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Judentum und Israel
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Israel und Deutschland:
Gedanken zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit

Hanan Bar-On

Der "Oxford Dictionary" der Physik beschreibt die Holographie als eine Methode zur Speicherung und Wiedergabe des dreidimensionalen Bildes eines Gegenstands mittels kohärenter Laserstrahlung. Das Laserlicht spaltet sich, so dass ein Teil vom Richtstrahl unmittelbar auf die fotografische Platte fällt, während der andere den Gegenstand erleuchtet und von ihm reflektiert wird. Analogien stimmen nie ganz genau, und doch scheint es so, dass Juden und Israelis auch am Ende des 20. Jahrhunderts beim Blick auf Deutschland und einige andere Teile Europas durch ein Glas nicht unähnlich dem Holographen schauen. Das Ergebnis ist in mancherlei Hinsicht eine Art Hologramm, wie es das Lexikon beschreibt: Es wird zwar durch das kohärente Licht eines originären Richtstrahls beleuchtet, doch enthält es zwei Arten gebrochener Wellen, von denen die eine das eigentliche, mit dem ursprünglichen Gegenstand übereinstimmende Bild wiedergibt, während die zweite ein wirkliches Bild auf der anderen Seite des Bewusstseins erzeugt.

Der Richtstrahl unseres Gedächtnisses und deshalb des eigentlichen Deutschlandbildes wird stets der Holocaust sein. Aber die zweite dieser gebrochenen Wellen ist ebenfalls deutlich, nämlich die Wirklichkeit Deutschlands - und Europas - von heute und von seiner Geschichte in den letzten 45 Jahren. Wie in der Holographie ist es nicht immer einfach, die beiden Bilder gegeneinander abzuwägen. Sie überlappen sich, zuweilen zusammenfallend, zuweilen auseinanderlaufend, notwendigerweise gefärbt durch die vieltausendjährige Geschichte eines jeden der Völker.

Es ist diese Doppelgesichtigkeit, die es nicht leicht macht, sogar einige der dauerhafteren Faktoren in den Beziehungen der zwei Völker zu prüfen und zu bewerten, die während der letzten Jahrzehnte jenseits des Auf und Ab unserer täglichen Befangenheiten geschaffen worden sind. Einer von ihnen, und wohl einer der solidesten, ist die Naturwissenschaft. Das kann eigentlich nicht überraschen. Naturwissenschaften im allgemeinen und Grundlagenforschung im besonderen sind wesentlich und in des Wortes eigentlichster Bedeutung zukunftsorientiert. Die intellektuelle Neugier jedes einzelnen stellt ihren maßgeblichen Antrieb dar. Das Streben der Menschen nach Entdeckung der Naturgesetze kann nicht durch politische Weisungen eines Kollektivs reguliert werden. Während niemand frei ist von eigenen Bildungserfahrungen, mögen Wissenschaftler aufgrund ihrer Berufswahl unabhängiger als andere vom ihnen auferlegten Gewicht der Geschichte sein. Es kann deshalb nicht erstaunen, daß es deutsche und israelische Wissenschaftler waren, die, als Einzelne und in Institutionen, ohne die Vergangenheit zu vergessen, Wege harmonischer Zusammenarbeit zu finden vermochten.

Wissenschaftler beider Länder haben in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten eine feste Brücke gemeinsamer Interessen und persönlicher Verbindungen gebaut. Doch wissen auch sie, daß dies nur einen, wenn auch einen wichtigen Teil im Beziehungsgeflecht der beiden Länder ausmacht, das nun einmal vom Gewicht der Geschichte belastet ist.

Das ist indessen nicht alles. Beide wissenschaftlichen Gemeinschaften sehen sich trotz erheblicher Unterschiede in Größe und Ressourcen gemeinsamen Problemen auch jenseits der aktuellen Forschungsgebiete gegenüber, in welchen sie tätig sind. Probleme, die sich nicht trennen lassen vom vorherrschenden politischen, sozialen und kulturellen Klima.

Juden und Israelis hegten seit 1945 und bis 1990 die Hoffnung auf die feste Verankerung der Bundesrepublik Deutschland in den Westen, was gewiß in jener Zeit als der tiefverwurzelte Wille und die Überzeugung der Mehrheit ihrer politischen Führung und ihrer kulturellen Eliten anzusehen war. Zunächst und in erster Linie durch ihre europäischen Partnerschaften, und vor allem die so wichtige besondere Beziehung zu Frankreich. Diese Hoffnung gründete sich auch auf die atlantischen Bindungen, die außerhalb Europas als Garantie dafür galten, daß die kulturellen und damit auch die politischen Ideale der Bundesrepublik, ebenso wie diejenigen ihrer europäischen Partner, aufs engste mit denen der Vereinigten Staaten verknüpft blieben. Das bedeutete, daß die wesentlichen Ideale, die stets eine so wichtige Rolle in der Politik der USA gespielt hatten, für Deutschland und weite Teile Westeuropas Grundsätze der eigenen Denkweise und Politik geworden waren. Diese Ideale waren und bleiben Rechtsstaatlichkeit, Bewahrung der Menschenrechte und Demokratie. Das heikle Gleichgewicht zwischen Nationalgefühl und der offensichtlich verwirklichten Orientierung der westlichen Politik an umfassenden Idealen geriet mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion jedenfalls teilweise ins Stocken. Wirtschaftliche und damit soziale und politische Fragezeichen wurden am Horizont fast aller Industrieländer sichtbar. Die sozialen und politischen Folgen der deutschen Vereinigung und die unvermeidlichen Belastungen, die von Osteuropa und den Staaten der früheren Sowjetunion so vielen aufgebürdet wurden, ließen bei zahlreichen Beobachtern an ihrem manchmal voreiligen Vertrauen in die Zukunft Zweifel aufkommen. Das Problem ist, daß solches Vertrauen oft zu einem vielleicht ebenso voreiligen Pessimismus führte.

Nicht zum ersten Mal lassen die sich beschleunigenden geschichtlichen Umwälzungen am Jahrhundertende die Menschen anscheinend nach Ausflüchten aus ihren nicht immer klar auszumachenden Verunsicherungen suchen. Wieder einmal bedeutet dies, wie so oft in der Vergangenheit, eine Art von fanatischem Chauvinismus, der eher als Tribalismus denn als Nationalbewußtsein zu deuten ist. Andere neigen dazu, den Ausweg aus ihren Verlegenheiten im Heilspfad strengster Glaubensorthodoxie oder vager Religiosität zu sehen, die häufig an Mystizismus oder sogar Okkultismus grenzen. Diese Suche nach Ausfluchtwegen angesichts des verbreiteten Gefühls von Unsicherheit scheint für viele Schichten in den meisten Industriegesellschaften in einer Zeit zu gelten, in der man spürt, daß die alte Ordnung zu Ende geht.

Es kann nicht überraschen, daß Deutschland all dem nach der Vereinigung wie kein anderes Land ausgesetzt ist. Schließlich muß es seit 1990 plötzlich 17 Millionen Menschen in seine Gesellschaft zu integrieren suchen, für die sich nach sechzig (und nicht nur nach vierzig) Jahren Diktatur eine für sie völlig neue soziale Ordnung auftut. Das Ergebnis ist eine deutliche Desorientierung. Nicht nur die 17 Millionen Bürger der vormaligen DDR sind dadurch tief verunsichert, sondern auch die sechzig Millionen des früheren Westdeutschland. Die meisten Einwohner Ostdeutschlands besitzen, ebenso wie ihre Eltern und Großeltern, keine Erfahrungen mit dem Leben in einer westlichen Demokratie. Ihre geschichtlichen Erinnerungen kreisen, vom Kommunismus abgesehen, um den Ersten Weltkrieg, die Niederlage von 1918, die Unbeständigkeit der Weimarer Republik und natürlich die Zeit des Nationalsozialismus. Ihr plötzlicher Eintritt in eine von westlichen Ideen und Idealen geprägte Welt muß sie tief verwirren. Daß die westdeutsche Gesellschaft dadurch ebenso verwirrt werden würde, hätte jedermann klar sein müssen, um so mehr als viele Deutsche sich sicherlich dessen bewußt sind, daß weder die deutsche Teilung noch die Wiedervereinigung ohne den 30. Januar 1933 und das "Dritte Reich" hätten geschehen können. Doch gibt es in Deutschland und in Europa trotz allen irritierenden Unbehagens mehr als ein Element der Hoffnung und des Vertrauens. Ungeachtet der Rezession erfreuen sich Deutschland und Europa weiterhin unvergleichlichen Wohlstands. Dies in vielfacher Hinsicht dank der Europäischen Union, die jedem, der mit Europas unruhiger Geschichte vertraut ist, als Wunder gelten muß. Trotz Kritik an Brüssel gibt das von den Ländern Europas gewonnene Ausmaß an Einheit Grund zu weiterem Vertrauen, daß das Zeitalter der Vernunft nicht aufgehört hat - selbst in einem Augenblick, in dem wirtschaftliche und politische Wolken heraufgezogen sind.

Aber nicht nur die Menschen in Deutschland - und Westeuropa - spüren diesen bohrenden Zweifel an der weiteren Berechtigung ihres Glaubens in eine dauernde und wachsende Ordnung, die sich auf Freiheitlichkeit, Demokratie und Vernunft gründet. Die von den immer schnelleren geschichtlichen Entwicklungen der letzten Jahre freigesetzten Kräfte haben auch unsere Region erreicht. Mit der Erkenntnis vieler, wenn nicht aller arabischer Länder und Völker, daß die Existenz Israels nicht mit Waffengewalt beseitigt werden kann, wirken begleitende Probleme, nicht unähnlich den europäischen Entwicklungen, auf das noch verletzliche Gewebe unserer eigenen Gesellschaft ein. Man darf nicht vergessen, daß israelische Menschen noch traumatisiert sind durch die unauslotbare Tragödie des Holocaust, durch andere schlimme Geschehnisse unseres Jahrhunderts von Pogromen bis zur Massenaustreibung, durch die Erlebnisse von sechs Kriegen in 45 Jahren, durch den Kampf um Schaffung und Bewahrung jüdischer Souveränität - all das in der Zeitspanne zweier Generationen. Das sind in sich selbst ausreichende Gründe für das Unbehagen, das auch die Israelis befällt. Indessen stellen auch hier Vernunft und Rationalität die Hauptquelle unserer Erkenntnis dar. Nicht nur die andauernde Absorbierung von Masseneinwanderung ist eine ebenso humane wie rationale Leistung. Sogar noch wichtiger sind die ersten Schritte zur Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts. Die Politik, die diese Schritte ermöglicht hat, bezeugt deutlich die andauernde Rationalität der israelischen Regierung und des israelischen Volkes.

Niemand von uns kann schon eine endgültige Antwort auf die Frage geben, warum das "Fin de siecle" zu der Krisenstimmung geführt hat, die in so weiten Teilen unserer Industriegesellschaften zu beobachten ist. Eine teilweise Antwort mag indessen in dem immer schnelleren Tempo liegen, das die Naturwissenschaft der Technologie diktiert und mit dem weder Gesellschaft noch Wirtschaft mitzuhalten vermögen. Manchmal scheint es fast so, als ob die Schnelligkeit der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung die Fundamente unserer sozialen Ordnung aushöhlt. Noch niemand ist wirklich ganz mit der Informationsrevolution ins reine gekommen. Datenverarbeitung und ihre Software z. B. setzen sich immer wieder über bisher gültige soziale Verhaltensweisen und oft auch über Regierungsverordnungen hinweg. Um nur einen Fall zu nennen: Die europäische Finanzkrise des letzten Jahres wurde zumindest teilweise durch die Fähigkeit von Privatleuten ausgelöst, unerhörte Geldmengen in weniger als Sekundenschnelle zu transferieren. Doch sind die Beispiele so zahlreich, daß erst die Großrechner der nächsten Generationen in der Lage sein dürften, alle aufzulisten. Von der Genetik über neue Feststoffe bis zur Biotechnologie, niemand vermag bereits die sozialen und politischen Auswirkungen der rasenden Veränderungen abzuschätzen, mit der offenbar kaum irgendeine politisch-soziale Ordnung Schritt halten kann.

Dies dürften einige der Aspekte sein, auf die übernationale naturwissenschaftliche Zusammenarbeit mehr und mehr abzustellen hat. Wissenschaftler, die mit ihren Leistungen um so viele Bereiche unseres Wohlergehens verantwortlich waren, werden sich zunehmend nicht der Begrenzungen ihres Fachs, sondern der enormen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen ihrer Forschungsarbeit bewußt werden müssen.

Deutsch-israelische Wissenschaftskooperation ruht auf soliden Grundlagen. Just diese Solidität kann uns erlauben, künftig auch Bereiche und Themen an der Grenzlinie zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft einzubeziehen. Diese zusätzliche Ausrichtung mag einmal einen eigenen Beitrag dazu leisten, die beiden Wellen unseres Hologramms, durch welche wir Israelis und Juden Deutschland nur zu sehen vermögen, in jenes Gleichmaß zu bringen, das wir alle wünschen und anstreben, das die Tragödien unserer noch zu jungen Geschichte jedoch noch nicht erreichen ließen.

Aus der "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 17-10-2004


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