Zum Psychogramm des religiösen
Fundamentalismus:
Der Eifer gegen die Freiheit
v. Dr. Theodor Much
Die uns heute so geläufige Bezeichnung
"Fundamentalismus" hat ihren Ursprung
in einer Reihe von Broschüren, die strenggläubige Christen zwischen den
Jahren
1910 und 1915 in den USA unter dem Titel "A Testimony of the Truth"
veröffentlichten. Die Autoren beabsichtigten, so die Fundamente ihres
Glaubens
als "Bollwerk" gegen allzu moderne Ideen zu stärken, wobei u.a. die
"absolute
Autorität der Bibel" ( so wie die "Jungfrauengeburt" und die "Wiederauf-
erstehung des Jesus") besonders hervorgehoben wurden.
Reaktionsmuster religiöser
Fundamentalisten
Für religiöse Fundamentalisten –
wie wir sie heute verstehen – sind folgende, stets anzutreffende
ideologisch motivierte Reaktionsmuster charakteristisch:
- 1. Der unbedingte Glaube
an die absolute Unfehlbarkeit der gesamten heiligen Schriften (egal ob
schriftliche und mündliche Thora, Neues Testament oder Koran).
Diese Schriften sind für sie
"Gottes wortwörtliches Diktat", wobei die menschlichen Wesen, die uns
diese Worte Gottes übermittelten, selbstverständlich "jedes dieser Worte
fehlerlos weitergaben".
Für jüdische Fundamentalisten sind
daher einzelne (den meisten von uns absurd anmutende) biblische
Forderungen, wie z.B. die Todesstrafe für das eigene "rebellische" Kind
(5 Mose, 21.18-21) oder die "Bitterwasserprobe" für Frauen, die im
Verdacht standen, Ehebruch begangen zu haben (4 Mose, 5.11.-31), bzw.
das Gebot, Amalek auszurotten (1. Sam.15), wortwörtliche
(unreflektierte) Befehle Gottes, die man "genau so ernst nehmen müsse
wie etwa die ethischen Grundgebote der Thora".
Strenggenommen handelt es sich aber
um einen jüdischen Pseudofundamentalismus, denn einerseits glauben all
diese Gruppierungen, daß jedes Wort der Thora auf die göttliche
Offenbarung an Moses zurückgeht (daher auch "nichts verändert werden
darf"), andererseits akzeptieren sie doch das Ausserkraftsetzen
biblischer Gesetze (so verloren beispielsweise sämtliche Kapitalstrafen
und auch andere biblisch fixierte Gesetze, spätestens noch in
talmudischen Zeiten zwischen dem 2. und dem 5. Jahrhundert n.d.Z., ihre
Gültigkeit).
Gleichzeitig erwartet das
(ultra)orthodoxe Judentum das Wiederinkrafttreten aller, heute nicht
mehr praktizierter Gebote nach dem Kommen des Messias und dem
Wiederaufbau des Tempels.
- 2. Opposition gegen
"Modernität", so daß im Falle von Widerspruch zwischen dieser Modernität
und der Tradition, die Tradition immer im Recht ist.
Aus dieser Geisteshaltung ist auch
die Ablehnung jeder historisch-wissenschaftlich fundierten Bibelkritik
zu verstehen.
- 3. Die Negierung des
religiösen Pluralismus innerhalb der eigenen Religion.
- 4. Das Bestreben einiger
besonders fanatischer Gruppierungen (innerhalb des breiten Spektrums der
Orthodoxie), ihr Verständnis der Religion andersdenkenden Staatsbürgern
– auch mittels Gewalt – aufzuzwingen und Bekämpfung der staatlichen
Trennung zwischen "heilig" und "säkular".
Die Bedrohung
durch die Modernität
Für Psychologen / Psychiater / und
Soziologen sind derartige Geisteshaltungen pathologische Reaktionen auf
Ängste vor Veränderungen, Veränderungen oder Ende einer Welt, die sie
kennen und auf die ihr Selbstverständnis und Selbstvertrauen aufgebaut
sind. Folgerichtig versuchen sie daher, "ihre Werte" gegen die Bedrohung
durch "Modernität" / "Säkularismus" / "die Intellektuellen" / "den
Westen" in möglichst perfekter und aggressiver Weise, ohne einen Hauch
von Selbstkritik oder Kompromissbereitschaft, zu verteidigen.
Fundamentalismus ist daher stets
vielmehr eine Reaktion auf eine Herausforderung als die Bekräftigung
einer Sache, es ist auch der – meist untaugliche – Versuch das Rad der
Zeit zurückzudrehen, indem z.B. dem Ritual eine übermächtige Stellung
eingeräumt wird.
In einem solchen Tun besteht
zwangsläufig die große Gefahr, dass eine – im Grunde ethisch
hochstehende – Religion zum Götzendienst verkommt. Um mit
Erich Fromm
zu sprechen: In der jüdischen Religion wird immer wieder auf die enorme
Gefährlichkeit des
Götzendienstes hingewiesen. So heißt es im Talmud: "Wer den
Götzendienst ablehnt, erfüllt gleichsam die ganze Torah" (Talmud, Hullin
5a).
In der späteren Entwicklung wurde die Besorgnis laut, daß sogar
religiöse Akte sich in Götzenanbetung verwandeln könnten. So sagte einer
der großen chassidischen Meister, der Kotzker Rabbi: "Das Verbot der
Herstellung von Götzen schließt das Verbot ein, auch die Mizwot (die
religiösen Handlungen) zu vergötzen. Wir wollen uns nie einbilden, der
Hauptzweck einer Mizwa sei ihre äußere Form, und ihre innere Bedeutung
sei zweitrangig. Wir wollen genau die entgegengesetzte Haltung
einnehmen".
Aus: Theodor Much und Karl Pfeifer,
Bruderzwist im Hause Israel.
Judentum zwischen Fundamentalismus und Aufklärung.
Kremayr & Scheriau, Wien 1999
Hass auf die Moderne:
Juden, Schwule…
und jetzt Freimaurer
In diesen drei Gruppen bündelt sich aller Horror, den religiöse Eiferer (welchem
Führer- oder Familienprinzip sie auch immer huldigen) empfinden...
haGalil onLine
12-04-2000
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