Da war doch noch was:
Spannungen und Kontraste im israelischen Kulturbetrieb
Musik jenseits der Regale:
Ein Porträt Josef Bardanashvilis
Sein Lieblingsfoto zeigt ihn mit einem Miniaturpiano,
den Partituren seiner wichtigsten Werke und einem Korb voller
Lebensmittel: Cornflakes, Tütensuppen und grünen Zwiebeln. "Das bringt
mein Leben in Israel auf den Punkt”, sagt Josef Bardanashvili,
Immigrant, virtuoser Komponist und für eine Weile auch Aushilfe in einem
Tel Aviver Lebensmittelladen. Aber sein verschmitztes Lächeln erzählt
mehr: die Geschichte eines musikalischen Genies, das in der Mitte des
Lebens Ruhm und Erfolg hinter sich läßt und ganz von vorn beginnt, ohne
dabei das Gesicht zu verlieren.
Bardanashvili wurde 1949 am Schwarzen Meer geboren. 1995 kam er nach
Israel, mit einer beeindruckenden Erfolgsgeschichte auf musikalischem
Gebiet im Gepäck. Nach der Promotion an der Musikakademie in Tbilissi
war er Hauskomponist des weltberühmten Rustavelli-Theaters und Leiter
der Musikakademie in Batovei. Bardanashvili hat internationale
Musikfestivals organisiert und selbst zahlreiche Preise gewonnen. Als
georgischer Kulturminister hat er schließlich auch Erfahrungen in der
Politik gesammelt. Unter seinen Kompositionen finden sich Symphonien,
Konzerte für Violine, Gitarre, Klavier und Cello, Streichquartette und
Klaviertrios. Hinzu kommen Chormusik, eine Rockoper, ein Rockballett,
Musik für mehr als 20 Filme und 40 Theaterproduktionen. Er spielt
Klavier und Trompete. Außerdem malt er. Schließlich ist er ein
außerordentlich freundlicher und entgegenkommender Mensch, der sich
selbst nicht zu wichtig nimmt.
Etwas besseres hätte der israelischen Musikszene nicht passieren können.
Aber so langsam, wie die Schlangen im Einwanderungsministerium
vorrücken, geht auch die Entdeckung von Talenten vonstatten. Irgendwann
ist deine Nummer an der Reihe, aber bis dahin braucht es viel Geduld.
"Mir war klar, daß ich bei Null anfangen würde”, sagt Bardanashvili ohne
ein Zeichen von Bitterkeit. Seinen ersten Auftrag, die Musik für ein
Stück des inzwischen verstorbenen Hanoch Levin ("Damals hatte ich noch
keine Ahnung, wer das war”), bekam er über einen befreundeten
Produzenten – "ein Mitglied der russischen Musikmafia”, scherzt
Bardanashvili. Seine Komposition erhielt viel Beifall, und Bardanashvili
war sicher, mit einem Fuß in der Tür würde er den zweiten schnell
nachziehen können. Aber sein Telefon blieb nach diesem ersten Erfolg
stumm.
Bardanashvili war mit seinen Eltern nach Israel gekommen; seine Tochter,
heute verheiratet und Mutter von zwei Kindern, war einige Monate zuvor
eingewandert. Ohne festes Einkommen, mit einer Familie und einer Miete,
die bezahlt werden mußte, nahm der Musiker einen Job als Aushilfe in
einem Lebensmittelladen in Tel Avivs Sheinkin-Straße an. Während er
Waren in die Regale räumte, komponierte er im Kopf Symphonien, und die
Gespräche mit Kunden nutzte er, um sein Hebräisch zu verbessern. "Ich
wußte, das würde nicht immer so bleiben”, sagt Bardanashvili über seine
halbjährige Lehrzeit in israelischer Gesellschaftskunde.
Er sollte sich nicht geirrt haben. Auf die Thunfischdosen folgten
Auftragskompositionen für das Cameri-Theater in Tel Aviv und das Theater
in Haifa, das Ensemble Musica Nova und das Musikfestival von Kfar Blum.
Seine Musik für die Inszenierung des "Dybbuk” am Habima-Theater wurde
mit dem Margolit-Preis ausgezeichnet, und 1998 erhielt Bardanashvili den
Preis der Israel Artist’s Academy für den besten Komponisten des Jahres.
Er ist Hauskomponist des Symphonieorchesters Ra’anana. Eine seiner
Kompositionen für dieses Ensemble, "Children of God”, kam auf dem
letztjährigen Israel Festival zur Uraufführung, mit Countertenor David
De’or in der Begleitung von Eti Ankri und dem Chor der Mönche der
Armenischen Kirche Jerusalem. "Children of God” ist Bardanashvilis Ode
an die interkonfessionelle Gemeinschaft und etwas, das er
"pluralistischen Universalismus” nennt.
Bei allem Erfolg ist Bardanashvili immer noch frustiert wegen seiner
angeblichen sprachlichen Unbeholfenheit. Obwohl er längst fließend
Hebräisch spricht, ist dieser hochtalentierte Mann fest davon überzeugt,
daß er die Sprache nicht beherrscht. Er entschuldigt sich für Fehler,
die er nicht macht, und behauptet, er komme sich vor wie ein Kind, das
gerade erst lernt, sich auszudrücken. Gegenüber seinen Studenten an der
Tel Aviv Music Academy fühle er sich befangen und nicht in der Lage, so
offen zu sein, wie er gerne wäre. "Wenn ich aus dem Unterricht komme,
bin ich leer wie eine ausgequetschte Zitrone”, sagt er.
Bardanashvili gibt zu, daß seine Musik schwer zu definieren ist. Während
seiner nächtlichen Wanderungen am Strand komponiert er modern und
klassisch (zu seinen Vorbildern gehören Bach, Mahler und Stravinsky),
Folk und sogar Jazz. Er zeichnet eine imaginäre Karte auf den Tisch
eines Jerusalemer Cafés. "Sowohl mein Temperament als auch meine
Weltanschauung sind beeinflußt vom Osten wie vom Westen”, sagt
Bardanashvili, der seine Arbeiten der "konzeptionellen Musik” zurechnet.
Er seufzt, unsicher, ob er sich verständlich gemacht hat: "Wissen sie,
Schweigen ist auch Musik.”
Genauso ist es mit Soundeffekten. "Sie können eine komplette Geschichte
erzählen”, glaubt Bardanashvili und bezieht sich damit auf eine seiner
großen Lieben: die Filmindustrie. "Filmmusik wird ganz sicher einen
großen Einfluß auf die gesamte Musikszene haben”, prophezeit er. Seit er
in Israel lebt, hat er die Musik für fünf Filme geschrieben, aber er ist
etwas frustriert von der Angewohnheit vieler israelischer Regisseure,
einfach ein paar ‘amerikanische Töne’ hinzuzufügen. "Die Regisseure
lassen dem Komponisten keinen Raum. Sie kommen mit einem fertigen Skript
und einer festen Vorstellung von dem, was sie wollen. Und meistens
wollen sie die Musik bis vorgestern”, klagt Bardanashvili. Für ihn sind
es die Musik und die Soundeffekte, die die Stimmung eines Filmes
ausmachen. "Die Musik soll den Film nicht bestimmen, aber man soll sie
spüren.”
Getreu seinem Naturell bleibt Bardanashvili trotz allem optimistisch und
ist überzeugt, daß er der israelischen Filmindustrie viel zu geben hat.
Wie auf Stichwort klingelt sein Handy. Später entschuldigt er sich für
die Unterbrechung und fügt hinzu: "Das war ein Produzent, der eine
Filmidee mit mir diskutieren möchte.” Er zuckt die Achseln und setzt
sein ansteckendes Lächeln auf: "Wer weiß, vielleicht ist das der Beginn
meines sechsten Films in Israel.”
Shelley Kleiman
(Aus dem Tarbuton, Kulturabt. des isr.
Außenministeriums)
Kurz beleuchtet:
Europa - Nahost
Kultur und Links, aus der Fremde ... in die Fremde?!...
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