafat bereitete den Weg
für die Hetze gegen Rabin

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Gott führt Krieg

Der Mord an Rabin in den Augen eines israelischen Linken...

hagalil.com 04-11-2004

 


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